Montag, 20. Juni 2005
Real Life 19.06.05 - Elitesse in Love
Es heisst hier nicht, wie weiter südlich, Siesta, sondern ganz banal Mittagsschlaf. Früher spiegelte sich das auch in den Geschäftszeiten wieder, und heute hält man sich zumindest im Sommer, am Sonntag noch daran. Früher Nachmittag in der Stadt, da passiert absolut nichts. Die schlechteren Söhne aus besserem Hause vertreiben sich ihre Zeit mit einer Silberschale und 8 Eiertomaten, die weit abseits von meditativem Feng Shui und der Weltentsagung der Stilleben so angeordnet werden, dass die nach oben gerichteten Nippel der Tomaten die erwartete Besucherin optisch auf das einstellt, was besagte Söhne gerne von ihr sehen würden.

Und in Gedanken an eine vielleicht verflossenes Ideal hoch im Norden summen sie: "Zieh dich aus, kleine Maus, mach dich..." Das Leben ist schön, hier oben.
In der Stadt gibt es zwei Arten von Menschen: Die einen haben eine Dachterasse und geniessen ihr Leben im unendlich blauen Äther hoch über der Stadt, die anderen haben Löcher ohne Balkon und verkümmern zwischen engen, viel zu engen Wänden. Im Winter spielt das keine Rolle, im Sommer ist es die einzig relevante Differenzierung. Die schlechteren Söhne haben Dachterassen, die Elitessen unter ihnen haben Gänge mit Überdachung und Schiessschartenfenster, und einen Kasernenhof voller Sand und Kiesel, als ob es ein Exerzierplatz wäre. Keine Blume, kein Strauch, kein Gras, kein Baum, nichts, der ideale Ort für chronische Lebenshasser und Drillfetischisten. Insofern, gut, nicht ganz unpassend für die Elitessen und sonstige Career Turbos in ihren Kasematten.
Aber zwischen dem Giessen von Basilikum und Rosmarin schnackelt ein Schloss, eine Elitesse geht zur Freitreppe und telefoniert. So, wie das herübergetragene Gewisper klingt, weil sich ihr Herz geöffnet hat, und das verträgt keine geschlossenen Räume. Sie trägt einen dieser leichten, hellbraunen, gerade noch förmlichen Röcke, die sich die Elitessen in den Metropolen beim Praktikum kaufen, Flipflops und obenrum ein halbes Nichts, das seine Existenz vor allem den schwarzen Spaghettiträgern verdankt. Schwarze Spaghetti mit Pesto a la Siciliana, sahnig und hellbraun, das wäre auch eine Idee für heute Abend.
Sie spricht leise, und lacht hell. Bessere Söhne verstehen kein Wort und trotzdem sofort, denn die Art, wie sie ans Geländer tritt, ihre Füsse durch das Gitter schiebt, die Zehen betrachtet und sie aneinander reibt, wie sie sich wieder löst, in den Schatten wandelt und sich an die Wand schmiegt, wie sie den Kopf zur Seite neigt und sich an den Hörer lehnt wie an eine Schulter, sagt alles. Der sanfte Wind spielt mit ihrem Rock und den Haaren, und sie zuft hier und da an sich. Es ist der Anruf, auf den sie gewartet hat, und sie weiss, dass er das mögen wird, was er, heute, morgen, irgendwann Nachts bei ihr finden soll.
Dann, nach langem Hin und her, ist das Gespräch vorbei. Sie lächelt das Telefon an, als die Verbindung erlischt, und tänzelt zurück in ihr Loch mit Schiessscharte. Die besseren Söhne mögen den Anblick ihres bewegten Körpers, und hoffen, dass sie jetzt irgendwas macht, das nichts mit Human Ressources Development, Marketing Strategy, Powerpoint oder kreativer Buchführung zu tun hat.

Und in Gedanken an eine vielleicht verflossenes Ideal hoch im Norden summen sie: "Zieh dich aus, kleine Maus, mach dich..." Das Leben ist schön, hier oben.
In der Stadt gibt es zwei Arten von Menschen: Die einen haben eine Dachterasse und geniessen ihr Leben im unendlich blauen Äther hoch über der Stadt, die anderen haben Löcher ohne Balkon und verkümmern zwischen engen, viel zu engen Wänden. Im Winter spielt das keine Rolle, im Sommer ist es die einzig relevante Differenzierung. Die schlechteren Söhne haben Dachterassen, die Elitessen unter ihnen haben Gänge mit Überdachung und Schiessschartenfenster, und einen Kasernenhof voller Sand und Kiesel, als ob es ein Exerzierplatz wäre. Keine Blume, kein Strauch, kein Gras, kein Baum, nichts, der ideale Ort für chronische Lebenshasser und Drillfetischisten. Insofern, gut, nicht ganz unpassend für die Elitessen und sonstige Career Turbos in ihren Kasematten.
Aber zwischen dem Giessen von Basilikum und Rosmarin schnackelt ein Schloss, eine Elitesse geht zur Freitreppe und telefoniert. So, wie das herübergetragene Gewisper klingt, weil sich ihr Herz geöffnet hat, und das verträgt keine geschlossenen Räume. Sie trägt einen dieser leichten, hellbraunen, gerade noch förmlichen Röcke, die sich die Elitessen in den Metropolen beim Praktikum kaufen, Flipflops und obenrum ein halbes Nichts, das seine Existenz vor allem den schwarzen Spaghettiträgern verdankt. Schwarze Spaghetti mit Pesto a la Siciliana, sahnig und hellbraun, das wäre auch eine Idee für heute Abend.
Sie spricht leise, und lacht hell. Bessere Söhne verstehen kein Wort und trotzdem sofort, denn die Art, wie sie ans Geländer tritt, ihre Füsse durch das Gitter schiebt, die Zehen betrachtet und sie aneinander reibt, wie sie sich wieder löst, in den Schatten wandelt und sich an die Wand schmiegt, wie sie den Kopf zur Seite neigt und sich an den Hörer lehnt wie an eine Schulter, sagt alles. Der sanfte Wind spielt mit ihrem Rock und den Haaren, und sie zuft hier und da an sich. Es ist der Anruf, auf den sie gewartet hat, und sie weiss, dass er das mögen wird, was er, heute, morgen, irgendwann Nachts bei ihr finden soll.
Dann, nach langem Hin und her, ist das Gespräch vorbei. Sie lächelt das Telefon an, als die Verbindung erlischt, und tänzelt zurück in ihr Loch mit Schiessscharte. Die besseren Söhne mögen den Anblick ihres bewegten Körpers, und hoffen, dass sie jetzt irgendwas macht, das nichts mit Human Ressources Development, Marketing Strategy, Powerpoint oder kreativer Buchführung zu tun hat.
donalphons, 14:46h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Mittwoch, 15. Juni 2005
Real Life 14.06.05 - Auf der Dachterasse
Er ist sehr früh aufgestanden, irgendwo im Norden der Republik, hat das Werkzeug zusammengesucht, in einen Karton gepackt, und ist losgefahren. Stunde um Stunde, in Richtung Süden, bis er dann durch die verwinkelten Strassen der Altstadt beim Wohnheim seiner Tochter ankam. Er hat die überteuerten Parktarife geschluckt, die Kiste ausgepackt, und ist dann hoch zu ihr, wahrscheinlich ohne zu bemerken, dass auf der Dachterasse hoch über ihm ein junger Mann an einem Laptop etwas schreibt. Wenn man zu früh aufsteht, hat man keinen Blick für Details übrig, und die kommenden Aufgaben verleiten auch nicht gerade dazu, genussvoll den Reiz der umgebenden manieristischen Baukunst in sich aufzunehmen.
Er klingelt, und heraus kommt eine typische Elitesse, seine Tochter. Sie hat ihr schnurloses Telefon dabei, und eine Schachtel Zigaretten. Er geht hinein, und als er eine viertel Stunde später wieder herauskommt, redet sie schon etwas länger mit einer Freundin, denn es geht um das Studium und das ewige, nervtötende Lernen. Er hat sich umgezogen, Arbeitskleidung, kurze Hose und offenes Hemd. Und er fragt sie etwas, was sie mit einem ungenauen Deuten in Richtung Wohnungstür quittiert. Er verschwindet, kommt gleich wieder, sie folgt ihm kurz und ist gleich wieder da, um eine zu rauchen und wieder jemanden anzurufen. Inzwischen räumt ihr Vater ihr Bad leer und schichtet den Inhalt, Handtücher, etwas saubere und einen grossen Haufen zusammengeknüllter Wäsche auf die Balustrade. Als er auch noch die Kosmetika bringt, greift sie ein und dirigiert ihn zu einem Ort, wo die Fläschchen sicher stehen.
Er verschwindet, sie telefoniert und raucht etwas. Sie steht gelangweilt an der Balustrade, neigt sich etwas über den Hof, eine dünne, elegant geschwungene Linie, blond und nach den Massstäben der Plastic-Techno-Clips von MTV und Viva sehr gut, idealtypisch aussehend, in weiss, pastellorange und dazwischen solariumsbraun um den Bauchnabel. Sie ist nicht wirklich begeistert über den Ablauf dieses Vormittags, aber vermutlich muss das jetzt einfach sein. Es ist wohl auch mehr als das Bad, denn ihr Vater schleppt Teile der Einrichtung heraus, stellt ab und zu eine Frage, die sie meist mit einem Achselzucken beantwortet. Da drin muss es einige Probleme geben.
Nach zwei Stunden hat sie keine Fluppen mehr und geht, um sich neue zu beschaffen. Ihr Vater kommt kurz darauf heraus, schaut sich um, sieht sie nicht. Auch aus 20 Meter Entfernung ist dem Mann am Laptop auf der Dachterasse klar, dass er innerlich erregt ist. Er hat immer alles bezahlt, die riesige Garderobe, das Pferd, die Friseurtermine und die Unmenge an Kosmetika, die Schuhe, die jetzt auf einem Haufen im Gang liegen, das Telefon und die Fluppen, dieses Luxusstudium und das gesamte Styling, das sie hier braucht, um für die Assessment Center ansprechend zu wirken. Als er sie zur Aufnahmeprüfung gebracht hat, dachte er vielleicht an den glanzvollen Weihnachtsball der Elite-Uni.
Er hat ganz sicher nicht erwartet, dass er nach zwei Stunden Dreckschippen im morastigen, runtergekommenen Wohnloch seiner Tochter auch noch auf diese blöde Kuh warten muss. Wahrscheinlich dämmert es ihm gerade, dass er ein paar grundlegende Fehler in der Erziehung dieses unterernährten Luxusmädchens gemacht hat, aber jetzt ist es zu spät, neu zu beginnen.
Dann sieht er sie die offene Treppe hochkommen, und will wissen, wo sie war. Sie ist von den lauten Tönen sichtlich genervt, und als sie bei ihm ist, hebt ein kurzer, bissiger Streit an, leise und dennoch intensiv, in etwa so, wie sie später mal als angehenden HR-Zicke ihre Untergebenen abkanzeln wird. Er verschwindet wieder in der Wohnung, sie raucht noch eine, bis der Ruf "Jetzt komm endlich!" so laut aus der Wohnung dringt, dass es auch der Mann auf der Dachterasse in der Hektik seines Aufbruchs versteht.
