Samstag, 14. Mai 2005
Real Life Ende 98 - Bayerische Vertretung
Sie haben Kreti und Pleti eingeladen. Als die Bayerische Vertreung in Berlin eröffnet wurde, musste alles, was irgendwie international war, hoch und darüber berichten. Geld, Aufwand, Logis, alles kein Problem, solange die Welt nur davon erfuhr. Nie waren die Stimmen geschmeidiger in einem Amt, das sonst bundesweit eher für raue Töne bekannt ist.
Wir hatten ein Hotel im Westen der Stadt, Nähe Ernst-Reuter-Platz, das ich erst fünf Jahre später, in einem ganz anderen Leben, einer anderen politischen Mission wiedersehen sollte. Das Besuchsprogramm war angesichts des miesen Wetters wenig ausgeprägt. Meistens sassen wir in der Lobby auf den goldenen Metallstühlen und probierten aus, wie sich bayerischer Alkoholismus mit den hiesigen Getränken vertrug. Es machte nicht wirklich einen guten Eindruck, als ein Tontechniker eines grossen öffentlich-rechtlichen Senders aus dem Süden um zwei Uhr Nachmittags vom Stuhl kippte, während sein Kollege erzählte, wie sie noch unter Strauss vom Airbus-Konsortium gespudert wurden, dagegen sei das hier in Berlin der reinste Klosterkreuzgang an Anstand.
Am Abend dann fanden wir uns im Keller der Bayerischen Vertretung wieder. Man ist in Bayern durch die Staatskanzlei gewissermassen zirbeholzlstubenabgehärtet, wenn man keine Kreuze erträgt, geht man in den Amtsstuben schnell ein, und die einzigen CSUler, die man damals schon straffrei treten durfte, gehörten dem Kreisverband München an. In der Provinz wird der Reporter aus München auf seine Mannsbildhaftigkeit geprüft, indem man ihn quasi als Privatbesitz vorn auf die Empore setzt, wenn ein rechtsradikaler Lokalpolitiker Dinge sagt, die vor 45 niemanden besonders aufgeregt hätten. Kurz, man ist als Bayerischer Hofreporter einerseits hart im Nehmen und weich, wenn es um Kritik geht. Niemand aus den Lokal- und Landesredaktionen würde es wagen ... aber dann verfrachtete man uns eben in den Keller.
"Jo pfui Deife is des greislich", entfuhr es einem Mann des quasi perteieigenen Bayerischen Haus- und Hofberichterstattungssenders, was so viel heisst wie: "Pfui Teufel, das Ambiente ist der Gemütlichkeit nicht zuträglich." Im Bierkeller, der in Bayern sonst ein Hort gepflegter Rustikalität ist, hatte man etwas Modernes versucht. Man hatte Neonröhren an die Decke gesetzt, und davor Plastikplatten, die mit dem Bild einer Kastanienbaumkrone von unten bedruckt waren. Wer immer dafür verantwortlich war, wollte wohl den Eindruck eines Bayerischen Biergartens erwecken. Für uns drunter schien es wie eine Gemütlichkeitsdesinfektionsdusche von oben. Das sagten wir auch den Hausherren, die dann zu Stottern anfingen, als wären sie Freifrau v. Kreuchhausen, der man sagte, dass das sündhaft teure, halbantike Designerstück von Jaques 70ies-Antiques aus der Perusa-Passage ein abgewetztes Billy-Regal ist.
Ich vermute, dass dieses unfassbar triste Ambiente dafür verantwortlich ist, wenn sich unsere Bayerischen Beherrscher wie der sonst recht gmütliche Faltlhauser zu Sprüchen für den Landesvater wie "Dann verschwinden die Arbeitslosen, sprudeln die Steuern, dann wird das Bier billiger, und die Frauen werden williger" hinreissen lässt. Da muss ein Bayer doch verkümmern, da unten, zefix in Preussen im Bayerischen Anführerbunker mit seinen Plastikkastanienimitaten an der Decke. Nicht, dass man sowas in Bayern nicht auch hätte denken wollen dürfen, aber sagen haben sie sich das dann doch nicht getraut. Aber hier unten, als entwurzelte bayerisches Urgewächs wie der Faltlhauser - der Mann heisst wirklich so, in Bayern ist das ein respektabler Name, gesprochen Foidlhausa - da muss er doch Sehnsucht empfinden, da hat er natürlich ""ein Anrecht auf die Fähigkeit freiheitsliebender Ukrainerinnen".
"Und drinnen in der grossen Stadt, stehn die Junkies..." - der Schlager hat dann wohl letzte Woche noch gefehlt in der Bayerischen Vertretung.
Wir hatten ein Hotel im Westen der Stadt, Nähe Ernst-Reuter-Platz, das ich erst fünf Jahre später, in einem ganz anderen Leben, einer anderen politischen Mission wiedersehen sollte. Das Besuchsprogramm war angesichts des miesen Wetters wenig ausgeprägt. Meistens sassen wir in der Lobby auf den goldenen Metallstühlen und probierten aus, wie sich bayerischer Alkoholismus mit den hiesigen Getränken vertrug. Es machte nicht wirklich einen guten Eindruck, als ein Tontechniker eines grossen öffentlich-rechtlichen Senders aus dem Süden um zwei Uhr Nachmittags vom Stuhl kippte, während sein Kollege erzählte, wie sie noch unter Strauss vom Airbus-Konsortium gespudert wurden, dagegen sei das hier in Berlin der reinste Klosterkreuzgang an Anstand.
Am Abend dann fanden wir uns im Keller der Bayerischen Vertretung wieder. Man ist in Bayern durch die Staatskanzlei gewissermassen zirbeholzlstubenabgehärtet, wenn man keine Kreuze erträgt, geht man in den Amtsstuben schnell ein, und die einzigen CSUler, die man damals schon straffrei treten durfte, gehörten dem Kreisverband München an. In der Provinz wird der Reporter aus München auf seine Mannsbildhaftigkeit geprüft, indem man ihn quasi als Privatbesitz vorn auf die Empore setzt, wenn ein rechtsradikaler Lokalpolitiker Dinge sagt, die vor 45 niemanden besonders aufgeregt hätten. Kurz, man ist als Bayerischer Hofreporter einerseits hart im Nehmen und weich, wenn es um Kritik geht. Niemand aus den Lokal- und Landesredaktionen würde es wagen ... aber dann verfrachtete man uns eben in den Keller.
"Jo pfui Deife is des greislich", entfuhr es einem Mann des quasi perteieigenen Bayerischen Haus- und Hofberichterstattungssenders, was so viel heisst wie: "Pfui Teufel, das Ambiente ist der Gemütlichkeit nicht zuträglich." Im Bierkeller, der in Bayern sonst ein Hort gepflegter Rustikalität ist, hatte man etwas Modernes versucht. Man hatte Neonröhren an die Decke gesetzt, und davor Plastikplatten, die mit dem Bild einer Kastanienbaumkrone von unten bedruckt waren. Wer immer dafür verantwortlich war, wollte wohl den Eindruck eines Bayerischen Biergartens erwecken. Für uns drunter schien es wie eine Gemütlichkeitsdesinfektionsdusche von oben. Das sagten wir auch den Hausherren, die dann zu Stottern anfingen, als wären sie Freifrau v. Kreuchhausen, der man sagte, dass das sündhaft teure, halbantike Designerstück von Jaques 70ies-Antiques aus der Perusa-Passage ein abgewetztes Billy-Regal ist.
Ich vermute, dass dieses unfassbar triste Ambiente dafür verantwortlich ist, wenn sich unsere Bayerischen Beherrscher wie der sonst recht gmütliche Faltlhauser zu Sprüchen für den Landesvater wie "Dann verschwinden die Arbeitslosen, sprudeln die Steuern, dann wird das Bier billiger, und die Frauen werden williger" hinreissen lässt. Da muss ein Bayer doch verkümmern, da unten, zefix in Preussen im Bayerischen Anführerbunker mit seinen Plastikkastanienimitaten an der Decke. Nicht, dass man sowas in Bayern nicht auch hätte denken wollen dürfen, aber sagen haben sie sich das dann doch nicht getraut. Aber hier unten, als entwurzelte bayerisches Urgewächs wie der Faltlhauser - der Mann heisst wirklich so, in Bayern ist das ein respektabler Name, gesprochen Foidlhausa - da muss er doch Sehnsucht empfinden, da hat er natürlich ""ein Anrecht auf die Fähigkeit freiheitsliebender Ukrainerinnen".
"Und drinnen in der grossen Stadt, stehn die Junkies..." - der Schlager hat dann wohl letzte Woche noch gefehlt in der Bayerischen Vertretung.
donalphons, 23:05h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Donnerstag, 12. Mai 2005
Real Life 12.05.05 - Stupsnase
Du gehst mal wieder hin. Weil es dazu gehört, weil du dich ohnehin noch verabschieden willst, und keine Lust hast, das mit einer Rundmail zu tun, wie so viele, die im letzten Jahr verschwunden sind. Nicht wirklich verschwunden, aber eben den Status gewechselt haben, und wer Freier ist, wird nicht mehr eingeladen. Da muss schon ein Titel auf der Visitenkarte stehen, sonst geht nichts bei diesen Treffen, die manche als exklusiv bezeichnen, um zu beweisen, dass sie dazu gehören. Dass sie nicht lang um Interviews betteln müssen, sondern alle Entscheidungsträger dank dieser kleinen, angeblich feinen Stiftung zwischen Vortrag und Buffet mühelos sprechen können. Zugegeben, es ist praktisch, die Leute eingeflogen zu bekommen, aber das Thema nervt, die angekündigten Vorträge sind konsensorientiert, und so früh am Morgen sind die ohnehin noch schlecht drauf, von was auch immer.
Gleich zu Beginn kommt das, was an so einem Tag wohl unvermeidlich ist: Der Leiter spricht das deutsche City Ranking an, das Berlin auf Platz 48 von 50 sieht, und gibt der Hoffnung Ausdruck, man werde die angeblich so schwache Dynamik an diesem Morgen zu heben wissen. Zwei Stunden später ist man sich einig, dass Reformbedarf besteht, um das Land wieder auf den gebührenden internationalen Spitzenplatz zu bringen, dass deshalb jetzt etwas getan werden muss und die Umsetzung der eigenen Konzepte das bringt, was die der anderen bei allem in diesen noblen Räumen gebotenen Respekt nicht vollbringen werden, wie das der im Dienste der eigenen Seite stehende, unabhängige Experte so klar dargelegt hat. Zwischendrin hat man dir die Peinlichkeit nicht erspart, dich als Quasivertreter dreier ausländischer Gruppen zu dem Thema zu äussern. Du hast die Bundesregierung gelobt, was dir die Höchstrafe eingebracht hat; die Bemerkung, dein Ansatz wäre "unkonventionell".
Aber da sind die wichtigeren Leute schon lange wieder gegangen, es bleiben ihre mediokren Stellvertreter und die Experten, die noch ein wenig debattieren, bevor es an einem Tisch voller unlesbarer Fachpublikationen und gekauften Studien vorbei zum Buffet geht. Du machst deine Runde, schüttelst Hände und erklärst, dass dies dein vorerst letzter Besuch war, und dankst für die anregenden Debatten. Sie nehmen es bedauernd zur Kenntnis, denn du warst in deinen vielen Rollen sehr praktisch für sie; jetzt müssen sie vielleicht drei oder vier andere einladen, um nochmal diese Anhäufung von relevanten Gruppen aus In- und Ausland zu bekommen. Die Pressechefin nimmt die Neuigkeit mit gebührenden Worten auf, und dann ist da nur noch die Volontärin, die dich die ganze Zeit über betreut hat.
Sie hat es bald hinter sich. Sie war hier ein Jahr in Sicherheit, hatte einen Job und seit sechs Monaten, seitdem die Bundesregierung nicht ohne Rachsucht die Fördermittel zusammengestrichen hat, auch die Sicherheit, dass sie nicht übernommen wird. Das hat sie sich so nicht vorgestellt, als sie hier aus dem Westen hergezogen ist, mit ihrem Diplom nach dem Highspeed-Studium und ihren Fellowships. Überhaupt hat sie nicht das bekommen, was sie erwartet hat. Ihr Berlin war nur ein paar Quadratkilometer gross, in etwa so klein wie die letzte deutsch besetzte Zone vor dem entgültigen Zusammenbruch. Ein länglicher Schlauch, beginnend beim Radisson vor dem Alexanderplatz bis zum Regierungsviertel, und dahinter begann die verbotene Zone. Das Berlin, das laut Planung der Stiftung seit gut 5 Jahren überwunden sein sollte, und das mit seinen Baustellen, Investitionsruinen, Leerständen und dreckigen, Strassen aufreissenden Bauarbeitern nicht vorzeigbar ist. Aber zumindest hier drinnen müssen sie vorzeigbar sein, und so geht ein grösserer Teil ihres nicht üppigen Gehalts für Garderobe, Friseur und Maniküre drauf. Sie grenzt sich instinktiv von den Trümmern und der Armut ab, ohne mehr zu sein als eine kleine, austauschbare Funktionseinheit in einer nicht wirklich gut laufenden Institution.
Sie ist, wie sie dir am Telefon mal erzählt hat, Sternzeichen Löwe, und sie trägt auch einen kleinen golden Löwen an einer Kette, mal um den Hals, oder, wenn die Perlenkette angemessen erscheint, um den Arm gewickelt. So wie heute. Botschafter aufwärts ist Perlenkettenzwang, der Löwe baumelt sacht an ihrem viel zu dünnen Handgelenk, als du sie begrüsst.

