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Mittwoch, 25. August 2004

Real Life 25.08.04 - Der Teufel ist ein Eichhörnchen

Der fundamentale Unterschied zwischen Journalisten und Autoren ist die Schwatzhaftigkeit. Grob gesagt, ist ein Journalist ein Mensch, der die Klappe nicht halten kann. Während Autoren kein Wort über die Modaltitäten ihrer Verträge verlieren, gehört das Protzen mit übermässigem Zeilengeld, Pauschalhonoraren und Nebeneinkünften gewissermassen zur Imagebildung des erfolgreichen Pressemenschen.

Insofern ist es dumm von Verlagen, Journalisten anzuheuern. Heute kam ein Anruf von einem Journalisten/angehenden Jungautor in spe, der von einem Verlag ein Angebot erhalten hatte. Es klang alles sehr vertraut, die Schliche, die Finten und die kleinen Hintertüren, die sich der Verlag offen gehalten hat. Ich hatte so einen Vertrag schon vor ein paar Monaten mal über Schleichwege in die Hände bekommen, und der Bitte eines Journalisten mit einigen Bauchschmerzen nicht entsprochen, ihm das Ding zu schicken, für einen Beitrag über die aktuellen Methoden gewisser Verlage.

Wie sich schnell herausstellte: Der identische Verlag. Auch diesmal: kein Forwarden. Ich mache mir die Hände nicht schmutzig. Aber ich informiere den angehenden Jungautor, dass er das Buch bei einem anderen Verlag machen soll. Mal schaun, ob er die Klappe hält. Ich richte solang meinem Verleger schon mal einen Altar ein und bringe Brandopfer dar.

Und nein, ich würde NIE Verträge als Word-Dokument verschicken.

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Dienstag, 24. August 2004

Real Life 24.8.04 - Die talentierten Mr. Ripleys

48 Seiten dick ist die Mappe., da da als Initiativbewerbung reingeflattert kommt.Alles hübsch knapp gehalten; könnte glatt ein Buch werden, ein Roman eines jungen Lebens, wenn es etwas ausgewalzt wäre. Ein Roman ohne Eigenschaften. Unfassbar, was da an Qualifikationen drin steht. Auch nur 9 Semester bis zum Abschluss; ich frage mich, wie das geht, wie man daneben noch gelebt haben will, und all die Dinge machen, von denen die Zeugnisse Auskunft geben. Alles atmet diese naturpralle "Best man for the job"-Attitüde. Ich frage mich, wer denen das beibringt. Und warum. So kriegen sie sicher einen Job bei einer Consultingfirma, wenn sie zu den 5% Glücklichen gehören, die im Auswahlverfahren durchkommen. Aber warum soll man jemanden einstellen, dessen Leistungsbereitschaft ihn früher oder später dazu bringen wird, nach meinem Stuhl zu spähen?

Auf der anderen Seite ist da eine junge Frau, der ich durch die Blume ein angeblich nicht existierendes, noch zu schaffendes Praktikum nahegelgt habe, Papierform unter aller Kanone, laut Selbstauskunft wankelmütig, Studienabbruch, unstetig, und nicht im Mendesten den Anforderunegn entsprechend. Eigentlich. Aber unglaublich talentiert.

Vor ihm und seinen 48 Seiten Qualifikation müsste ich als Nobrainer, der sich nur mit der falschen Behauptung, dass er es kann, auf die forderen Plätze geschoben hat, auf die Knie gehen und dankbar sein, dass er unter so jemandem arbeiten will. Es würde nicht gut gehen. Diese Jungs werden es nie akzeptieren, dass es auch ohne die 48 Seiten geht, die ihnen das Recht garantieren, den Posten zu bekommen, aufzusteigen und andere wiederum nach den 48 Seiten zu selektieren.

Deshalb werde ich der Studienabbrecherin in den nächsten Tagen, wenn das Praktikum bewilligt ist, nochmal eine Mail schreiben, sie soll sich mal für den Winter was überlegen. Ihre Unarten kenne ich ja schon, damit kann ich leben. Und arbeiten.

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Sonntag, 22. August 2004

Real Life 21.8.04 - Paradies mit beschränkter Haftung

Der Nachbar meiner Eltern hat für seine Tochter in Berlin eine Wohnung gekauft, und ist dort manchmal zu Besuch. Letzte Woche kam er wieder zurück, sichtlich genervt von all dem Dreck und den Belästigungen, und meinte, man würde bei ihnen im Paradies leben.

Da wusste er noch nicht, dass im gesamten Viertel nach den Hochwassern der letzten Jahre jetzt das Grundwasser zugeschlagen hat. Nebenan kann man nur noch mit Gasmasken ins Haus, weil der gesamte Keller verschimmelt ist. Bei meinen Eltern halten sich die Schäden noch in engen Grenzen. Aber es macht einen seltsamen Eindruck, in diesem perfekten Stadtviertel mit all seinen gepflegten Autos, grossen Gärten und repräsentativen Häusern Menschen mit Gasmasken zu sehen.

