: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 5. September 2008

Heute und Morgen in Schwaz

Es fängt ganz normal am Tegernsee an.



Es geht weiter nach Tirol an den Achensee.



Das ist das Zentrum von Schwaz, die vierschiffige und dadurch leicht psychodelische wirkende Kirche Maria Himmelfahrt.



Als wäre das zusätzliche Kirchenschiff nicht schon verwirrend genug, ist das Innere zusätzlich durch das spätgotische Rippengewölbe aufgebrochen; ein reichlich verrückter Ort der Kunstgeschichte für Bergleute, die zwischen den klaustrophobischen Gängen des Silberwerkes und den giftigen Quecksilberdämpfen beim Auslösen des Edelmetalls ohnehin schon zu den psychisch eher labilen Zeitgenossen gehörten.



Dazu passen aktuell im Kirchenschiff verteilte Gerätschaften, die wie Staubsauger, Guillotinen, Orgeln, Foltergeräte oder Alphörner aussehen und - gerade für Kirchenräunme - ungewöhnlich klingen. Eine Bambusorgel. Es gibt davon weltweit nur ein einziges Stück, und das steht gerade in Schwaz.



Hans van Koolwijk, Amsterdam: Bambuso Sonoro
Hans van Eck, Amsterdam: Computer.
Morgen wäre dann das grosse Finale. Extreme Töne in einem extremen Raum der europäischen Kunst.
http://www.avantgarde-tirol.at/

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Chrom

Da ist nicht viel zu sagen.



Ich habe weniger Angst vor der Allmacht einer Firma als vor denjenigen, die dem Netz zu sehr verhaftet sind und darin leben. Mir graust es weniger vor den fragwürdigen Mechanismen als vor der Einstellung, die so etwas erst relevant macht. Im Gegensatz zu den Behauptungen, sie könnten aufhören und es sei keine Sucht, glaube ich ihnen auch kein Wort. Das Internet ist keine Dystopie, aber es gibt dystopische Ansätze, die durch Leute bewirkt werden, für die das Internet sowas wie ein Ersatzleben ist: Problogger, Communityjunkies, Forenpsychopathen. Manche sagen, dass man das gleiche schon über Romane, das Radio und die Glotze gesagt hat, aber es stimmt nicht: Konsum ist etwas anderes als Preisgabe und Entblössung. Ich bin jedes Jahr wirklich froh, wenn die Nutzerzahlen meiner Blogs im Sommer durchsacken. Gerade Internetfirmen, deren Geschäftsmodell fast immer etwas mit Datenmissbrauch zu tun haben, leben von Extremonlinern, die sich das Leben nicht mehr anders vorstellen können. Mir wäre das ein zu hoher Preis. Ich will selbst bestimmen, was nach draussen geht. Ich möchte das Internet in meinem Leben in nützlichen Grenzen sehen, und wenn es die verlassen sollte, werde ich grantig.

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Donnerstag, 4. September 2008

Vor dem Sturm

Fairerweise möchte ich hier anmerken, dass nur drei Stunden später auch am See, über Gmund Sturm und Regen nicht ausblieben, nachdem der von der Wolkenfront leicht vorverlegte Sonnenuntergang nochmal den Sommer feierte:



Having been very fair, kann ich natürlich auch anmerken, dass es da schon stockfinster war. Zuvor konnte man, wenn man in Tegernsee weiterradelte, das weitere Spektakel betrachten, während an der Strandpromenade Menschen in Tracht blasenderweise bayerische Märsche intonierten - ich weiss schon, warum ich kein Videomaterial bringe:



Es dauert zu dieser Jahreszeit gar nicht mehr so lang, bis es dann dunkel wird am See; oben auf der ersten Anhöhe bleibt es etwas länger hell, aber nach acht braucht man auf der Terrasse definitiv künstliches Licht, um hier nicht ganz zum roadsterfahrenden Skilehrerabklatsch zu verblöden.



Zwei Pässe, zwei Seen, famoses Wetter bis in die Nacht und dann zum Buch ein fauchendes Gebirgsunwetter, während die Tarte im Ofen goldbraun wird. Kein Hotelier, der bezahlt werden muss, kein Zimmer, das ein anderer gebucht hat und geräumt werden muss, kein Problem bei der Verlängerung, keine Pflicht zu bleiben, wenn das Wetter schlecht wird. So habe ich mir das vorgestellt. Man sagt, selbst genutzte Immobilien hätten keine Rendite, aber es stimmt nicht, wenn man die Lebensqualität mit einrechnet. Morgen soll es im Norden noch schlecht sein, aber in Innsbruck hält das schöne Wetter.