Denn im Westen hat sich vor dem Wohnheim eine imposante, dunkle Wolke aufgebaut; eines dieser barocken Ungetüme, in das auf den Kirchengemälden dieser Region bevorzugt Luzifer, Dämonen, Sünder und Ungläubige gestürzt werden. Der Mann auf der Dachterasse weiss, dass es nur noch wenige Minuten dauern wird, bis dichter, kurzer, apokalyptischer Regen hernierderprasselt, die warme Luft kühlend und reinigend, gut für die Pflanzen, aber schlecht für den Laptop. Und erst, als er mit frischem Tee an seinem Bureau Plat sitzt, die Beine behaglich auf dem kaukasischen Teppich ausgestreckt, überlegt er, wie es jetzt auf den 18 verdreckten Quadratmetern da unten gerade zugehen mag. Vielleicht raucht sie am leicht offenen Fenster und bekommt ein paar Tropfen ab, während er unter dem Waschbecken an einer nicht passenden Zange verzweifelt. Und die richtige Zange ist weit, weit im Norden der Republik.
Er klingelt, und heraus kommt eine typische Elitesse, seine Tochter. Sie hat ihr schnurloses Telefon dabei, und eine Schachtel Zigaretten. Er geht hinein, und als er eine viertel Stunde später wieder herauskommt, redet sie schon etwas länger mit einer Freundin, denn es geht um das Studium und das ewige, nervtötende Lernen. Er hat sich umgezogen, Arbeitskleidung, kurze Hose und offenes Hemd. Und er fragt sie etwas, was sie mit einem ungenauen Deuten in Richtung Wohnungstür quittiert. Er verschwindet, kommt gleich wieder, sie folgt ihm kurz und ist gleich wieder da, um eine zu rauchen und wieder jemanden anzurufen. Inzwischen räumt ihr Vater ihr Bad leer und schichtet den Inhalt, Handtücher, etwas saubere und einen grossen Haufen zusammengeknüllter Wäsche auf die Balustrade. Als er auch noch die Kosmetika bringt, greift sie ein und dirigiert ihn zu einem Ort, wo die Fläschchen sicher stehen.
Er verschwindet, sie telefoniert und raucht etwas. Sie steht gelangweilt an der Balustrade, neigt sich etwas über den Hof, eine dünne, elegant geschwungene Linie, blond und nach den Massstäben der Plastic-Techno-Clips von MTV und Viva sehr gut, idealtypisch aussehend, in weiss, pastellorange und dazwischen solariumsbraun um den Bauchnabel. Sie ist nicht wirklich begeistert über den Ablauf dieses Vormittags, aber vermutlich muss das jetzt einfach sein. Es ist wohl auch mehr als das Bad, denn ihr Vater schleppt Teile der Einrichtung heraus, stellt ab und zu eine Frage, die sie meist mit einem Achselzucken beantwortet. Da drin muss es einige Probleme geben.
Nach zwei Stunden hat sie keine Fluppen mehr und geht, um sich neue zu beschaffen. Ihr Vater kommt kurz darauf heraus, schaut sich um, sieht sie nicht. Auch aus 20 Meter Entfernung ist dem Mann am Laptop auf der Dachterasse klar, dass er innerlich erregt ist. Er hat immer alles bezahlt, die riesige Garderobe, das Pferd, die Friseurtermine und die Unmenge an Kosmetika, die Schuhe, die jetzt auf einem Haufen im Gang liegen, das Telefon und die Fluppen, dieses Luxusstudium und das gesamte Styling, das sie hier braucht, um für die Assessment Center ansprechend zu wirken. Als er sie zur Aufnahmeprüfung gebracht hat, dachte er vielleicht an den glanzvollen Weihnachtsball der Elite-Uni.
Er hat ganz sicher nicht erwartet, dass er nach zwei Stunden Dreckschippen im morastigen, runtergekommenen Wohnloch seiner Tochter auch noch auf diese blöde Kuh warten muss. Wahrscheinlich dämmert es ihm gerade, dass er ein paar grundlegende Fehler in der Erziehung dieses unterernährten Luxusmädchens gemacht hat, aber jetzt ist es zu spät, neu zu beginnen.
Dann sieht er sie die offene Treppe hochkommen, und will wissen, wo sie war. Sie ist von den lauten Tönen sichtlich genervt, und als sie bei ihm ist, hebt ein kurzer, bissiger Streit an, leise und dennoch intensiv, in etwa so, wie sie später mal als angehenden HR-Zicke ihre Untergebenen abkanzeln wird. Er verschwindet wieder in der Wohnung, sie raucht noch eine, bis der Ruf "Jetzt komm endlich!" so laut aus der Wohnung dringt, dass es auch der Mann auf der Dachterasse in der Hektik seines Aufbruchs versteht.
Denn im Westen hat sich vor dem Wohnheim eine imposante, dunkle Wolke aufgebaut; eines dieser barocken Ungetüme, in das auf den Kirchengemälden dieser Region bevorzugt Luzifer, Dämonen, Sünder und Ungläubige gestürzt werden. Der Mann auf der Dachterasse weiss, dass es nur noch wenige Minuten dauern wird, bis dichter, kurzer, apokalyptischer Regen hernierderprasselt, die warme Luft kühlend und reinigend, gut für die Pflanzen, aber schlecht für den Laptop. Und erst, als er mit frischem Tee an seinem Bureau Plat sitzt, die Beine behaglich auf dem kaukasischen Teppich ausgestreckt, überlegt er, wie es jetzt auf den 18 verdreckten Quadratmetern da unten gerade zugehen mag. Vielleicht raucht sie am leicht offenen Fenster und bekommt ein paar Tropfen ab, während er unter dem Waschbecken an einer nicht passenden Zange verzweifelt. Und die richtige Zange ist weit, weit im Norden der Republik.
donalphons, 14:02h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Montag, 13. Juni 2005
Real Life 12.06.05 - Matinée
Gegenüber von deinem Haus, das früher auch der Gesellschaft Jesu gehörte, hat die Vermessenheit, die Prunksucht, der Weltmachtsanspruch dieser ehrenwerten Gesellschaft eine dauerhaften Manifestation hinterlassen; rosa, weiss, innen bunt und hell, ein Bau, gegen den die hiesigen Hochzeitstorte einer Brauereibesitzerstochter schlicht wirkt. Es drückt eine überschäumende Lebensfreude des Rokoko aus, und man würde überhaupt nicht auf die Idee kommen, dass die Bauherren daneben noch solch Zeitvertreib hatten wie Ketzer verfolgen, Andersdenkende ermorden lassen, protofaschistische Strukturen legitimieren und Hasspredigten schreiben. Nein, das würde niemand erwarten, denn kurz ist die Schandtat, schnell vergisst der Spiesser die Stiefel, die ihn lange knechteten, und ewig währt die Kunst - besonders am Sonntag um 12, zwischen Kirchgang und Schweinsbraten.
Und so pilgert die bessere Gesellschaft der kleinen Provinzstadt von Frühjahr bis Herbst unter dem weissblauen Himmel zu dieser Perle der Baukunst, ausgemalt von keinem geringeren als Cosmas Damian Asam, der hier in zwei Monaten den Sieg der auf Maria zentrierten Heilsvorstellung der Gesellschaft an die Decke pinselte. Da oben ächzen, stöhnen und geifern der Jungfrau - daran herrscht hier kein Zweifel! - die Kontinente zu, liefern ihr freiwillig die Schätze aus, die in der Realität fern dieser Provinz mit dem ein oder anderen Vernichtungskrieg, Völkermord oder Versklavung der Dargestellten erreicht wurde. Oben an der Decke, gemalt dürfen sie nochmal jauchzen, auch wenn die zarten Töchter Asiens fett aufgeqollen mit riesigen Glupschaugen und langen Nasen verunstaltet sind, und der wilde Mann Afrikas so obszön grinst, wie er das sonst nur als rassistischen Niggerstatue in den amerikanischen Südstaaten vor 1968 tat.

Darunter treffen sie dann zusammen, die Vertreter des kunstliebenden Publikums. Es kommen die Herrschaften aus den Kirchengemeinden, die den Besuch der Kathedrale genau so legen, dass sie nach Gottesdienstnickerchen und einer viertel Stunde Geratsche über die neuesten Scheidungsskandälchen der Stadt frühzeitig hier eintreffen und die besten Plätze bekommen. Es folgen in loser Reihe diejenigen, die man nur mit Kunst, Weihnachten, Beerdigungen oder Hochzeiten in die Kirchen bekommt, und natürlich mit dem gesellschaftlichen Anlass, den dieser Moment darstellt. Denn hier, bei dieser dreiviertel Stunde in einer Rokoko-Kirche und feinsinniger Orgelmusik vergangener Seaculi, offenbart sich das Wesen dieser besseren Gesellschaft der kleinen Stadt. Hier ist die Welt so, wie sie sein soll: In Ordnung, und dass die eigene Ordnung hier erkauft wird eine Sonderkonjunktur, durch eine Abspaltung dieser greater Munich Area vom desolaten Rest der Republik, das stört sie nicht, solange nur die sponsornde Stadtsparkasse ihnen jeden Sonntag diese Zeit hier unter Asams Deckengemälde garantiert.
Du nimmst Platz unter ihnen, unter ihren selbstzufriedenen Frauen und blöden Bratzn, die später einmal das alles hier auch als gottgegeben betrachten werden, die totsanierte Altstadt, die pittoresken, innen entkernten Häuser, die brummende Wirtschaft, die gesellschaftlichen Verpflichtungen, ihre eigene Heirat, ihre beschissene Ehe und das absurde Haus in der Vorstadt mit den beiden Autos und der Doppelgarage. Sie werden es nicht anders kennen und nicht wissen wollen, dass ihre Sonderstellung in diesem Land mittelfristig durch die brutale Durchsetzung einer regionalen und asozialen Oligarchie erkauft wird. Hier ist niemand, der nicht auch 20 Euro für eine Karte zahlen könnte, aber das hier ist Kulturförderung, und zahlen werden sie, wenn sie ihre grossen Limousinen zu den Sommerkonzerten in andere Städte der Region bringen, zu den grossen Namen, die man für sie ankarrt, und danach werden sie andere privilegierte Vorstadtmenschen treffen und in der Pause darüber reden, dass der Staat ihnen alles nimmt, da ist es ja kein Wunder, wenn man sein Geld in den grauen Kapitalmarkt trägt.
Du lauscht den feinen Klängen der historisch korrekten Orgel, sie haben hier sogar ein Apfelregister, und für ein paar Minuten spült die Musik die kranken Visionen aus deinem Kopf, aber dann siehst irgendwo die Gesichter von Leuten deiner Peer Group, deiner Klasse, deiner Schicht, alte Bekannte, du siehst ihre dreiste Zufriedenheit mit dem Fortbestand des goldenen Zeitalters und das immer gleiche, aufmerksame Lächeln, mit dem sie in Kulturertragungsstarre verharren, wie die gemalten Gestalten oben an der Decke, und danach werden sie zu den Mitgliedern selbsternannten Kulturführerclans der kleinen Stadt gehen, blassen, seltsam verstockten und überzeugt christlichen Blondinen aus alten Familien der Stadt, mit Lippen wie aus Stahl gefräst, echte Jungfrauen und garantiert mangels Neigung treu, Skandälchen ausgeschlossen, deshalb begehrt, und ein wenig über Musik reden, über Heiraten und das Anbringen weiterer zartrosa Fassaden vor dem Nichts ihrer wirtschaftlich erfolgreichen Existenz. Dann werden in noch die Galerie gegenüber schauen, ob da irgendwas an deutscher Moderne ist, was zum Picasso-Druck passen könnte. Oder weiter zum Verkäufer von Hi End Musikgerätschaften, von denen es hier gleich drei gibt. Oder zur Sparkasse, wegen Immobilienangeboten in der bevorzugten westlichen Vorstadt.
