Jahrestag

Vor etwas mehr als 2 Jahren habe ich Berlin verlassen. Und vor etwas weniger als einem Jahr habe ich meine Wohnung in München geräumt. Insgesamt also runter von 140 m² in drei Städten auf 130 m² in der Provinz. Da, wo ich herkomme, und in gleichen Haus, in dem ich geboren und gezeugt wurde. Ohne Aussicht, jemals wieder ganz hier wegzukommen. Klingt übel?

Dachte ich erst auch. Aber mein Aufenthalt in Berlin endete mit der Ansage meiner Eltern, dass ich zwei Alternativen hatte: Einerseits mich um den ganzen Krempel daheim und die Familie zu kümmern, oder irgendwo in der Weltgeschichte zu bleiben, dazu noch eine Stadt in der Schweiz - und dafür würden sie den Stadtpalast und noch ein paar andere Sachen verkaufen, die ihnen über den Kopf wuchsen. Ich dachte, dass die Betreuung der sog. "Überlebendengeneration" und die Restaurierung eines Stadtpalastes nebenbei geht, denn schliesslich gibt es auch noch Pflegekräfte und Handwerker. Es ging, aber so, wie ich in Berlin lernte, Bayern zu lieben, lernte ich in den zwei Jahren, was es heisst, die Verantwortung zu übernehmen. Nicht das Bröckchen, das man als Journalist für sich selber und das Medium hat, sondern so richtig.



Geht nicht anders, sonst ist keiner da, der es machen könnte. Ausserdem hat man nicht gerade ein Recht, die Klappe aufzureissen, denn es ist immer noch ein läppisches Luxusproblemchen im Vergleich zu dem, was die anderen mit 30 Jahren erlebten. Heim in die Provinz zu kommen ist nichts gegen das, was ein junges Mädchen mitmacht, wenn es aus der bürgerlichen Atmosphäre herausgerissen wird und pötzlich im Blitzkrieg in London steht, von den anderen Dingen ganz zu schweigen. Also tut man das, was zu tun ist. Nur ist dann eben nicht mehr viel Zeit, die man dauernd in München verbringen könnte, und bevor das Ding an 350 Tagen leer steht - gibt man es halt auf. Eine Sorge weniger, dafür eine Wohnung in der Stadt meht.

Das ist übrigens auch der Grund, warum ich es hier aushalte. Weil ich genau genommen nicht in der Provinz bin. Drei bis vier Monate im Jahr bin ich unterwegs, und den Rest der Zeit bin ich in meiner Wohnung in meinem Haus in der Altstadt, und erst die ist in der Provinz. Der Schrecken beginnt draussen vor dem alten Stadttor und weiter im Westen, wo sich die ehrenwerte Dame vom Tennislehrer knallen lässt und der Gemahl in der CSU mitzureden hat, bei den Edelstahlkapitellen der Discountergründerneffen und der generellen Unfähigkeit, all das Schöne und Reiche zu erkennen und zu nutzen.



Denn man muss es der Provinz lassen: Sie ist zum Heulen schön und zum Erbrechen reich. Im Umkreis von 80 Kilometern gibt es ausser Meer und Gebirge nichts, was man vermissen würde. Städte, Weltkulturerbe, Landschaften, Seen, es gibt nichts, was man nicht in einer Stunde erreichen könnte. Es gibt hier keinen Ruinengürtel, durch den man fahren muss, und abgesehen vom regionalen Journalismus auch keine Hungerleiderbranche. Man kann sich hier wirklich wundern, dass diese Welt und der Osten oder der Norden ernsthaft zu ein und demselben Land gehören, und genauso sehen das die Bewohner. Es ist eine Welt für sich, in der ich meine eigene Welt habe.

