: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 28. Juli 2019

MlleReadOn, my Dear, read on.

Was ist Fake News? Eine Kliniktätigkeit erfinden, die es nie gegeben hat, und darüber einen Text zu schreiben, der so in den Zeitgeist passt, dass sich grosse Medien um einen reissen. Denn der Text behauptet, dass Migranten, die nach den Ausschreitungen von Köln kritisch betrachtet werden, selbst Opfer fehlender Aufklärung und Erziehung sind, und man das Problem ganz einfach durch intelligente Ansprache lösen kann. Der Text steht nicht für sich allein, es gibt derartige Kurse und es gibt Berichte darüber. Das kann man schon mal glauben.

Was ist eine dagegen von Bundesministern und Medien unterstützte Aktion? Etwa, wenn sich nach dem gleichen Köln intersektionelle Feministinnen zusammentun und die Aktion „Ausnahmslos“ gründen, bei der dann prompt radikale Figuren wie Angela Davis und Judith Butler unterschreiben, und die behauptet, Übergriffe seien ein männliches Problem, weshalb man über Männer und nicht über die Herkunft reden sollte. Das wurde in führenden Medien so weitergereicht, kein jubelnder Journalist hat sich bislang davon distanziert, die skandalöse Umdeutung eines Massenverbrechens zugunsten der versagenden Regierung gilt bis heute als Wahrheit.

Als Wahrheit kann man in den gleichen Medien, die sich heute von der Fake News der erfundenen Sexualaufklärung distanzieren, nachlesen, dass die geöffneten Grenzen zu einem kleinen Wirtschaftswunder führen könnten, die Flüchtlinge dereinst die Renten zahlen würden, Migranten nicht krimineller als Deutsche in der gleichen sozialen Lage wären, und letztlich sogar mitunter, als sich das alles so nicht manifestierte, dass es gar keine Grenzöffnung gegeben habe. Die fraglichen Autoren/Aktivisten durften Vorträge halten und in Ministerien arbeiten, wurden bei Stiftungen herumgereicht und hielten bei der Re:Publica umjubelte Reden. Ich habe damals dagegen angeschrieben und wurde dafür recht hart angegangen, und wenn ich etwas aus dieser Zeit gelernt habe, dann ist es das: Wenn nur genügend Leute so dreist lügen, wie es den Herrschenden gefällt, gibt es keine Selbstreinigungskraft, die Lügen später richtig zu stellen. Was es dagegen gibt, ist das Statuieren von Exempeln, um sich zu reinigen, wenn es nicht anders geht. Beispielsweise am Fälscher Claas Relotius. Und an einer Frau, die weitgehend andere Sichtweisen als ich hatte, und, wenn man es nüchtern betrachtet, lediglich eine in der Szene mittelbekannte Bloggerin gewesen ist.

Diese Frau lernte ich nach einem Beitrag über die Stiftung von Anetta Kahane – eine Person, die nach ihrer Zeit als Stasi-IM heute als Menscherechtsaktivistin bei Wikipedia neu erfunden wurde - im Internet kennen, als jemand ihr Blog in den Kommentaren verlinkte. Ich habe wie viele andere den Beitrag dann auch verbreitet, sie mailte mich an, und so kamen wir ins Gespräch. Über Loden; genau genommen begann es mit Lodenkleidung, die bei uns ab und zu bei speziellen Terminen gebraucht verkauft wird. Sie sagte, sie wünschte sich einen Lodenmantel für das raue Klima in Irland, und ich hatte das Glück, ein paar hübsche Damenmäntel zu finden und ihr zu schicken. Von da an ging es eben so, wie es meistens geht, wenn Blogger einander etwas besser kennen: Die jeweiligen Blogs traten in den Hintergrund, man sprach mehr miteinander. Das ging so weit, dass ich überhaupt nicht bemerkte, wie sie unter anderem Namen Artikel über ihren angeblichen Sexualaufklärungunterricht schrieb. Ich wusste davon aus den Mails, aber nur sehr am Rande. Und so sehr ich auch nachdenke: Das Thema Judentum kam nur marginal vor.

Dafür sprachen wir oft über Thomas Mann und darüber, dass er an meinem Wohnort seine Sommerfrische abhielt, und auch etliche Bücher schrieb – Herr und Hund zum Beispiel versteht man nur, wenn man hier die Landschaft kennt. Man kann auf den Spuren der Familie Mann den Hirschberg besteigen und seine Aufenthaltsorte in Bad Tölz besichtigen. Man fühlt bei uns tatsächlich noch etwas das Flair des frühen 20. Jahrhunderts. Ich habe sie eingeladen, hierher zu kommen, und zu verweilen, wie man das halt so macht, wenn man den Eindruck hat, der andere würde vielleicht gern kommen, mag das aber nicht artikulieren: Die Frau, die in einem Beitrag des Spiegels als Fälscherin mit Drang nach öffentlicher Anerkennung dargestellt wird, war mir gegenüber eher schüchtern, eindeutig dezent, sehr wohlerzogen und mit dem rücksichtsvollen Verhalten gesegnet, das einen annehmen lassen kann, ein Besuch wäre sicher eine nette Sache. Nur bräuchte sie halt noch einen freundlichen Stups. Es hat sich zeitlich nicht ergeben, die Einladung jedoch stand für diesen Sommer.

