: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 14. November 2012

Einschlafen

Stell Dir vor, Du schreibst drei Beiträge. Alle bekommen einen guten Lauf. Alle haben ein brandaktuelles Thema. Und jedes mal setzt Du noch eins drauf und wirst noch besser angeboten. 6600, 9600, 15600 mal werden Deine Beiträge angeklickt. Aufwachen, schreist Du Deine Leser an. Das ist superwichtig, relevant set, Seite eins, ganz gross.







Unter den 6600 sagt keiner was. Unter den 9600 sagt keiner was. Unter den 15600 sagt keiner was. Niemand. Was immer Du da angebrüllt hast, was immer Du im Klickweg gewesen bist: Es hat Dir nichts zu sagen. Es will nicht mit Dir reden. Es klickt, aber was es dann tut, wer weiss, vielleicht dreht ves nach dem ersten Satz schon wieder ab.







Dein Job ist die Vermittlung zwischen Kulturräumen, als vergleichbar meinem Job. Bei Dir ist es ein fernes Land, die komplexe Wissenschaft, eine seltsame Kunstform, bei mir eine den meisten sehr ferne und unerreichbare Klasse. Unsere Aufgaben ähneln sich, aber ich würde meine Leser nie so anbrüllen. Du bist ganz wichtig bei wichtigen Ereignissen, ich bin unbedeutender Beobachter von Dingen, die auf den ersten Blick bedeutungslos sind. Und wenn meine Beiträge nach 200 Besuchern so aussehen wie Dein Standard, bekomme ich schon die Krise und glaube, meine Leser verloren zu haben.







Und ich habe eine Krise. Gestern Abend habe ich im vollen Bewusstsein, an wer das geht und was das bedeuten kann, geschrieben, was ich möglicherweise bin: Alles andere als ein Heils- und Leserbringer, sondern nur eine Art Lampenputzer auf der Titanic, der dafür sorgt, dass die Kristalle so schön funkeln, wenn das Schiff gegen den Eisberg knallt. Dass mein Tun hübsch aussieht und keinerlei Bedeutung hat. Und in der Folge, dass es sinnlose Verschwendung ist. Solche Gedanken mache ich mir, ich kann sie nicht wegschieben, weder auf dem Rennrad beim Sonnenuntergang noch zwischen Nacht und Morgen. Dass ich mir alle Mühe vielleicht im Falschen gebe. Und dass ich auch noch schade, weil viele denken, so lange die Leuchter nur funkeln, wird schon alles gut - aber die Gefahr draussen in der Dunkelheit sieht man nicht. Ich habe gerade enorme Probleme - nicht durch meinen Job, da meine ich schon erreichen zu können, was mir wichtig erscheint. Aber mit dem Gesamtsystem und meiner Rolle.







Du aber hast keinen einzigen Kommentar. Oder mal einen auf 2000 Leser, wenn Dein Beitrag lang auf der Hauptseite steht. Du scheinst damit gut leben zu können. Du machst das immer wieder so, manchmal seit Monaten, oder auch seit Jahren und von Anfang an. Du füllst ein Blog. Es passiert so gut wie nichts. Und bei mir laufen welche auf und beschweren sich über die Identitäten meiner Autoren von zigtausend Kommentaren.

Ich weiss genau, warum ich die Krise habe. Ich weiss, wie ich sie bekämpfe. Da muss ich durch. Ich würde es mir auch gern mal so leicht machen können und sagen, ach was, ist doch egal. Wir sind sowieso alle auf dem gleichen falschen Dampfer, da spielt das doch keine Rolle, welcher Passagier wo etwas sagt. Vielleicht, das ist meine Hoffnnung, schaut ja jemand mal auf diese vielen, vielen Klicks und die ausbleibenden Reaktionen, und erkennt, dass das sehr viel mehr bedeutet, als all mein Funkeln und Gleissen.

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Verloren im Datenraum

Zwei Nachrichten: Die Frankfurt Rundschau ist pleite. Die Financial Times Deutschland wird eventuell bald eingestellt.

Und: Twitter ist mal wieder um 50% in Deutschland gewachsen, in einem Jahr, auf über 800.000 Accounts.

Da könnte man natürlich ins Grübeln kommen.

Andererseits muss man natürlich auch sehen: jetzt sollen es über 800.000 aktive Twitteraccounts aus Deutschland sein; vor drei Jahren, als ich zu dem Thema einen Vortrag bei den Medientagen hielt, zweifelte ich an der von anderen hinausposanten Zahl von 1,8 Millionen deutschen Twitternutzern. Ich denke, der Fehler der Überschätzung ist deutlich erkennbar, und nichts garantiert uns, dass all diese hübschen Accounts überhaupt echt sind.