Als du vor ein paar Tagen einkaufen warst, hast du ein Netsuke gefunden; eine muskulöse, kräftige Berglöwin, die aufmerksam, angespannt lauert und auch eine hübsche, zarte Stupsnase wie sie hat. Und leicht, dezent lächelt, wie das hier in diesen Räumen üblich ist. Du hast es gekauft, und wartest auf den richtigen Zeitpunkt. Die Masse der Leute ist längst am Buffet und versucht, die Schnittchen halbwegs ohne Kleckern an zu kleinen, aber immerhin eleganten Marmortischen zu essen. Am Rand des Raums fällt es nicht auf, dass sie dir von ihren Bewerbungen erzählt, die wenig Resonanz erzeugen, von ihrer Bereitschaft, alles und überall zu tun, und von der bedauerlichen Tatsache, dass auch ihre hier entwickelten Netzwerke nichts gebracht haben. Alle, sagt sie, ziehen aus Berlin die Ressourcen ab, nach Brüssel, Köln, Frankfurt, London, München und Paris - aber wem erzählt sie das. Mit jedem, der geht, rückt die kaputte, verseuchte Stadt einen Menschen näher an diese reinliche, gepflegte Welt heran und beschneidet ihre Spielräume. In den nächsten Tagen macht eine Freundin in der französischen Botschaft ihre Abschiedsparty, da werdet ihr beide sein, und danach vorbeilaufen an den sauberen, früh verlassenen Cafes unter den Linden, geschaffen für Erfolgsmenschen, die es hier nicht gibt.
Es ist wie damals, denkst du in dir, wie es dir der amerikanische Bomber-Veteran erzählt hat: They lost, because they simply ran out of Nazis. Diese Hauptstadt verliert, weil die potentiellen Träger ihrer Ideologie und Wünsche verschwinden. Die Realität hinter den Durchhalteparolen, die Cicero und Monopol verbreiten, ist eine Groteske, ein durch Haushaltssperren bedingter Totentanz, der sich seine Bühnen durch Kooperationen mühsam sichert, nur damit dann im Publikum die üblichen wichtigen Personen dieser entwurzelten Bad Godesberger Republik eine Weltstadt vortäuschen. Bald wird auch diese Institution anfangen, ihre Reihen hinter den Kulissen mit kostenlosen Praktikanten aus Mitte zu füllen, und dann steht hier eben kein dunkelblondes, lupenreines Mädchen aus besserem Hause mehr, das ohnehin nichts zu tun hat, ausser einem anderen ihr Leid zu klagen.
Langsam ist das Buffet weggefressen, die Experten verschwinden in Richtung der wartenden Taxis, und es wird auch für dich Zeit zu gehen: schliesslich ist dein und ihr Verhalten, wenn es auffallen sollte, höchst unkonventionell. Sie sagt, sie weiss nich nicht sicher, ob sie zu Adeles Abschiedsparty kommt, da ist auch noch ein Termin in der American Academy, wo sie hin müsste, insofern... ist das vielleicht schon der Abschied. Du sagst überdeutlich, um Floskeln auszuschliessen, dass sie jederzeit in München oder der Provinz willkommen ist, ausserdem, in München geht es ja wieder aufwärts, Platz 1 des Städterankings, sie soll sich das mal überlegen, und gibst ihr das Netsuke. Am Zucken ihrer kleinen Stupsnase erkennst du, dass sie sich wirklich freut.
Draussen, unter den zugigen Linden, ist es bitterkalt.
Gleich zu Beginn kommt das, was an so einem Tag wohl unvermeidlich ist: Der Leiter spricht das deutsche City Ranking an, das Berlin auf Platz 48 von 50 sieht, und gibt der Hoffnung Ausdruck, man werde die angeblich so schwache Dynamik an diesem Morgen zu heben wissen. Zwei Stunden später ist man sich einig, dass Reformbedarf besteht, um das Land wieder auf den gebührenden internationalen Spitzenplatz zu bringen, dass deshalb jetzt etwas getan werden muss und die Umsetzung der eigenen Konzepte das bringt, was die der anderen bei allem in diesen noblen Räumen gebotenen Respekt nicht vollbringen werden, wie das der im Dienste der eigenen Seite stehende, unabhängige Experte so klar dargelegt hat. Zwischendrin hat man dir die Peinlichkeit nicht erspart, dich als Quasivertreter dreier ausländischer Gruppen zu dem Thema zu äussern. Du hast die Bundesregierung gelobt, was dir die Höchstrafe eingebracht hat; die Bemerkung, dein Ansatz wäre "unkonventionell".
Aber da sind die wichtigeren Leute schon lange wieder gegangen, es bleiben ihre mediokren Stellvertreter und die Experten, die noch ein wenig debattieren, bevor es an einem Tisch voller unlesbarer Fachpublikationen und gekauften Studien vorbei zum Buffet geht. Du machst deine Runde, schüttelst Hände und erklärst, dass dies dein vorerst letzter Besuch war, und dankst für die anregenden Debatten. Sie nehmen es bedauernd zur Kenntnis, denn du warst in deinen vielen Rollen sehr praktisch für sie; jetzt müssen sie vielleicht drei oder vier andere einladen, um nochmal diese Anhäufung von relevanten Gruppen aus In- und Ausland zu bekommen. Die Pressechefin nimmt die Neuigkeit mit gebührenden Worten auf, und dann ist da nur noch die Volontärin, die dich die ganze Zeit über betreut hat.
Sie hat es bald hinter sich. Sie war hier ein Jahr in Sicherheit, hatte einen Job und seit sechs Monaten, seitdem die Bundesregierung nicht ohne Rachsucht die Fördermittel zusammengestrichen hat, auch die Sicherheit, dass sie nicht übernommen wird. Das hat sie sich so nicht vorgestellt, als sie hier aus dem Westen hergezogen ist, mit ihrem Diplom nach dem Highspeed-Studium und ihren Fellowships. Überhaupt hat sie nicht das bekommen, was sie erwartet hat. Ihr Berlin war nur ein paar Quadratkilometer gross, in etwa so klein wie die letzte deutsch besetzte Zone vor dem entgültigen Zusammenbruch. Ein länglicher Schlauch, beginnend beim Radisson vor dem Alexanderplatz bis zum Regierungsviertel, und dahinter begann die verbotene Zone. Das Berlin, das laut Planung der Stiftung seit gut 5 Jahren überwunden sein sollte, und das mit seinen Baustellen, Investitionsruinen, Leerständen und dreckigen, Strassen aufreissenden Bauarbeitern nicht vorzeigbar ist. Aber zumindest hier drinnen müssen sie vorzeigbar sein, und so geht ein grösserer Teil ihres nicht üppigen Gehalts für Garderobe, Friseur und Maniküre drauf. Sie grenzt sich instinktiv von den Trümmern und der Armut ab, ohne mehr zu sein als eine kleine, austauschbare Funktionseinheit in einer nicht wirklich gut laufenden Institution.
Sie ist, wie sie dir am Telefon mal erzählt hat, Sternzeichen Löwe, und sie trägt auch einen kleinen golden Löwen an einer Kette, mal um den Hals, oder, wenn die Perlenkette angemessen erscheint, um den Arm gewickelt. So wie heute. Botschafter aufwärts ist Perlenkettenzwang, der Löwe baumelt sacht an ihrem viel zu dünnen Handgelenk, als du sie begrüsst.

