: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 8. Dezember 2003

Real life - 7. Dezember 2003

Housecooling Parties sind im Dezember abzuhalten. Was ein guter Werber ist, nutzt auch im Niedergang die Märkte optimal aus. Selbst, wenn es die Märkte nicht mehr gibt. Weihnachten, Leerräumen mit den Friends, steuerlich abgeschriebene Bildschirme an die Entlassenen verschenken, Trostfick für die Zeit zwischen dem 24. und 31.12. festlegen. Draussen auf dem Boden stehen zwei Laternen mit Kerzen, die den Rauchern in der Kälte etwas Licht geben. Drinnen darf nur noch geschnupft werden. Rauchen ist schlecht für die frisch getünchten Wände.

Der Typ mit der blonden Mähne stellt seinen Alpha souverän ab und begrüsst die Mädchen, die sich am Glimmstengel festhalten. Alles klar, na super, ist Tonia schon da, toll, bis nachher. Für das Buffet hat er nichts mitgebracht. Warum auch. Er bezahlt wegen dem saublöden Mietvertrag immer noch die Räumlichkeiten. Das wird jetzt alles anders. Für seine drei Mitarbeiter reicht das kleine Büro irgendwo im Lehel.

Später kommt Clea. Ihr Fiesta rollt aus, aber sie bleibt erst mal sitzen. Dann schaltet sie die Innenbeleuchtung ein und macht was mit Schminke an ihren Augen. Es wird wieder dunkel, und alles bleibt in einer fragilen Balance. Durch die grossen Fensterflächen müht sich warmes Licht hinaus in die Nacht. Nach ein paar Minuten lässt sie den Motor an und fährt weiter. Erst hinter dem Firmengelände schaltet sie sie Scheinwerfer wieder ein.

Die Raucherinnen vor der Tür, die seit ein paar Minuten nicht mehr richtig ins Gespräch kommen, sehen ihr nur flüchtig nach. Clea hat zu viel falsch gemacht, damals.

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Samstag, 6. Dezember 2003

Real Life - Oktober 2003

Ach, guten Tag, sagte die Pressefrau auf der Buchmesse, etwas betreten. Es war nicht ihre Schuld, dass der Verlag damals das "Autorenschmoren" mit mir gespielt hatte. Erst als die Rechte weg waren, wurde sie vorgeschickt: Wir hätten doch bei den Interviews ein gutes Verhältnis gehabt, und wir sollten nochmal drüber reden. Aber da war es schon zu spät, und die Wochen davor waren nicht gerade ein gutes Beispiel für die Pflege von Jungautoren. Jetzt war die Jungautorin, die sie statt dessen gross bringen wollten, bei Amazon dauerhaft nicht unter den 100.000 bestverkauften Büchern, und Liquide nach 100 Tagen in der 2. Auflage.

Nein, gut ging es ihr nicht. Es war schwer, die paar jungen Leute in die Medien zu bringen. Das Geld machten sie mit ein paar Glücksgriffen im internationalen Rechtehandel. Die Popliteratur ist tot, es gibt nichts neues, alles ist irgendwie schon gesagt, es gibt keinen erkennbaren Trend mehr, gab sie zu und bot mir einen Prosecco an. Eine nostalgische Reminiszenz an bessere Tage. Ich trinke nicht.

Macht nichts, sagte ich. Es könnte schlimmer kommen. Lebert, Illies, Franck, Jenny, die schönen Hoffnungen, alles beim Teufel. Ihre Verlage verdienen keinen roten Heller. In ein paar Monaten wird die Restauflage eingestampft. Egger und Landwehr mit ihren durchgeknallten Forderungen können sich auch gleich in die Papiermühle begeben, direkt, nicht über Los und keinen weiteren Vorschuss einziehen.
Judithakenzinkenhermann ballert der Markt beim nächsten Buch aus dem Orbit. Sie wird es sich still gefallen lassen, denn sie gehört auch zu dieser Lahmarschclique, für die Revolution der Applaus des Establishments war. Kein Mut, kein revolutionäres Bewusstsein.
Und dann kommt was Neues. Kracht, Biller, Lager, Casati, ich selbst, wir sind alte Säcke für die nächste Generation. Die werden jeden über 30 abschaffen, bevor wir Riesterrente sagen können. Und ihr Verlage werdet sie drucken und hypen. Geschieht uns recht. Wir haben uns über den Markt definiert, und ohne Markt gibt es uns nicht. So what. Hey, it´s the end of the world as we know it, but I feel fine.