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Close up

Ihr entschuldigt mich.



Ich muss jetzt baden und dann nach Österreich und danach ins Chiemgau.



Momentan ist es so, wie es sein soll: Stabil schön, mit guter Aussicht, dass es sich bei uns - aber auch nur bei uns - noch etwas hält. Fön, sagte der Wetterbericht. Fön ist gut. Börse ist schlecht, aber das ist nicht mein Problem. Und auch nicht das des 90-jährigen, den ich gestern kennenlernte und der seine Beschwerden des Alters auf das Tennisspiel seiner Jugend zurückführt.

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Irrelevant

Jedes Mal, wenn ich an den See fahre, vergesse ich fast die WLAN-Karte für mein dortiges Notebook. Gestern geschah die Abreise unter einem gewissen Zeitdruck - 10 Uhr gesackt und gepackt losfahren ist nun mal nicht das Ding meiner Familie - und nun ist es passiert. Keine WLAN-Karte. Nur ein analoges Kabel und ein wackliger Einwahlassistent. Surfen wie vor 10 Jahren. Es ist immer noch lahm. Aber es ist irrelevant.



Weil meine Onlinezeit am See ohnehin gering ist. Weil es komisch wäre, sich in der Wohnung zu verkriechen, und weil die Vorstellung eines Rechners am Strand angesichts der Lichtverhältnisse illusorisch ist. Computer und Strand gehen nicht zusammen. Schon gar nicht bei den surrealen Kodakchrome-Farben der 50er Jahre, die Sonne und Höhenluft hervorbringen. Abends dagegen ändert sich das Wetter, was sich oben auf der Neureuth beim Abendspaziergang zeigt.



Dieser Dunst ballt sich in wenigen Stunden zum Unwtter zusammen und straft Rottach, während in Gmund alles trocken bleibt. Ich hatte befürchtet, dass die Saison der Tartes und Datschis schwere Folgen für die Kondition hat, und tatsächlich fühlte sich der Einstieg wie der Vorgeschmack auf den Gulag an. Stehenbleiben, Seitenstechen, man ist nicht der Jüngste, und stellt oben doch überrascht fest, dass es nur eine Stunde und 23 Minuten gedauert hat. Der Abstieg gelingt in weniger als einer Stunde, draussen wird es schon dunkel und das Grummeln in den Bergen lässt ahnen, was später kommt, bevor der nächste Morgen wieder sonnig und warm und zu schön für Internet ist.

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Dienstag, 2. September 2008

Alpenmästung

Ich mag meine Heimat. Trotz allem. Es gibt hier sehr viel Schönes, und das meiste, was schlecht, gemein und dumm ist, kann man bekämpfen. Bayern, nachgerade meine bayerische Provinz, ist liebenswert und zugleich eine Herausforderung. Aber es gibt etwas, das unabänderlich ist, was jeden Spätsommer ruiniert und die Tage in kaltes Blei giesst; eine Erscheinung, die der Lage am Fluss in der Tiefebene geschuldet ist und die sich unabänderlich ins Bewusstsein drängt, mit der Botschaft der langen, düsteren Zeit. Der Donaunebel. Gerade jetzt sieht es vor meinem Fenster - wo an sich eine pittoreske Sicht über die Dächer der Altstadt sein sollte - so aus:



Melancholiker fühlen sich pudelwohl, Selbstmörder schreiten jetzt wohlgemut zur Tat, und die neuen Elitessen, die gerade nach einer Wohnung suchen, bekommen einen bitterkalten Vorgeschmack auf die nächsten Jahre, da sie zwischen überzogenen Ansprüchen, schlechten Parties und einer Düsternis herumstochern, die der bekanntesten Romanfigur dieser Stadt alle Ehre macht: Frankensteins Monster wurde hier erschaffen, in einer Dachkammer hoch über der Stadt, und manche sagen, dass auch die Lage meiner Gästewohnung der Beschreibung von Shelley sehr gut entspräche. Es ist keine Lust, hier die nebligen Tage zu erdulden; früher überlegte ich, ob ich nicht vielleicht einen Urlaub herausschinden könnte. Heute jedoch nutze ich einfach das Exil in den Bergen.