Als du vor ein paar Tagen einkaufen warst, hast du ein Netsuke gefunden; eine muskulöse, kräftige Berglöwin, die aufmerksam, angespannt lauert und auch eine hübsche, zarte Stupsnase wie sie hat. Und leicht, dezent lächelt, wie das hier in diesen Räumen üblich ist. Du hast es gekauft, und wartest auf den richtigen Zeitpunkt. Die Masse der Leute ist längst am Buffet und versucht, die Schnittchen halbwegs ohne Kleckern an zu kleinen, aber immerhin eleganten Marmortischen zu essen. Am Rand des Raums fällt es nicht auf, dass sie dir von ihren Bewerbungen erzählt, die wenig Resonanz erzeugen, von ihrer Bereitschaft, alles und überall zu tun, und von der bedauerlichen Tatsache, dass auch ihre hier entwickelten Netzwerke nichts gebracht haben. Alle, sagt sie, ziehen aus Berlin die Ressourcen ab, nach Brüssel, Köln, Frankfurt, London, München und Paris - aber wem erzählt sie das. Mit jedem, der geht, rückt die kaputte, verseuchte Stadt einen Menschen näher an diese reinliche, gepflegte Welt heran und beschneidet ihre Spielräume. In den nächsten Tagen macht eine Freundin in der französischen Botschaft ihre Abschiedsparty, da werdet ihr beide sein, und danach vorbeilaufen an den sauberen, früh verlassenen Cafes unter den Linden, geschaffen für Erfolgsmenschen, die es hier nicht gibt.
Es ist wie damals, denkst du in dir, wie es dir der amerikanische Bomber-Veteran erzählt hat: They lost, because they simply ran out of Nazis. Diese Hauptstadt verliert, weil die potentiellen Träger ihrer Ideologie und Wünsche verschwinden. Die Realität hinter den Durchhalteparolen, die Cicero und Monopol verbreiten, ist eine Groteske, ein durch Haushaltssperren bedingter Totentanz, der sich seine Bühnen durch Kooperationen mühsam sichert, nur damit dann im Publikum die üblichen wichtigen Personen dieser entwurzelten Bad Godesberger Republik eine Weltstadt vortäuschen. Bald wird auch diese Institution anfangen, ihre Reihen hinter den Kulissen mit kostenlosen Praktikanten aus Mitte zu füllen, und dann steht hier eben kein dunkelblondes, lupenreines Mädchen aus besserem Hause mehr, das ohnehin nichts zu tun hat, ausser einem anderen ihr Leid zu klagen.
Langsam ist das Buffet weggefressen, die Experten verschwinden in Richtung der wartenden Taxis, und es wird auch für dich Zeit zu gehen: schliesslich ist dein und ihr Verhalten, wenn es auffallen sollte, höchst unkonventionell. Sie sagt, sie weiss nich nicht sicher, ob sie zu Adeles Abschiedsparty kommt, da ist auch noch ein Termin in der American Academy, wo sie hin müsste, insofern... ist das vielleicht schon der Abschied. Du sagst überdeutlich, um Floskeln auszuschliessen, dass sie jederzeit in München oder der Provinz willkommen ist, ausserdem, in München geht es ja wieder aufwärts, Platz 1 des Städterankings, sie soll sich das mal überlegen, und gibst ihr das Netsuke. Am Zucken ihrer kleinen Stupsnase erkennst du, dass sie sich wirklich freut.
Draussen, unter den zugigen Linden, ist es bitterkalt.
donalphons, 16:34h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Montag, 9. Mai 2005
Real Life 08.05.05 - Leiden eines Contract Shoppers
"Ja, also, der Spiegel der würde mir schon gefallen, also wenn er echt ist, können Sie den bitte im Auge behalten? Das wäre sehr nett. Ich müsste dann nur den venezianischen Spiegel ins Dining Room tun... was? Empire und Roccoco passen nichtzusammen? Äh, ach so, Sie meinen die Kommode, die ist Empire? Ja, dass es ein Stilmöbel ist, weiss ich auch, trotzdem könnte das... Sie meinen nicht. Na dann such ich eben einen anderen Platz.Über dem Acryltisch - ach ne, den wollte ich ja noch oben räumen, oder die Vreni bekommt den...

Ach so, und ja, dieses silberne Teeservice aus Hong Kong. Also, das habe ich mir nochmal überlegt. Natürlich brauche ich das nicht, mir fehlt ja auch die Zeit das zu benutzen, und ich trinke ja eher Kaffee und wenn Tee, dann nur Beutel, weil für Teezeremonien nie Zeit ist, aber das kennen Sie ja auch, nicht wahr Herr Porcamadonna, egal, jedenfalls wegen der Form könnte man das so schön aufstellen, so prunkig wie das ist, da passt es auch unter den Spiegel auf die Konsole, und ich will das schon haben, also ganz im Gegensatz zu den englischen Sachen so um 1900 weil die finde ich eher spiessig. Sie nicht? Nein? Ja, klar, wenn Sie sich gerade eine Kanne mit Füsschen gekauft haben, die können auch nett sein... Also, das könnten sie mir mitbringen, weil der Karl, mein Mann, nicht wahr, der braucht noch was zum Muttertag für mich nachträglich..."

Ach so, und ja, dieses silberne Teeservice aus Hong Kong. Also, das habe ich mir nochmal überlegt. Natürlich brauche ich das nicht, mir fehlt ja auch die Zeit das zu benutzen, und ich trinke ja eher Kaffee und wenn Tee, dann nur Beutel, weil für Teezeremonien nie Zeit ist, aber das kennen Sie ja auch, nicht wahr Herr Porcamadonna, egal, jedenfalls wegen der Form könnte man das so schön aufstellen, so prunkig wie das ist, da passt es auch unter den Spiegel auf die Konsole, und ich will das schon haben, also ganz im Gegensatz zu den englischen Sachen so um 1900 weil die finde ich eher spiessig. Sie nicht? Nein? Ja, klar, wenn Sie sich gerade eine Kanne mit Füsschen gekauft haben, die können auch nett sein... Also, das könnten sie mir mitbringen, weil der Karl, mein Mann, nicht wahr, der braucht noch was zum Muttertag für mich nachträglich..."
donalphons, 19:45h
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Dienstag, 3. Mai 2005
Real Life 02.05.2005 - Grosses Rokkokotheater
Im Original hat dieses Bild eine grenzenlose Auflösung. Im Original kommen viele Vogelstimmen dazu, und nur manchmal das dröge Geschnatter einer Elitesse. Im Original ist das ein exklusiver Blick in splendid isolation, es gibt ihn nur hier und für mich allein. Es ist, wie so oft in Bayern, fast schon italienisch, und weil es so hoch droben ist, weht immer eine angenehme Brise. Es ist nie zu heiss, wenngleich hier oben Feigen reif werden.

