: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 21. März 2019

Aus FAZ wird taz? Nein. Aber.

Am 6. März 2018 entstand ein Hashtag im Netz: #AusFAZwirdtaz. Damals hat sich die FAZ entschlossen, drei Blogs aus der Schirrmacherzeit nicht mehr weiter zu führen: Digital Pausen von Hans Ulrich Gumbrecht und meine beiden Blogs Stützen der Gesellschaft und Deus Ex Machina. Meine Blogs waren mit Abstand die beliebtesten Blogs bei der FAZ, und die offizielle Begründung war, dass man nun lieber mehr neue Formate machen würde. Der damals nicht ganz neue Onlinechef Carsten Knop hatte es nach seiner Amtsübernahme nicht für nötig befunden, mit mir über die Blogs und ihre Optionen zu sprechen, insofern war die Einstellung erwartbar – aber im Netz verbreitete sich, angestachelt durch abwertende Bemerkungen einiger Mitarbeiter der FAZ und eine misslungene Firmenkommunikation die These, die FAZ hätte mich wegen meiner politischen Sichtweisen entlassen.

https://twitter.com/akrobok/status/971050413377163267

Ich konnte damals wenig tun: Nach der Verkündigung war Herr Knop für mich und den Versuch, eine tragbare Sprachregelung zu finden, schlichtweg nicht erreichbar, während die FAZ ohne mein Zutun die Nachricht im Netz verbreitete. So machte das Gerücht die Runde, und ich musste Presseanfragen abwimmeln, die wissen wollten, was da nun an den Behauptungen dran war. Rückblickend ist es so, dass sich das Feuilleton unter dem Herausgeber Kaube weiter entschirrmacherte und Knop andere Schwerpunkte mit fest angestellten Autoren anstelle der alten, frei arbeitenden Blogger setzt. Jetzt, nach der Entlassung des Herausgebers Holger Steltzner und einer auch nicht eben glücklichen Kommunikation, ist der Hashtag ausFAZwirdtaz wieder da, und mit ihm die Angst, die FAZ könnte nach links driften. Als Ex-Insider kann ich das vielleicht ein wenig einordnen.

https://twitter.com/faznet/status/1096372554258878464

Zuerst einmal muss man die Hierarchie der FAZ verstehen. Es gibt keinen Chefredakteur, sondern an der Spitze die Herausgeberkonferenz, in der sich die Herausgeber intern abstimmen und als redaktionelle Leiter der Zeitung FAZ ihre Linie gegenüber dem wirtschaftlich verantwortlichen Verlag der FAZ und der die ganze Konstruktion tragenden FAZIT-Stiftung festlegen. Diese Herausgeberkonferenz wiederum ist mythenumschlungen, und traditionell ist es so, dass ihre Ratschlüsse zwar verkündet, aber nicht immer erklärt und hinterfragt werden: Wenn die Herausgeber zu einer Entscheidung gekommen sind, tragen sie die Folgen auch gemeinsam in „das Haus“. Man sagt übrigens, wenn man dazu gehören will, nicht, dass man etwas in der FAZ tut, man tut es einfach „im Haus“. Und wenn etwas schief geht, dann sagen auch leitende Personen schon mal „der Saftladen“, aber meistens ist dann auch jemand anwesend, der daran erinnert, dass das Haus neben der New York Times eine der besten Zeitungen der Welt ist. Das sagen Herausgeber, Ressortleiter schauen es sich ab und Redakteure, die nicht wissen, dass manche freien Mitarbeiter mit Herausgebern privat befreundet sind, versuchten mit dieser Phrase gern, einen einzuschüchtern. Was andere Medien schreiben oder tun, hat einen nicht sonderlich zu interessieren, denn was ist und was exististiert, verdankt seine Existenz allein dem Umstand, dass es in der FAZ steht. So war jedenfalls noch bei meinem Eintritt ins Haus – man wird da nicht bei der FAZ angestellt, man tritt ins Haus ein – bei einigen noch die Denkweise. Und wer aus dem Haus austritt, der hört auch auf zu existieren – die Sticheleien, die der frühere Feuilletonchef und jetzige Kölner Kulturkorrespondent Patrick Bahners hin und wieder in meine Richtung verbreitet, sind eigentlich nicht Stil des Hauses.