Getroffen haben wir uns trotzdem, und zwar im Januar 2018 in Berlin. Zwei mal, und wie es der Zufall haben will, einen Tag vor und einen Tag nach der Verleihung des Goldenen Bloggers, bei dem sie zur „Bloggerin des Jahres“ wurde, ein Titel, der jenseits der Szene in etwa so bedeutend ist wie Spargelkönigin von Adelshausen. Am Tag davor lernte ich im Grosz eine durchaus unterhaltsame Frau kennen, die nicht wirklich zur Darstellung passt, sie würde ganz in einer jüdischen Familiengeschichte aufgehen. Was sie erzählte – und wir redeten über Gott und die Welt und darüber, dass die Tarte Tatin hier nur ein gebratener Apfel, aber keine Tarte Tatin war, und dass es dem Ober hoch anzurechnen ist, dass er Damen korrekt aus dem Mantel hilft – war schlüssig und, oberflächlich betrachtet, in sich kongruent. Man sehe mir nach, dass ich zwar als Journalist kritisch, aber als Privatmensch wohlwollend bin: Ich will einen schönen Abend und nicht nach der Verabschiedung googeln, was ich alles so herausfinden kann. Extravagente Geschichten über Partner beispielsweise nehme ich einfach so hin: Man wird da oft angelogen, sei es, weil die betreffende Frau damit klar machen will, sie sei vergeben und an Sex nicht interessiert (dem Vernehmen nach soll Angraberei bei Twitterbekanntschaften ein erhebliches Problem sein), sei es, weil eine gewisse Beschönigung der eigenen Beziehung nun mal dazu gehört. Man hat bei Twitterleuten schon fliegende Beziehungswechsel gesehen, da bleibt einem der Mund offen stehen, an so einem Sinneswandel wäre beinahe einmal ein Grossprojekt gescheitert. Wie auch immer, sie konnte so eloquent erzählen, wie sie auch schrieb, und ein anderer Verdacht, der nicht nur bei ihr ab und zu im Raum stand – das Blog sei gar nicht von einer Frau verfasst – war damit ausgeräumt. Damals gab es noch die grosszügige Regelung, dass ich Gastautoren bei der FAZ einladen konnte: Ich habe ihr das gesagt. Sie bedankte sich für das Angebot und kam nie mehr darauf zurück.

Das zweite Treffen war nach dem Goldenen Blogger, bei dem es, höflich gesagt, nicht nur schöne Szenen gab. Manche Teilnehmer sind langjährige frühere Bekannte, die sich auf der Veranstaltung mehr oder weniger offen von mir distanzieren wollten, und – das ist jetzt eine Ironie der Geschichte: eine Anwesende erzählte ihr eine sehr negative Geschichte über mein angeblich früheres Verhalten, das die gleiche Anwesende mir selbst auch schon einmal über einen anderen Bekannten erzählt hatte. Eine Moderatorin einer Sendung von Funk rief zu meiner Person ein sehr unschönes Wort in den Raum, und generell fühlte sich die Frau, die als durchtriebene Öffentlichkeitsarbeiterin in eigener Sache dargestellt wurde, eher abgeschreckt von Neid und Missgunst in dieser Szene. Sie hat das gespürt, was auch ansonsten offensichtlich war: Manche fanden ihre Arbeit toll und bewunderten die Beharrlichkeit, mit der sie an den damals in der Türkei inhaftierten Deniz Yücel jeden Tag eine Postkarte schrieb. Andere hielten sich für besser und wären gern Preisträger anstelle der Preisträgerin geworden. Bloggen ist, das darf ich als Angehöriger der Szene sagen, ein entsetzlicher Sumpf der Eitelkeiten mit sehr vielen Protagonisten, die ein deutlich überpositives Bild von sich selbst haben: Für einen Aussenseiter kann das, zusammen mit dem Marketing der Veranstaltung, durchaus eine abschreckende Wirkung haben. Ansonsten sprachen wir vor allem darüber, ob man mit Rechten reden dürfte, oder nicht.