Manchmal sitze ich hier auf der Dachterasse ein, zwei Stunden, kaue an einem Schnittlauchhalm, und frage mich, warum ich gegangen bin. Es gab keine Notwendigkeit, der in der Munich Area zu werden, aus dem dann später Don Alphonso entstand. Es gab keinen Zwang, nach Berlin zu gehen. Natürlich ist das Leben hier langweilig, aber sage bitte keiner, dass es spannend ist, sich im 103 oder im Tresznjewski Gerede über nie vollendete Romane oder Businesspläne anzuhören. Location Based Stories sind sowieso dumm, was fehlt sind Geschichten über das Unterwegs mit Zielen, die sich auflösen, desto näher man ihnen kommt.
Das Essen hier ist exzellent, die Menschen sind freundlich, an Frauen herrschte, falls nötig, kein Mangel, schliesslich rollt bei alten Freundinnen die grosse Scheidungswelle. Wenn es doch einmal zu langweilig wird, liegt München keine Stunde von hier entfernt. In der Nacht ist es unfassbar ruhig, und wenn ich nach oben schaue, sehe ich unendlich viele Sterne. Am nächsten Morgen wecken mich die Tauben im barocken Kamin neben meinem Fenster. Es ist buchstäblich mein Fenster, es gehört mir. Es ist mein Haus, mein Blick, mein alltäglicher Urlaub, ein, zwei, drei Tage ohne Netz sind kein Problem.
Ich habe heute die Wohnung in Berlin gekündigt.

Manchmal sitze ich hier auf der Dachterasse ein, zwei Stunden, kaue an einem Schnittlauchhalm, und frage mich, warum ich gegangen bin. Es gab keine Notwendigkeit, der in der Munich Area zu werden, aus dem dann später Don Alphonso entstand. Es gab keinen Zwang, nach Berlin zu gehen. Natürlich ist das Leben hier langweilig, aber sage bitte keiner, dass es spannend ist, sich im 103 oder im Tresznjewski Gerede über nie vollendete Romane oder Businesspläne anzuhören. Location Based Stories sind sowieso dumm, was fehlt sind Geschichten über das Unterwegs mit Zielen, die sich auflösen, desto näher man ihnen kommt.
Das Essen hier ist exzellent, die Menschen sind freundlich, an Frauen herrschte, falls nötig, kein Mangel, schliesslich rollt bei alten Freundinnen die grosse Scheidungswelle. Wenn es doch einmal zu langweilig wird, liegt München keine Stunde von hier entfernt. In der Nacht ist es unfassbar ruhig, und wenn ich nach oben schaue, sehe ich unendlich viele Sterne. Am nächsten Morgen wecken mich die Tauben im barocken Kamin neben meinem Fenster. Es ist buchstäblich mein Fenster, es gehört mir. Es ist mein Haus, mein Blick, mein alltäglicher Urlaub, ein, zwei, drei Tage ohne Netz sind kein Problem.
Ich habe heute die Wohnung in Berlin gekündigt.
donalphons, 03:45h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Donnerstag, 28. April 2005
Real Life 27.04.2005 - in Herrn Miris Reich
So ganz hast du die Microökonomie des Kellers noch nicht verstanden. Von Aussen sieht es nach absolut nichts aus, kaum jemand, der es nicht kennt, verirrt sich hierher. Über eine enge Treppe geht es in ein schlecht beleuchtetes Souterrain. Mit dem, was hier unten steht, könnte man fünf Antiquitätenläden in bester Lage Münchens füllen. Wer das wohl alles kauft? Aber Woche für Woche verschwindet ein dir bekanntes Stück, und ein neues taucht auf. Es gibt nicht viele Käufer - aber wer kommt, sagt her Miri, nimmt immer etwas mit.
Du bist wegen deiner kleinen Schwester da, die ein Jahr lang eine Silbermenage wollte und sich jetzt endlich dazu durchgerungen hat, sie zu kaufen. Wie sich herrausstellt, bist du auch dazu da, später auch noch ein paar Biedermeier-Brotschalen zum Auto zu schleppen, Spiegel zu prüfen, in Uhrwerke zu schauen. Man kämpft sich Millimeter für Millimeter an den Vitrienen vorbei, die auch schon ein Vermögen kosten würden, wenn sie hier nicht banale Lagermöglichkeiten für weitere Schätze, klein und kostbar, wären.
Für jedes Teil, das sie nimmt, entdeckt sie drei andere, die sie haben will. Es ist viel, sehr viel. Du stehst daneben und unterdrückst ein Lachen - seit ein paar Stunden solltest du mit ihr beim Essen sitzen, aber Herr Miri lässt sich Zeit, erklärt, berät, und bietet Package Prices, die die Standhaftigkeit deiner kleinen Schwester so hart wie Marzipan werden lässt. Es wird mehr als vorgesehen. Du nimmst nichts, gibst nur Ratschläge, suchst nach Silberstempeln und Meistermarken. Und wenn sie lange feilschen, ziehst Du die Gemälde aus dem Stapel, findest eine Szene aus Sorrent, Mitte 18., aber auch Herr Miri weiss das, also ... vielleicht, wenn du aus Berlin gehst. Zum Abschied.

Zum Schluss zeigt er deiner Schwester noch ein Brilliantenkollier. Nicht so ein winziges mit einem Halbkaräter, sondern eines, das man im ersten Moment für Strass halten würde, denn das kann sich in echt kaum jemand leisten. Konnte es in diesem Fall wohl auch nicht. Herr Miri steckt den dazugehörigen Ring an seinen kleinen Finger, dreht ihn, erfreut sich am Glanz. Er weiss, dass es lang dauern wird, bis die richtige Kundin den Weg die enge Treppe herunter kommt. Zeit spielt für ihn keine allzu grosse Rolle, wie auch für seine Schätze.
Und wenn es dann weg ist, holt er etwas Neues. Es gibt genug gehobenes Bürgertum zum Auflösen. Er macht aber auch Schlösser - dafür hat er jetzt ein neues Lager. Er wird dir es mal zeigen, aber ihr sucht schon seit längerem einen Termin, und du hast den Verdacht, dass er gar nicht unbedingt verkaufen will, sondern sammeln und bewahren, was an verstreuten Trümmern von dem blieb, was man früher als die bessere Gesellschaft bezeichnete.
Zwischen all dem Prunk stehen auch ein paar Globen. Auf einem, aus den späten 20er Jahren, den du ganz zum Schluss entdeckst, sind noch alle damals ca. 100 Flugplätze der Welt mit kleinen Doppeldecker-Symbolen verzeichnet. Besonders abgegriffen sind die Regionen um Usedom, Biarritz und Ligurien. Da hatte jemand noch Träume, bevor alles Mitte des letzten Jahrhunderts unterging. Wer weiss, ob der Besitzer nicht auf den Kaukasus, Rumänien, Griechenland oder Nordafrika verreisen musste, und vielleicht in den Ardennen, Tunis oder im warmen, unendlich blauen Wasser vor Malta blieb.
Der Preis ist zu hoch, noch, aber nächste Woche wirst du auf einen Tee bei Herrn Miri vorbeischauen, mit ihm draussen auf der Bergmannstrasse sitzen, und noch mal ordentlich über den Preis reden. Wenn er ihn überhaupt her geben will.
Du bist wegen deiner kleinen Schwester da, die ein Jahr lang eine Silbermenage wollte und sich jetzt endlich dazu durchgerungen hat, sie zu kaufen. Wie sich herrausstellt, bist du auch dazu da, später auch noch ein paar Biedermeier-Brotschalen zum Auto zu schleppen, Spiegel zu prüfen, in Uhrwerke zu schauen. Man kämpft sich Millimeter für Millimeter an den Vitrienen vorbei, die auch schon ein Vermögen kosten würden, wenn sie hier nicht banale Lagermöglichkeiten für weitere Schätze, klein und kostbar, wären.
Für jedes Teil, das sie nimmt, entdeckt sie drei andere, die sie haben will. Es ist viel, sehr viel. Du stehst daneben und unterdrückst ein Lachen - seit ein paar Stunden solltest du mit ihr beim Essen sitzen, aber Herr Miri lässt sich Zeit, erklärt, berät, und bietet Package Prices, die die Standhaftigkeit deiner kleinen Schwester so hart wie Marzipan werden lässt. Es wird mehr als vorgesehen. Du nimmst nichts, gibst nur Ratschläge, suchst nach Silberstempeln und Meistermarken. Und wenn sie lange feilschen, ziehst Du die Gemälde aus dem Stapel, findest eine Szene aus Sorrent, Mitte 18., aber auch Herr Miri weiss das, also ... vielleicht, wenn du aus Berlin gehst. Zum Abschied.