https://twitter.com/wulfschmiese/status/1107914834652393474

Womit wir eigentlich schon bei der Frage sind, was so ein Herausgeber eigentlich tut. Nun, er steht über seinem Bereich, wie ein mittelalterlicher Fürst über seinem Herrschaftsgebiet steht. Die Ordnung ist klar vorgegeben, der Herausgeber bestimmt, meistens mit einem kleinen Leitungsstab, oft aber auch impulsiv und ohne Rücksprache, was in seinem Bereich gilt. Mein Eintritt zum Beispiel war so eine Entscheidung jenseits eines Konsenses: Die FAZ hatte Blogs, die nicht funktionierten, und nach dem Scheitern des Reading Rooms als Diskussionsplattform für Bücher drohte das nächste Scheitern. Also schaute sich Frank Schirrmacher nach einem externen Blogger um, und berief mich an allen Strukturen vorbei. Die Rache des Hauses war jemand, der sich übergangen fühlte und die Information vorab bei Peter Turi durchstach – und wenn Sie jetzt glauben, das sei doch etwas intrigant: Ja. Vieles bei der FAZ erinnert an einen wechselvollen Roman aus feudalistischen Zeiten. Die Struktur bringt es mit sich, dass der Widerspruchsgeist oft nicht stark ausgeprägt ist; Frank Schirrmacher hat das einmal gezeigt, indem er in der Redaktionskonferenz bewusst einen völlig absurden Vorschlag machte, der trotzdem allgemein begrüsst wurde. So ist das im Haus, es ist alles etwas schwankend, man weiss nie genau, woran man ist, und jedes halbe Jahr musste ich eine grössere Intrige überstehen – gleichzeitig habe ich aber auch mit dafür gesorgt, dass einige Blogs bei der FAZ eingestellt wurden.

https://twitter.com/tknuewer/status/16945440308

Um mal ein plastisches Beispiel für so eine Intrige zu erzählen: Ich hatte in einem Beitrag eine korrekt recherchierte, aber inzwischen veraltete information über ein Institut erwähnt. Dem Redakteur eines konkurrierenden Blogs und Redakteur wurde mein halber Fehler durch einen Moderedakteur zugesteckt, er bauschte das auf, und intervenierte bei Schirrmacher, während der in der Herausgeberkonferenz sass. Schirrmacher sagte ihm, er sollte dafür sorgen, dass ich das ändere, woraufhin mir der Redakteur eine lange, hämische Email schickte und mir sagte, er werde jetzt in Schirrmachers Auftrag dafür sorgen, dass der Beitrag verschwinde. Dann wandte er sich an den verantwortlichen Online-CvD und sagte ihm, es sei Wunsch des Herausgebers, dass der Beitrag offline genommen werde. Für mich sah es so aus, als hätte das Schirrmacher gewünscht, weshalb ich kündigte. Dummerweise hatte der Redakteur aber die Hinweismail seines Tipgebers auch an Schirrmacher mitgeschickt, und im Abgleich zwischen mir und Schirrmacher zeigte sich dann schnell, dass der Redakteur offensichtlich eine Herausgeberwunsch vorgetäuscht hatte, wo es keinen gab. Ich zog die Kündigung zurück, fuhr nach Italien und bekam dort einen Anruf von der Sekretärin, der Herausgeber hätte von diesem Redakteur nun noch eine Mail erhalten – er würde gerne auf eine sehr luxuriöse Pressereise nach Monte Carlo gehen. Aber der Herausgeber wüsste ja, dass ich in der Nähe war – was überhaupt nichts stimmte, Mantua-Monte Carlo ist eine weite Strecke – und es wäre doch ganz wunderbar, wenn ich diesen Termin anstelle des Redakteurs übernehmen könnte, ich sei da doch sicher auch kompetent - was ebenfalls nicht stimmte. Also fuhr ich nach Monte Carlo, und das passiert halt im Haus, wenn man es wagt, Herausgeberwünsche zu erfinden, die es nicht gibt. Und bitte: Mit Politik haben diese Intrigen überhaupt nichts zu tun, der fragliche Beitrag war sogar dezidiert links.

