: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 21. September 2011

Bücher wütender Frauen I: Melanie Mühl, Die Patchworklüge

Es gibt auch bei mir so etwas Banales wie Reisehits. Im Frühjahr war es der Marsch der Sanfedisten, letztes Jahr die Missa Celensis von Haydn, davor Simone Kermes und auch mal Summertime. Diesmal ist es die Titelmusik des Films Un Homme et uns Femme von Claude Lelouch. Der Film handelt von zwei allein mehr oder weniger erziehenden Menschen, deren Partner gestorben sind, und die jeweils das Leben dieses verstorbenen Partners leben. Der Mann ist Rennfahrer, dessen Frau sich nach einem Unfall beim Rennen von Le Mans das Leben genommen hat. Die Frau war mit einem Stuntman verheiratet, der bei einem Unfall starb. Man ahnt, wo das endet, aber davor wird es kompliziert.

Und weil die Frau von Anouk Aimee gespielt wird, die man schon aus La dolce Vita kennt und liebt und hier die körperliche Nähe darbietet, die Fellini gezielt in ihrem Verhältnis mit Marcello Mastroiani ausgespart hat, ist dieser Film einer der schönsten, die ich kenne. Der Film ist so freundlich, die Verlusterfahrungen und Unsicherheiten nicht zu verschweigen, aber alles in allem ist er eine grandiose Werbung für die Patchworkfamilie. Zumal für jemanden, der für Anouk Aimee... Der Film jedenfalls stellt eine Frage, auf die ich im Buch "Die Patchworklüge" von Melanie Mühl keine Antwort finde: Was sollen sie denn tun, was für eine Verschwendung wäre es, wenn sich Anouk Aimee wie in der Mitte des Films eben gerade nicht für so eine Patchworklösung hergibt.



Darüber kann man nachdenken - ich jedoch habe den Vorteil, dass ich die Autorin fragen kann. Einfach, weil ich ihre Email und Telefonnummer und Adresse habe und sie als Autorin der FAZ sehr schätze. Würde man mich fragen, wessen Texte mir bei der FAZ am besten gefallen, würde ich ohne zu zögern auf sie verweisen. Ich bin also voreingenommen und beeinflusst und es ist mir egal - das hier ist nicht die FAZ, das ist mein Blog.

Und weil sie und zwei weitere mir recht gut bekannte Frauen diesen Sommer wütende Bücher über das Leben der Frauen geschrieben haben, und sich sie natürlich lesen musste und wollte, gibt es hier meine Einschätzung. Würde ich die Bücher nicht mögen, hätte ich nichts gesagt. Hätte Frau Mühl etwa gegen Lelouch gegiftet, dann, ja, also... hat sie aber nicht. Und auf der Postkarte war auch nicht genug Platz zu fragen, warum sie ihr Aufdentischhauen nicht beim besten Filmargument für die Patchworker beginnt,bei dem Aimee zuerst den Zug nehmen möchte, und am Ende doch mit ihm im Auto fährt. Was die ganze Geschichte und Liebe ist.



Vermutlich, weil das Buch mehr sein will, als nur eine Abrechnung mit der Lockerheit, mit der heute Patchworkfamilien als Teil, vielleicht sogar als bestimmender Teil des Beziehungsmainstreams aufgefasst werden. Mindestens so wichtig sind die Trennungslügen, die angesichts von Scheidungsraten und Unbeständigkeit der Beziehungen erst den Anlass für das Neuanrühren der Familien geben. In meinen Augen wird recht schön und überzeugend dargelegt, wie Medien und das Volk, das an die Stelle dessen trat, was man früher Gesellschaft nennen konnte - BuPrassis, Gossenmimen und Fussballdeppen - diese neuen Beziehungen vom Notbehelf der Unvermittelbaren zur coolen Geste umfunktionierten.