Zum Schluss zeigt er deiner Schwester noch ein Brilliantenkollier. Nicht so ein winziges mit einem Halbkaräter, sondern eines, das man im ersten Moment für Strass halten würde, denn das kann sich in echt kaum jemand leisten. Konnte es in diesem Fall wohl auch nicht. Herr Miri steckt den dazugehörigen Ring an seinen kleinen Finger, dreht ihn, erfreut sich am Glanz. Er weiss, dass es lang dauern wird, bis die richtige Kundin den Weg die enge Treppe herunter kommt. Zeit spielt für ihn keine allzu grosse Rolle, wie auch für seine Schätze.
Und wenn es dann weg ist, holt er etwas Neues. Es gibt genug gehobenes Bürgertum zum Auflösen. Er macht aber auch Schlösser - dafür hat er jetzt ein neues Lager. Er wird dir es mal zeigen, aber ihr sucht schon seit längerem einen Termin, und du hast den Verdacht, dass er gar nicht unbedingt verkaufen will, sondern sammeln und bewahren, was an verstreuten Trümmern von dem blieb, was man früher als die bessere Gesellschaft bezeichnete.
Zwischen all dem Prunk stehen auch ein paar Globen. Auf einem, aus den späten 20er Jahren, den du ganz zum Schluss entdeckst, sind noch alle damals ca. 100 Flugplätze der Welt mit kleinen Doppeldecker-Symbolen verzeichnet. Besonders abgegriffen sind die Regionen um Usedom, Biarritz und Ligurien. Da hatte jemand noch Träume, bevor alles Mitte des letzten Jahrhunderts unterging. Wer weiss, ob der Besitzer nicht auf den Kaukasus, Rumänien, Griechenland oder Nordafrika verreisen musste, und vielleicht in den Ardennen, Tunis oder im warmen, unendlich blauen Wasser vor Malta blieb.
Der Preis ist zu hoch, noch, aber nächste Woche wirst du auf einen Tee bei Herrn Miri vorbeischauen, mit ihm draussen auf der Bergmannstrasse sitzen, und noch mal ordentlich über den Preis reden. Wenn er ihn überhaupt her geben will.
donalphons, 13:50h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Mittwoch, 27. April 2005
Real Life 26.04.2005 - Braun nach sechs
Sie ist noch lange nicht fertig, die braucht noch Zeit für die Auswahl der Kleider und schmückenden Beiwerke, mit denen sie im Nachtleben des Reichshauptslums overdressed sein will. Und das, obwohl sie die zwei Leisure Hours hatte, die du damit zugebracht hast, ihre Einkäufe zu verpacken und transportfertig für die grosse Reise nach München zu machen, wo sie bald den Überfluss ihrer schlossartigen Wohnung vergrössern sollen. Herr Miri wird den heutigen Tag in ehrender Erinnerung behalten, obwohl sein Silberschrank jetzt nicht mehr so üppig aussieht. Du selbst siehst auch nicht mehr wirklich üppig aus, immer noch in der Tageskleidung, helles, leichtes, knittriges Braun wegen des schönen Wetters, und während du im Aufzug ins Foyer hinunter fährst, siehst du dich in der Glasscheibe. Was du da siehst, ist unrasiert, etwas zerdrückt und nicht wirklich elegant. Dein Blick fällt nach unten in die Bar, und du bemerkst, dass sich die anderen an die Regeln halten: Nie in Braun nach sechs Uhr.

In Grossbritannien ist der Einschnitt des rituellen Tees am Nachmittags auch ein Hinweis, dass es für die Herren an der Zeit ist, sich des braunen Tagesanzugs, vielleicht sogar noch des Pepitas mit den Ellbogenschonern aus Samt zu entledigen, und sich in die früher meist kategorisch schwarze Abendkleidung zu begeben. Im heutigen Berlin hast du zur Teetunde einen üppigen venezianischen Spiegel durch die Bergmannstrasse geschleppt, nicht besser, aber um so eifriger vom ärmlichen Publikum begafft, als der Lakai, der den selben Spiegel um 1840 herum durch Venedig getragen haben dürfte. Es gab für schlichtweg keine Zeit für frische Kleidung, ausser einer kurzen Dusche und einem frischen Hemd, das als Relikt deiner Herkunft und sauber gefaltet mit den anderen in dieser Stadt unpassenden Hemden auf einem Stapel hofft, dass sein Besitzer auch weiterhin dem praktisch-hässlichen T-Shirt widersteht.
Du trägst also leicht zerdrücktes Braun, als du dich an die Bar setzt, umgeben von Dunkelblau, Dunkelgrau und Schwarz. Das Hotel ist voll mit Pauscheltouristen, die die Auslastungskatastrophe verhindern sollen, aber die sind nicht hier - zu teuer für einen kurzen Moment in dieser ungemütlichen Durchgangssituation. Was bleibt, sind die üblichen Spesenritter aus Deutschland; den Gesprächen zufolge viel Mobilfunk, IT und Dienstleistung. Du bist farblich und beruflich der Paradiesvogel unter ihnen, aber niemand stört sich daran, am wenigsten der Barmann, der dir den Drink ohne Verzögerung hinstellt. Viel ist nicht los; die meisten halten sich an halbleeren Gläsern fest, stehen in Grüppchen zusammen und unterhalten sich mit vorsichtigem Pessimismus. Sie haben es wieder geschafft, ihrer Firma die Unterbringung in diesem Hotel aufzuschwatzen, das zu den besten am Ort gehört und dennoch für Münchner Verhältnisse nur Mittelklasse ist. Glücklich sind sie deshalb nicht. Liegt vielleicht an dem akustischen Esoterikgeblubber in den langen, kalten Gängen, oder auch an der seltsam stickigen Luft. Der Drink ist nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut.
Du telefonierst zweimal mit ihr; das erste Mal hat sie schon die Dusche verlassen, und dann wählt sie schon die Schuhe aus, ahhhh, jetzt hat sie sich die Strümpfe zerrissen, das kommt, weil du sie so hetzt. Gerold, der in der Provinz ein paar Strassen weiter lebte, hatte eine ähnliche Schwester. Er wird heute von seinem Clan alkoholkrank von einer Suchtklinik in die nächste geschickt, immer unterbrochen von ein paar Monaten Pause, bis es wieder los geht. Vielleicht sass er auch zu oft an irgendwelchen Bars und hat auf seine Schwester gewartet. Vielleicht wurde aus ihm aber auch nur so ein Freak wie die Typen, die plötzlich in Dunkelgrau und Dunkelblau neben dir auftauschen und Becks bestellen, aus der Flasche, passt schon, nein, keine Gläser. Ohne sichtbare Rührung reicht ihnen der Barmann das Gewünschte. In den nächsten Minuten werden sie locker, der Daumen rutscht von der Tasche in den Hosenbund und bleibt auch schon mal dort, wenn ein anderer mit Handschlag begrüsst wird. Die Aufzüge spucken mehr und mehr dunkle Clons aus, alles Männer, allein in der Stadt, mit Hotelzimmern, in die man schlecht jemand mitnehmen kann, und so rotten sie sich zusammen, werden laut und trinken aus den Flaschen. Ziemlich viel. Du kannst dich nicht so auf die müden Fische über dir im Aquarium konzentrieren, dass du nicht Worte wie Open BC und networken verstehst. Es ist für sie gut, wie es ist. Sie sind unter ich, sie müssen nicht raus auf die Strasse, wo sie in die Hundehaufen treten könnten und die Firma nicht mehr für die Drinks und die "Weiber" - so einer knapp neben mir - bezahlt.
Sie bereden gerade, ob sie nicht besser in das Lokal nebenan gehen, dessen Name die Herkunft des gesamten Komplexes aus der Blütezeit der New Economy beweist. Dann öffnet sich die Aufzugtür, und sie kommt endlich heraus. Du bezahlst und sagst zu ihr: Das waren jetzt aber keine zwanzig Minuten.
Nein, höchstens eine Viertel Stunde, sagt sie, und schaut angeekelt zum lauten Haufen in dunklen Farben, der nach einer Stunde mit Becks aus der Flasche noch weniger akzeptabel ist, als Braun nach Sechs.