Und so löst sie sich auf, in kleine Gruppen der üblichen Kreise, manche fahren heim zum Sonntagsbraten, andere suchen die Gastwirtschaften auf, und du wirst auch angesprochen, niemand muss hier allein bleiben, wenn er den richtigen Namen und die richtige Geschichte hat. Denn diese Woche wird der schwarze Sheriff kommen, der zukünftige Landesvater, und den alten Stadthausbesitzern, einen Pakt anbieten. Also auch dir, du musst da natürlich kommen, denn dein wird sein der Jesuitenpalast nebenan, du bist einer der wenigen, die wieder zurückgekommen sind in die dicken Mauern ihrer Vorfahren, dich wollen sie dem zukünftigen Landesvater präsentieren - und du sagst zu, denn nach dieser Woche hier bist du genau in der richtigen Stimmung, um dem Kerl mal zu sagen, was du von der verfickten Kaputtmacherei der Altstadt durch seine Lederhosen-Musikantenstadl-Traditionsbewahrer und ihren Shopping Malls a la Berlinaise auf der grünen Wiese hältst.
Und so pilgert die bessere Gesellschaft der kleinen Provinzstadt von Frühjahr bis Herbst unter dem weissblauen Himmel zu dieser Perle der Baukunst, ausgemalt von keinem geringeren als Cosmas Damian Asam, der hier in zwei Monaten den Sieg der auf Maria zentrierten Heilsvorstellung der Gesellschaft an die Decke pinselte. Da oben ächzen, stöhnen und geifern der Jungfrau - daran herrscht hier kein Zweifel! - die Kontinente zu, liefern ihr freiwillig die Schätze aus, die in der Realität fern dieser Provinz mit dem ein oder anderen Vernichtungskrieg, Völkermord oder Versklavung der Dargestellten erreicht wurde. Oben an der Decke, gemalt dürfen sie nochmal jauchzen, auch wenn die zarten Töchter Asiens fett aufgeqollen mit riesigen Glupschaugen und langen Nasen verunstaltet sind, und der wilde Mann Afrikas so obszön grinst, wie er das sonst nur als rassistischen Niggerstatue in den amerikanischen Südstaaten vor 1968 tat.

Darunter treffen sie dann zusammen, die Vertreter des kunstliebenden Publikums. Es kommen die Herrschaften aus den Kirchengemeinden, die den Besuch der Kathedrale genau so legen, dass sie nach Gottesdienstnickerchen und einer viertel Stunde Geratsche über die neuesten Scheidungsskandälchen der Stadt frühzeitig hier eintreffen und die besten Plätze bekommen. Es folgen in loser Reihe diejenigen, die man nur mit Kunst, Weihnachten, Beerdigungen oder Hochzeiten in die Kirchen bekommt, und natürlich mit dem gesellschaftlichen Anlass, den dieser Moment darstellt. Denn hier, bei dieser dreiviertel Stunde in einer Rokoko-Kirche und feinsinniger Orgelmusik vergangener Seaculi, offenbart sich das Wesen dieser besseren Gesellschaft der kleinen Stadt. Hier ist die Welt so, wie sie sein soll: In Ordnung, und dass die eigene Ordnung hier erkauft wird eine Sonderkonjunktur, durch eine Abspaltung dieser greater Munich Area vom desolaten Rest der Republik, das stört sie nicht, solange nur die sponsornde Stadtsparkasse ihnen jeden Sonntag diese Zeit hier unter Asams Deckengemälde garantiert.
Du nimmst Platz unter ihnen, unter ihren selbstzufriedenen Frauen und blöden Bratzn, die später einmal das alles hier auch als gottgegeben betrachten werden, die totsanierte Altstadt, die pittoresken, innen entkernten Häuser, die brummende Wirtschaft, die gesellschaftlichen Verpflichtungen, ihre eigene Heirat, ihre beschissene Ehe und das absurde Haus in der Vorstadt mit den beiden Autos und der Doppelgarage. Sie werden es nicht anders kennen und nicht wissen wollen, dass ihre Sonderstellung in diesem Land mittelfristig durch die brutale Durchsetzung einer regionalen und asozialen Oligarchie erkauft wird. Hier ist niemand, der nicht auch 20 Euro für eine Karte zahlen könnte, aber das hier ist Kulturförderung, und zahlen werden sie, wenn sie ihre grossen Limousinen zu den Sommerkonzerten in andere Städte der Region bringen, zu den grossen Namen, die man für sie ankarrt, und danach werden sie andere privilegierte Vorstadtmenschen treffen und in der Pause darüber reden, dass der Staat ihnen alles nimmt, da ist es ja kein Wunder, wenn man sein Geld in den grauen Kapitalmarkt trägt.
Du lauscht den feinen Klängen der historisch korrekten Orgel, sie haben hier sogar ein Apfelregister, und für ein paar Minuten spült die Musik die kranken Visionen aus deinem Kopf, aber dann siehst irgendwo die Gesichter von Leuten deiner Peer Group, deiner Klasse, deiner Schicht, alte Bekannte, du siehst ihre dreiste Zufriedenheit mit dem Fortbestand des goldenen Zeitalters und das immer gleiche, aufmerksame Lächeln, mit dem sie in Kulturertragungsstarre verharren, wie die gemalten Gestalten oben an der Decke, und danach werden sie zu den Mitgliedern selbsternannten Kulturführerclans der kleinen Stadt gehen, blassen, seltsam verstockten und überzeugt christlichen Blondinen aus alten Familien der Stadt, mit Lippen wie aus Stahl gefräst, echte Jungfrauen und garantiert mangels Neigung treu, Skandälchen ausgeschlossen, deshalb begehrt, und ein wenig über Musik reden, über Heiraten und das Anbringen weiterer zartrosa Fassaden vor dem Nichts ihrer wirtschaftlich erfolgreichen Existenz. Dann werden in noch die Galerie gegenüber schauen, ob da irgendwas an deutscher Moderne ist, was zum Picasso-Druck passen könnte. Oder weiter zum Verkäufer von Hi End Musikgerätschaften, von denen es hier gleich drei gibt. Oder zur Sparkasse, wegen Immobilienangeboten in der bevorzugten westlichen Vorstadt.
Und so löst sie sich auf, in kleine Gruppen der üblichen Kreise, manche fahren heim zum Sonntagsbraten, andere suchen die Gastwirtschaften auf, und du wirst auch angesprochen, niemand muss hier allein bleiben, wenn er den richtigen Namen und die richtige Geschichte hat. Denn diese Woche wird der schwarze Sheriff kommen, der zukünftige Landesvater, und den alten Stadthausbesitzern, einen Pakt anbieten. Also auch dir, du musst da natürlich kommen, denn dein wird sein der Jesuitenpalast nebenan, du bist einer der wenigen, die wieder zurückgekommen sind in die dicken Mauern ihrer Vorfahren, dich wollen sie dem zukünftigen Landesvater präsentieren - und du sagst zu, denn nach dieser Woche hier bist du genau in der richtigen Stimmung, um dem Kerl mal zu sagen, was du von der verfickten Kaputtmacherei der Altstadt durch seine Lederhosen-Musikantenstadl-Traditionsbewahrer und ihren Shopping Malls a la Berlinaise auf der grünen Wiese hältst.
donalphons, 20:19h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Dienstag, 7. Juni 2005
Real Life 24.05.05 - Concours Berlin-Paris
Wettbewerbsbeitrag. Du bist beim dritten Miri dieser Stadt, in der Gneisenaustrasse. Während die Läden der anderen beiden Miris eher Höhlen sind, Gänge und Kuppeln tief im Inneren der Erde, ist dieser Miri eher eine Art Grotte; ebenerdig, grosse Öffnungen, aber auch voll und von aussen nicht im Mindesten als das feine Geschäft zu erkennen, das es tatsächlich ist. Hier hat deine kleine Schwester ihren ersten Kronleuchter gekauft, und es zieht sie natürlich zurück zum Ort der Plünderung
Du sitzt im hinteren Raum auf einem der alten Clubmöbel, erzählst Herrn Miri bei einem Glas Tee von deiner bevorstehenden Abreise nach München, und ihr beide lauscht den Tapsern vorne im Laden, dem Klimpern von Glas und dem Knarzen alter Schränke, die gerade von deiner kleinen Schwester durchwühlt werden. So klingt Habgier, lächelst du in dich hinein, der du jenseits von solchen Begehrlichkeiten bist, denn du hast schon so viel gekauft, dass du ihr gerne den Vortritt lässt. Etwas lebensüberdrüssig schweift dein Blick über Jugendstilknorpel und Barockintarsien, deine einzige echte Empfindung ist gerade die Süsse des libanesischen Tees, warm und dick in deinem Mund, du hebst das Glas wieder zum Mund, beglückt vom satten Rot der Flüssigkeit, und als das Glas auf einer Linie mit der Scheuerleiste ganz hinten im Raum ist, siehst du, dass da im Hintergrund die Sacre Ceour ist, diese Kirche auf dem Montmatre, keine Frage.
Künstlergruppe Nabis oder knapp später, Bonnard nicht unähnlich, 1900 oder 1910, französischer Expressionismus, rattert es in deinem Kopf, aber auch ganz frühe Anflüge von Kubismus, die Strasse in Gold, die enge Gasse mit den verschachtelten Häusern in tiefem Braun, und auf der Strasse fährt eine Kutsche durch das Häusergewirr, in Richtung der Kirche, die sich hoch oben gelblich-weiss in den Himmel reckt, der im Gold einer Ikone glänzt, und dieses Gold war es auch, was dir aus der dunklen Ecke des Ladens heraus ins Auge gestochen ist. Es ist nicht gross, 25 mal 40 Zentimeter vielleicht, aber du bist überwältigt von diesem -- Öldruck? Du stehst auf, gehst hin und hebst es hoch. Kein Öldruck. Echt.
