: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 3. November 2012

Der Buchholdienst des Oberlands

Es gibt so ein paar Sachen, die ich jetzt seit Jahren aufschiebe. Und das grösste Übel ht gar nichts mit Menschen oder meinen Lebensumständen zu tun, sondern mit Büchern. Genauer, mit der Teilung meiner Bibliothek zwischen zwei Wohnorten. Ich weiss auch, warum das so ist: Die Zusammenführung aus München war schwer und brutal genug, das war ein elender Kraftakt, und es ist noch immer nicht genz abgeschlossen, denn manche Kisten stehen jetzt seit Jahren im Abstellraum. Eigentlich müste ich sie nur nehmen und an den Tegernsee bringen - aber hier gähnt mich die Wand an, für die ich noch immer kein Bücherregal gefunden habe. Natürlich könnte ich zum Schreiner die Strasse runter gehen - man glaubt gar nicht, wie viele Schreiner es hier gibt - und mir etwas fertigen lassen. Aber leider ist Fichte Rustikal nicht das, was ich mir für diese Wohnung wünsche. Und weil die Not nicht gross genug ist, bleibt alles im Provisorium. Oben auf dem Kleiderschrank wären noch anderthalb Meter Restlänge, das reicht, wenn man nur ab und zu in die Münchner Antiquariate kommt. Aber es kann auch passieren, dass man vor dem schmalen, ein paar hundert Bände umfassenden Bestand steht und merkt: Da ist jetzt nichts dabei für die Terrasse an diesem Sommertag.









Zum Glück ist ein Tal weiter, an der Isar gelegen, das aus Film, Funk und besonders Fernsehen bekannte Bad Tölz, und dort wiederum gibt es einen Buchladen, wie ich ihn mag. Die Anfahrt ist leicht und an Spätsommertagen wie diesen auch wirklich schön, und Tölz selbst hat diese unaufgeregte Kitschigkeit, die altem Reichtum entspringt. Ein wenig so wie das famose, aber oft ignorierte Matrei am Brenner, Hall in Tirol und Brixen. Man kann dort zwar nicht billig, aber gut einkaufen, und die Buchhandlung ist so sortiert, dass jeder etwas - oder auch etwas mehr - finden kann. Es gibt eine Leseecke, die wirklich noch eine Leseecke ist. Und die neue CD von Simone Kermes.









Dienstag ist dann hier Wallfahrt mit Pferden, da werden dann wieder die Besoffenen in den Strassen randalieren, und Tölz wird alt und zerkratzt aussehen. Aber wenn man hier ist, kann man das umgehen. Auch andere Orte haben Leonhardiritte, und da geht es ordentlich, fast zu ordentlich zu. Alta Moda Trachten- und Reitermodenschau statt Alkoholexzess.

Ansonsten, sicher, es gibt Amazon und E-Books. Aber dafür bin ich einfach zu alt. Und ausserdem möchte ich wirklich neben dem Bett eine zweieinhalb Meter hohe und zwei Meter breite Bücherwand, voll mit schönen Bildbänden zur Kulturgeschichte, ausgefallenen Romanen und der ein oder anderen kleinen Sauerei der Bibliophilie.

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Man kann es sich nicht immer aussuchen

Meine Wohnung am Tegernsee ist das Ergebnis unkontrollierbarer Erbfälle vergangener Jahrzehnte und absurder Fehlkäufe, gespeist aus dem Wunsch, noch etwas Besseres zu besitzen, und obendrein gespeist vom Verlangen meiner Eltern, endlich den alten Krempel draussen zu haben. Das Ergebnis wirkt erstaunlich homogen, ist es aber nicht. Das sieht man nicht sofort, aber wer länger hier mein Gast ist, lernt das kennen. So sind die beiden grossen Seidenteppiche im Wohnzimmer zwar schön und weich, zugleich aber auch nicht warm genug für den Winter und das Herumlaufen mit dünnen Socken. Seidenteppiche kommen nun mal nicht aus Gebirgsregionen. Dafür habe ich damals, lang ist es her, fast 10 Jahre, für den langen Gang meiner Wohnung in Berlin einen ebenso langen Läufer bakhtiarischen Ursprungs gekauft. Der liegt jetzt vor den Betten, ist dick und beim Aufstehen warm und weich genug. Das ist die Art Teppich, die man hier in den Bergen braucht, denn gemacht haben ihn Bergnomaden aus dem Zagrosgebirge. Das sind die Dinge, die man beim Umziehen in die Berge berücksichtigen sollte: Je dicker der Teppich, desto besser ist er geeignet. Und wenn ich ehrlich bin, passt er mit seinen geometrisch aufgefassten Pfauen auch besser in diese Region, als die doch etwas überelaborierten Seidenteppiche. Und ja, nicht alles in Berlin war schlecht, wenn es nur nicht aus Berlin stammt.