Möglicherweise wird das Haus abgerissen, und das schmiedeiserne Tor mit dem Rautenwappen und den Löwen wird dann auch verschwinden. Was in den späten 70ern als Ansiedlung junger, erfolgreicher Familien begann, ist inzwischen eine Rentnerkolonie, und jetzt, da die Keller morsch und schimmlig werden, ahnen sie, dass diese ihre Welt im Verschwinden begriffen ist. Ich glaube, sie haben vielleicht zum ersten Mal Angst, in einem Dasein, in dem Hartz IV oder Praxisgebühr nicht wahrgenommen werden. Sie befürchten nicht den Abstieg, dazu sind sie zu wohlhabend, aber das Ende ihres Wertesystems, in dem das eigene Haus einen zentralen Stellenwert einnahm.

Und was sie von ihren Kindern hören, ist auch nicht dazu angetan zu glauben, dass ihre Welt noch in Ordnung ist. Es ist vielleicht ganz gut, dass mein Vater nicht mit dem Internet umgehen kann. So bekommen sie die Lektionen hier aus dem Slum Berlin a.d. Spree nur stark gefiltert ab.

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Freitag, 20. August 2004

Real Life 20.8.04 - Neue Armut 24

Alex Wolf ;) (Minusvisionär und former known as seosite.info) hat ein neues, altes Blog über das Leben eines Startuppers des Jahres 2004 in Berlin: Neue Armut 24.

Dazu noch schnell ein Bild aus Mitte: Neben dem Leihamt, und damit sehr praktisch, haben sich viele Startups, Crea-Läden und Werbeleute angesiedelt. Für das leibliche Wohl sorgte im Vorderhaus ein brasilianisches Restaurant. Offenbar waren die Jungdynamiker von hinten keine gute Kundschaft - das Lokal hat dicht gemacht, die Räume sind zu vermieten, und falls noch Rechnungen offen sind, kann man das Mobiliar im gleichen Haus versetzen. Sehr praktisch organisiert.

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Donnerstag, 19. August 2004

Real Life 18.8.04 - Zwei Falschparker

So unterschiedlich die Objekte sind, so identisch ist die Geisteshaltung derer, die sie da hin gestellt haben.



Man könnte auch sagen, es ist der Triumpf des Ego über ein Gemeinwesen, das tatenlos zuschaut. Verwahllosung ist keine Frage von Armut oder Luxus, sondern der gesitigen Disposition.

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Mittwoch, 18. August 2004

Real Life 17.8.04 - Traumberuf TV

Medien sind ein Beruf mit Zukunft. Besonders, wenn man kein Essen braucht, Wasser trinkt und unter Brücken logiert - was bei 1000 Euro im Monat (vor Steuern und Abgaben) auch empfehlenswert ist. Dann kommt man auch beim Fernsehen unter. Und wenn dann doch mal der Hunger kommt: Die Bettel-Email kann man gratis über den Redaktions-Account verschicken.

Ihr, die ihr hier über Google herkommt und nach Begriffen wie Initiativbewerbung oder sonst was Kreatives sucht: Schaut, dass ihr besser heiratet, oder werdet Sachbearbeiter, gehobener Dienst beim Staat, das ist wenigstens sicher, aber bitte: Nicht in die Medien. Was Schlimmeres gibt es die nächsten 5 Jahre nicht. Niemand gibt Euch eine Chance. da ist auch niemand, den ihr mit Kreativität und totaler Leistungsbreitschaft überholen könnt. Wer das nicht bringt ist schon seit mindestens 2 jahren arbeitslos, oder ist bei den Öffentlich-Rechtlichen. Und die brauchen auch keinen, sondern holen sich lieber die besten Arbeitslosen.

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Real Life 17.8.04 - Aus dem Rennen

Zwei Jobangebote sind gerade reingekommen: Ein grosser Medienkonzern, dessen Chef sich immer als "Mr. Internet" präsentiert, bietet zwei Praktikantenstellen an. Bei den Anforderungen steht nichts, kein Wort über Internet. Bislang war das immer Grundvorraussetzung, um dort eine Chance zu haben. Dass es als selbstverständlich angenommen wird, kann ausgeschlossen werden: Word wird ausdrücklich verlangt. Ausserdem wäre es gut, wenn die Bewerber Erfahrungen in den Bereichen Print und Radio vorweisen könnten.

Das andere: Ein Lokal in Berlin-Mitte sucht dringend eine Bedienung. Die creative people, die das aushilfsweise machen, wollen wieder "normal" arbeiten.

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Mittwoch, 11. August 2004

Real Life 11.8.04 - Mobbing für Anfänger

Klug und elegant: An alle "lieben Kollegen" schreiben, zur Versöhnung aufrufen und nur einen einzigen ins CC packen.