https://twitter.com/HugoMuellerVogg/status/1107765433292210178

Insofern: Man darf nicht glauben, dass die Herausgeber mit ihren Redaktionen eine Maschine betätigen, die dann 1:1 tut, was sie letztlich wollen. Noch nicht einmal Herausgeberkonferenzbeschlüsse sind unumstösslich: Als es um das Leistungsschutzrecht ging, habe ich mit einem anderen freien Autoren erfolgreich darauf gedrungen, auch Gegenstandpunkte in der FAZ veröffentlichen zu können. Es hing manchmal wirklich einfach von der Tagesform ab, Herausgeber geben Nachts um 3 Aufträge, die sie einen Tag später nicht mehr geben würden, sie verteilen Gunstbeweise und lassen fallen, und was sie wirklich planen, verstehen viele erst, wenn es zu spät ist: Der Ablösung von Patrick Bahners als Chef des Feuilletons und die Berufung von Nils Minkmar war so ein Fall. Der tiefere Grund, warum Leute im Haus nach einer Weile wirklich nur noch sehen, was im Haus ist, und warum ich mich selbst auch viel mehr darauf eingelassen habe, als ich wollte, ist einfach die Selbstbezogenheit der Mitarbeiter und die Ergebenheit in einer Struktur, die einerseits klar ist, und andererseits dennoch tückisch und von vielfältigen Konfliktlinien durchzogen. Man muss sich darauf einlassen, wenn man überleben und vielleicht auch noch eine besondere Stellung haben will. Mit der Medienkrise wurde das alles noch schlimmer. Mir wurde vorher gesagt, ich hielte es mit Schirrmacher keine vier Wochen aus – es kam letztlich alles ganz anders. Man weiss es vorher einfach nicht.

https://twitter.com/alvar_f/status/1051119421157191682

Gewisse Erlebnisse bei der FAZ würde ich eher dem extremen Arbeitspensum als der Überzeugung von Herausgebern zuschreiben, wie etwa der letztlich gescheiterte Versuch, mit Sobooks eine Kooperation für digitale Bücher einzugehen. Mit dem Internet ist es noch schlimmer geworden: Ich habe einmal einen Beitrag geschrieben, bei dem ich mir selbst nicht sicher war, und vorher bei allen Instanzen gefragt, ob das in Ordnung ist. Alle Instanzen sahen kein Problem. Erst nach 48 Stunden nach der Publikation ist dann jemand aufgefallen, dass das Thema in dieser Form schon sehr neben der Blattlinie liegt, aber was sollte man dann noch machen? So etwas passiert. Es passierte bei mir und es passierte, als es für eine Sensationsnachricht über Gauland keine Aufnahme gab. Eine freie Mitarbeiterin eines Blogs gab sich im akademischen Betrieb als „Blog-Redakteurin der FAZ“ aus, was erst nach einer Weile aufgefallen ist. Die FAZ ist ein grosses Haus, manchmal verlässt man sich auf die falschen Menschen, Fehler passieren überall, und gleichzeitig arbeiten da sehr gute Menschen: Meine Erfahrung ist, dass man fast alles bringen konnte, wenn man es nur gut und interessant argumentiert hat. Die Binnenpluralität der gegensätzlichen Meinungen in den verschiedenen Ressorts war sehr wohl gewünscht.

https://twitter.com/nminkmar/status/567330124379734018

Das soll jetzt, um wieder über „Aus FAZwirdtaz“ zu sprechen, vorbei sein, weil mit Holger Steltzner ein profilierter Kritiker der EU, des Euro und der Regierung gehen muss. Ich möchte da an diesen Beitrag hier erinnern, den der Politikherausgeber Berthold Kohler auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise geschrieben hat – im Haus als „Zonenwachtelkommentar“ bekannt, der doch recht deutlich aufzeigte, dass hier die FAZ aus dem bislang gepredigten Mainstream ausscherte. Hätten die Herausgeber wirklich Konzessionen an die grosse Koalition machen wollen, hätten sie als Schirrmachers Nachfolger eigentlich Nils Minkmar bestimmen müssen, der am ehesten auch den Schirrmacherweg weiter verfolgt hätte – statt dessen wurde Minkmar zum Europakorrespondenten und verliess das Haus dann ganz, wie auch die als Nachfolgekandidatin gehandelte Literaturchefin Felicitas von Lovenberg. Vor der Einstellung meiner Blogs gingen auch noch andere, die man sicher nicht einem konservativen Spektrum zuordnen würde. Der eher linke, zwischenzeitlich geförderte Redakteur Stefan Schulz - der mit seinem Buch Redaktionsschluss eine seltene, aber auch für mich nicht nachvollziehbare Abrechnung mit der FAZ geschrieben hat – verliess das Haus schon bald nach Schirrmachers Tod.