Es wird eben genau nicht die Frage von Lelouch gestellt - sollte Aimee nicht besser doch den Zug nehmen? - sondern eine lässige, jede Kritik und alle Zweifel ignorierende Antwort hingeworfen. Und das aus Lebensumständen heraus, die mit den gängigen Problemen alleinerziehender Mütter so gut wie nichts zu tun haben. Das ist ein wenig so, wie medizinische Körperoptimierung als lässig machbar und problemfrei hingestellt wird: Vorgeführt wird eine heile, funktionierende Familienwelt der zeitlich begrenzten Verhältniscluster. Patchwork als dauernde Selbstverwirklichung. Auf der Strecke bleiben dabei die Kinder und, wenn es doch nicht gut geht, auch noch einiges mehr. Und mit 45 sieht niemand mehr so aus wie Anouk Aimee oder Jean-Louis Trintignant mit 35. Die ledigen Erbtanten des 21 Jahrhunderts sind nicht die Singles, sondern die kaputten Ehehälften.

Das alles passiert nicht einfach so, es erwächst aus einer Vielzahl von gesellschaftlichen Veränderungen, die aufzuspiessen und vorzustellen sich das Buch die dankenswerte Mühe macht: Wertewandel, Sexualität und Attraktivität als Normalität, Trophäenkinder und -frauen, Leistungszwänge, moralische Ambivalenz der Postpostmoderne und neovulgärliberal rücksichtslos umgesetzte Freiheiten. Das klingt hier negativer, als es im Buch beschrieben ist. Je mehr erzählt wird, desto plausibler und angenehmer, ja nachgerade blogartiger ist die Argumentation. Die ganze Fleissarbeit der theorielastigen Zitateunterfütterung liest man - und vergisst sie gleich wieder.



Nun bin ich - kinderlos und Libertin - sicher so ziemlich der Letzte, der anderen in ihre kaputten Ehen hineinreden dürfte, aber natürlich kennt man im privaten Umfeld auch die grossen und kleinen Dramen. Selbst bei uns ist es so, dass die kinderlos Geschiedenen alle Optionen haben, sich andere Partner zu suchen, und die Reste Patchwork als etwas erleben, was angesichts fehlender Optionen unvermeidlich ist. Man kann die Kinder nicht einfach ausschalten, auch wenn das viele vielleicht bei Hochzeit und Schwangerschaft noch glauben. Man muss nehmen, was noch da ist. Es kann sein, dass die Patchworkfamilien dann die beste aller möglichen Welten ist, die allesamt nicht gerade schön sind. Aber darüber müsste man mal reden und überlegen, warum das so geworden ist. Zumindest den mir bekannten Schwiegermüttern solcher Konstrukte spricht das Buch aus dem Herzen.

Ist es ein gutes Buch? Sicher. Ich mag zwar Kinder nicht, aber für jede familiäre Katastrophe, die man sich nach dem Lesen im Vorfeld überlegt, für jede andere Option als Armutsrisiko und HartzIV und die betroffenen Kinder hat dieser Blick unter die Sofas der Patchworker gelohnt. Auch wenn niemand je wissen wird, dass da ein Zug war, der letztlich doch nicht genommen wurde: Es wird so sein. Das Buch ist ein sehr kluges "So nicht". Und weil ich nicht dauernd Lelouch schauen kann - irgendwann kennt man das, und ausserdem trifft eder Film nicht auf die Lebensrealität derer zu, die noch in Beziehungen sind - würde ich mir noch ein weiters Buch wünschen: Mit dem Thema "So bitte schon".

Für den Wunsch war genug Platz und das richtige Bild auf der Postkarte.

Melanie Mühl, Die Patchworklüge ist bei Hanser erschienen, und kostet irgendwas das sich in jedem Fall lohnt.

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Freitag, 29. Januar 2010

Jedem Ende wohnt ein Ende inne

Es sieht so aus, als wäre ich mit der Möblierung meiner grossen Wohnung weitgehend fertig (Achtung bei den Bildern, Kostverächter, Hungerhaken, Ikeafreunde und Minimalisten könnten Schaden erleiden!).