Du kennst diese Strasse, das war jetzt vor 15 Jahren, als deine Liebste Abitur gemacht hatte. Damals seid ihr zwei Wochen nach Paris gefahren. Zwei Wochen voller Katastrophen, als habe sich die Stadt gegen euch verschworen; die Deutsche Bank hatte in ganz Paris nur einen einzigen Geldautomaten, und der ging nicht. Das erste Hotel, das der Reiseführer als hübsche, saubere Pension beschrieben hatte, war die Mutter aller Kakerlaken, das zweite und dritte hatten immer nur kurz etwas frei, und erst nach 6 Tagen des ständigen Umziehens, der Flucht von einem Stadtteil zum nächsten, habt ihr dann in einem ehemaligen Bordell am Montmatre, das unverkennbar viel von seinem alten, verlotterten Charme durch ein paar notdürftige Restaurierungen behalten hatte, einen Ort der Ruhe gefunden. Zumindest so lange, bis die Freudenmädchen unten auf der Strasse wieder zu streiten anfingen. Dann drangen unübersetzbare, wüste Worte hoch zu euch in den schmalen, hohen Raum mit seiner roten Blümchentapete, dem roten Teppichboden und der glutäugigen Spanierin, die seit den alten Lotterzeiten ihren Platz an der Wand, aus einem Plasitk-Barockrahmen heraus, behalten hatte. Wenn du nach einer der Nächte der frisch Verliebten, die den professionellen Vorgängerinnen zeigen wollen wie das wirklich mit dem Ficken und Schreien geht, wenn du am Mittag dann auf den Balkon getreten bist, und von den Damen unten vor dem Haus die Strasse hochgeschaut hast, dann war da oben Sacre Ceour, und wenn sie nachkam, deinen Hals berührte, war der Himmel und die Welt golden, bis sie dir dann ins Ohr flüsterte, dass sie jetzt Lust auf - Schokolade habe, und du jetzt bitte runter gehen möchtest, vorbei an den diversen Fleischangeboten und ohne Französischkenntnisse etwas kaufen solltest, was sie dann nach ihrem Bad in der alten Gusseisenwanne wieder zu Kräften kommen liesse. Und nicht auf den Flohmarkt sträunen, Liebster...
Wo der Mensch in der Kutsche wohl hin will? Hinauf zur Kirche, die eines der abartigsten Bauwerke eines antisemitischen, faschistoiden Katholizismus ist, geweiht der Niederringung der Revolutionen dieser Stadt? Oder doch zu einem Freudenmädchen, die diese Religion und ihre verlogenen Werte verhöhnte? Einfach nur Flanieren?
Ahhhh, sagt Herr Miri, haben Sie was gefunden? Er schaut sich das Bild kurz an und erzählt, dass es von der Auflösung bei einem englischen Diplomaten kommt und jetzt schon seit zehn Jahren in einem der hinteren Zimmer war, er hat es erst letzte Woche wiedergefunden und vorgeräumt. Der Vorbesitzer muss es gemocht haben, denn es ist superb erhalten, und irgendwann in den 70er Jahren, erklärt ein Stempel auf der Rückseite, bekam es einen schlichten, schwarzen Rahmen in "Herran near Mabini, Ermita, Manila". Wahrscheinlich hat es der Vorbesitzer in Paris gekauft, und dann sein ganzes Leben mitgenommen, von Stadt zu Stadt, vom philipinischen Dschungel in die Asphaltwüste Berlins, vielleicht in Erinnerung an seine Jugend in der Stadt der Liebe, an seine tollen Stunden als junger Botschaftsangehöriger nach dem zweiten Weltkrieg, bis er dann in Her Majesties Service hier in Berlin starb und seine Erben damit nichts anzufangen wussten.
Nett, sagst du abschätzig, legst es wieder hin, um deine eigene Gier nicht zu deutlich zu machen, du sagst Hm und naja, mäklest am ramponierten Rahmen, und Herr Miri meint, nachdem ihr euch schon so lange kennt - Soundsoviel Euro. Na? Gut, sagst du, und steckst es schnell in eine Tüte, bevor es deine Schwester entdeckt.
Zwei Wochen später wird ein Galerist in München Glupschaugen bekommen, aber das ist eine andere Geschichte, die keine Rolle mehr spielt, denn all das Gold im Himmel über Paris hängt jetzt an deinem Bett und wird dort noch lange hängen, bis du verfault bist und dein Leben vergessen wird (Don Alphonso, kurzzeitiger Modeliterat und Mitglied der "Blogger-Gruppe", aktiv im 1. Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts), und das Bild weiterwandert zu jemandem, der hoffentlich auch eine gute Geschichte dazu erzählen kann. Ars longa, vita brevis.
Du sitzt im hinteren Raum auf einem der alten Clubmöbel, erzählst Herrn Miri bei einem Glas Tee von deiner bevorstehenden Abreise nach München, und ihr beide lauscht den Tapsern vorne im Laden, dem Klimpern von Glas und dem Knarzen alter Schränke, die gerade von deiner kleinen Schwester durchwühlt werden. So klingt Habgier, lächelst du in dich hinein, der du jenseits von solchen Begehrlichkeiten bist, denn du hast schon so viel gekauft, dass du ihr gerne den Vortritt lässt. Etwas lebensüberdrüssig schweift dein Blick über Jugendstilknorpel und Barockintarsien, deine einzige echte Empfindung ist gerade die Süsse des libanesischen Tees, warm und dick in deinem Mund, du hebst das Glas wieder zum Mund, beglückt vom satten Rot der Flüssigkeit, und als das Glas auf einer Linie mit der Scheuerleiste ganz hinten im Raum ist, siehst du, dass da im Hintergrund die Sacre Ceour ist, diese Kirche auf dem Montmatre, keine Frage.

Du kennst diese Strasse, das war jetzt vor 15 Jahren, als deine Liebste Abitur gemacht hatte. Damals seid ihr zwei Wochen nach Paris gefahren. Zwei Wochen voller Katastrophen, als habe sich die Stadt gegen euch verschworen; die Deutsche Bank hatte in ganz Paris nur einen einzigen Geldautomaten, und der ging nicht. Das erste Hotel, das der Reiseführer als hübsche, saubere Pension beschrieben hatte, war die Mutter aller Kakerlaken, das zweite und dritte hatten immer nur kurz etwas frei, und erst nach 6 Tagen des ständigen Umziehens, der Flucht von einem Stadtteil zum nächsten, habt ihr dann in einem ehemaligen Bordell am Montmatre, das unverkennbar viel von seinem alten, verlotterten Charme durch ein paar notdürftige Restaurierungen behalten hatte, einen Ort der Ruhe gefunden. Zumindest so lange, bis die Freudenmädchen unten auf der Strasse wieder zu streiten anfingen. Dann drangen unübersetzbare, wüste Worte hoch zu euch in den schmalen, hohen Raum mit seiner roten Blümchentapete, dem roten Teppichboden und der glutäugigen Spanierin, die seit den alten Lotterzeiten ihren Platz an der Wand, aus einem Plasitk-Barockrahmen heraus, behalten hatte. Wenn du nach einer der Nächte der frisch Verliebten, die den professionellen Vorgängerinnen zeigen wollen wie das wirklich mit dem Ficken und Schreien geht, wenn du am Mittag dann auf den Balkon getreten bist, und von den Damen unten vor dem Haus die Strasse hochgeschaut hast, dann war da oben Sacre Ceour, und wenn sie nachkam, deinen Hals berührte, war der Himmel und die Welt golden, bis sie dir dann ins Ohr flüsterte, dass sie jetzt Lust auf - Schokolade habe, und du jetzt bitte runter gehen möchtest, vorbei an den diversen Fleischangeboten und ohne Französischkenntnisse etwas kaufen solltest, was sie dann nach ihrem Bad in der alten Gusseisenwanne wieder zu Kräften kommen liesse. Und nicht auf den Flohmarkt sträunen, Liebster...
Wo der Mensch in der Kutsche wohl hin will? Hinauf zur Kirche, die eines der abartigsten Bauwerke eines antisemitischen, faschistoiden Katholizismus ist, geweiht der Niederringung der Revolutionen dieser Stadt? Oder doch zu einem Freudenmädchen, die diese Religion und ihre verlogenen Werte verhöhnte? Einfach nur Flanieren?
Ahhhh, sagt Herr Miri, haben Sie was gefunden? Er schaut sich das Bild kurz an und erzählt, dass es von der Auflösung bei einem englischen Diplomaten kommt und jetzt schon seit zehn Jahren in einem der hinteren Zimmer war, er hat es erst letzte Woche wiedergefunden und vorgeräumt. Der Vorbesitzer muss es gemocht haben, denn es ist superb erhalten, und irgendwann in den 70er Jahren, erklärt ein Stempel auf der Rückseite, bekam es einen schlichten, schwarzen Rahmen in "Herran near Mabini, Ermita, Manila". Wahrscheinlich hat es der Vorbesitzer in Paris gekauft, und dann sein ganzes Leben mitgenommen, von Stadt zu Stadt, vom philipinischen Dschungel in die Asphaltwüste Berlins, vielleicht in Erinnerung an seine Jugend in der Stadt der Liebe, an seine tollen Stunden als junger Botschaftsangehöriger nach dem zweiten Weltkrieg, bis er dann in Her Majesties Service hier in Berlin starb und seine Erben damit nichts anzufangen wussten.
Nett, sagst du abschätzig, legst es wieder hin, um deine eigene Gier nicht zu deutlich zu machen, du sagst Hm und naja, mäklest am ramponierten Rahmen, und Herr Miri meint, nachdem ihr euch schon so lange kennt - Soundsoviel Euro. Na? Gut, sagst du, und steckst es schnell in eine Tüte, bevor es deine Schwester entdeckt.
Zwei Wochen später wird ein Galerist in München Glupschaugen bekommen, aber das ist eine andere Geschichte, die keine Rolle mehr spielt, denn all das Gold im Himmel über Paris hängt jetzt an deinem Bett und wird dort noch lange hängen, bis du verfault bist und dein Leben vergessen wird (Don Alphonso, kurzzeitiger Modeliterat und Mitglied der "Blogger-Gruppe", aktiv im 1. Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts), und das Bild weiterwandert zu jemandem, der hoffentlich auch eine gute Geschichte dazu erzählen kann. Ars longa, vita brevis.
donalphons, 12:11h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Sonntag, 5. Juni 2005
Real Life 05.06.05 - Studentenbude
15 Quadratmeter für 400 Euro pro Monat kalt in Schwabing. Aber immerhin mit Parkett und Badmitbenutzung. Für 400 Euro muss man hier als angehender Journalist nach 6 Monaten Praktikum bei einer Interactive-TV-Bude 160 Stunden arbeiten, wurde dir gerade von anderer Seite erzählt. Etwas besser als 1-Euro-Job, findest du. München hat ziemlich nachgelassen, seitdem du gegangen bist, denn früher war sowas die Ausnahme. Heute ist es eher normal. Aber was tut so ein junger Mensch nicht alles, um in Schwabing mit Parkett zu wohnen und in den Medien zu arbeiten. So sind sie nun mal.
Bloss gut, dass sie nicht schreiben können, sonst müsstest du dir Sorgen machen.
Bloss gut, dass sie nicht schreiben können, sonst müsstest du dir Sorgen machen.
donalphons, 14:19h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Samstag, 4. Juni 2005
Real Life 04.06.05 - Zu spät. 10 Minuten.
Und Schuld ist wie immer letztlich deine Unfähigkeit, nach einem Tag harter Arbeit mit 3 Stunden Sclaf auszukommen, und das jetzt schon den 6. Tag in Folge. Das über wir nochmal, sagst du dir im Stau kurz vor München, und rufst den Fotografen an, der schon im Regen auf dich wartet. Die wollen ein Bild vor einem grossen, leeren, unvermietbaren Bürokomplex, um deine kritische Haltung zu gewissen Hypeideen und den verursachenden Brüllaffen zu dokumentieren. Ausserdem passt es zum Blog. Und als du ankommst, siehst du, dass sich der Fotograf was dabei gedacht hat. Das Gebäude kommt so lebendig wie ein verwesender Fisch im Busch, und er hat auch noch einen kaputten Bürostuhl gefunden - Dirt Pucture Contest Munich Area Version.