In Grossbritannien ist der Einschnitt des rituellen Tees am Nachmittags auch ein Hinweis, dass es für die Herren an der Zeit ist, sich des braunen Tagesanzugs, vielleicht sogar noch des Pepitas mit den Ellbogenschonern aus Samt zu entledigen, und sich in die früher meist kategorisch schwarze Abendkleidung zu begeben. Im heutigen Berlin hast du zur Teetunde einen üppigen venezianischen Spiegel durch die Bergmannstrasse geschleppt, nicht besser, aber um so eifriger vom ärmlichen Publikum begafft, als der Lakai, der den selben Spiegel um 1840 herum durch Venedig getragen haben dürfte. Es gab für schlichtweg keine Zeit für frische Kleidung, ausser einer kurzen Dusche und einem frischen Hemd, das als Relikt deiner Herkunft und sauber gefaltet mit den anderen in dieser Stadt unpassenden Hemden auf einem Stapel hofft, dass sein Besitzer auch weiterhin dem praktisch-hässlichen T-Shirt widersteht.
Du trägst also leicht zerdrücktes Braun, als du dich an die Bar setzt, umgeben von Dunkelblau, Dunkelgrau und Schwarz. Das Hotel ist voll mit Pauscheltouristen, die die Auslastungskatastrophe verhindern sollen, aber die sind nicht hier - zu teuer für einen kurzen Moment in dieser ungemütlichen Durchgangssituation. Was bleibt, sind die üblichen Spesenritter aus Deutschland; den Gesprächen zufolge viel Mobilfunk, IT und Dienstleistung. Du bist farblich und beruflich der Paradiesvogel unter ihnen, aber niemand stört sich daran, am wenigsten der Barmann, der dir den Drink ohne Verzögerung hinstellt. Viel ist nicht los; die meisten halten sich an halbleeren Gläsern fest, stehen in Grüppchen zusammen und unterhalten sich mit vorsichtigem Pessimismus. Sie haben es wieder geschafft, ihrer Firma die Unterbringung in diesem Hotel aufzuschwatzen, das zu den besten am Ort gehört und dennoch für Münchner Verhältnisse nur Mittelklasse ist. Glücklich sind sie deshalb nicht. Liegt vielleicht an dem akustischen Esoterikgeblubber in den langen, kalten Gängen, oder auch an der seltsam stickigen Luft. Der Drink ist nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut.
Du telefonierst zweimal mit ihr; das erste Mal hat sie schon die Dusche verlassen, und dann wählt sie schon die Schuhe aus, ahhhh, jetzt hat sie sich die Strümpfe zerrissen, das kommt, weil du sie so hetzt. Gerold, der in der Provinz ein paar Strassen weiter lebte, hatte eine ähnliche Schwester. Er wird heute von seinem Clan alkoholkrank von einer Suchtklinik in die nächste geschickt, immer unterbrochen von ein paar Monaten Pause, bis es wieder los geht. Vielleicht sass er auch zu oft an irgendwelchen Bars und hat auf seine Schwester gewartet. Vielleicht wurde aus ihm aber auch nur so ein Freak wie die Typen, die plötzlich in Dunkelgrau und Dunkelblau neben dir auftauschen und Becks bestellen, aus der Flasche, passt schon, nein, keine Gläser. Ohne sichtbare Rührung reicht ihnen der Barmann das Gewünschte. In den nächsten Minuten werden sie locker, der Daumen rutscht von der Tasche in den Hosenbund und bleibt auch schon mal dort, wenn ein anderer mit Handschlag begrüsst wird. Die Aufzüge spucken mehr und mehr dunkle Clons aus, alles Männer, allein in der Stadt, mit Hotelzimmern, in die man schlecht jemand mitnehmen kann, und so rotten sie sich zusammen, werden laut und trinken aus den Flaschen. Ziemlich viel. Du kannst dich nicht so auf die müden Fische über dir im Aquarium konzentrieren, dass du nicht Worte wie Open BC und networken verstehst. Es ist für sie gut, wie es ist. Sie sind unter ich, sie müssen nicht raus auf die Strasse, wo sie in die Hundehaufen treten könnten und die Firma nicht mehr für die Drinks und die "Weiber" - so einer knapp neben mir - bezahlt.
Sie bereden gerade, ob sie nicht besser in das Lokal nebenan gehen, dessen Name die Herkunft des gesamten Komplexes aus der Blütezeit der New Economy beweist. Dann öffnet sich die Aufzugtür, und sie kommt endlich heraus. Du bezahlst und sagst zu ihr: Das waren jetzt aber keine zwanzig Minuten.
Nein, höchstens eine Viertel Stunde, sagt sie, und schaut angeekelt zum lauten Haufen in dunklen Farben, der nach einer Stunde mit Becks aus der Flasche noch weniger akzeptabel ist, als Braun nach Sechs.
donalphons, 13:54h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Samstag, 23. April 2005
Real Life 23.04.2005 - TXL
Du sagst, dass es jetzt nicht mehr lange dauert, bis der Auftrag hier erledigt ist. Dann kommt ein neuer Auftrag, mehr oder weniger in München, je nachdem, wie die Gespräche laufen. Dazwischen bist du kurz in der schwbischen Provinz, um einen Freund aus Amerika, einen Unternehmer und ein paar Schweizer - vielleicht - zu treffen. Dann stehen wieder ein paar Termine in München an.

Sie hat sich an deine Abwesenheit da und deine Anwesenheit hier schon gewöhnt. Eigentlich ist es ganz gut so. Es gibt viel zu tun in Berlin, der Stadt mit den vielen Fonds und Prozessen. Tolle Geschichten; der 11. Senat, der für sie nur der "Bankensenat" heisst, hat eine neue Rechtslage geschaffen. Jetzt gehen die Initiatoren und Banken auf die Gesellschafter los. Aus den Klägern werden Verurteilte. Die Banken könnten auch die Fondwerte kassieren, aber sie holen sich lieber das Privatvermögen. Da fallen einige Handreichungen vor Ort an, und sie will auch nicht dauernd fliegen. Im Prinzip wäre es besser, wenn du hier bleiben würdest.
Da fährst über offenes Land mit Investitionsruinen, und sagst eindeutig Nein. Es ist nicht mehr dein Krieg, ist es eigentlich nie gewesen. Du warst nur dabei, weil du nicht laut genug Nein gesagt hast, aber jetzt tust du es. Was jetzt kommt, ist ein aussergerichtliches Schlachten; der "Bankensenat" hat seinem Namen alle Ehre gemacht, und die Gerichte darunter sind froh, wenn sie dadurch weniger Arbeit haben. Im Gegensatz zu dir. Dabei bist du noch nicht mal einer von denen, du hast keine Versicherung, du agierst als Bravado zwischen den Fronten.
Im Prinzip wäre es gerecht, wenn sich Banken und Gesellschafter treffen und beide ein wenig nachgeben. Werden die Banken aber nicht tun. Sondern klagen. So entstehen aus dem Nichts Mandate, Aufträge, Arbeit, und exorbitante Streitwerte. Es lohnt sich. Sagt sie. Nicht mehr nur Haifischtransporte und ähnliches Kleinzeug. Wieder mitschwimmen. Wie damals.
Du hast heute Nacht zu wenig geschlafen. Wenn du nicht genug schläfst, kommt das "damals" wieder hoch, die Stunden im Flur auf der I, das Warten, die Fahrt nach hause in die Einsamkeit, bei der du dir bei bester Gesundheit die Seele und alle Unschuld aus dem Leib gekotzt hast, die Zeit, als du ganz unten warst, Tage, Wochen, bis du dich hingesetzt hast und es aufgeschrieben hast, bis es dann vorbei war, nur nicht an diesen Tagen mit zu wenig Schlaf. No way, diesmal.

Sie hat sich an deine Abwesenheit da und deine Anwesenheit hier schon gewöhnt. Eigentlich ist es ganz gut so. Es gibt viel zu tun in Berlin, der Stadt mit den vielen Fonds und Prozessen. Tolle Geschichten; der 11. Senat, der für sie nur der "Bankensenat" heisst, hat eine neue Rechtslage geschaffen. Jetzt gehen die Initiatoren und Banken auf die Gesellschafter los. Aus den Klägern werden Verurteilte. Die Banken könnten auch die Fondwerte kassieren, aber sie holen sich lieber das Privatvermögen. Da fallen einige Handreichungen vor Ort an, und sie will auch nicht dauernd fliegen. Im Prinzip wäre es besser, wenn du hier bleiben würdest.
Da fährst über offenes Land mit Investitionsruinen, und sagst eindeutig Nein. Es ist nicht mehr dein Krieg, ist es eigentlich nie gewesen. Du warst nur dabei, weil du nicht laut genug Nein gesagt hast, aber jetzt tust du es. Was jetzt kommt, ist ein aussergerichtliches Schlachten; der "Bankensenat" hat seinem Namen alle Ehre gemacht, und die Gerichte darunter sind froh, wenn sie dadurch weniger Arbeit haben. Im Gegensatz zu dir. Dabei bist du noch nicht mal einer von denen, du hast keine Versicherung, du agierst als Bravado zwischen den Fronten.
Im Prinzip wäre es gerecht, wenn sich Banken und Gesellschafter treffen und beide ein wenig nachgeben. Werden die Banken aber nicht tun. Sondern klagen. So entstehen aus dem Nichts Mandate, Aufträge, Arbeit, und exorbitante Streitwerte. Es lohnt sich. Sagt sie. Nicht mehr nur Haifischtransporte und ähnliches Kleinzeug. Wieder mitschwimmen. Wie damals.
Du hast heute Nacht zu wenig geschlafen. Wenn du nicht genug schläfst, kommt das "damals" wieder hoch, die Stunden im Flur auf der I, das Warten, die Fahrt nach hause in die Einsamkeit, bei der du dir bei bester Gesundheit die Seele und alle Unschuld aus dem Leib gekotzt hast, die Zeit, als du ganz unten warst, Tage, Wochen, bis du dich hingesetzt hast und es aufgeschrieben hast, bis es dann vorbei war, nur nicht an diesen Tagen mit zu wenig Schlaf. No way, diesmal.
donalphons, 23:05h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Donnerstag, 14. April 2005
Real Life 14.02.2005 - Höflichkeit
In Neukölln, wo man es m wenigsten erwarten würde, gibt es ein hervorragendes Thai-Restaurant mit für Berliner Berhältnisse gehobenem Preisniveau. Nachdem man mit Geschäftskunden schlecht in das Monsieur Voung oder ähnliche Spasslokationen voller Touristen und sich mal was leistender Eingeborenen gehen kann, landet man hier zwangsläufig, wenn man es mit Partnern aus Fernost zu tun hat. Noch dazu, wenn sie zwei Tage zu früh eintreffen, die Bekannten aber noch in München an den letzten Powerpoints frickeln und panisch versuchen, ein ferngesteuertes Abendprogramm für die überpünktlichen Gäste zu organisieren. Bis dann jemandem einfällt, dass der Don doch in Berlin ist, den kann man fragen.