Was jetzt noch fehlt, aber schon teilweise auf der Post ist: Zwei grosse Büsten, ein römischer Satiriker und ein Hermes des Praxiteles für die Bücherschränke zum Abschluss, zwei Büsten eines römischen Paares auf Konsolen über den Stühlen, die Stuhlbezüge und, was man nicht sieht, über dem Sofa ein grosses Gemälde mit Ruinen. Darauf spare ich gerade hin, der Spass darf dann auch wirklich etwas kosten, sicher mehr als die gesamte Einrichtung mit ihren vielen Quellen von Aktionshaus über Geschenke und Erbe bis zum Flohmarkt und Sperrmüll. So sieht es dann bei Tag aus, vom Sofa mit Blick in das Vorzimmer.



Es muss niemandem gefallen, aber ich mag es zu wissen, dass es eine Wohnung ist, die die meisten Menschen erst mal überfordert. Ich mag es, dass sich viele nicht vorstellen könnten, darin zu leben, obwohl es nicht anders ist, als bei normalen Leuten. Jeder hat irgendwas an der Wand, irgendwelche Bücher und irgendwelche Teekannen - bei mir sind es eben diese. Auch bei mir passt nicht alles zusammen, die Farbe der Sessel ist suboptimal und das Waschtischmonster passt nicht wirklich, aber ich liebe sie alle, und ich mag es, wenn Wohnungen aussehen, als wären sie gewachsen - was hier durchaus der Fall ist. Es ist anders, sehr anders. Ich bin fertig.

Wenn ich noch einen Raum hätte, wäre er nochmal heftiger.

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Neues vom (hoffentlich zukünftigen) Faltboot

Ich will es ja nicht anders, also läuft es vermutlich a la Sunbeam: Ich habe einen Oldtimer aus den 50er Jahren aufgetrieben, dessen ruhmreiche Firma aus Bad Tölz ein Tal weiter nicht mehr existiert. Das hier:

http://typen.faltboot.de/f2103_var.php?ID=424

Verkäufer ist ein Erbe, dessen Vater das Ding 1954 neu gekauft hat, und das seit 20 Jahren aufgebaut in der Garage hing. Momentan geht es noch um leidige Themen wie den Transport, um den verlorenen Sohn der Berge heim an den Tegernsee zu holen, und ein paar andere Kleinigkeiten, aber obwohl man ja keinesfalls ohne Besichtigung kaufen soll: Das will ich. Weil es heim gehört, weil es stilsicher zum Sunbeam passt, und weil es eine Geschichte hat. Zu schade, um in Nordrhein-Westfalen unter die Preussen zu fallen.

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Mittwoch, 27. Januar 2010

Nach Jahren der Suche

Manchmal dauert es eben länger. Ich hätte mir natürlich auch neue Bücherregale bei einem bekannten Hersteller bestellen können, nur habe ich damit etwas Erfahrung - trotz des guten Rufes dieser Firma war ich vom Material nach dem ersten Umbau bei einer Bekannten gar nicht begeistert. Ich wollte zwei identische Schränke in Vollholz, am besten Nuss. Ich wollte Intarsien. Und ausserdem sollten die Regale eher klein sein, damit der Raum nicht von Büchern erschlagen wird, wie das in der oberen Wohnung der Fall ist. Sie durften nicht allzu tief sein, damit sie in den Rücksprung der Wand passen. Sehr viele Anforderungen auf einmal. Aber das Warten war nicht vergebens.