Dann geht alles rasend schnell, ein Film ratscht durch, dann wird der Regen stärker, die Tastatur des Notebooks wird nass, viel Zeit ist ohnehin nicht mehr, also nochmal 12 Bilder im Schnelldurchlauf. Dann hat der Fotograf nur noch 20 Minuten, um zum Entwickeln zu kommen, und du sagst, dass du ihn schnell zum Bahnhof bringst, damit das alles was wird, Mitte nächster Woche, und ein paar Typen so richtig was zum Abkotzen haben. So sagst du es natürlich nicht, denn der junge Mann hat nicht wirklich Ähnung, um was es hier eigentlich so genau geht.
Er steht noch am Anfang eines Wegs, den du jetzt schon eine Weile gegangen, gestolpert und gerannt bist, und er hat noch sowas von Zuversicht. Kann schon sein. Die Bildqualität der meisten Medien ist verbesserungswürdig, nachdem sich allerorten die Unsitte breit gemacht hat, Praktis die Digicam in die Hand zu drücken - eines deiner übelsten Bilder verdankst du einer New-Media-Blondine einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, die irgendwie dachte, dass man auch aus einem halben Meter Entfernung ein Gesicht mit Blitz ausleuchten kann. Is it a ghost? Is it a Supernova? No, it´s Hyperbelichtungs-Alphonso! Sowas kommt übrigens besonders gut, wenn man danach wieder zum Moderator der TV-Sendung schauen soll und die zerschmorten Pupillen nur mittels Gehör positionieren kann.
Der Junge neben dir ist aus anderem Holz geschnitzt. Er hat das gelernt, eine ordentliche und abgeschlossene Ausbildung. Aber als du ihm erzählst, dass das heute hier dein erster Tag in München nach 15 Monaten Berlin ist, will er wissen, was in Berlin so geht. Nichts natürlich, 50 Tacken für ein Bild sind schon viel in Berlin, und davon gehen noch die Kosten weg. Ausserdem gibt es viele Amateure, und wenige Aufträge, also stehen Profis ohne Netzwerk auf verlorenem Posten. Und bis man die Kosten für die Umsiedlung wieder drin hat, dauert das ziemlich lang trotz des dortigen Preisniveaus.
München ist was für Kreative, Berlin ist was für Leute, die kreativ sein möchten. Es gibt da einen Fotografen, der mit seiner Mittelformatkamera durch Mitte zieht, schräge Perspektiven knipst und grosse Abzüge davon auf dem Flohmarkt am Mauerpark verkauft. Nicht schlecht, auch ein Weg, aber sicher nicht das, was er eigentlich erwartet hat. Saubere Arbeit, aber kein Respekt, irgendwie schade um den Mann. Aber zumindest macht der mehr draus als all die Versager, deren Manuskripte in den Verlagen gleich in die Tonne wandern.
Der Junge glaubt dennoch, dass in Berlin mehr los ist, dass da mehr geht. Du weisst, dass es in München wieder losgehen wird, vielleicht auch in Frankfurt, aber ganz sicher nicht in Berlin. Draussen gleiten die noblen Geschäfte der Ludwigstrasse vorbei, der Regen lässt nach, und du überlegst, ob du in den kommenden Tagen nicht vielleicht doch, wie eigentlich versprochen, einen kleinen Einkaufsführer für Berlin schreiben sollst, für Leute wie ihn, die natürlich das Recht haben, ihre eigenen Erfahrungen zu machen - nur muss es ja nicht ganz so teuer werden.
Du bist 5 Minuten vor Ladenschluss beim Labor. Schnell, zuverlässig, dynamisch, in time. München eben. Und die Brüllaffen werden nächste Woche kotzen.
Dann geht alles rasend schnell, ein Film ratscht durch, dann wird der Regen stärker, die Tastatur des Notebooks wird nass, viel Zeit ist ohnehin nicht mehr, also nochmal 12 Bilder im Schnelldurchlauf. Dann hat der Fotograf nur noch 20 Minuten, um zum Entwickeln zu kommen, und du sagst, dass du ihn schnell zum Bahnhof bringst, damit das alles was wird, Mitte nächster Woche, und ein paar Typen so richtig was zum Abkotzen haben. So sagst du es natürlich nicht, denn der junge Mann hat nicht wirklich Ähnung, um was es hier eigentlich so genau geht.
Er steht noch am Anfang eines Wegs, den du jetzt schon eine Weile gegangen, gestolpert und gerannt bist, und er hat noch sowas von Zuversicht. Kann schon sein. Die Bildqualität der meisten Medien ist verbesserungswürdig, nachdem sich allerorten die Unsitte breit gemacht hat, Praktis die Digicam in die Hand zu drücken - eines deiner übelsten Bilder verdankst du einer New-Media-Blondine einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, die irgendwie dachte, dass man auch aus einem halben Meter Entfernung ein Gesicht mit Blitz ausleuchten kann. Is it a ghost? Is it a Supernova? No, it´s Hyperbelichtungs-Alphonso! Sowas kommt übrigens besonders gut, wenn man danach wieder zum Moderator der TV-Sendung schauen soll und die zerschmorten Pupillen nur mittels Gehör positionieren kann.
Der Junge neben dir ist aus anderem Holz geschnitzt. Er hat das gelernt, eine ordentliche und abgeschlossene Ausbildung. Aber als du ihm erzählst, dass das heute hier dein erster Tag in München nach 15 Monaten Berlin ist, will er wissen, was in Berlin so geht. Nichts natürlich, 50 Tacken für ein Bild sind schon viel in Berlin, und davon gehen noch die Kosten weg. Ausserdem gibt es viele Amateure, und wenige Aufträge, also stehen Profis ohne Netzwerk auf verlorenem Posten. Und bis man die Kosten für die Umsiedlung wieder drin hat, dauert das ziemlich lang trotz des dortigen Preisniveaus.
München ist was für Kreative, Berlin ist was für Leute, die kreativ sein möchten. Es gibt da einen Fotografen, der mit seiner Mittelformatkamera durch Mitte zieht, schräge Perspektiven knipst und grosse Abzüge davon auf dem Flohmarkt am Mauerpark verkauft. Nicht schlecht, auch ein Weg, aber sicher nicht das, was er eigentlich erwartet hat. Saubere Arbeit, aber kein Respekt, irgendwie schade um den Mann. Aber zumindest macht der mehr draus als all die Versager, deren Manuskripte in den Verlagen gleich in die Tonne wandern.
Der Junge glaubt dennoch, dass in Berlin mehr los ist, dass da mehr geht. Du weisst, dass es in München wieder losgehen wird, vielleicht auch in Frankfurt, aber ganz sicher nicht in Berlin. Draussen gleiten die noblen Geschäfte der Ludwigstrasse vorbei, der Regen lässt nach, und du überlegst, ob du in den kommenden Tagen nicht vielleicht doch, wie eigentlich versprochen, einen kleinen Einkaufsführer für Berlin schreiben sollst, für Leute wie ihn, die natürlich das Recht haben, ihre eigenen Erfahrungen zu machen - nur muss es ja nicht ganz so teuer werden.
Du bist 5 Minuten vor Ladenschluss beim Labor. Schnell, zuverlässig, dynamisch, in time. München eben. Und die Brüllaffen werden nächste Woche kotzen.
donalphons, 14:49h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Mittwoch, 1. Juni 2005
Real Life 01.06.05 - Ausziehen! Ausziehen!
Vor gut fünf Jahren hast du in München eine grosse Biedermeierkommode aus rötlichem Nussbaum gefunden, mit angedeutenen Säulenecken und ohne Schlüssel. Jemand hatte versucht, sie aufzubrechen, dann aber angesichts von 5 Zentimeter Massivholz aufgegeben und das Ding - so wie es war - verkauft. An dich. Du hast es nach Hause gebracht, auf dem Platz vor der Garage abgestellt, die gigantische Schlüsselsammlung des Stammhauses durchprobiert - sowas ist in alten Häusern immer von Vorteil - und schon beim dritten Schlüssel machte es Klack, und das Schloss ging auf. Drinnen war wahrscheinlich die komplette Aussteuer einer bayerischen Bürgerstochter, sauber zusammengelegte Stoffe, vom Tischtuch für eine Tafel mit 24 Personen über Bettbezüge bis zu Servietten. Alles weiss, mit Monogramm, und sauber wie am ersten Tag
Deine Eltern sind ohne Habgier in die ansonsten mitunter geldgeile Welt geboren worden, in der sie bis heute leben. Es ist ihnen fremd, anderen etwas zu nehmen, und dir haben sie beigebracht, dass man als Gast immer nur ein Stück Kuchen dankend von der Gastgeberin annimmt und auf die erste Frage, ob man ein zweites Stück will, erst mal betont wie wunderbar der Kuchen doch war, man aber um eine kleine Pause bitte, bis dann das nächste Angebot kommt, das man annehmen darf. Dummerweise war die Familie deines besten Freundes aufgrund der häufigen Auslandskontakte des Oberhaupts zu chinesischen Mandarin-Sitten übergegangen, was ein paar Kollisionen - aber das ist eine andere Geschichte. Deine Eltern jedenfalls gehören nicht zu den Raffzähnen.
Aber an diesem Tag an der Kommode wurde dir von ihnen die Weltentsagung zu Teil, die auch der gemeine Hunne dem römischen Gold angedeihen lässt. Nach dem Motto, dass es ja im Clan bleibt und du sowieso keinen Platz hast, wurde erst Stück für Stück untersucht, Richtung Haus verfrachtet, und als sich herausstellte, dass dein Clan tatsächlich auch keinen Platz mehr hatte - ja, wo soll das denn rein? - kam die Frage, ob du die Kommode jetzt sofort benötigst. Was die langfristige Folge hatte, dass deine Kommode voller Leinen heute die Leinen-Kommode der Eltern deiner kleinen Schwester ist.
Heute nun stand ein Wagen mit 11,8 Kubik vor dem Haus und musste in die Garage teilgeräumt werden. Deine Mutter war mit den Alabasterlampen recht lang verschwunden, auch mit der grünen Lampe, die du gerade im Vestibül gefunden hast, wo sie wirklich gut passt, das Silber sollte sowieso nicht in die Garage und nicht so eng beeinander gestapelt werden, also rein damit, mit dem Verlust des Bernadotte-Kaffeeservices hattest du ohnehin gerechnet, nachdem deine Mutter meinte, dass sie keinen Platz mehr hat. Dein Vater prägte den Imperativ: "Der Foldleaf-Table geht gleich ins obere Wohnzimmer", und auch die Pagodenlampe wurde aus konservatorischen Gründen sofort neben den Paravent postiert, der dir vor einem halben Jahr abhanden kam und jetzt im Wohnzimmer steht.
Sie haben ein grosses Haus. Da ist viel Platz. Die Kisten wirst du besser heimlich auspacken, wenn sie in Urlaub sind. Und was an alten Folianten noch im anderen Auto in Berlin ist, wirst du besser direkt in deine Wohnung bringen. Sie brauchen nichts mehr, und sie haben keinen Platz mehr, es bleibt alles im Clan, aber das hilft dir nichts, wenn du am Ende selbst nichts mehr hast.
Was? Da ist noch was? Das da hinten? Der kleine runde Spiegel und der grüne Lesesessel? Die sind noch da. Die hat aber schon deine Schwester angefordert. Ausserdem kommt am Wochenende deine Freundin und will 2 der verbleibenden Spiegel, und vielleicht noch was kleines...