Momentan ist es noch nicht so schlimm mit der Kälte; im Gegenteil, in der Nacht hat es geregnet, und damit ist der Schnee in den tiefen Lagen fast völlig verschwunden. Zurück bleibt ein knallblauer Himmel, ausgesprochen klare Luft und jede Menge Jungfamilien, bei denen man sich wirklich fragen kann, ob was dran ist an der Behauptung, die Akademiker würden sich nicht vermehren. Die Grundschule wird hier gerade erweitert, der Spielplatz ist voll, im Restaurant kann man kaum reden, wenn man überhaupt einen Platz bekommt - bleibt man halt draussen, auf dem Steg und schaut die Sonne an. Heute geht es noch, morgen gesellen sich die Münchner dazu, und was nicht mehr auf die Spielplatz passt, quillt dann ans Ufer. Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, kommen die Toten, und so.







Dass es sich heute trotz Brückentag noch in Grenzen hält, liegt an einer leichten Wolkendecke am Morgen und, Glück muss man haben, an einer falschen Wettervorhersage, nach der es im Gebirge

das muss man sich mal vorstellen

regnen sollte. Vielleicht sind all die Investmentbanker inzwischen zum Wetterdienst gewechselt, und entwickeln dort Klimamodelle; hier jedenfalls nimmt der Sommer gerade noch einen Anlauf. Hoffnungen auf einen November wie 2012 sind also vielleicht gar nicht so unrealistisch; in diesem Fall werde ich vielleicht öfters hier sein. Es gibt ein paar gute Gründe: mir ist aufgefallen, dass meine Hartkäse- und Pastaeinkäufe vor allem an der Donau lagern und Platz wegnehmen, während hier ein ganzes Fach voller nutzlosem Olivenöl gefunden wurde. Schon ist ein Vorwand da. Und dann muss hier auch noch umdekoriert werden, denn die Biedermeierdame ist angekommen und deshalb sind ein paar geschnitzte Kirchendekorelemte übrig. In den Gang? In die Küche? Solche leichten und nichtigen Gedanken begleiten mich am See zum Yachtclub, wo die letzten Boote aus dem Wasser genommen werden.







Von nun an gehört der Club wieder den Wanderern, den Menschen in der Mittagspause und den Rentnern, die nach dem letzten Quentchen Sonne suchen. man wird auf den Stegen sitzen und auf Wärme hoffen, man wird vielleicht sogar, wenn es warm genug ist, eine Flasche Wein mitbringen, und ein paar Delicatessen. Meine italienischen Freunde werden lachen, wenn ich ihnen im nächsten Frühjahr davon erzähle, sofern sie noch etwas zu lachen haben: Man hört gerade wenig erbauliche Geschichten, auch aus besseren Lagen, und hofft auf Deutsche, die vielleicht investieren möchten. Italien ist Klein-Amerika, die Immobilienpreise fallen, aber nicht, weil kein Geld da ist, sondern weil die Schwarzgeldbesitzer ihr Vermögen ausserhalb des Landes anlegen. Dafür hat man gebaut und restauriert, deshalb stiegen die Preise, und deshalb fallen sie jetzt. Schlimm für jene, die zu spät mit Krediten kauften. Man bekommt das in Deutschland gar nicht so mit, was andernorts wirklich los ist, wenn nicht gerade demonstriert wird.







Zumal es der See auch so einfach macht, das alles zu vergessen. Alle haben dieses "Wir sind hier und wir wissen, dass es uns allen gut geht"-Lächeln auf den Gesichtern, das ist hier die Grundeinstellung des Lebens, und wenn ich noch eine Woche bleibe, lese ich Segelbootanzeigen und schreibe über die Art Frau, die man sich für diese Wohnlage am besten beschafft; so eine gesunde, knochige Bayerin aus der weiteren Umgebung mit hohen Augenbrauen und mit einer herzlich-sozialen Intelligenz ausgestattet, die aus einem Haus eine Partylocation in Lodengrün mit aufgestickten Hirschen macht. Sollen sie sich doch in Berlin die Haare färben und den Körper durchstechen lassen; hier wird allenfalls der Name der Kinder eingestochen. Ausserdem: Wir winden uns selbst eine Adventskranz und andere Dinge, die man nicht braucht.

Schrecklich.

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