Was zur Folge hat, dass hier kaum einer weg will. Weniger, weil sie begreifen würden, dass sie draussen bestenfalls nur eine grössere Provinz mit schlechteren Chancen bekommen, sondern einfach aus Faulheit und Selbstzufriedenheit. Diese gnadenlose Ignoranz kann einem tierisch auf die Nüsse gehen, aber dann wechselt man eben das Thema und redet über das Essen und das Wetter, und ich erzähle, dass meine Freunde in Hamburg und Berlin mal wieder eingesaut sind; und während über uns dieser sagenhaft blaue bayerische Himmel glänzt, einigen wir uns schon irgendwie darauf, dass es ganz gut ist, hier unten.



Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Ohne Internet und Freunde in Restdeutschland würde ich hier schnellstens eingehen. Es gibt zwar mittlerweile eine rege Geschiedenenszene in meinem Umfeld, aber das alles ist zu sehr verhaftet, bishin zur vollverdrahteten Sozialkontrolle. Auch das gibt es überall, da unterscheidet sich das Kaff nicht vom maulhaltenden Koofmichnetzwerk Berliner Provinienz, nur bleibt mir das Netz als das Fenster, aus dem ich hüpfen kann, wenn der Provinzüberdruss durch die Schlafzimmertürpoltert, wo ich mich gerade noch mit seiner drallen Frau, der wochenmarktgefüllten Schönheit des Landes, vergnügte.

Es geht. Es geht so gut, dass ich es nicht merke, wenn es nicht gerade einen Sommertag verregnet, und mir auffällt, dass schon wieder ein Jahr vergangen ist. In Berlin oder beim Nomadenleben zwischen den Städten würde es mir mutmasslich nicht so gut gehen. Das hier ist mein Istanbul, und nun ist es an der Zeit, den Dachgarten zu bestellen.

Montag, 9. Juli 2007, 21:53, von donalphons | |comment

 
Einen Platz in dieser Welt.
Und es ist gut den seinen gefunden zu haben. Provinz ist sehr relativ.

Meinen Glückwunsch.

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Provinz ist in den (manchen) Köpfen, nicht in den Karten.
(Und wenn, wäre die Reichsjugendhauptstadt parzelliert wie eine Schrebergartensiedlung.)

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(Und ohne regelmäßige Berlin-Rants fehlt etwas in dieser Region der Blogosphäre. Manch einer braucht seine drei Jahre, um das zu erkennen...)

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Ich hätte hier noch ein paar Dirt Pics. Das letzte Mal war ich so mild, weil ich vorher in Läbsischhccccss war.

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...den [Dach]garten zu bestellen

Dann lesen wir doch gleich hier weiter. :)

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Don, Du bist ein Engel! ;-)
Danke einmal mehr für einen herrlichen Text, der meine eigene aktuelle Situation treffend spiegelt. Ja, es ist eine schöne Verantwortung, ein geliebtes Haus instand zu halten. Da macht es gar nichts, dass allein das Blumengießen eine Stunde dauert. Der Lohn ist unter anderem ein blühender Garten, der bei schönem Wetter zum Ausweichschlafzimmer wird. Mit einem Sternenhimmel, den sich ein Berliner kaum vorstellen kann. Ich bewohne hier jedoch kein Stadtschloss, sondern eine Burg. Jedenfalls nennt Schwiegeroma den Hof mit seinen undurchdringbar dicken Mauern so. Mütterstolz eben. Der eine Sohn hat ne Ranch, der nächste die Burg, die jedem Angriff trotzt. Ironie des Schicksals, doch genauso fühlt es sich langsam aber sicher an, auch wenn die Telefonanlage zuweilen irrational gestört ist und die eingehende Kommunikation unterbindet. Jeden Tag kommt ein bisschen mehr echtes Leben zurück.

Keine Ahnung, ob ich in zwei Jahren auch noch hier bin. Wenn ja, werde ich wohl an dich denken. Dein Jahrestag in der Provinz ist nämlich auch für mich ein wichtiges Datum. Denn heute hat ein mächtiger Berliner Musikmanager von mir einen großen Korb bekommen. Ein weiterer Grund zum Feiern, das beste Kristall mit edlem Getränk zu füllen und darauf anzustoßen.