Sie waren billiger als neue Regale, aber immer noch hübsch teuer. Genau genommen sind es die teuersten Stücke der Wohnung, aber ich hatte keine andere Wahl. Und sie sind enorm schwer, was besonders erfreulich ist, wenn man davor 5 Stunden auf eisglatten Strassen unterwegs war - dann macht Schleppen richtig Spass. Das erste Regal ist voll, das andere muss noch aufgestellt werden. Bücher sind genug da. Es ist schön zu sehen, wie die Wohnung zu atmen beginnt, wie aus allen Ecken Bücher, Kannen und Plastiken zufliegen, die an anderer Stelle keinen Platz mehr hatten, nicht richtig zur Geltung kamen, in Stapeln verschwanden. Es ist nicht genug Platz, um alle Fachliteratur zusammen zu stellen - dafür bräuchte ich drei, vier mal so viel Platz - aber es reicht aus, um dem Raum eine leichte, bibliophile Note zu geben. Weil es ja nicht reicht, wenn schon im Gang 1000 Bücher stehen.

Alle weiteren Zukäufe - nun, ich habe ja noch eine Wohnung am Tegernsee. Für die ich jetzt auch schon seit zwei Jahren nach einem passenden Bücherschrank suche, nachdem der ideale Bücherschrank in Kirsche in der Familie war - und von jemand anderem requiriert wurde. Die Suche geht also weiter.

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Freitag, 13. Februar 2009

Andere bücken unter der Last der Jahrhunderte

Ich komme mit meinem Plan, der umstrittenste Blogger der FAZ zu werden, auch heute wieder ein gutes Stück voran, selbst wenn ich so nett bin, Menschen in grosser Not mit historischem Wissen beiseite zu stehen.

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Dienstag, 15. Juli 2008

Sehr zu empfehlen - Energiesparlampenverhüter

Als regelmässiger Konsument von Einrichtungszeitschriften für gehobene Ansprüche hat man irgendwann das meiste in den meisten Variationen gesehen: Klostertische unter Maoplakaten, Sektempfänge bei Betrügern, für Waschbecken ausgesägte Altarkommoden der Qing-Zeit, Industriemüll mit Röntgenfakes, venezianische Spiegel mit Stahrohrsesseln. Alles scheint zu gehen, alles wird ausprobiert, und wenn man es damit in die besagten Zeitschriften schafft, ist man zufrieden und kann der eigenen Frau ("hat sich alles Sissi ausgedacht!") gleich eine Karriere als Innenarchitektin für ähnlich geschmacklose Bruntzen eröffnen, selbst wenn das Abgebildete von einer schlecht bezahlten Studentin entworfen wurde. Das alles geht, manchmal auch mit einer Anzeige oder Geschenken für die Redakteure, und doch findet sich in diesem Universum unbegrenzter Möglichkeiten ein schwarzes Loch, das hell erstrahlt und von allen gemieden wird:

Die Energiesparlampe, die lichtaussendende Mörderin von Glanz, Funkeln und Gleissen, die Verräterin des goldenen Schimmers und der weichen Schatten.



Nichts auf dieser Welt macht scheusslicheres Licht, nichts ruiniert so sehr den optischen Eindruck, es ist Lichtkotze der übelsten Sorte. Hat neon noch etwas Klassisches der 30er an sich, kann man Halogen noch irgendwie als vorletzte Mode akzeptieren, gehen die milchig-blassen Stäbe und Beutel absolut nicht. Es sind helle Ekzeme, die man natürlich anschaut und die alles, wirklich alles zerstören, angefangen vom Kronleuchter bis zu den Wandfarben. Energiesparlampen sparen vor allem mit dem Zauber des Lichts, sie erzählen nicht von Luxus, Glitter, Nichtigkeit und Überfluss. Sie sind der kosteneffizienteste Weg, die Wohnung unerträglich zu machen. Erst mit Energiesparlampen begreift man, wie wichtig für Räume, Wohlbefinden und Eindruck das Licht ist, und hier sind stromfressende Glühbirnen mit dem Leistungsgrad eines 1964er Amischlittens ideal. Und die meisten, die man darauf anspricht, betonen auch, dass sie lieber mehr zahlen, als sich das teure Interieur von sowas ruinieren zu lassen.