Wo, wie man sagt, lange Schönwetterperioden mit Fön die grauen Tage in die Niederungen abdrängen, wo die Bäume in der Eng knallrot werden und die Farben in der Sonne gleissen, wo die Luft reinbeissblau, klar und schon italienisch ist und die Aussicht weit. Was habe ich den Nebel gehasst, als ich noch ein Kind war. Wie würde ich ihn hassen, müsste ich hier bleiben.

Edit:



Man denkt ja, dass man sowas vielleicht auch aufheben könnte und am nächsten Tag bringt, als Darstellung des Tagesprogramms, aber mei. So sah das heute beim Mittagessen aus.

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Dienstag, 2. September 2008

Empfehlung heute - Der geendete Endkampf

Man kennt allgemein das Gedicht von Tucholsky, in dem mit Tigern gerungen und mit Löwen geschlafen wird, fressen aber tun einen die Läuse. Daran wird Marx wohl gedacht haben, als er ausgerechnet wegen drittklassiger Dienstleistungen Hegel in wichtigen philosophischen Streitpunkten Zugeständnisse machen musste, wie Modeste zu berichten weiss.

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Wag the Cage aux Folles

Mal ehrlich: Hollywood hätte es sich nicht besser ausdenken können, wenn die frisch ernannte Vizepräsidentenkandidation einer rechtsextrem-reaktionären, korrupten Partei, die gegen sexuelle Aufklärung in der Schule und für Enthaltsamkeit als Verhütungsmethode eintritt, eine 17-jährige Tochter hat, die justament zu Beginn der Kampagne schwanger wird, und erst noch heiraten muss. Fehlt nur noch, dass der Gatte ein in die Irre geführter, afroamerikanischer Schwuler namens Che-Lenin Marx ist.

Immerhin kann man das als Erklärung nehmen, wie in Amerika die "moral majority" entsteht. Man darf ausserdem vermuten, dass die Unschuld der Kinder sowas wie die Weapons of Mass Distruction des waffengeilen, bigotten, faschistoiden, fast hätte ich gesagt bayerischen Teils der amerikanischen Mittelschicht sind.

Chr Chr Chr. Hey, ich mag Amerika. Wirklich. Über weite Strecken.

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Montag, 1. September 2008

Gentrifikation selbstgemacht

Aber, aber. Wer wird denn. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten, einen Tormann einzusetzen oder sich abzuschotten. Warum denn. Nebenan, draussen, die Strasse runter ist doch nichts, wogegen man sich abschotten müsste. Das ist das "Arzt sucht für seine Tochter (Elitestudentin) Wohnung im Stadtzentrum"-Viertel. Es ist das Viertel, in dem man nicht ausschreiben muss. Sie kommen schon, und es sind auch die Richtigen. Das fügt sich alles selbst zusammen. Man muss nicht nachhelfen. Nachhelfen wie andernorts, wo man sich absetzen muss, ist übrigens gar nicht so toll, wie man hört; dieses unnatürliche Herausstechen aus der restlichen Umgebung sorgt Drinnen und Draussen für Spannungen. Besser ist es, wenn es einfach den richtigen Bereich für die richtigen Leute gibt. Noch. Es könnte auch sein, dass sich das noch ändert und selbst dem Arztvater die Luft ausgeht. 60 m², 164.000 Euro, aber nur Erdgeschoss, darüber gleich noch mal 20.000 mehr, ist die aktuelle Preislage, in einer nicht ganz so optimalen Ecke des besseren Quartiers.



Es ist natürlich etwas unschicklich darüber zu reden, dass die Elitessen mittelfristig verdrängt werden, weil es höheren Eigenbedarf gibt. Die Stadt wächst, die gewinne steigen, die Ansprüche ziehen nach, und die Altstadt bleibt klein. Es ist auch nicht fein, die Rechnung aufzumachen, und zu überlegen, was jenseits des Inflationsangleiches möglich wäre. Der Druck von Aussen ist jedenfalls da, und man nimmt diejenigen, die passen. Unten gehen die sonntäglich gekleideten Touristenscharen vorbei und fragen sich, da sie das Schild nich nicht gelesen haben, was das hier sein mag. Ich sitze auf dem Fensterbrett, reinige fleckiges Silber im Spätsommerlicht und mache mir erschreckend wenig, definitiv zu wenig Gedanken über das einseitige Gesellschaftsmodell, das hier nach 100 Jahren Flucht in die Vorstädte nun in die alten Professorenhäuser, Collegien und Patrizieranwesen schlüpft, als wäre es der bequeme Pullover, der frisch aus der Wäsche kommt.