Danach wären ihr alle Tore offen gestanden, zumal sie die fraglos richtigen Einstellungen hatte: Zu Flüchtlingen, zur Migration, zum Tempolimit, und bei der Gelegenheit sind wir auch öffentlich im Netz zusammengerumpelt, weil ich nun mal gern die Möglichkeit habe, schnell zu fahren, und sie wenig begeistert von meiner Sportwagenliebe war. Was ich damit ausdrücken will: Sie hat sich bei mir nicht angebiedert. Sie hat auch sonst nach meinem Wissen keine Journalisten gedrängt, ihre Geschichten zu nehmen. Sie drängte nicht nach vorne, sie zeigte auch recht offen einen gewissen Widerwillen gegen tagesaktuelle Publizistik. In einem Metier, in dem jeder denkt, er hätte Anrecht auf einen Leitartikel oder wenigstens eine gebührenfinanzierte Lebensversorgung, war die Haltung eher ungewöhnlich. Von irgendwelchen Unterlagen bei Yad Vashem war nie die Rede. Da war einfach eine offene, wohlerzogene und zuvorkommende Frau, die eher behutsam in Bekanntschaften ging und sehr aufmerksam war, und mitfühlend sein konnte. Das ist nicht nur mein Eindruck, sondern auch der von anderen Bloggern, die sie näher kannten. Stolz war sie natürlich auch – auf ihre Stelle in Irland und darauf, dass sie mit dem abseitigen Thema „Kunstgeschichte als Brotbelag“ einen Internethit gelandet hat, auf den viele Agenturen lange warten müssten.

Zurückblickend habe ich die vage Vermutung, dass sich diese Frau mit dem Erfolg im letzten Jahr von den alten – wie wir heute wissen – Erfindungen frei geschrieben hat, vielleicht, weil sie gemerkt hat, dass sie auch ohne diesen Kontext gut ankommt und neu beginnen kann – der mutmasslich erfundene Tod des irischen Freundes mag ein Hinweis sein. Sie hatte ein erhebliches literarisches Talent und vielleicht inzwischen auch eines für Wahrheiten, und wenn es die Causa Relotius nicht gegeben hätte, und nicht diese erfundene Flüchtlingsaufklärung in Ostdeutschland, die andere Medien verbreiteten, hätte man das alles in etwa so sehen können: Einsame Frau mit Borderlinetendenz, die sich in Irland nicht wohlfühlt, erfindet sich eine Biographie und Familiengeschichte, um sich interessant zu machen, wird in einer wenig relevanten Szene bekannt und will aus naheliegenden Gründen nicht, dass ihr angesichts erster eigener Erfolge die alten Konstrukte um die Ohren fliegen. Natürlich ist das unschön, aber eine andere Dimension als Relotius, der wirklich nach vorne wollte. Was der Spiegel mit Trophäenbild, Skandalisierung, zweisprachigem Artikel und Konzentration auf zwei brisante Punkte – Familiengeschichte und Flüchtlingshilfe - daraus gemacht hat, ist etwas ganz anderes. Knallharte Aufklärung sollte das sein, nachdem der Spiegel das in eigener Sache wegen Relotius selbst machen musste. Es war die Zerstörung der Reputation, eine internationale Vorführung der Person, die zur einer der wichtigsten Bloggerfiguren gemacht wurde, weiter zum Shitstorm im Netz, natürlich auch Diskreditierung der Bloggerszene, gefolgt vom der panischen Aberkennung eines völlig irrelevanten Preises durch die Veranstalter, Panikreaktionen bei der Betroffenen, Versuche, das Uneinfangbare noch einmal einzufangen, und dann das Verstummen gegenüber Bekannten, die bei ihr nachfragtren. Und jetzt ist sie nach Angaben der Irish Times gestorben.

Es kann immer mal passieren, dass man jemanden auf dem ganz falschen Fuss erwischt. Ein ehemaliger Internetunternehmer wirft mir vor, ich hätte ihn bei Dotcomtod nahe an den Selbstmord gebracht – dabei habe ich die Meldung zu seiner Firma gar nicht geschrieben. Ich habe mal sehr banal über einen Hashtag geschrieben, den zwei Personen aufbrachten – die eine hat ihn zuerst erwähnt, aber die andere hat ihn gross gemacht. Weil ich das so beschrieb, hat die Ersterwähnerin einen Feldzug gegen mich gestartet und versucht, die Medien auf mich zu hetzen, weil ich Schuld an ihrer desolaten psychischen Verfassung sei. Später versuchte sie, ein anderes Portal auch noch zu verklagen. Erst vor ein paar Wochen wurde mir bekannt, dass eine Gastautorin bei der FAZ, die damals vor Selbstbewusstsein nur so strotzte, in Wirklichkeit wohl eine schwere Krise hatte, die mit ein Grund für ein öffentliches und später juristisches Ausrasten gewesen sein mag. Man kann in die Menschen nicht hinein schauen, und im Internet ist es nochmal deutlich schwerer als im echten Leben. Ich habe aus meinen Fehlern insofern gelernt, als dass ich für niemanden den Kopf mehr hinhalte und nur noch mein eigenes Ding mache. Aber nichts davon kann man mit dem vergleichen, was der Spiegel da mit der – meines Erachtens – Privatperson MlleReadOn gemacht hat. Alle, mit denen ich darüber gesprochen habe, hatten Angst, „sie könnte sich etwas antun“. Alle haben das gefühlt. Der Spiegel hatte die Fakten, aber kein Gefühl.

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