Dumm und unüberlegt: Wenn der im CC seit ein paar Monaten nicht mehr gleichberechtigt, sondern der Vorgesetzte ist, oder besser wäre, wenn der Mobber noch einen gültigen Vertrag hätte.

Das kann ja heiter werden, übermorgen. Ich glaub, ich hab keine Lust zuzuschauen, wie sich solche New Economy Methoden breit machen.

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Sonntag, 8. August 2004

Real Life 8.8.04 - Aufräumen nach der Tat

Auf den Festplatten von drei Laptops und 4 CF-Karten sind die gesammelten Daten des Blogbuches verstreut. Sichten, überlegen, sammeln, Dubletten löschen, sich über die Daten wundern, wegkippen.



Da sind neben den Bildern vom Produktionsprozess und von der Abgabe im Verlag, mitsamt Bildern, die einfach so, nebenbei entstanden. Dann sind da noch die gesammelten Kommentarschlachten von Januar, als das Buch durchsickerte. Da hat sich inzwischen die normative Kraft des Faktischen den Weg gebrochen. Aber es ist schon erstaunlich, welche Mengen an Texten da in die Welt gesetzt wurden. All die Empörung, der laute Beschluss, in Reaktion darauf selbst was zu machen, die ersten Einträge bei blogosfear.org, gibt´s die eigentlich noch?

Frühe Emails mit Journalisten, die ich im Oktober 2003 wegen konzeptioneller Fragen angehauen habe. Die Hälfte von denen ist inzwischen merh oder weniger arbeitslos. Aufs Bloggen ist aber nur einer gekommen, und das war der, der das ganze Thema locker genommen hat. Die anderen haben erst kaum verstanden, was das überhaupt sein soll.

Dann ist da die Email eines Verlagvertreters, der wollte, dass ich bei ihm Liquide Teil 2 mache, ihm, der mir den Wechsel finanziell versüssen wollte, und es nicht verstehen konnte, wieso jetzt dieses Blogzeugs. Freedom is a road seldom traveled by the multitude, hätte ich ihm geantwortet, wenn ich nachgedacht hätte, aber das fiel mir natürlich nicht ein.

Und diese eine direkte Absage, die einzige, die mir wirklich weh getan hat. Und die letzten Mails zum ironisch gemeinten Nachwort, dass man ja nochmal sowas, und so.

Falls doch, dann würde ich sie nochmal fragen.

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Dienstag, 3. August 2004

Real Life 2.8.04 - Pacellistrasse

Es gibt Orte, an denen sollte man gewesen sein, und Orte, die man sich getrost sparen kann. Die Pacellistrasse in Münchens Zentrum ist so ein Ort. Jeder Event, den ich in der näheren Umgebung besucht habe, war entweder geschmacklos wie die Sozialdemokraten im Bayerischen Hof, dumm wie die Modeschau beim Nobelfriseur oder prall wie die beiden alten Chanelschachteln, die sich daselbst im 80qm-Toilettenfoyer die Nasenschleimhäute bekoksten.

Der krönende Abschluss ist dann das Gebäude der Bayerischen Börse auf der anderen Seite des Altstadtrings. Unten drunter ist das Epizentrum des Kolonialstils, das Kokon, wo ich mal ein sagenhaft mieses Buffet bei der Buchpräsentation von Christine Kaufmann er- und mit erheblichen Komplikationen überlebte - tunesische Küche, die man mal dem Schily geben sollte, bevor er glaubt, dass man in Nordafrika irgendwelche Lager einrichten kann. Das Buch von Frau Kaufmann noch dazu. und es wäre eine Menschenrechtsverletzung.

Nicht alle erleben die Pacellistrasse als den Ort, wo zu viel Geld von zu wenig Hirn gefickt wird. Meine kleine Schwester zum Beispiel kauft hier Teile ihrer Einrichtung bei Kartell. Kartell hat all das vergleichsweise billige Plastikmöbelzeug, das die jüngere Generation aus den Videos kennt und geil findet, bis sie mal versucht haben, darauf länger als eine Stunde zu sitzen. Meine Schwester meint, dass Kartell nach Jahren der Krise gestärkt aus dem Downturn der New Economy hervor, denn die Klassiker der frühen 80er Jahre sind wieder todschick.



Mag sein. Aber wenn ich bei Kartell in der Pacellistrasse vorbeikomme, kommen sicher zwei aufgedonnerte Frauen aus dem Laden, Mama mit Ethnofetzen und roten Turnschuhen und Tochter mit Versace Jeans. Sie haben einen Gartenzwerg von Philippe Starck gekauft. Und einen weissen Plastiktisch. Sie steigen in ein Mercedes Cabrio mit Erdinger Kennzeichen. Es riecht, als hätten sie sich einmal durch eine Parfumerie geprobt, aber das ist nicht der Typ dafür.

Die kaufen einfach alles, was in der Glamour beworben wird. Todschick eben.

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