Es mag ketzerisch klingen, ganz wohl ist mir bei dem Gedanken auch nicht, aber mitunter mag es fast so scheinen, als sei Gentrification als soziales Problem immer mit etwas verbunden, das nicht in allen Fällen da ist: Massive soziale Unterschiede, Arm gegen Reich ohne Puffer einer Mittelschicht dazwischen. Im Prenzlauer Berg und Hamburgs Schanze ist der Verdrängungsmechanismus gegen Proletarier und Alternative knallhart und absolut, im Münchner Glockenbachviertel dagegen hat es 20 Jahre schleichender Veränderungen bedurft, und noch immer gibt es vieles nebeneinander. Bei uns stirbt eine mitunter immens reiche Generation des Nachkriegsbürgertums aus, die Häuser kommen in gute, mitunter fast zu gute Hände, werden saniert, die Kinder einer anderen Oberschicht ziehen nach, und die Weltfirmen vor den Toren der Stadt pumpen immer neues Geld nach. Von den alten Damen in ihrer blaugetupften Sommertracht ist einfach nicht zu erwarten, dass sie im Rollator einen Brandsatz für die studentischen Kleinwägen mitführen. Wäre man zynisch, verkommen oder gar FDP-Mitglied, könnte man daraus ableiten, dass die Gentrifikation weniger das Problem der zuziehenden Reichen ist, sondern das Problem der Armut derer, die doch einfach bleiben könnten, wenn sie mehr Geld und Anpassungsbereitschaft hätten.

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Dieser Wunsch

endlich wieder rücksichtslos Schmerzen zuzufügen. Das Wissen, dass es trifft, dass sie es hassen werden und kein Mittel finden, sich zu wehren. Der Wille zum Aufspiessen, der kurze Widerstand der Oberfläche, bevor es die Gedärme durchwühlt. Die Lust beim Gedanken, ihren Kot von der Strasse aufzuheben und werfend in ihrer dumm gaffenden Fresse zu platzieren.

Es sind die ganz kleinen Dinge, die den Gedankenschuldigen letztlich zur Tat schreiten lassen, und es ist der Mangel, sich mit dem Missstand auseinanderzusetzen, eine gesellschaftliche Krankheit, die man nicht ausmerzen, wohl aber benennen kann. Es wird nicht gemacht, weil man zu feige ist, weil es zu viele sind, und weil sie Konsumenten sind. Nicht irgendwelche Konsumenten, sondern DIE Konsumenten schlechthin. Weil sie nichts ausser Konsum haben, keine Geschichte, aber ein Abo der Vanity Fair (deutsch) und einen DVD-Player, kein Benehmen, keine Moral, keinen Anstand aber in all dem einen Anlass sehen, auch noch zu grinsen. Wie das asoziale Stück Scheisse, der Cretin im Ralph-Lauren-Hemd, der Versicherungsverticker an Freundinnen von Omi, dieser Bastard, dieser Bizz-Fan, der vorhin vom Weinstock Trauben abriss, eine probierte, den Rest auf das Trottoir vor meinem Haus warf, und darauf angesprochen fragte, was ich haben wollte, zwei Euro?

Oh, bitte, das ist alles legal, es ist kein Verbrechen, niemand verfolgt solchen Abschaum, es gibt keine Gesetze dagegen, ganz im Gegensatz zu meinem Wunschdenken, das den Gebrauch eines Ochsenziemers eingeschlossen hätte und Worte, die nicht schicklich sind, aber es ist auch nicht verboten, diese Geschwüre in Wort und Bild zu diskriminieren und auszugrenzen. Das fehlt. Das muss sich ändern.

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Sonntag, 31. August 2008

Empfehlung heute etwas länger

Es gibt heute eine etwas seltsam anmutende Tendenz bei vielen, sich von der Familie in Allem loszusagen. Komischerweise auch bei jenen, die im Gegensatz zu mir alles andere als Kinderhasser sind, also antreten, die Fehler vergangener Generationen zugunsten neuer Untaten zu umgehen. Ich finde Familie im Grossen und Ganzen a) undvermeidlich und deshalb b) dazu angetan, das Beste daraus zu machen. Was bedeutet, dass man eben nicht in Bausch und Bogen alles ablehnen sollte, was früher einmal gemacht wurde. Ich gebe zu: In meiner Kindheit hätte es mit Bonanzarädern und Panninibildern auch etwas Cooleres gegeben, als an den M.-Schwestern das perfekte Tischdecken zu üben. "Kleiner Cavalier" genannt zu werden galt unter meinen Altersgenossen absolut nicht als Privileg, und manche von denen haben tatsächlich auch alles vergessen und fressen heute wieder wie - nun.