Deine Eltern sind ohne Habgier in die ansonsten mitunter geldgeile Welt geboren worden, in der sie bis heute leben. Es ist ihnen fremd, anderen etwas zu nehmen, und dir haben sie beigebracht, dass man als Gast immer nur ein Stück Kuchen dankend von der Gastgeberin annimmt und auf die erste Frage, ob man ein zweites Stück will, erst mal betont wie wunderbar der Kuchen doch war, man aber um eine kleine Pause bitte, bis dann das nächste Angebot kommt, das man annehmen darf. Dummerweise war die Familie deines besten Freundes aufgrund der häufigen Auslandskontakte des Oberhaupts zu chinesischen Mandarin-Sitten übergegangen, was ein paar Kollisionen - aber das ist eine andere Geschichte. Deine Eltern jedenfalls gehören nicht zu den Raffzähnen.
Aber an diesem Tag an der Kommode wurde dir von ihnen die Weltentsagung zu Teil, die auch der gemeine Hunne dem römischen Gold angedeihen lässt. Nach dem Motto, dass es ja im Clan bleibt und du sowieso keinen Platz hast, wurde erst Stück für Stück untersucht, Richtung Haus verfrachtet, und als sich herausstellte, dass dein Clan tatsächlich auch keinen Platz mehr hatte - ja, wo soll das denn rein? - kam die Frage, ob du die Kommode jetzt sofort benötigst. Was die langfristige Folge hatte, dass deine Kommode voller Leinen heute die Leinen-Kommode der Eltern deiner kleinen Schwester ist.
Heute nun stand ein Wagen mit 11,8 Kubik vor dem Haus und musste in die Garage teilgeräumt werden. Deine Mutter war mit den Alabasterlampen recht lang verschwunden, auch mit der grünen Lampe, die du gerade im Vestibül gefunden hast, wo sie wirklich gut passt, das Silber sollte sowieso nicht in die Garage und nicht so eng beeinander gestapelt werden, also rein damit, mit dem Verlust des Bernadotte-Kaffeeservices hattest du ohnehin gerechnet, nachdem deine Mutter meinte, dass sie keinen Platz mehr hat. Dein Vater prägte den Imperativ: "Der Foldleaf-Table geht gleich ins obere Wohnzimmer", und auch die Pagodenlampe wurde aus konservatorischen Gründen sofort neben den Paravent postiert, der dir vor einem halben Jahr abhanden kam und jetzt im Wohnzimmer steht.
Sie haben ein grosses Haus. Da ist viel Platz. Die Kisten wirst du besser heimlich auspacken, wenn sie in Urlaub sind. Und was an alten Folianten noch im anderen Auto in Berlin ist, wirst du besser direkt in deine Wohnung bringen. Sie brauchen nichts mehr, und sie haben keinen Platz mehr, es bleibt alles im Clan, aber das hilft dir nichts, wenn du am Ende selbst nichts mehr hast.
Was? Da ist noch was? Das da hinten? Der kleine runde Spiegel und der grüne Lesesessel? Die sind noch da. Die hat aber schon deine Schwester angefordert. Ausserdem kommt am Wochenende deine Freundin und will 2 der verbleibenden Spiegel, und vielleicht noch was kleines...
donalphons, 14:06h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Sonntag, 29. Mai 2005
Real Life 28.05.05 - Haifischlunch
Das Essen hier am Savignyplatz ist 2 Euro teurer und um 3 Klassen besser als das, was man in Mitte so unter "italienisch Essen" versteht. Natürlich ist Mitte viel näher dran am authentischen Kantinenfrass mittelständischer italienischer Unternehmen im Mezzogiorno, und bei den hier servierten Eigenkreationen wie gefüllte Crepette-Pasteten in Gorgonzolasauce stampfen heisse französische Eier die mütterlich-italienische Ursuppe; in etwa so, als würde ein franzöischer Marcello Mastroiani über eine italienische Anouk Aimee herfallen. Was den Haifischen und dir, ihrem Transporteur, gefällt. Ihr sitzt draussen im Schatten der Bäume, während die Hitze die Berliner in unansehliche Klumpen Haut, Fett und Schweiss zerschmilzt. Ein wenig Wind streicht durch die Bäume, und dein Leben ist schön.

Ein Haifisch hüstelt, weil ihm die ständige Luftveränderung zwischen kühl klimatisiertem Flugzeug und Büros und Hitze nicht gut tut. Die anderen werden vielleicht auch bald Grippe haben, aber momentan sind sie noch voller Adrenalin. Sechs StundenMeeting eines steuersparenden, sinnsparenden und letztlich insolventen Fonds, bei dem sich Bank A wegen Zahlungsproblemen die Immobilie gekrallt hat. Die fragliche Immobilie ist statt der einbezahlten 9 nur noch 4 Millionen wert. Zum Glück haftet Bank B für die Fremdfinanzierung, und die Leute, die die Haifische vertreten, kommen nochmal mit einem blauen Auge davon. Bank B ist es schon gewohnt, bei diesem Spiel der Dumme zu sein. Bank B kann sich keine ordentlichen Haifische leisten. Aber so ist das nun mal, wenn sich bombensichere Geschäfte mehr als Bomben und weniger als sicher erweisen - danach steht nichts mehr, was sich noch wehren könnte. Ausserdem muss Bank A für ihre Aktionäre profitabel sein, bei Bank B verteilt sich das letztlich auf alle Bundesbürger, die können keinen Vorstandsvorsitzenden kippen, das senkt die Motivation sich zu wehren ganz enorm.
Ein Haifisch fragt dich, ob du nicht doch mal was Nettes über Berlin schreiben könntest, damit mehr Leute herkommen und das Geschäft wieder attraktiv wird. Du grinst, aber er meint es Ernst, du musst ja nicht Mitte hypen, sondern ... Grunewald. Das Rentnerparadies. den ganzen äusseren Westen. Einfach mal was Nettes in einer international relevanten Zeitung mit entsprechend vermögendem Publikum. Weil es sich im Moment wirklich lohnen würde, etwas zu kaufen. Und er nuschelt was von unter 800 pro Quadratmeter in Bestlage, sicher vermietet, unter Zwangsverwaltung, was im August zwangsversteigert wird. Hübsch leise, der vollstreckenden Bank A ist der Preis egal, die holt sich den Fehlbetrag bei Bank B, Hauptsache weg den Scheiss. Die Nuss-Bonbonietti schmecken ihm übrigens ganz vorzüglich, das Lokal gefällt ihm, mit Kronleuchter und apricotfarbenen Wänden, während du eigentlich ganz froh bist, dass dein nächster Raum nicht diese Toskanalandhausverschnittfarbe haben wird.

Aber du bist kein Haifisch. Oder vielleicht doch? Der Oberhaifisch fragt dich, ob du nicht vielleicht Lust hast, ein wenig mit ihnen schwimmen zu gehen. Sie haben sich nämlich schon ein paar der Wohnungen in dem Objekt angeschaut. Und wenn du, sagen wir mal, was übrig hättest und nochmal einigen Kredit aufnehmen würdest, könntest du doch auch so um die 80 Quadratmeter feinster Westen, gleich gegenüber einer grossen, staatlichen Institution... und nachdem du sie immer so gut durch den Slum gefahren hast, würden sie dir auch helfen...
Der Wind weht ein wenig stärker durch die Baumkronen am Savignyplatz, mit dem Auto 15 Minuten vom fraglichen Objekt entfernt, das grosse Terassen hat und einen üppigen, alten Garten, und du weisst, dass es ein guter Tipp ist, dass es fraglos funktionieren würde, denn in zwei Jahren geht es wieder bergauf mit den Haifischen, die fragliche staatliche Institution gegenüber ist eine mit grosser Zukunft, gerade wenn grosse Teile der Gesellschaft verarmen, dann könnte man an die Funktionäre verkaufen mit 50, 70% Wertsteigerung in zwei Jahren. Und selbst ein Gewinner der Haifischbranche sein. Und dann geht es ab zum fraglichen Objekt, und dann noch ein wenig Leisure Shopping.
Später am Tag wird einer der Haifische für einen Spontankauf ein paar tausend hart selbstverdiente Euro abheben, und beim Verlassen der Bank achtlos an der alten Bettlerin am Eingang vorbeigehen. Du wirst einen Moment den Wunsch verspüren, die von ihm bezahlten Crepettes in eine Ecke zu kotzen, wirst ihr, von dir selbst angewidert das geben, was das Essen gekostet hat, und verdrängst den Gedanken, dass du selbst, wenn du mal 70 bist, bei der weiteren Entwicklung dieser an den Haifischen orientierten Gesellschaft auch etwas Ignorierbares auf den Haifischzügen sein kannst. Etwas, das die Funktionäre der lukrativen Verwaltung der aus dem Verwertungsprozess Gefallen nicht weiter berührt, die dann auf den 80 Quadratmetern leben, die du ganz ganz sicher nicht kaufen wirst.
Später wirst du die Haifische zum Flughafen bringen, und es wird die letzte Fahrt in Berlin gewesen sein.

Ein Haifisch hüstelt, weil ihm die ständige Luftveränderung zwischen kühl klimatisiertem Flugzeug und Büros und Hitze nicht gut tut. Die anderen werden vielleicht auch bald Grippe haben, aber momentan sind sie noch voller Adrenalin. Sechs StundenMeeting eines steuersparenden, sinnsparenden und letztlich insolventen Fonds, bei dem sich Bank A wegen Zahlungsproblemen die Immobilie gekrallt hat. Die fragliche Immobilie ist statt der einbezahlten 9 nur noch 4 Millionen wert. Zum Glück haftet Bank B für die Fremdfinanzierung, und die Leute, die die Haifische vertreten, kommen nochmal mit einem blauen Auge davon. Bank B ist es schon gewohnt, bei diesem Spiel der Dumme zu sein. Bank B kann sich keine ordentlichen Haifische leisten. Aber so ist das nun mal, wenn sich bombensichere Geschäfte mehr als Bomben und weniger als sicher erweisen - danach steht nichts mehr, was sich noch wehren könnte. Ausserdem muss Bank A für ihre Aktionäre profitabel sein, bei Bank B verteilt sich das letztlich auf alle Bundesbürger, die können keinen Vorstandsvorsitzenden kippen, das senkt die Motivation sich zu wehren ganz enorm.
Ein Haifisch fragt dich, ob du nicht doch mal was Nettes über Berlin schreiben könntest, damit mehr Leute herkommen und das Geschäft wieder attraktiv wird. Du grinst, aber er meint es Ernst, du musst ja nicht Mitte hypen, sondern ... Grunewald. Das Rentnerparadies. den ganzen äusseren Westen. Einfach mal was Nettes in einer international relevanten Zeitung mit entsprechend vermögendem Publikum. Weil es sich im Moment wirklich lohnen würde, etwas zu kaufen. Und er nuschelt was von unter 800 pro Quadratmeter in Bestlage, sicher vermietet, unter Zwangsverwaltung, was im August zwangsversteigert wird. Hübsch leise, der vollstreckenden Bank A ist der Preis egal, die holt sich den Fehlbetrag bei Bank B, Hauptsache weg den Scheiss. Die Nuss-Bonbonietti schmecken ihm übrigens ganz vorzüglich, das Lokal gefällt ihm, mit Kronleuchter und apricotfarbenen Wänden, während du eigentlich ganz froh bist, dass dein nächster Raum nicht diese Toskanalandhausverschnittfarbe haben wird.