Ich wünsch Dir einen schönen Jahrestagsabend.

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Liebe Muse,
ich wollte Dir einen Kommentar schreiben, dass weiss allein furchtbar langweilig ist und Gelb und Lachs ganz prima sein können. Oder auch mehrfarbig. Zumindest ein oder zwei Zimmer. Ich poste nachher ohnehin was dazu, und nzeige Dir das auch mal gerne im Original. Ansonsten: Glückwünsche

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Jein. Paradiese sind etwas nettes. Ich hab eins in Brandenburg und ein Oberösterreich. Es sind tolle Paradiese. Paradiese auf Zeit.

Aber dann kommt der Moment wo mich morgens mein Auto anblinzelt und der Hund mit Fress- und Wassernapf vor der Karre steht.

Den Kindern ist der Schnee nicht mehr weiß genug und der Raps ist auch verblüht. Ich bekomme inneren Ausschlag und ein fürchterliches Jucken.

Das sind die Momente da bekomme ich dann einen wichtigen Anruf, der mich gestern noch völlig kalt gelassen hätte. Ich muss nach Berlin, sofort, UNVERZÜGLICH, nicht vermeidbar. Ich sage noch schnell die nächsten Termine hier ab und dann geht es los.

Ich fahre zu schnell, das beruhigt sich erst wieder wenn ich auf der Autobahn das Schild Berlin sehe. Es war schön in der Provinz, aber nun bin ich auf dem Weg nach Hause.

Das Auto kennt den Weg von alleine, ich weiß wo man unterwegs essen kann, wenn es von Österreich aus ist, oder wo man noch Eier, Obst und Gemüse, Hühner oder Fleisch mitnehmen muss wenn es von Brandenburg aus ist. Routine.

Berliner Ring. Herrlich. Ich rufe bei meinem Lieblingshummerverkocher an und reserviere noch einen Tisch oder halte vielleicht sogar den Laden einfach eine Stunde länger offen. Ich bin zu Hause.

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Provinz ist doch immer da, wo man selber nicht gern ist. Bei mir zumindest ist das so. Abgesehen davon. Hier bei uns ist es auch objektiv gesehen nun ganz sicher nicht provinziell. Komischer Zufall.

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Es kommt immer auf die Balance an. Nach 2, 3 Wochen wird da alles tatsächlich etwas viel, und dann drängt es einen wieder raus. Dann sieht man idealerweise Berlin, und beim Überfahren der thüringisch-bayerischen Grenze ertappt man sich fast beim Summen des bayerischen Defiliermarschs, und das Wetter wird schöner. Die Mischung macht es.

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ich bin dabei, die provinz zu verlassen. im moment ödet es mich an, nicht die provinz, sondern was die bevölkerung daraus macht, die von der zeit mitgespült wird, aber nicht schwimmen will, nicht mal gegen den strom.
ich sehe meine freunde - bzw. diejenigen, die es einmal waren - junge, keineswegs erfolglose menschen, die jobangebote aus ganz europa erhalten, aber dann lieber bei mama und papa wohnen bleiben und sich von der zeitarbeitsfirma vermitteln lassen. sie übernehmen all die strukturen und verhaltensweisen ihrer eltern bis in mimische details, sie sind 50, bevor sie auch nur 30 jahre alt werden konnten. da wird dezent gejammert über dies und jenes, aber im grunde ist es diese im text oben erwähnte saturiertheit. mama kocht und alles ist gut.
mein weg ist hier zu ende. ich liebe alles hier sehr, aber es macht mich krank. ich weiß nicht, was mich erwarten wird, aber ich erwarte etwas. supermarkt, keinen tante-emma-laden. ich will machen dürfen und werden. damit ich eines tages zurückkommen und die provinz, aus der ich komme, genießen darf, mich zu meiner mama auf die couch setzen und die kleinen lachfalten in ihren schläfen streicheln kann.

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