Sie sind zu dritt, zwei Entscheidungsträger und eine Übersetzerin. Die Übersetzerin wäre nicht wirklich nötig; was auf Englisch vorliegen soll, wurde bereits übertragen. Die Übersetzerin ist gewissermassen die Bestätigung der ernsten Absichten; man zeigt, dass man vor hat, sich intensiv mit dem Projekt auseinander zu setzen, und nicht nur auf Firmenkosten einen Trip in das Land der hässlichen Langnasen macht, die sich sowieso nicht benehmen können. Ich hatte 2000 mal mit einer Delegation aus Thailand zu tun und habe mir beibringen lassen, dass der germanische Handschlag - beide Seiten stellen damit sicher, dass der andere in diesem Moment nicht zum Schwert greift, soviel zum Thema europäische "Zivilisation" - dort nicht üblich ist. Meine Verneigung fällt immerhin so ordentlich aus, dass man mi danach doch zart die Hände zur berührung offeriert.
Die Übersetzerin sitzt den ganzen Abend dabei und sagt fast nichts. Die beiden sagen freundliche Dinge über die Stadt, obwohl uns vor dem Lokal ein nicht ganz atypischer Alki aggresive, auch für mich unverständliche Dinge zugerufen hat, und unten an der Strassenecke ein paar Jugendliche das Schlägern üben. Wahrscheinlich sind die Gäste das gewohnt; wie sie erzählen, waren sie auch schon mal auf Standortsuche in den weniger guten Regionen Chinas unterwegs, in Birma und im Mittelwesten der USA. Morgen wollen sie den Tag nutzen, um bei den Niederlassungen von Bekannten vorbeizuschauen. Ich bin irgendwie ganz froh, dass sie mit dem Rücken zum Fenster sitzen, wo gerade ein Proll seinen Pontiac Firebird abstellt und anfängt, mit der Blondine vom Beifahrersitz zu streiten.
In meiner Heimat wohnte die Strasse runter ein anderer Clan der besseren Gesellschaft, dessen Oberhaupt Stickereimaschinen in den fernen Osten verkaufte. Die Clans verkehrten freundschaftlich miteinander, und das Oberhaupt gab sich alle Mühe, mir als Kind die Faszination des Orients nahe zu bringen. Der Weg dahin führte über den steinigen Weg des Essens mit Stäbchen. Auch, wenn ich es damals gehasst habe, nach all den westlichen Riten wie Arme anlegen, Finger spreizen, Stühle schieben und Frauen den Vortritt lassen, jetzt auch noch die Rituale eines anderen Kulturkreises zu erlernen, war gestern nach fünf tragischen Minuten die Fähigkeit im Umgang mit Stäbchen wieder da. In meinem Innersten widerstreiten die Kulturräume; die hoch aufgerichtete europäische Haltung, die man auf Biedermeierstühlen mangels Flächen zwangsweise erlernt, liefert sich einen Krieg mit der geduckten Haltung, die das Essen mit Stäbchen erfordert. Man berührt in Europa das Geschirr nicht und arrangiert alles mit Messern und Gabeln; bei Stäbchen ist man gezwungen, diese Haltung abzulegen. Das führte vor Jahren dazu, dass meine Liebste die eigentlich nie genutzten schwarzen Lackstäbchen einfach benutzte, um ihre Haare hochzustecken, was sehr hübsch asiatisch aussah, aber der Übung mit diesem Essgerät nicht förderlich war.
Nach zwei Stunden ist alles überstanden, und ich vermute, dass sie einen im Rahmen des Möglichen guten Eindruck vom Emissär des langnasigen, primitiven Kulturkreises haben, die sich zwar nicht benehmen können, aber sich zumindest Mühe geben. Am Freitag steht dann der Haifischtransport durch Berlin an. Mit dabei wird dann einer sein, der an und für sich ein herzensguter Knochenbrecher ist, lustig, joval, rund und chronisch gut drauf. Sein Markenzeichen ist das Schulterklopfen, was schon in Mitteleuropa manchmal für Erstaunen sorgt. Soweit ich weiss, haben ihn die anderen Haifische bereits gebrieft, dass die andere Seite wichtig ist, und er sich ordentlich benehmen soll. Ich wäre ja zu gern dabei, wenn dieses Mannsbild zwei Tage lang versuchen muss, sich gemäss den fernöstlichen Ansprüchen an Höflichkeit zu beugen. Es ist sein erster Kontakt jenseits des europäischen Kulturkreises.