https://twitter.com/Schmidtlepp/status/550000442516971520

Antonia Baum schreibt inzwischen für die Zeit, der Krach beim Ausscheiden von Johanna Adorjan ging auch durch die Medien, und die Beschwerden von Autorinnen des Blogs „10 vor 8“, die selbst intern merhfach über die Stränge geschlagen haben, unter anderem mit einem Brief an die Herausgeber gegen meine Person, sind auch allgemein bekannt. Ich sehe da einfach keinen Bezug zur politischen Einstellung der Autoren. Was man der FAZ vorwerfen könnte, ist eine Verflachung der Meinung im Feuilleton, weil die Schirrmacher Boys gingen, entlassen wurden oder kaum mehr Einfluss haben. Der Höhepunkt der Entschirrmacherung war 2018 die Präsentation der Biographie über Schirrmacher von Michael Angele im Feuilleton. Die Gebliebenen reiten ihre Steckenpferde wie das Bierblog weiter. Es wurde deutlich unpolitischer, das Feuilleton macht wieder Bücher, Filme, Wissenschaft und ab und an einen Genderbeitrag. Gleichzeitig bekam der Bereich der Wirtschaft im Onlineauftritt erheblich mehr Raum, der Onlinechef selbst kommt auch aus der Wirtschaft – bis zur Entlassung von Holger Steltzner kann man beim besten Willen nicht sagen, er hätte mit seinen konservativen Sichtweisen zu wenig Raum gehabt.

https://twitter.com/Mama_arbeitet/status/1107248330751574017

Nimmt man das Feuilleton als Vergleich, sollte man also mit dem Hashtag #ausFAZwirdtaz noch etwas warten. Wäre es wirklich so, dann wird man das bei der Neubesetzung sehen. So etwas wie die „Schirrmacher Boys“ gibt es auch in den anderen Ressorts, und falls die Grundlage der Entlassung im privaten Bereich liegt, wäre es kein Problem, die politische Steltznerlinie mit einem seiner lautstärkeren Leute aus dem Leitungskreis weiter zu führen. Die Berufung eines Leisetreters, der seine Aufgabe in Börsenkursen, Sartups und Derivaten sieht, und die Wirtschaft so in ihr Bett zurück führt, wie Kaube das mit dem Feuilleton gemacht hat, wäre erst dann ein Hinweis auf inhaltliche Differenzen, wenn in der Folge Mitarbeiter verschwinden. Es ist kein Geheimnis, dass die Gründung der wirtschaftsliberalen Professoren-AfD um Lucke nach dem scheinbaren Untergang der FDP von manchen FAZ-Mitarbeitern nicht ablehnend zur Kenntnis genommen wurde – würden die sich nun einen anderen Arbeitsplatz suchen, könnte man schon ins Grübeln kommen. Im Netz liest man Spekulationen, der Kopf Steltzners könnte nach Jahren des Zerwürfnisses zwischen Merkel-CDU und FAZ so eine Art Morgengabe für die Wiederannäherung sein. Ich glaube das definitiv nicht, denn so ein Vorgehen wäre ein Zeichen der Schwäche, das sich in diesem Haus mit seinem Selbstverständnis niemand freiwillig leisten würde. Man darf auch nicht übersehen, dass die weithin kritisierten, rechtskonservativen Gastbeiträge wie etwa durch Gauland in der Politik erschienen sind. Bei denen Netzaktivisten, die normalerweise an der FAZ als Hort des rechten Bösen herumzetern, würde das ohnehin nichts ändern, denn die kaufen das Blatt nicht. Und jenseits von politischen Spekulationen: Der Umgang der FAZ mit Entlassenen ist nicht gerade auf Beifall der Publikumsfamilie ausgerichtet.

https://twitter.com/HugoMuellerVogg/status/1107642662134472704

Ein gutes Zeichen für die FAZ ist es nicht, denn die unerwarteten Wechsel im Herausgebergremium waren schon nach Hugo Müller-Vogg und Frank Schirrmacher für die Beteiligten dem Vernehmen nach anstrengend, und haben viel Unruhe in die Zeitung gebracht. Aus FAZ wird deshalb nicht taz, aber für das Selbstverständnis des Hauses als Solitär in der Presselandschaft ist das Zerwürfnis, das in jeder normalen Zeitung auf Ressortleiterebene ein gewöhnlicher Vorgang wäre, ein kleiner Abschied von der gewohnten Stabilität. Sollte die Neubesetzung länger als ein paar Wochen dauern, sollte etwa wie nach Schirrmachers Tod gar ein komissarischer Leiter eingesetzt werden, der für eine längere Übergangszeit Steltzners Posten übernimmt und restrukturierend tätig wird, indem altbekannte Gesichter degradiert oder verschoben werden, müsste man sich wirklich auf den Beton vor der Hellerhofstrasse legen und lauschen, ob da nicht das ein oder andere Gräslein in eine unerwartete Richtung wächst. Für die FAZ bleiben die grossen Probleme aber die nachlassende Abonenntenzahl sowie die Neuausrichtung des Geschäftsmodells auf das Internet. Auch der neue Herausgeber wird etwas liefern müssen, für das andere gern zahlen. Und der taz geht es auch ohne Konkurrenz schon recht elend.

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