Aber du bist kein Haifisch. Oder vielleicht doch? Der Oberhaifisch fragt dich, ob du nicht vielleicht Lust hast, ein wenig mit ihnen schwimmen zu gehen. Sie haben sich nämlich schon ein paar der Wohnungen in dem Objekt angeschaut. Und wenn du, sagen wir mal, was übrig hättest und nochmal einigen Kredit aufnehmen würdest, könntest du doch auch so um die 80 Quadratmeter feinster Westen, gleich gegenüber einer grossen, staatlichen Institution... und nachdem du sie immer so gut durch den Slum gefahren hast, würden sie dir auch helfen...
Der Wind weht ein wenig stärker durch die Baumkronen am Savignyplatz, mit dem Auto 15 Minuten vom fraglichen Objekt entfernt, das grosse Terassen hat und einen üppigen, alten Garten, und du weisst, dass es ein guter Tipp ist, dass es fraglos funktionieren würde, denn in zwei Jahren geht es wieder bergauf mit den Haifischen, die fragliche staatliche Institution gegenüber ist eine mit grosser Zukunft, gerade wenn grosse Teile der Gesellschaft verarmen, dann könnte man an die Funktionäre verkaufen mit 50, 70% Wertsteigerung in zwei Jahren. Und selbst ein Gewinner der Haifischbranche sein. Und dann geht es ab zum fraglichen Objekt, und dann noch ein wenig Leisure Shopping.
Später am Tag wird einer der Haifische für einen Spontankauf ein paar tausend hart selbstverdiente Euro abheben, und beim Verlassen der Bank achtlos an der alten Bettlerin am Eingang vorbeigehen. Du wirst einen Moment den Wunsch verspüren, die von ihm bezahlten Crepettes in eine Ecke zu kotzen, wirst ihr, von dir selbst angewidert das geben, was das Essen gekostet hat, und verdrängst den Gedanken, dass du selbst, wenn du mal 70 bist, bei der weiteren Entwicklung dieser an den Haifischen orientierten Gesellschaft auch etwas Ignorierbares auf den Haifischzügen sein kannst. Etwas, das die Funktionäre der lukrativen Verwaltung der aus dem Verwertungsprozess Gefallen nicht weiter berührt, die dann auf den 80 Quadratmetern leben, die du ganz ganz sicher nicht kaufen wirst.
Später wirst du die Haifische zum Flughafen bringen, und es wird die letzte Fahrt in Berlin gewesen sein.
donalphons, 01:55h
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Donnerstag, 26. Mai 2005
Real Life 25.05.05 - Warten in der Goltzstrasse
Der Antikladen ist zu, hinter dem Fenster steht ein kleiner Beistelltisch mit ziemlich grossartigen Intarsien von der Art, wie sie auch auf deinem Beistelltisch sind, den du ihr nicht geben wirst. Schliesslich ist es deiner. Und ihr Argument, dass er ja in der Familie bleibt, zählt nicht, weil er ja auch bei dir in der Familie bleibt. Also soll sie sich bessere Argumente einfallen lassen. Oder den da drinnen kaufen.
Sie schaut ein wenig ärgerlich und gleicht der giftgrünen Jugendstilschlange aus irisierendem Glas, die sie heute gekauft hat. Es ist warm. Der Laden bleibt zu. Eine Frau, die ebenfalls wartet, versichert euch aber, dass der Besitzer bald wieder aufmacht. Sie hat Hunger, weil das Essen in einem indischen Restaurant in der Oderberger Strasse grottenschlecht war, nachdem Bedienung und Koch mehr Interesse an ihrem vor dem Lokal abgestellten BMW Z1 hatten.
Gegenüber ist ein italienischer Feinkostladen, der Baguettes anbietet, und andere Petitessen. Und einen Blick hinüber zum Antiquitätengeschäft, falls der Besitzer kommt. Ihr setzt euch an den kleinen, runden Aluminiumtisch, bestellt, und - da kommt wer, bleibt vor dem Geschäft stehen, sie springt auf und läuft hin - aber es war nur ein anderer Kunde, der ebenfalls draussen bleiben muss. Du sitzt, lang ausgestreckt da, lässt die Minuten verinnen, und das späte Tageslicht macht dich müde.

Du siehst zufrieden aus, sagt sie. Ja, sagst du. Ich zähle die Tage, bis es vorbei ist, nächste Woche ist schluss, dann ab mit Sack und Pack und Kronleuchtern nach Süden. Auf der Strasse gleitet eine S-Klasse vorbei. In der Luft sind irgenwelche undefinierbaren Vögel, unter den Tischen eindeutige Spatzen. Letzte Tage in Berlin, dann nochmal 2 Tage Hektik, Schluss, Ende, Bayern.
Wirst du nichts vermissen, fragt sie aus Höflichkeit und mangels eines anderen Themas, und in deinem Kopf findet sich da eigentlich nur sehr wenig, ws dir fehlen wird. Es gibt ein paar gute, private Begegnungen, und es wäre schade gewesen, die nicht erlebt zu haben. Aber das sind offene Enden wie in jedem guten Roman, man kann nicht alles zu einem ergreifenden Finale führen, und ausserdem hast du deutliche Einladungen ausgesprochen. 500 Kilometer in den Süden ist nicht so schlimm, wie 100 Kilommeter in die andere Richtung, as Gefälle wird sie hoffentlich ganz natürlich anziehen, und für alles weitere gibt es ja Telefon, Email und auch Blog.
Und dann alles, was mit dem Niedergang des hiesigen Bürgertums und den positiven Folgen für dich zu tun hat. In einem Antiquitätengeschäft war heute wieder so ein Nachlass, der idealtypisch erklärt, was hier los ist: Kein Gefühl für Beständigkeit, kein Respekt, kein Verständnis für Gewachsenes und Geschichte, dafür her mit den 500 Euro und Rebranding mit irgendeinem communitytauglichen Gadget. Gut für dich, wenn du nicht drüber nachdenkst, was das im Kern bedeutet, welche Brüche sich da auftun, wo neue Grenzen und Klassen definiert werden. Du stehst daneben, du bist nur Beobachter auf der "richtigen Seite", und nimmst ab und zu ein Angebot derer wahr, die nicht wirklich begreifen, auf welchem Weg in die Mietkonsumfavelas sie sind.
Alles andere - du hoffst, dass du es möglichst schnell vergisst, die Kaputtheit der Normalen, die Korruption der Eliten, die Hirnlosigkeit der Thinktank-Buffetgespräche, die Karriere-Netzwerke, die sie dir in den Weg gelegt haben, die Lobbyhuren auf der Suche nach moralisch sauberen Unterbringung ihrer Sauereien, die Hauptstadt, den Dreck, die Dirt Pics und die Drogengirlies, die du jeden Tag siehst, wenn du zu ihr ins Hotel fährst, die Verschwendung und die Löcher im Asphalt...
Gegenüber im Antikgeschäft rührt sich was, sie springt auf und überlässt dir das zahlen, und du sitzt wie ein abgelaufenes Aufziehspielzeug in deinem Stuhl, bist still, und schaust in den Abendhimmel.
Es ist vorbei. Nicht jetzt, aber bald. Was bleibt? Einen Einkaufsführer für Berlin schreiben, über die Gedärrme dieser Stadt, für andere, die nach dir hierher kommen. Man kann ein paar gute Sachen mitnehmen, zum hier lassen ist es zu schade, und die anderen Menschen werden so oder so irgendwann auch gehen. In den Süden. Wenn sie gehen, wird es im Norden, Osten und Westen nicht mehr allzu viel geben, wo man hin kann.
Sie schaut ein wenig ärgerlich und gleicht der giftgrünen Jugendstilschlange aus irisierendem Glas, die sie heute gekauft hat. Es ist warm. Der Laden bleibt zu. Eine Frau, die ebenfalls wartet, versichert euch aber, dass der Besitzer bald wieder aufmacht. Sie hat Hunger, weil das Essen in einem indischen Restaurant in der Oderberger Strasse grottenschlecht war, nachdem Bedienung und Koch mehr Interesse an ihrem vor dem Lokal abgestellten BMW Z1 hatten.
Gegenüber ist ein italienischer Feinkostladen, der Baguettes anbietet, und andere Petitessen. Und einen Blick hinüber zum Antiquitätengeschäft, falls der Besitzer kommt. Ihr setzt euch an den kleinen, runden Aluminiumtisch, bestellt, und - da kommt wer, bleibt vor dem Geschäft stehen, sie springt auf und läuft hin - aber es war nur ein anderer Kunde, der ebenfalls draussen bleiben muss. Du sitzt, lang ausgestreckt da, lässt die Minuten verinnen, und das späte Tageslicht macht dich müde.

Du siehst zufrieden aus, sagt sie. Ja, sagst du. Ich zähle die Tage, bis es vorbei ist, nächste Woche ist schluss, dann ab mit Sack und Pack und Kronleuchtern nach Süden. Auf der Strasse gleitet eine S-Klasse vorbei. In der Luft sind irgenwelche undefinierbaren Vögel, unter den Tischen eindeutige Spatzen. Letzte Tage in Berlin, dann nochmal 2 Tage Hektik, Schluss, Ende, Bayern.
Wirst du nichts vermissen, fragt sie aus Höflichkeit und mangels eines anderen Themas, und in deinem Kopf findet sich da eigentlich nur sehr wenig, ws dir fehlen wird. Es gibt ein paar gute, private Begegnungen, und es wäre schade gewesen, die nicht erlebt zu haben. Aber das sind offene Enden wie in jedem guten Roman, man kann nicht alles zu einem ergreifenden Finale führen, und ausserdem hast du deutliche Einladungen ausgesprochen. 500 Kilometer in den Süden ist nicht so schlimm, wie 100 Kilommeter in die andere Richtung, as Gefälle wird sie hoffentlich ganz natürlich anziehen, und für alles weitere gibt es ja Telefon, Email und auch Blog.
Und dann alles, was mit dem Niedergang des hiesigen Bürgertums und den positiven Folgen für dich zu tun hat. In einem Antiquitätengeschäft war heute wieder so ein Nachlass, der idealtypisch erklärt, was hier los ist: Kein Gefühl für Beständigkeit, kein Respekt, kein Verständnis für Gewachsenes und Geschichte, dafür her mit den 500 Euro und Rebranding mit irgendeinem communitytauglichen Gadget. Gut für dich, wenn du nicht drüber nachdenkst, was das im Kern bedeutet, welche Brüche sich da auftun, wo neue Grenzen und Klassen definiert werden. Du stehst daneben, du bist nur Beobachter auf der "richtigen Seite", und nimmst ab und zu ein Angebot derer wahr, die nicht wirklich begreifen, auf welchem Weg in die Mietkonsumfavelas sie sind.
Alles andere - du hoffst, dass du es möglichst schnell vergisst, die Kaputtheit der Normalen, die Korruption der Eliten, die Hirnlosigkeit der Thinktank-Buffetgespräche, die Karriere-Netzwerke, die sie dir in den Weg gelegt haben, die Lobbyhuren auf der Suche nach moralisch sauberen Unterbringung ihrer Sauereien, die Hauptstadt, den Dreck, die Dirt Pics und die Drogengirlies, die du jeden Tag siehst, wenn du zu ihr ins Hotel fährst, die Verschwendung und die Löcher im Asphalt...