Tatsächlich gibt es kein ungeeigneteres Licht, in dem man eine Frau entkleiden möchte, kein Leuchten, in dem man weniger gerne ein gutes Buch lesen wollte. Kerzen schlagen alles, dann kommen Glühbirnen, danach sehr lange nichts - und Energiesparlampen kommen gar nicht. Oder?



Ich bin auch der Meinung, dass diese bleichen Gesellen nichts, absolut nichts auf einem funkelnden Kronleuchter verloren haben. Sollte man die Produktion von klassischen Birnen verbieten, würde ich für ein paar hundert Euro nochmal Vorräte für den Rest meines Lebens anlegen. Weil es ein heller Glühdraht sein muss, der die Kristalle entzündet. Wenn er es denn tut. Eigentlich tut er das so gut wie nie, die Kronleuchter sind sehr selten in Gebrauch, wie es auch früher üblich war. Meistens sind bei mir Stehlampen in halber Höhe die üblichen Lichtbringer. Und weil sie alle Lampenschirme haben, ziemlich dicke, alte Lampenschirme, die mit normalen Glühbirnen immer etwas arg bunt, düster und gedämpft ankommen - stecken da - ahem

energiesparlampen

drin. So ungeeignet sie als lediglich helle, direkte Lichtquelle sind - gemildert, abgelenkt, gewärmt indirekt durch Papier und Stoff erscheinend fällt es kaum jemandem negativ auf, dass es in meinen Wohnungen 60? 80? - ich habe sie nie gezählt - Kerzenbirnen an den Kronleuchtern gibt, die kaum je erstrahlen. Tatsächlich aber brennen hier alles in allem selten mehr als 60 energiesparende Watt. Das Bezaubende an solchen hilfreichen Lampenschirmen ist, dass man sie noch für wenig Geld auf den Märkten findet, während die Geschäfte schwerst hinlangen. Dieses Verhältnis wird sich bald ändern - wer sich mit den lahmen Gesellen in der Fassung nicht abfinden will, sollte sich also beeilen.

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Mittwoch, 9. Juli 2008

Sehr zu empfehlen - Leben im Alten

Es gab in den letzten Tagen viele Momente, da mir, pathetisch gesagt, das Herz aufging, und ganz besonders bei diesem Bauernhof im Inntal zwischen Schwaz und Hall, bei dem man tagsüber die Türe nicht geschlossen hält.



Ich liebe diesen natürlichen Umgang mit dem Alten, die unregelmässige Schönheit der verwitterten Fassade, die alte Tür mit dem schmiedeisernen Fensterstock darüber, die Oleander, das Holz für den Ofen im fernen Winter, oder vielleicht auch für den alten Herd in der Küche, und den Umstand, dass der Waschtisch ohne Bedenken im Flur als Garderobe gebraucht wird, statt auf dem Müll zu landen. Da wohnen welche, die das Alter nicht als Makel, sondern als normalen Zustand begreifen.

(Tut mir leid, wenn Rebellen ohne Markt in letzter Zeit für manche etwas zu kitschig bebildert sein sollte, aber das sieht hier wirklich fast überall so aus - und ich habe noch nicht mal die Bilder aus Innsbruck bearbeitet.)

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Montag, 30. Juni 2008

Wo man bleiben kann - Platz 2: Norditalien Altstadt

Vor eineinhalb Jahren hatte ich den Kauf einer Wohnung in Italien auf der näheren Lebensagenda stehen. Es gibt eine Reihe von Gründen, warum es nicht geklappt hat: Extrem hohe Preise rund um den Gardasee, ein bescheidenes Angebot, später dann schwere rechtliche Bedenken beim gefundenen Objekt, einer restauierungsbedürftigen Villa in Riva, die sicher irgendwie finanzierbar gewesen wäre, aber mit unabsehbaren Risiken verbunden war, und dann zeichnete sich schon damals der politische Rücksturz in die finsteren Zeiten des Berlusconi-Regimes ab - Verona beispielsweise bekam einen Bürgermeister mit rechtsextremen Ansichten. Damit bliebe nur die autonome Provinz Südtirol übrig, aber Berge und Seen kann man auch in Deutschland haben, mit weitaus weniger Fahrleistung und vermutlich weitaus höherer Belegung. Dazu kommt jetzt noch Inflation, der allgemeine wirtschaftliche Niedergang Italiens und Benzinpreise, so dass auf Platz 2 dieser Serie von Empfehlungen für die Rettung des Privatvermögens durch Immobilien etwas ganz anderes steht: Eine Altstadtwohnung dort, wo man sein will.