Der Rundschau hilft das auch nicht weiter. Es hat sich halt vieles vom Leben ins Netz verlagert, man kann das bekritteln oder begrüssen, aber es ist eine Tatsache, der man sich stellen muss. Und weil dieser Prozess seit gut 10 Jahren an der Substanz der Medien nagt - 2002, während der New Economy, verdiente man ja erst nch blendend und schmiss das Geld mit vollen Händen raus - haben sich die mesten einfach zu viel Zeit gelassen, sich etwas einfallen zu lassen. Und jetzt haben sie drei Ideen:

- Sparen (idealerweise aber nicht in der Redaktion, wo die ganzen Versager sitzen, die in diesen zehn Jahren nicht mal versucht haben, ob so ein Twitteraccount oder ein beantworteter Kommentar etwas bringen könnte)

- Leistungsschutzrecht (Ich glaube nicht, dass Google zahlt, die werden eher die Medien rauskicken und lachen)

- Zahlschranken (für die Leser, um die sie sich bislang einen Dreck gekümmert haben)

Und leider sitzen in den Verlagen auch viel zu wenig Leute, die solche Veränderungen voran treiben - wer das macht, ist sowieso meistens in der PR. Ich höre Klagen über zurückgehende Werbebuchungen der Autokonzerne - nun, die haben sich ihr eigenes Bloggernetzwerk aufgebaut, das kostet wenig und macht viel Wind. In den zeitungen schaut man da nicht mal nach, sondern macht einfach weiter. Dabei ist es nun mal nicht gleichgültig, ob man einen Printtext im Blatt oder in einem Blog hat: Wer einen Beitrag auf 20.000 Page Impressions treibt, weil er tagelang auf der Website zu sehen ist, aber nur 3 Kommentare hat, zwei davon Spam, und vielleicht noch den Umstand bejubelt, dass er selbst auf einen Toplisten-Linkbait hereinfällt, macht nicht nur etwas falsch, sondern alles.

Die unfassbare Arroganz und Verachtung, mit der in vielen Häusern den Kunden entgegengetreten wird, sieht man auf der anderen Seite, wenn es um das Bezahlen geht: Dafür bräuchte man nämlich so etwas für Sympathieträger. Niemand zahlt an einer Stelle, wo man ihn schlecht behandelt, und daneben jede Menge Alternativen sind. Und das Gerede vom Qualitätsjournalismus verdeckt nur das Problem, dass es keine

QUALITÄTSKUNDENBEZIEHUNG

gibt. Man muss sich nur mal den Onlineauftritt der FR anschauen, um zu verstehen, was da passiert ist: Das ist kein Anknüpfungspunkt. Dafür bekommt man keine Fans. Da sagt kein Mensch, wow, her damit. Oder: da will ich mitreden und dabei sein. Damit möchte ich mich irgendwie identifizieren, dafür komme ich morgen wieder. Ohne solche Kunden kann man in Deutschland das gerede von Bezahlschranken komplett vergessen. Und für solche Kunden braucht man Spezialisten. Leute, die so etwas wie das hier schreiben, das Menschen wirklich berührt. Nicht Autoren oder Edelfedern, sondern Malocher in den Goldminen der Kundschaft. Menschen mit Hingabe. Leute, die auch noch nachts um drei Kommentare beantworten. Fährtensucher, die ein Gefühl für das Medium haben, in dem jetzt alle sind, um dann einen Teil dieser Alle dorthin zu ziehen, wo sie nicht mehr sind - eben bei den Medien. Die Leute sind nicht einfach nur gegangen, man hat sie oft genug auch vergrault. Und man muss sie dann wieder für Print zu begeistern. Das dann aber anders sein muss. Man kann nicht mit Rezepten, die online klar gescheitert sind und nicht ziehen, weiter eine gedruckte Zeitung machen - zumindest nicht, wenn man überleben will. Man kann übrigens auch mit guter Leistung krepieren, wie man in den USA laufend sieht, wo die Kosten einfach zu hoch sind.

Jede normale Firma würde in dier aktuellen Lage sagen: OK. Was ist das neue Geschäftsmodell, wo sind die Kunden, wie sprechen wir sie an. Wer von uns hat das jetzt schon im Kreuz, den stellen wir vorne hin. Wer von uns kann das lernen - den packen wir in die zweite Reihe und bilden den aus. Der Rest macht halt Füllzeugs oder gar nichts mehr.

Spassigerweise läuft es eher andersrum. Klar, das Arbeitsrecht. Und die Redaktionspolitik, und die eine sorgt noch schnell dafür, dass ihr Haschipopperl trotz allem ein ungelesenes Blog schreiben darf, weil das Thema ja so wichtig ist. die FR hat gezeigt, wie man das macht, der Westen auch und der Focus: Gebracht hat es nichts. Die einen sterben an der Labbrigkeit und die anderen an ihrer Politik, man muss das nicht bedauern. Mir kann es egal sein. Leute wie mich wird man immer irgendwo brauchen. Und ich würde, wenn mich ein Brausehersteller direkt bezahlen würde, und nicht über die Anzeigenabteilung, auch nicht anders arbeiten. Ich bin ein Rebell mit Markt.

Es ist 2012. Ich muss leider sagen, dass die PR-Anjatanjas in den letzten 10 Jahren sehr viel besser wurden. Die haben gelernt, die haben begriffen, und wenn sie mal wieder an meiner Tür kratzen, bin ich deshalb auch sehr freundlich in meinen Absagen. Die Anjatanjas haben kein Problem, die Schwäche der Zeitungen auszunutzen. Aber der Journalismus liebt weiterhin grosse Worte und bigotte Selbstsichten, auch noch am Grab der Kollegen, bevor es zurück zur Redaktionstaktik und die wichtige Ausstellung eines von der Öffentlichkeit viel zu wenig beachteten Künstlers mit besten Beziehungen zu einer Freundin geht. Da geht es dann weiter wie gehabt. "Hummer vernichtet" las ich kürzlich von jemandem auf einer Journalistenreise.

So weit wird dort gedacht. Und kein Stückerl weiter. Man sollte sich die Tränen besser sparen.

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