Heute jedoch verstauben die Fussballeralben im Speicher, und die minderwertigen Bonanzaräder sind als typische Vertreter der frühen Clobalisierung auf den Müll gewandert, wie es üblich war in der Zeit, als ein widerliches Möbelhaus eines Naziunterstützers noch mit der Auffassung "Benutze es und wirf es weg" reüssieren konnte. Familie, das lernen wir daraus, ist erheblich langlebiger als Trends, zäher als Moden und in der ein oder anderen Art auch in uns drin. Familie ist wie Judentum: Man kann sie ablehnen, aber nicht davonlaufen. Und ich denke, dass man sich, so sie nicht allzu schlimm ist und aus zu vielen Politikern, Lobbyisten, rechtsextremen Bloggern, Kurienkardinälen, Werbern und anderen Wendepunkten der menschlichen Entwicklung besteht, damit - arrangieren sollte.

In meinem Fall muss ich halt damit leben, dass ich gefragt werde, wieso ich des Sonntags nicht im Wald Tiere abknalle wie mein Grossvater, und anderes, was den Erwartungshaltungen der Umwelt entspricht. Auf der anderen Seite habe ich das Glück, nebenbei zwei alte Familientätigkeiten am Leben erhalten zu können: Die der Bäcker und Vermieter; zwei Professionen, von denen ich denke, dass sie in meinem Blute sind und die mir wirklich Freude bereiten - unter anderem dann, wenn ich den Subjekten der Vermietung die Objekte meiner Backrohrbemühungen reiche, wie das nun mal üblich ist. Es sind zwei ursprüngliche Professionen, die die Welt immer brauchen wird, denn nie wird sich jeder selbst eine Behausung erbauen, und immer weniger Menschen verstehen sich auf den Umgang mit Gasherd und Backrohr. Man muss nur mal schauen, wie viele Leute heutzutage 2 Euro - 4 Mark! - für ein lumpiges Stück Zwetschgendatschi bezahlen, das selbst gemacht 10 Cent kostet, wenn man den richtigen Baum an der richtigen Strasse kennt. (Die Familengeschichte erzählt nichts von Strauchdieben, aber ich tippe hier auf eine unvollständige Überlieferung)



Ich bin also in der angenehmen Lage, angesichts des Sonnenunterganges auf der Dachterasse mir über den Fortbestand meines Tuns keine Sorgen machen zu müssen. Neben den Massenmärkten, den Verwaltungsgesellschaften und optimierten Immobilien wird es immer welche geben, die es anders wollen. Und nachdem das alles auch in einer pittoresken Altstadt spielt, die hierzulande ein Vorreiter bei der Gentrifizierung ist und mit Denkmalschutz-AFA Preise wie in besseren Münchner Lagen nimmt -

bin ich der Meinung, dass es sowas wie eine Denkmalschutz-AFA auch für historische Handwerker geben sollte. Es gibt Derartiges in Deutschland indirekt beim Thema automobiles Kulturgut, mit dem 30 Jahre alte Dreckschleudern ohne Katalysator im Betrieb billiger als jedes moderne Fahrzeug werden, was ein Heer von Schraubern, Sattlern und Schweissern Auskommen und Kundschaft sichert. Instrumentenbau ist so ein Thema, bei dem ich gerne den Staat helfend sehen möchte. Tendenziell wäre ich auch nicht dagegen, wenn man auf Glotzen aus Fernost 10% Deppensteuer erhöbe, die sich angesichts von 9live und Ähnlichem prima begründen liesse, und das Geld zur Unterstützung von hochwertigen High-End-Produkten im Bereich Audio und Buch verwendete. Es gibt in diesem Land zu viele dumme Gaffer und zu wenige, die sich auf Hören und Lesen verstehen, und wenn Raucher Steuer für ihre Lungenkrankheit zahlen, sollen bitte auch Dauerglotzer die Folgekosten für ihre Verblödung zumindest teilweise selbst tragen. Es kann ja wohl nicht sein, dass der Buchdruck in Deutschland verschwindet und Leute, die Wannen voller Geld und kostenlose Klingeltöne versprechen, Gewinne machen.