Einschränkend möchte ich sagen, dass es natürlich ein paar Regionen gibt, in denen man so etwas keinesfalls will: Der Osten Deutschlands, das Ruhrgebiet und ähnliche No-Go-Areas, die nachhaltig bewiesen haben, dass mit ihnen auf absehbare Zeit nicht mehr zu rechnen ist. In wirtschaftlich guten Zeiten könnte man natürlich auch dort riskieren, aber die Erfahrungen der letzten Jahre und die allgemeine Krise spricht dagegen. In wirtschaftlich halbwegs prosperierenden Regionen jedoch erscheint es mir ratsam, das Geld so schnell wie möglich in eine Immobilie umzuwandeln, mit folgenden Eigenschaften:

- im Zentrum
- in einer ruhigen Seitenstrasse
- in einem denkmalgeschützten - oder schützbaren - Altbau
- mit etwas Erfahrung: Besser eine grössere, unrestaurierte Wohnung als eine kleine, übersanierte Wohnung.

Im einzelnen würde ich es so begründen wollen: Man spart durch die Wohung im Zentrum. In aller Regel rühre ich mein Auto einmal pro Woche an, wenn ich an den Tegernsee fahre. Ansonsten brauche ich es hier nicht, es ist alles in Laufweite. Theater, Konzerte, Geschäfte, Cafes, mein Leben ist zu 100% in der Innenstadt, und dadurch bleiben die Transportkosten niedrig. Müsste ich nach draussen, gibt es keinen Ort, der nicht von hier aus am besten zu erreichen wäre. Innenstadt spart Geld und Zeit.

- natürlich ist es in der Stadt nicht gerade leise. Aber es reichen meistens 200 Meter Entfernung von den A-Lagen, dass es dort in der Nacht "doudelt" (tötelt), wie man in Bayern sagt. Ein Kneipenviertel ist in Ordnung, wenn es in Gehweite zu erreichen ist, aber es sollte nicht direkt in der Nachbarschaft sein. Solche Nebenstrassen der Altstadt haben oft ein gutes nachbarschaftliches Gefüge, in das man gerade als langfristiger Besitzer in der Regel schnell aufgenommen wird.

- Denkmalschutz verlangt natürlich behutsamen Umgang mit der Substanz, aber gewisse Dinge am Haus oder die Restaurierung sind teilweise steuerlich absetzbar, oder erhalten sogar einen Zuschuss, wenn die Kommune finanziell halbwegs gut dasteht.

- Überrestaurierte Wohungen sind wie gespachtelte Oldtimer: Man sieht ihnen ihre Macken und Probleme nicht an, der Pfusch liegt unter Putz und kann zu bösen Überraschungen führen. Aus meiner Erfahrung mit in diesem Beeich tätigen Fonds heraus würde ich behaupten, dass die Risiken solcher Wohnungen höher sind, als die Probleme der eigenen Restaurierung. Generell würde ich also eher zu einer unrestaurierten Wohnung greifen, die bei gleichem Preis mehr Raum bietet, und sie nicht innerhalb von 3 Monaten umbauen lassen, sondern langsam selbst Raum für Raum vorgehen, Detail für Detail vorgehen. Dann mal den Boden machen lassen. Oder die Fenster. Und sehr genau überlegen, welche Patina bleiben kann. Ein paar Jahre Zeit lassen. Man wird noch länger dort sein.



