: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 5. Februar 2016

Überleben, wo andere Urlaub machen.

Vielleicht ist es mit dem See und dem dauerhaften Leben am See schwieriger, als ich dachte. Also nicht für mich, es ist hier genauso wie daheim, die Mentalitäten unterscheiden sich nicht, die Lebensgeschichten sind ähnlich, die Höflichkeit und die Distanz. Vor allem aber die weitgehende Konfliktfreiheit. Der einzige Streit, den ich hier in seit acht Jahren erlebte, und der mich betraf, war die Höhe eines Baumes, den ich dann abzwackte. Das Leben hier ist sehr langsam und arm an Erregung.



Ich bin zum richtigen Zeitpunkt hergezogen. Früher war es mir auch etwas fad, aber jetzt, nach all den Krisen, in denen die Welt seit meinem Umzug steckt, ist es wirklich angenehm. Es macht mir überhaupt nichts aus, wenn das Wetter schlecht ist, denn auch dann ist es schön. Vor allem schön ruhig. Ich komme zur Ruhe und kann arbeiten, ohne dass ich mich dabei verausgabe. Man wird nicht jünger, man ist irgendwann froh um diesen Gegenpol, an dem die Zeitläufe wenig beizutragen haben. Manchmal habe ich das Gefühl, der Tag dauerte zwei Tage. Ich vergesse hier die Zeit, ich bin immer länger da, als ich dachte. Wer hier aufgeregt und schnell ist, wird nicht glücklich. Wer es gern hart und radikal will, findet keinen Halt. Man muss das entweder wollen, oder so sein. Dann merkt man es erst im Vergleich mit anderen.



Umgekehrt ist es natürlich auch nicht anders. Die Sicht von aussen auf dieses Leben erscheint nicht immer erbaulich, und ich höre da oft Worte wie "reaktionär", "verstockt" oder "resistent gegen Offenheit und Einsicht". In anderen Teilen des Landes herrschen einfahc andere Lebensbedingungen und Ansichtenmonopole; bei uns kommen die Touristen zu den Prozessionen und in Berlin wird der Marsch für das Leben blockiert.Das Hinterfragen ist an beiden Orten nicht sonderlich stark ausgeprägt - bei uns, weil es läuft, bei den anderen, weil man der Meinung ist, so müsste es überall laufen. Darüber vergisst man vielleicht, dass die Welt insgesamt ganz anders und vielschichtig ist. Für mich ist der See eine Art Erdung, durch die mir die Spannung bei anderen bewusst wird, und das brauche ich für die Arbeit. Andere haben keine Erdung. Sie verstehen nicht, wie man angesichts der Welt nicht geladen sein kann. Das ist ihr Antrieb. Den bräuchten sie hier aber gar nicht.



Das Leben hier ist sehr direkt, und der Tod auch. Man macht sich hier mehr Gedanken um das Dasein und seine Dauer, man achtet auf seine Schritte und schreibt besser mal das ein oder andere nicht, was man später vielleicht bereuen würde. Das lernt man in den Bergen. Der Berg ist so viel stärker und apathisch, er wird einem nicht helfen, und man muss ihn langsam angehen. Man will hier nicht auf den kleinen Hügeln sterben, wo trotz der lieblichen Landschaft all die Kreuze stehen. Für manches mag man blind sein, aber das Wesentliche, das, was wichtig ist, das bringt einem die Natur hier sehr unschonend bei. Man verlässt sich lieber auf den Lodenmantel als auf Medikamente. man trägt lieber Hut als Grippeviren. Das passiert halt. Man achtet darauf, dass alles auch in einem Jahr noch so sein wird. Man lernt, Prioritäten zu setzen. Das macht schon etwas unbeweglich, und mancher mag sich daran stossen.

Nicht alles ist hier gut und richtig, das ist mir voll bewusst. Aber man kann schon etwas für das Leben lernen, und wenn man versucht, das zu vermitteln, bleibt es anderen überlassen, sich datüber Gedanken zu machen. Man kann nicht allen helfen, man kann nicht alles haben, nicht jede Meinung ist willkommen, offene Türen werden schon mal zugeschlagen. Es gibt für andere manchal Wichtigeres und anderes kann für sie weg, und wenn aus einer Abneigung gegen meinen Apfelstrudel geschlossen wird, dass man bei auch meine Rezepte für Tarte ablehen kann, dann ist es halt so. Die Menschen ältern und werden anders. Die Berge stehen ungerührt daneben.

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