Für manche mag das alles wenig liberal klingen, und das ist es wohl auch nicht. Manche werden sagen, dass die Zeiten so sind, und dass man nicht zurück kann in das Mittelalter. Dass man so etwas hinnehmen muss als Randerscheinung eines Fortschritts, höre ich von Zynikern, ein Fortschritt, der immerhin auch Typhus und spanische Grippe ausgerottet hat, damit wir später alle an Altersdemenz verdämmern. Was aber, möchte ich entgegnen, bringt der Liberalismus, wenn er jede Freiheit bringt ausser der, sich für das Gute zu entscheiden? Jeden Dreck gibt es in tausendfacher Ausführung mit unterschiedlichem Branding. Es wird einem so leicht gemacht, anzurufen, anzuklicken und sich betrügen zu lassen, und so schwer, das Gute unter all dem Müll noch zu finden.

Und deshalb habe ich grosse Hochachtung vor denen, die das Gute bewahren und sich bemühen, es dem Vergessen zu entreissen. Über einen davon, den Druckereyblogger, bin ich jetzt auf das Tagebuch eines Bleisetzers gestossen, das leider keine Permalinks hat, weshalb ich hier auch zum Scrollen raten möchte, bis hinab zum Holzkajak. Ich denke, wenn ich so ein Holzboot hätte, und dann auf dem See ein schön gedrucktes Buch lesen könnte, wäre ich sehr, sehr zufrieden, zumal wenn ich wüsste, dass es mit Strafzöllen für Verdummungsleistungen subventioniert wurde. Auch könnte ich mir 2 Stunden Sozialdienst für jede Stunde Mitarbeit bei Zoomer.de als segensreich für unsere Gesellschaft vorstellen, wenn wir schon dabei sind.

Geschrieben, das sei hier noch erwähnt, zur Musik der CD Boccherini Madrid mit der Cellistin Ophelie Gaillard und Sandrine Piau, die ich gerne verlinken würde, aber so gut die Aufnahme ist, so miserabel ist die Website von naive.fr.

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Samstag, 30. August 2008

Die 200-Euro-Frage

Mit Zahlen ist es bei Verlusten genauso wie bei Menschenleben: Niemand kann sie sich ab einer gewissen Grösse noch vergegenwärtigen. Wir haben bei den Banken dieser Welt im Rahmen der Subprimekrise bislang ein paar hundert Milliarden Abschreibungen gesehen, und das sagt sich so einfach: Ein paar hundert Milliarden. Schon ein paar 100 Millionen ist für die allermeisten Menschen, mich, der ich lange mit solchen Summen als überzogene Bewertung für VC-Portfolios zu tun hatte, durchaus inklusive, kaum mehr zu fassen. Man könnte so viel damit tun, man müsste nie wieder arbeiten, man könnte ganze Landstriche kaufen und Krisenregionen durchfüttern, wenn es keine Verluste wären. Heute Nacht, nach den doch eher speziellen Vorträgen, brachte es ein Teilnehmer aus England für seine Heimat auf eine griffige Formel: 200 Euro. 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Das verliert der durchschnittliche Eigenheimbesitzer in England seit den Höchstpreisen bei der Bewertung seiner Immobilie.



Nun könnte man natürlich denken, dass nicht jeder Brite sein Haus bei den Höchstständen gekauft hat, der Verlust also allenfalls theoretischer Natur ist. Leider ist in England das bargeldlose Zahlen weit verbreitet, und das eigene Haus ist sowas wie die Bank: Steigt der Wert, kann man mehr Schulden machen. Und weil alle die meinung vertreten haben, es gäbe keinen Einbruch, konnte man sich problemlos bis zum Hauswert verschulden. Es gibt ein paar britische Eigenheiten, die nur durch diesen Schuldenmechanismus erklärbar sind; man betrachte nur mal Einrichtungszeitschriften von der Insel und die exorbitanten Preise für Stoffe, Farben, Lampen und Möbel. Dinge, bei denen jeder seriöse deutsche Bankberater einen Schreikrampf bekommen hätte, würde man dafür Kredite im Rahmen einer Hausfinanzierung wollen. In England ist es inzwischen ähnlich. Und will man später mal die Geschichte der Krise aus Sicht der normalen Betroffenen beschreiben, sollte man sich ein hübsches Archiv von Ebay-Anzeigen anlegen. Ebay, der neue Schwarzmarkt der Krise. Ebay, die reale Preisfindung.