Letzteres hat auch mit der allgemeinen Preisentwicklung zu tun. Nachdem mein Objekt denkmalgeschützt ist, und ich alle Käufe entsprechend nachweisen muss, habe ich hier im Blick, wie sich die Preise für Farbe, Putz, Heizungsrohre und Kleinzeug verändert haben. (Letzte Woche: Hausabrechnung, das Übel des Vermietens). Von 2001 bis 2008 haben sich viele Preise gradraus vedoppelt. Und im nächsten Jahr erwarten meine Handwerker einen Preisanstieg von mindestens 10 bis 15 Prozent bei ganz normalen Baustoffen. Wer einen Armatur von Grohe aus den 60er Jahren hat, alte Porzellanschalter für das Licht oder Türen, die sich retten lassen: Nichts wegwerfen. In aller Regel ist das, was vor Jahrzehnten noch finanzierbar war, nicht nur auf langfristige Nutzung ausgelegt, sondern heute auch erheblich teurer. Ein Wasserhahn, der seit 50 Jahren klaglos seinen Dienst tut, wird ihn auch in den kommenden 50 Jahren erfüllen - ein billigeres Ersatzmodell, das ich in einer Wohnung vor 11 Jahren verbaut habe, hat letzten Winter dagegen den Abgang gemacht, und es mitsamt des Schadens zu ersetzen war nicht wirklich billig.

Diese Teuerung wird mittelfristig auf Mieten und Immobilienpreise durchschlagen. Nicht sofort, nicht überall, aber ich wage die Prognose, dass es derartige Objekte nicht mehr lang halbwegs günstig geben wird. Einfach, weil unter Berücksichtigung aller Kostenfaktoren und der sozialen und demographischen Entwicklung die Altstadt die grösste Sicherheit für das Geld bietet, das man dort investiert. Solange man es selber tut, mit der Bohrmaschine umgehen kann, gerne was werkelt und man sich nicht auf Projekt- und Steuersparentwickler verlässt.

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Freitag, 23. Mai 2008

Sehr zu empfehlen - Serafina B&B in Mantua.

Ich hatte da unten in Italien zu arbeiten. Und Angst, in einem Raum zu landen, der sich dabei bemerkbar macht, unangenehm bemerkbar. Ich bin bei sowas sensibel, es gibt Räume, in denen kann ich nicht schreiben. Ich denke, ich habe den Raum gefunden, den ich brauche, wenn ich einen Tag nach der kompletten Durchnässung 1300 Bilder sortieren und 6000 Zeichen schreiben muss. Das war fast so gut wie daheim, und deshalb kann ich Serafina Bed and Breakfast in Mantua auch mit bestem Gewissen empfehlen. Denn es sind nicht irgendwelche Betten, und nicht irgendein Frühstück.

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Dienstag, 8. April 2008

Wo man bleiben kann - Platz 3: Lissabon

Da sass ich also im Winter 1995 in einem eher kleinen Kino in der Altstadt von Lissabon, das sich schnell füllte. Kurz vor dem Start des Films drückte sich ein älterer Herr mit den anderen Besuchern herein, blieb aber vorne stehen, wartete, bis sich alle gesetzt hatten, und begann zun erzählen. Über die Zeit unter Salazar, als man ihn eingesperrt hatte, über Diktaturen im Allgemeinen und im Speziellen, wie man sie zerbricht, und darüber, dass ihm bei seinem Weg der nun kommende Film "Casablanca" so geholfen habe, dass es für ihn der Kultfilm schlechthin sei, selbst wenn er sich auch überlegt hatte, dass er gerne nochmal den Körper von Anita Ekberg in Fellinis La dolce Vita gesehen hätte, aber letztendlich sei Bogart doch sein Ideal des Kämpfers, der Film drücke das aus, was ihn angetrieben habe, also wünsche er uns viel Spass. Er setzte sich in die erste Reihe, und dann begann der Film. Und ich dachte mir: Man kann viel Schlechtes über Portugal sagen, aber ich würde verdammt gerne in einem Land leben, in dem der Staatspräsident in einem ganz normalen Kino in seiner Nachbarschaft ganz normalen Leuten seinen Lieblingsfilm zeigt und obendrein nicht ein Politapparatschik ist, sondern ein Held.