Ein lichtblondes Ding, das eine Weile sinnlos eine banal hübsche Figur abgegeben hatte, setzte ihre dünnen Beine in Bewegung und kam rüber. Die Pressefrau stellte sie als die litarische Hoffnung vor, die nicht zu den besten 100.000 gehörte. Sie sagte zwar ihren Namen, aber sie meinte es so. Die deflorierte Hoffnung gab mir die Hand, leicht, anämisch, von ober herab und am Gelenk abgewinkelt. Das Wort Ficken hatte wahrscheinlich der Lektor für sie in ihre federleichten Erzählungen genagelt.

Ah ja - Don Alphonso - der mit Liquide. Jetzt schreibt sie ja auch an einem Roman, erzählte sie. Wieder über ziellose junge Leute, und andere ziellose Leute sollen ihn kaufen. Es gibt keine Richtung, aber eine Menge Leute gehen dorthin und werden das Buch kaufen. Glaubt sie.

Die Pressefrau sagt nichts. Weil die Autorin trotz der netten Kritiken bei ein paar 100 Stück hängen bleibt, ist sie verbrannt. Es gibt keinen Markt für sie. Es sei denn, sie wird nach Klagenfurt eingeladen. Eine Runde harthirnficken, kein Blümchensex oder poppen auf der Wiese, sondern hardcore, dann wird sie auch noch kulturseitlich genommen.

Auf ihrem Klappentext steht was von atemlos stiller Literatur. Abgewürgt nennt man das beim Auto.

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Donnerstag, 4. Dezember 2003

Real Life - Dezember 2003

Mein kleines Terrarium. Sind die nicht niedlich? Beschäftigungstherapie in der Auswegslosigkeit. Was tun Autoren/Kreative/Rebellen, wenn man ihnen den Spielplatz nimmt?

Sie blicken zurück, sehen den Technics MK II, erinnern sich an die Zeit, als er die Schlagzahl ihres Lebens vorgab, der Pitchregler immer auf +8%. Der Technics ist etwas, das Bestand hat. Er ist das Maschinengewehr ihrer Revolte. Auf jedem First Tuesday standen zwei davon rum und zerhackten die brennende Luft.

New Economy war Pop. Und mit Pop konnten sie alle was anfangen.

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Real Life - Sommer 2003

Stille -
herrscht in der Bibliothek der Elite-Universität, tief in der Provinz und weitab von der grossen Stadt. Die Hitze sickert durch die Fenster und macht müde. Ich verliere das Interesse am Buch über Change Management. Ruhe - dösen -

da flipflopen Sandalen gegenüber. Aus dem Bücherturm kommt eine junge Frau, Mitte 20, blonde, kinnlange Haare, rosa Top, und weil ich sie über den Saal so intensiv anstarrte, lächelte sie eines dieser unverbindlichen Munich-Area-Lächeln, diskret, höflich, nichtssagend.

Sie sieht aus wie eine normale Studentin, mit schweren Büchern und einem Mäppchen für Stifte und dicken Ordnern. Es ist nichts an ihr, was einem wirklich aufgefallen wäre; nicht schön, aber hübsch, keine Grandezza, aber sicher nett. Kein Lippenstift, kein Kajal, kein Mascara. Wieder eine ganz normale Studentin.

Und trotzdem -

ist sofort eine Spannung im Raum, denn in diesem Moment faltet sich die Zeit, und die Epochen des Hypes und des Untergangs schieben sich in meinem Kopf kreischend übereinander.

Ich hatte sie schon mal gesehen. Nicht nur einmal. Ich kannte sie. Sie hatte in der irrsten Zeit der New Economy bei rasend schnellen Firmen gearbeitet. Sie war damals alles andere als eine Studentin. Sie war eine der "Besten der Besten", eine Anfüherin der digitalen Revolution; sie hatte die idealen Vorraussetzungen, um überall on the top zu landen, ganz gleich ob Business Development oder Consulting.

Sie war eine Kriegerin eines neuen Zeitalters, das nicht kam. Bessere Referenzen konnte man bis 2001 nicht haben. Jedes Startup hätte sie mit Handkuss genommen. Ihre Vita war die eines New Economy Ideals.

Als ich sie damals gesehen hatte, trug sie schwarze Kostüme, weisse Blusen und ein professionelles Lächeln. Mit dem Niedergang der Eventkultur hatte ich sie aus den Augen verloren - und hier, in der tiefsten Provinz, völlig von allen Insignien des Rebellion gegen das System entkleidet, sehe ich sie wieder.

Ihre Referenzen von längst vergangenen Firmen mit net und .com im Namen sind heute bei jeder Bewerbung Gift. Die Reaktion der Wirtschaft hat sie ausgespuckt. Sie ist nur noch eine Studentin, die dringend ihren Abschluss hinbekommen muss.

Sie ist eine Rebellin ohne Markt.

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