"We have recently moved house and have 2 of these sofas and we now only want to keep one." Schreiben sie. Wäre es nicht so verdammt weit weg: Es kostet nur noch 1/10 dessen, was es vor zwei Jahren bei Laura Ashley gekostet hat, ohne den gestreiften Goldbrokat, es ist ein klarer Kauf. Abholung sofort. Das neue Haus ist klein. 1500 Euro kostete heute ein MG Midget, in den der Besitzer laut Rechnungen 2500 Euro investiert hatte. Es gibt einen Käuferstreik. In England steigen dennoch die Ausgaben, die Sparquote geht dramatisch zurück, wegen Inflation und Schuldendienst oder erzwungene Umschuldung. dabei noch 200 Euro jeden Tag verlieren. Für 200 Euro könnte man zu zweit einen Tag Urlaub machen. Locker. Gutes Hotel, gutes Essen, nur vielleicht nicht auf dem Kontinent, da verliert das Pfund dramatisch an Wert. Die Briten sind inzwischen so marktliberal, dass sie nicht mal mehr die Statistiken zur wirtschaftlichen Lage fälschen. So schlimm wie seit 60 Jahren nicht mehr, sagen sie. Das war nach dem Krieg, als England Sieger, aber praktisch bankrott war. Und in den 70ern beispielsweise war es auf der Insel auch nicht gerade toll. Noch übler als in den 70ern, da versäumt man jetzt nicht viel, wenn man nicht gerade ein Faible für Katastrophentourismus hat.



Die Bar gleich hinter der Grenze ist ziemlich weit weg von dieser Wirklichkeit. Man könnte es wegschieben, denn das Thema ist etwas anders gelagert, und vorerst, dank langfristiger Vereinbarungen, halbwegs sicher. Sicher im Sinne von "die Krise schlägt erst später durch". Solange keiner pleite geht, was unschön wäre, oder sich rausklagen will, was sich hier und da schon andeutet. Man kennt das aus der krise der New Economy, wo es zuerst die B2C-Firmen zerrissen hat und lange die - sich später als falsch herausstellende - Annahme vorherrschte, B2B wäre erst mal nicht betroffen. "Scary" ist ein beliebtes Wort da oben über dem Inntal. 200 Euro sind hart für den Einzelnen, aber dann wieder auf ein Land hochgerechnet, gar nicht gut. Wer weiss, wann man sich wiedersieht. Wer weiss schon, ob es die Firma morgen noch gibt, ob man nicht rausgelöst und an die Chinesen verschachert wird, und der nette, charmante Herr aus Rom hat heute schon die Unpässlichkeit, mit einer insolventen Fluglinie die Heimreise antreten zu müssen. Kaum ein Licht ist mehr an, als ich mich auf den Rückweg mache, erst an den See und dann in die Provinz, sie schlafen fest und sorgen sich nicht, und das ist vielleicht der Umstand, den ich als extrem scary empfinde: Diese weit verbreitete Sorglosigkeit, die einen ganz schnell mal 200 Euro kosten kann. Täglich. Ein Sofa ist in zwei Tagen weg. Die Seidenvorhänge am Nachmittag. Ein MG B verschwindet in 10 Tagen, ein gut erhaltener E-Type in einem halben Jahr, und immer so weiter. Scary.

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Freitag, 29. August 2008

Empfehlung heute - Stalins Fünfjahresplan vs. Honeckers Planwirtschaft

und zwar in der kapitalistischen Version: In der instabilen Diktatur Pakistan, wo vor kurzem bürgerkriegsähnliche Zustände vor der Börse herrschten, legt man quasi schon vorher fest, mit welcher Geschwindigkeit und in welche Richtung Börsenwerte steigen müssen. Unter Stalin nannte man sowas den Fünfjahresplan.

Unter Honecker musste bekanntlich Franz Josef Strauss der chronisch illiquiden DDR Kredite zuschieben lassen, mit denen dann ein Wirtschaftswachstum erfälscht wurde, obwohl der Staat wirtschaftlich am Ende war, um so die Genossen bei der Stange zu halten. Amerikanische Banken und Institutionen betteln heute in China und Mittelasien, das Land ist vollkommen überschuldet, und mit Einbeziehung der exzessiven Staatsverschwendung, Haldenproduktion und Inflationstricks erfinden Beamte der Bush-Administration vor der Wahl ein solides Wirtschaftswachtum.