Sie sind zu dritt, zwei Entscheidungsträger und eine Übersetzerin. Die Übersetzerin wäre nicht wirklich nötig; was auf Englisch vorliegen soll, wurde bereits übertragen. Die Übersetzerin ist gewissermassen die Bestätigung der ernsten Absichten; man zeigt, dass man vor hat, sich intensiv mit dem Projekt auseinander zu setzen, und nicht nur auf Firmenkosten einen Trip in das Land der hässlichen Langnasen macht, die sich sowieso nicht benehmen können. Ich hatte 2000 mal mit einer Delegation aus Thailand zu tun und habe mir beibringen lassen, dass der germanische Handschlag - beide Seiten stellen damit sicher, dass der andere in diesem Moment nicht zum Schwert greift, soviel zum Thema europäische "Zivilisation" - dort nicht üblich ist. Meine Verneigung fällt immerhin so ordentlich aus, dass man mi danach doch zart die Hände zur berührung offeriert.
Die Übersetzerin sitzt den ganzen Abend dabei und sagt fast nichts. Die beiden sagen freundliche Dinge über die Stadt, obwohl uns vor dem Lokal ein nicht ganz atypischer Alki aggresive, auch für mich unverständliche Dinge zugerufen hat, und unten an der Strassenecke ein paar Jugendliche das Schlägern üben. Wahrscheinlich sind die Gäste das gewohnt; wie sie erzählen, waren sie auch schon mal auf Standortsuche in den weniger guten Regionen Chinas unterwegs, in Birma und im Mittelwesten der USA. Morgen wollen sie den Tag nutzen, um bei den Niederlassungen von Bekannten vorbeizuschauen. Ich bin irgendwie ganz froh, dass sie mit dem Rücken zum Fenster sitzen, wo gerade ein Proll seinen Pontiac Firebird abstellt und anfängt, mit der Blondine vom Beifahrersitz zu streiten.
In meiner Heimat wohnte die Strasse runter ein anderer Clan der besseren Gesellschaft, dessen Oberhaupt Stickereimaschinen in den fernen Osten verkaufte. Die Clans verkehrten freundschaftlich miteinander, und das Oberhaupt gab sich alle Mühe, mir als Kind die Faszination des Orients nahe zu bringen. Der Weg dahin führte über den steinigen Weg des Essens mit Stäbchen. Auch, wenn ich es damals gehasst habe, nach all den westlichen Riten wie Arme anlegen, Finger spreizen, Stühle schieben und Frauen den Vortritt lassen, jetzt auch noch die Rituale eines anderen Kulturkreises zu erlernen, war gestern nach fünf tragischen Minuten die Fähigkeit im Umgang mit Stäbchen wieder da. In meinem Innersten widerstreiten die Kulturräume; die hoch aufgerichtete europäische Haltung, die man auf Biedermeierstühlen mangels Flächen zwangsweise erlernt, liefert sich einen Krieg mit der geduckten Haltung, die das Essen mit Stäbchen erfordert. Man berührt in Europa das Geschirr nicht und arrangiert alles mit Messern und Gabeln; bei Stäbchen ist man gezwungen, diese Haltung abzulegen. Das führte vor Jahren dazu, dass meine Liebste die eigentlich nie genutzten schwarzen Lackstäbchen einfach benutzte, um ihre Haare hochzustecken, was sehr hübsch asiatisch aussah, aber der Übung mit diesem Essgerät nicht förderlich war.
Nach zwei Stunden ist alles überstanden, und ich vermute, dass sie einen im Rahmen des Möglichen guten Eindruck vom Emissär des langnasigen, primitiven Kulturkreises haben, die sich zwar nicht benehmen können, aber sich zumindest Mühe geben. Am Freitag steht dann der Haifischtransport durch Berlin an. Mit dabei wird dann einer sein, der an und für sich ein herzensguter Knochenbrecher ist, lustig, joval, rund und chronisch gut drauf. Sein Markenzeichen ist das Schulterklopfen, was schon in Mitteleuropa manchmal für Erstaunen sorgt. Soweit ich weiss, haben ihn die anderen Haifische bereits gebrieft, dass die andere Seite wichtig ist, und er sich ordentlich benehmen soll. Ich wäre ja zu gern dabei, wenn dieses Mannsbild zwei Tage lang versuchen muss, sich gemäss den fernöstlichen Ansprüchen an Höflichkeit zu beugen. Es ist sein erster Kontakt jenseits des europäischen Kulturkreises.
donalphons, 14:19h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Freitag, 1. April 2005
Real Life 01.04.05 - CD-Kids
Sie ist entgegen den Versprechungen nicht da. Unten habe ich den Schlüssel, oben hat sie das Schloss austauschen lassen, und so stehe ich mit meinen Sachen vor ihrer Tür und komme nicht rein. Alles Läuten vergeblich.
Nach einer Weile geht die gegenüberliegende Tür auf, und der Junge steckt seinen Wuschelkopf raus. Hi, sagt er, respektlos wie immer. Typen wie er rennen ständig irgendwelche Anzugträger vor den Nase rum, da ist mit Respekt nichts zu erwarten. Wir kennen uns: Ab und zu, wenn ich da bin, schliesst er sich aus, und holt sich dann bei ihr den Schlüssel. Oder lässt sich aufsperren, wenn er ihn nicht mehr ins Loch bekommt. Kam aber bislang nur einmal vor, bei einer Party. Jetzt ist er ok, kratzt sich am Kinn, wo der erste Bart spriesst, schiebt sich die Sonnenbrille von den Augen und sagt: Sie ist nicht da, vor einer Stunde oder so ist sie gegangen.
Super, sage ich.
Hey, nett, sagt er und zeigt auf das alte, chinesische Regal aus Mahagoni, das ich hochgetragen habe. Für sie? Du kannst es ja so lange mal bei uns unterstellen, ich sag ihr dann nachher Bescheid.
Ich trage das Ding in seine Wohnung, ober besser gesagt, die seiner Eltern. Draussen vor dem Fenster plätschert die Isar, und ein paar seiner Kumpels und Mädchen sind da, sitzen auf englischen Ledermöbeln an der Fensterfront und hören Goa-Trance auf einer Anlage, mit der man auch den Raumklang der Westminster Abbey herstellen könnte. Oder auf der anderen Seite der Isar die Fenster zersprengen, je nach Lust und Laune. Aber das wollen sie nicht, sie sind ziemlich relaxed, was auch an dem Joint liegen könnte, den sie gerade rumreichen. Eins der Mädchen ist aschfahl im Gesicht und hustet. Der Junge schenkt mir einen Orangensaft aus einer grotesk überschliffenen Whiskeykaraffe ein und fragt, was in Berlin zur Zeit so los ist, ob die den Tresor wirklich dichtmachen und ab man das Zeug am Mauerpark immer noch so easy wie letztes Jahr bekommt. In zwei Wochen will er mit ein paar Freunden kommen, da ist sowieso so ein Event in der Botschaft.
Das aschfahle Ding nimmt noch einen Zug, und diesmal geht es besser, sie hustet nicht, wahrscheinlich, weil sie es nicht in die Lunge gezogen hat. Die anderen kichern grundlos. Draussen knallt die Sonne vom Himmel, und ein kühler Wind verweht die krausen Haare meines jugendlichen Gastgebers. Es dauert noch, bis seine Eltern kommen, bis dahin wird der Gestank verflogen sein, und wenn nicht, ist es wahrscheinlich auch egal.
Als ich gehe, verabschieden sie mich in ihren jeweiligen Akzenten, arabisch, französisch, und wahrscheinlich auch nordisch, und widmen sich dem Drehen der nächsten Tüte. Was soll man an ihrer Stelle, in einem immer noch fremden Land ohne echte Bindung auch sonst an so einem Nachmittag tun.

Ich gehe runter an den Fluss und schaue Kleinfamilien und ihren Hunden beim Spielen zu.
Nach einer Weile geht die gegenüberliegende Tür auf, und der Junge steckt seinen Wuschelkopf raus. Hi, sagt er, respektlos wie immer. Typen wie er rennen ständig irgendwelche Anzugträger vor den Nase rum, da ist mit Respekt nichts zu erwarten. Wir kennen uns: Ab und zu, wenn ich da bin, schliesst er sich aus, und holt sich dann bei ihr den Schlüssel. Oder lässt sich aufsperren, wenn er ihn nicht mehr ins Loch bekommt. Kam aber bislang nur einmal vor, bei einer Party. Jetzt ist er ok, kratzt sich am Kinn, wo der erste Bart spriesst, schiebt sich die Sonnenbrille von den Augen und sagt: Sie ist nicht da, vor einer Stunde oder so ist sie gegangen.
Super, sage ich.
Hey, nett, sagt er und zeigt auf das alte, chinesische Regal aus Mahagoni, das ich hochgetragen habe. Für sie? Du kannst es ja so lange mal bei uns unterstellen, ich sag ihr dann nachher Bescheid.
Ich trage das Ding in seine Wohnung, ober besser gesagt, die seiner Eltern. Draussen vor dem Fenster plätschert die Isar, und ein paar seiner Kumpels und Mädchen sind da, sitzen auf englischen Ledermöbeln an der Fensterfront und hören Goa-Trance auf einer Anlage, mit der man auch den Raumklang der Westminster Abbey herstellen könnte. Oder auf der anderen Seite der Isar die Fenster zersprengen, je nach Lust und Laune. Aber das wollen sie nicht, sie sind ziemlich relaxed, was auch an dem Joint liegen könnte, den sie gerade rumreichen. Eins der Mädchen ist aschfahl im Gesicht und hustet. Der Junge schenkt mir einen Orangensaft aus einer grotesk überschliffenen Whiskeykaraffe ein und fragt, was in Berlin zur Zeit so los ist, ob die den Tresor wirklich dichtmachen und ab man das Zeug am Mauerpark immer noch so easy wie letztes Jahr bekommt. In zwei Wochen will er mit ein paar Freunden kommen, da ist sowieso so ein Event in der Botschaft.
Das aschfahle Ding nimmt noch einen Zug, und diesmal geht es besser, sie hustet nicht, wahrscheinlich, weil sie es nicht in die Lunge gezogen hat. Die anderen kichern grundlos. Draussen knallt die Sonne vom Himmel, und ein kühler Wind verweht die krausen Haare meines jugendlichen Gastgebers. Es dauert noch, bis seine Eltern kommen, bis dahin wird der Gestank verflogen sein, und wenn nicht, ist es wahrscheinlich auch egal.
Als ich gehe, verabschieden sie mich in ihren jeweiligen Akzenten, arabisch, französisch, und wahrscheinlich auch nordisch, und widmen sich dem Drehen der nächsten Tüte. Was soll man an ihrer Stelle, in einem immer noch fremden Land ohne echte Bindung auch sonst an so einem Nachmittag tun.

Ich gehe runter an den Fluss und schaue Kleinfamilien und ihren Hunden beim Spielen zu.
donalphons, 19:32h
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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :
Donnerstag, 31. März 2005
Real Life 31.3.2005 - Merkt Euch dieses Datum
Heute ist der Tag, an dem der Hype wieder beginnt. Erste Schlagzeile bei Manager-Magazin.de: "ONLINE-HANDEL - "1000 Prozent in sechs Monaten"", und bei Spiegel.de ganz oben: "START-UP IM SWIMMINGPOOL - Die Golfball-Dealer vom platten Land". Und Wiwo.de hat einen Artikel mit "Elite-Netzwerke - Feiner Kreis im Netz" an erster Stelle.
Da haben wir sie wieder, die jungen Unternehmer mit einer zündenden Idee, und die Berater mit versprochenen Traumquoten, und man könnte mal auch wieder einen Real Life Networking Event wie den First Tuesday abhalten, mit Investoren und so - immer nur Hendl.de oder das Unterkriechen bei der Handelskammer ist für die innovative Munich Area nicht mehr wirklich angemessen.
Und im Ölpapier glänzt matt der alte Finalizer. Es geht wieder los. Back 2 Bubble.
Da haben wir sie wieder, die jungen Unternehmer mit einer zündenden Idee, und die Berater mit versprochenen Traumquoten, und man könnte mal auch wieder einen Real Life Networking Event wie den First Tuesday abhalten, mit Investoren und so - immer nur Hendl.de oder das Unterkriechen bei der Handelskammer ist für die innovative Munich Area nicht mehr wirklich angemessen.
Und im Ölpapier glänzt matt der alte Finalizer. Es geht wieder los. Back 2 Bubble.
donalphons, 15:12h
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