Gegenüber im Antikgeschäft rührt sich was, sie springt auf und überlässt dir das zahlen, und du sitzt wie ein abgelaufenes Aufziehspielzeug in deinem Stuhl, bist still, und schaust in den Abendhimmel.
Es ist vorbei. Nicht jetzt, aber bald. Was bleibt? Einen Einkaufsführer für Berlin schreiben, über die Gedärrme dieser Stadt, für andere, die nach dir hierher kommen. Man kann ein paar gute Sachen mitnehmen, zum hier lassen ist es zu schade, und die anderen Menschen werden so oder so irgendwann auch gehen. In den Süden. Wenn sie gehen, wird es im Norden, Osten und Westen nicht mehr allzu viel geben, wo man hin kann.
donalphons, 13:41h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Sonntag, 15. Mai 2005
Real Life 15.05.2005 - Berliner Republikende
Ihre Eltern sind zeitig gegangen. Sie wollten nur schnell sehen, ob die neuen Freunde ihrer Tochter auch ihren Vorstellungen entsprachen, bevor sie in ihr Hotel am Kurfürstendamm zurückkehrten. Immerhin haben sie es geschafft, aus Paris zu kommen und das Domizil ihrer Tochter zu besichtigen; deine Eltern sind stur in der Provinz geblieben und haben sich geweigert, andere Reiseziele ausser Oberitalien, Sizilien, Südfrankreich oder einen verträumten Winkel im südlichen Oberbayen überhaupt nur in Betracht zu ziehen. Vermutlich ist für Pariser Eltern, die via Charles de Gaulle einfliegen, der Kulturschock nach einem Transfer durch die verbotenen Zonen am Stadtrand nicht so gross; deine Eltern dagegen würden diretissime zum Flughafen fahren, durch völlig intakte, wohlhabende Bezirke der besseren Regionen eines reichen Bundeslandes - die Stadtautobahn A 100 ist aus dieser Perspektive die Stunde der Abrechnung für jedes zarte Gefühl der Ästhetik und Naturverbundenheit.
Das erzählst du auch der Gastgeberin, die dafür, wie eigentlich alle Gäste dieser Abschiedsparty, viel Verständnis hat. Eigentlich ist hier jeder nicht aus Neigung, sondern nur durch äussere Zwänge gelandet; die Stadt hat man mehr oder weniger bewusst in Kauf genommen. Für manche, 5000 Meilen entfernt, hatte Berlin auch einen magischen Klang. Der amerikanische Stipendiat zum Beispiel hat eine Grossmutter, die fast bis Ende der 30er Jahre hier lebte und als junge Frau viel politisches Ungemach einfach nicht verstanden hat. Er erwartete nach ihren Erzählungen eine mondäne Grossstadt mit aufregenden Impulsen. Mit einem verkommenen Slum, kriminellen Vermietern und der stupiden Ausbeutung bei einer amerikanischen Stiftung mit Sparzwang wegen des gepanzerten Benz für die Leiterin hatte er nicht gerechnet. Das angebliche Problem mit der Abrechnungssoftware der Stiftung, nach 4 Monaten Texte übersetzen und online stellen, mussten seine nicht wirklich begeisterten Eltern begleichen, die gedacht hatten, dass das Thema Zwangsarbeit in Germanien vorbei ist.
Auch erwartete der Stipendiat nicht, dass die Chefin der anderen Organisation, wo er sich danach bewarb, die Sache sofort seiner alten Chefin berichtete. Die Stadt ist in diesen Zirkeln sehr klein und gesprächig, und so, wie sich die Spitzen draussen auf dem Balkon der Akademie über dem Wannsee langweilen und die Anwesenheit des Cicero-Chefredakteurs ertragen müssen, sitzen die schlecht bezahlten Underdogs der internationalen Verständigung zusammen in einer halbausgeräumten Wohnung und zählen mit schlechter Laune die vielen Tage, bis sie zurück können.
Die Gastgeberin hat es hinter sich. Die Wohnung muss nur noch mal geputzt werden, dann geht es nach Hause. Die Getränke werden in Pappbechern gereicht, das Essen haben Lieferdienste gebracht, der Rest ihrer Sachen passt in ihr Auto, wenn es Ende nächster Woche losgeht. Sie hat darum gebeten, ihr nichts zu schenken, weil sie keinen Platz hat, aber niemand hat sich daran gehalten. Wenigstens habt ihr auf den riesigen Porzellanelephanten verzichtet, der bei den Überlegungen zur Verabschiedung auch mal kurzfristig eine Rolle spielte, in Erinnerung an ihr resolutes Auftreten bei einigen Stellen deutscher Ämter, deren stalinistisches Personal mit ihrer gallischen Unnachgiebigkeit und der konsequenten Freundlichkeit absolut nicht konnte. Hätte sie sie angeschnauzt, wäre es den Vorschriften gemäss gewesen. Leider hat sie dann die Todsünde begangen, Hierarchieebenen zu überspringen und bei einem Staatssekretär auf einer Party direkt während der Häppchen anzufragen. Von diesem Moment an half im Ämtersumpf nur noch hin und wieder ein externer Anrufer, der wissen wollte, warum das Amt die Arbeit der Franzosen behinderte... zu späterer Stunde habt ihr die Idee, dass man ein Buch machen sollte, Berliner Republik für Ausländer, ein Leitfaden für junge Verschollene. Manchmal überkommt dich auch die Lust, ein Schreiben an gewisse Ministerien oder Ländervertretungen meit "Heil H*tler" oder "Rotfront, Genosse!" zu unterzeichnen und zu schauen, ob da noch was anderes als die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Band zurückkommt.
Jetzt, da alles vorbei ist, kannst und darfst du das sagen. Da, wo die in diesen Räumen versammelten Menschen in 2, 3, 6 oder 12 Monaten sein werden, ist es vielleicht besser. Draussen geht schon seit Stunden der Regen nieder, der Hinterhof vor dem Fenster ist ein schwarzes, feuchtes Nichts, und die Nachtluft riecht nach Fäulnis. Kein Stern ist zu sehen, nur das schmutzigfahle Gelb der Lichter, die in die Wolken strahlen, ein maroder Helligkeitsbrei, ehe dann, sehr spät, draussen das erste Licht des Tages in dunklen Wolkenmassen versickert. Irgendjemand legt eine CD ein, aktuelles Zeug, und dann kommt ein Lied mit dem Refrain
"Oh my God I can´t believe it,
I´ve never been this far away from home."
Ihr sitzt auf dem Boden, ein Dutzend Nationen, Lebenswelten, Erfahrungen und Träume, ihr zu Ehren gut bekleidet, schön, jung, betrunken und ernüchtert, und ihr singt alle mit.
Das erzählst du auch der Gastgeberin, die dafür, wie eigentlich alle Gäste dieser Abschiedsparty, viel Verständnis hat. Eigentlich ist hier jeder nicht aus Neigung, sondern nur durch äussere Zwänge gelandet; die Stadt hat man mehr oder weniger bewusst in Kauf genommen. Für manche, 5000 Meilen entfernt, hatte Berlin auch einen magischen Klang. Der amerikanische Stipendiat zum Beispiel hat eine Grossmutter, die fast bis Ende der 30er Jahre hier lebte und als junge Frau viel politisches Ungemach einfach nicht verstanden hat. Er erwartete nach ihren Erzählungen eine mondäne Grossstadt mit aufregenden Impulsen. Mit einem verkommenen Slum, kriminellen Vermietern und der stupiden Ausbeutung bei einer amerikanischen Stiftung mit Sparzwang wegen des gepanzerten Benz für die Leiterin hatte er nicht gerechnet. Das angebliche Problem mit der Abrechnungssoftware der Stiftung, nach 4 Monaten Texte übersetzen und online stellen, mussten seine nicht wirklich begeisterten Eltern begleichen, die gedacht hatten, dass das Thema Zwangsarbeit in Germanien vorbei ist.
Auch erwartete der Stipendiat nicht, dass die Chefin der anderen Organisation, wo er sich danach bewarb, die Sache sofort seiner alten Chefin berichtete. Die Stadt ist in diesen Zirkeln sehr klein und gesprächig, und so, wie sich die Spitzen draussen auf dem Balkon der Akademie über dem Wannsee langweilen und die Anwesenheit des Cicero-Chefredakteurs ertragen müssen, sitzen die schlecht bezahlten Underdogs der internationalen Verständigung zusammen in einer halbausgeräumten Wohnung und zählen mit schlechter Laune die vielen Tage, bis sie zurück können.
Die Gastgeberin hat es hinter sich. Die Wohnung muss nur noch mal geputzt werden, dann geht es nach Hause. Die Getränke werden in Pappbechern gereicht, das Essen haben Lieferdienste gebracht, der Rest ihrer Sachen passt in ihr Auto, wenn es Ende nächster Woche losgeht. Sie hat darum gebeten, ihr nichts zu schenken, weil sie keinen Platz hat, aber niemand hat sich daran gehalten. Wenigstens habt ihr auf den riesigen Porzellanelephanten verzichtet, der bei den Überlegungen zur Verabschiedung auch mal kurzfristig eine Rolle spielte, in Erinnerung an ihr resolutes Auftreten bei einigen Stellen deutscher Ämter, deren stalinistisches Personal mit ihrer gallischen Unnachgiebigkeit und der konsequenten Freundlichkeit absolut nicht konnte. Hätte sie sie angeschnauzt, wäre es den Vorschriften gemäss gewesen. Leider hat sie dann die Todsünde begangen, Hierarchieebenen zu überspringen und bei einem Staatssekretär auf einer Party direkt während der Häppchen anzufragen. Von diesem Moment an half im Ämtersumpf nur noch hin und wieder ein externer Anrufer, der wissen wollte, warum das Amt die Arbeit der Franzosen behinderte... zu späterer Stunde habt ihr die Idee, dass man ein Buch machen sollte, Berliner Republik für Ausländer, ein Leitfaden für junge Verschollene. Manchmal überkommt dich auch die Lust, ein Schreiben an gewisse Ministerien oder Ländervertretungen meit "Heil H*tler" oder "Rotfront, Genosse!" zu unterzeichnen und zu schauen, ob da noch was anderes als die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Band zurückkommt.
Jetzt, da alles vorbei ist, kannst und darfst du das sagen. Da, wo die in diesen Räumen versammelten Menschen in 2, 3, 6 oder 12 Monaten sein werden, ist es vielleicht besser. Draussen geht schon seit Stunden der Regen nieder, der Hinterhof vor dem Fenster ist ein schwarzes, feuchtes Nichts, und die Nachtluft riecht nach Fäulnis. Kein Stern ist zu sehen, nur das schmutzigfahle Gelb der Lichter, die in die Wolken strahlen, ein maroder Helligkeitsbrei, ehe dann, sehr spät, draussen das erste Licht des Tages in dunklen Wolkenmassen versickert. Irgendjemand legt eine CD ein, aktuelles Zeug, und dann kommt ein Lied mit dem Refrain
"Oh my God I can´t believe it,
I´ve never been this far away from home."
Ihr sitzt auf dem Boden, ein Dutzend Nationen, Lebenswelten, Erfahrungen und Träume, ihr zu Ehren gut bekleidet, schön, jung, betrunken und ernüchtert, und ihr singt alle mit.
donalphons, 19:10h
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