Der Kampf der Systeme ist vorbei, statt dessen heisst vom Kommunismus lernen überleben lernen, zumindest für ein paar Wochen oder Monate. (Und über den Unwillen der Medien, solche Zahlen zu hinterfragen, sage ich jetzt mal lieber nichts)

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Kühl oder die Männer im Bach

Wer sein Schwarzgeld selbst in das Kleinwalsertal bringen möchte und sich nicht auf teure Kurierfahrten verlässt; oder aber liquide Mittel nach Deutschland verbringen möchte und einen Teil bei Innsbruck in etwas Schmuck oder einer teuren Uhr angelegt hat, fährt in Richtung Österreich idealerweise den kurzen Weg über die Autobahn entlang des Starnberger Sees, wo ähnlich gut Verdienende leben, nach Garmisch und Scharnitz. Das ist so schnell und einfach, wie in den 30er jahren vor der Küste Kaliforniens auf ein Casinoschiff zu gelangen. Ich allerdings komme vom Tegernsee und habe gar nicht vor, ins Kleinwalsertal zu fahren; statt dessen muss ich gleich hinter der Grenze in einen Luftkurort, wo in einem Hotel grenzüberschreitend debattiert wird, wie schlimm es noch werden wird. Man kann sich das im klimatisierten Raum im stile der poshen, halogenspotgenagelten 90er mit Blick auf golfrasenzerschlagende Saudis gar nicht vorstellen, aber die Anfahrt führt durch Gebiete, die weitgehend menschen- und zöllnerleer sind - vielleicht, weil es hier wirklich kaum Durchgangsverkehr nach Österreich gibt.



Den Sylvensteinspeicher, der an dieser Stelle kurzfristig in österreichisches Territorium überquert werden muss, erhält sein auch im Sommer eiskaltes Wasser aus einigen naturbelassenen Bergbächen, die sich nicht vorzeitig von den Alpen lösen können und so entlang der Kämme fliessen, ein Tal erschaffen und damit eine Schneise, die breit genug ist für eine schmale Mautstrasse mit Geschwindigkeitsbegrenzung, enge Kurven und alle paar Meter einer Möglichkeit, anzuhalten und das Panorama über Wasser und Berge zu geniessen. Oder aber gleich ein wenig zu verweilen, weil der spannende Teil im Luftkurort ohnehin erst um 16 Uhr beginnt. Genug Zeit also für die brutalen Schmerzen des Kneipens, das aber den Füssen gut tut, und ausserdem lenkt der Blick vom Schmerz der nur wenige Grad warmen Fluten ab.



Man sagt, es sei gesund. Und ich möchte hinzufügen, dass es im Durchschnitt eigentlich sogar extrem angenehm ist. Obenrum in der Sonne ist es hier heiss, schlieslich ist man fast 1000 Meter oben und die Luft ist schon dünn, die Füsse aber im klaren Wasser verlieren bald jedes Gefühl, wenn die ersten entsetzten Schreie verhallt sind. Man sagt ja, dass das Jodeln eigentlich abgewandelte Schmerzensschreie sind, mit denen sich junge Burschen gegenseitig in Sachen Abhärtungstaten übertrumpfen wollten. Ich also "blea wiara Jochgeia" - ich darf das kurz den nichtindigenen Lesern erklären, ich plärre bayerisch wie ein Jochgeier, will sagen, ich tue dem Echo der Berge aus voller Lunge ein wenig Gewalt an, und während ich da also lautstark auf die Abtötung des Fleisches unter den Wadeln warte, meint einer den Fluss weiter runter: Goid, gei? (Kalt, ist es nicht?)



Scho, antworte ich, und werde dann erst der Nachbarschaft gewahr, die Männer im Bach, die sich perfekt hier oben eingerichtet hat und zwischen Wasser und Licht sagenhaft braun werden dürften, und sinnvollerweise auch das ideale Mobiliar dabei haben. Mit Taschen zur Unterbringung von Bierflaschen in den Lehnen des Stuhls. Ich jedenfalls, untenrum unbehost und unbesockt, obenrum dagegen noch behemdet und krawattet, passe deutlich schlechter hierher und beineide die Anwesenden, die bleiben dürfen, während mich ein paar Kurven und einen Pass weiter der dunkle Saal mit Klimaanlage verschluckt, während draussen Saudis unter Betrachtung ihrer plärrenden Blagen und eines Typen mit Sonnenbrille mit Golfschlägern Gräser totprügeln, und vorne im Prinzip genau das erzählt wird, was man an allen Ecken und Enden nachlesen kann: Wir alle werden blean wia de Jochgeia. Aber nicht, weil es kühl wird. Sondern verdammt heiss, an den Kohlebecken der brennenden Kredite. Keiner hier, das darf ich sagen, ist auch nur ansatzweise so zufrieden und lässig wie die beneidenswerten Männer im Bach.

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