Ich fand Lissabon schon grossartig, als ich mit dem Zug aus Madrid über die verschneiten Hochebenen der iberischen Halbinsel ankam. Madrid war grausam kalt, aber in Lissabon ist im Dezember Frühling. Es war mir vollkommen egal, dass die Wohnung gleich am Schwulenstrich war, die mitbewohnenden Waliser Dinge kochten, die noch schlimmer als der allgegenwärtige Bacalao stanken, und selbst der Machismo älterer Männer störte mich nicht weiter, angesichts dieser Stadt, dieser unfassbar schönen, weitgehend erhaltenen und früher mal sagenhaft reichen Stadt, die all das einzulösen vermag, was Neapel nur verspricht. Lissabon ist das Ende Europas, aber es ist extrem altes Europa, angefangen bei den Cafehäusern bis zu den Spuren all der Kulturen, die sich hier ein Stelldichein geben.

Die Erinnerung täuscht mich natürlich, ich habe in Lissabon sehr viel mehr gemacht, aber rückblickend bleiben Stunde und Tage in Cafes, wie es sie in Deutschland nicht gibt, es bleiben die Beutezüge über die Feira di Ladra und all die vollgestopften Antiquitätenläden der Alfama, und das Meeresufer von Belem runter nach Cascais, entlang der Strecke, an der ich mir etwas suchen würde. Lissabon zum Wohnen? Etwas laut vielleicht, und jenseits der Alfama und Bairro Alto mit lebensgefährlichem Autoverkehr versehen. Dortselbst aber - auch wohnenswert. Allerdings, wenn man Immobilienbesitzerblut hat, fallen einem die vielen resaturierungsbedürftigen Villen zwischen der Stadt und Estoril mit Meerblick auf, manchmal gar im maurischen Stil, und mit der Bahn ist man auch schnell in der Stadt.

Lissabon ist in jedem Fall eine sichere Adresse: Für Mitteleuropa günstige Lebenshaltungskosten, eine Stadt, die weiter wachsen wird, und obendrein noch nicht ganz verstanden hat, dass Altbauten ihre Qualitäten haben. Einrichten dürfte kein Problem sein; seit dem grossen Erdbeben (dessen Ausmasse wohl doch etwas übertrieben wurden, suchte man doch einen passenden Anlass für den grossen aufgeklärt-absolutistischen Wurf) ist man von grösseren Konflikten verschont geblieben, und als Anfang des 19. Jahrhunderts der Niedergang einsetzte, wurde immens viel einfach bewahrt. Nur um mal einen Begriff davon zu vermitteln: 18 klassisch geformte Karaffen, die in Deutschland als "Biedermeier" verkauft werden, konnte ich am Ende in den Flieger bringen, mehr als ich in all den Jahren in Deutschland sah, nebenbei gekauft für Kleinstbeträge und ausreichend bis in die dritte Generation nach mir.

Nach Lissabon sollte man gleich mit dem Lastwagen fahren, aber ich habe Angst, dass nach dem dritten Leuchter ein Händler sagen könnte, wenn man eine etwas beschädigte Villa am Strand dafür suche, sein Cousin wüsste da was - und dann würde ich mein Herz verlieren.

An etwas, das ich mir jetzt nicht mehr leisten kann. Aber zwei Karaffen aus Lissabon stehen als Mahnung am Tegernsee. Man merkt in diesem Satz vielleicht den Unterschied. Lissabon. Tegernsee. Das ist eigentlich keine Entscheidung, sondern ein Abgrund.

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