Ach?

2004 war die New Economy-Krise noch voll in Fahrt, und so hatten viele Leute in Berlin viel Zeit. Ich nicht, ich hatte einiges um die Ohren, aber andere erwarteten sich damals nicht mehr besonders viel vom Leben, ausser, dass Berlin auf immer und ewig billig und mit tausend Euro im Monat finanzierbar blieb. Und weil das so war, schrieben sie halt auch ein Blog, wenn sie nebenher kleine Aufträge für Springer oder Astro TV annahmen.

Aber so privat war das eigentlich eine recht angenehme, sexuell prickelnde und leistungsdruckfreie Zeit, und bei vielen wusste man gar nicht, was sie nun genau zwischen der Endphase des Studiums, dem Lehrauftrag und dem Beginn des Nichtwirklicharbeitslebens so nichthorizontal trieben. Man wusste, bei wem man vorsichtig sein musste, aber nichts über deren finanzielle Verhältnisse. Zeit gab es jede Menge und meistens kamen die Leute auch nüchtern zur Lesung, kurz - man konnte es aushalten. Man hatte bescheidene, aber durchaus ähnliche Interessen, und irgendwie kannte jeder auch jeden und niemand plante, mit dem Bloggen Geld zu verdienen. Oder gar heiraten und Kinder zu kriegen. Das war vor den Prenzlmüttern, und das LSD-Viertel war noch zum Ausgehen da.



Ich will meinen weiteren Weg ganz sicher nicht als Ideal hinstellen, zumal ich ja auch noch recht viel Leben neben der Scheinöffentlichkeit des Blogs habe, das hier keinen was angeht. Rückblickend hätte ich vieles anders gemacht, und nicht erst gewartet, bis sich die FAZ bei mir gemeldet hat. Aber vielleicht wäre ich dann auch in Frankfurt gelandet, und so tragisch es geworden ist, so ist dies jetzt immer noch die beste aller möglichen Welten. mit Berlin habe ich nicht mehr viel zu tun, aber ich werde natürlich informiert und schaue, was sich so tut. Manche ändern sich nie.

Andere schon.

Es ist wohl eine komische Sache mit dem Übergang von der totalen Freiheit zur totalen Verantwortung. Vermutlich machen sich diejenigen, die sich darauf bei uns einlassen, weniger Illusionen, und werden in die Geschichte auch weniger rabiat und von den Eltern umsorgt eingeführt. Umgekehrt weiss ich übergenau, was das bedeutet, und warum das alles überhaupt nichts für mich ist - eben, weil meine Klagen dann ähnlich klängen. Man wächst an Aufgaben, aber die Aufgaben wachsen schneller, und mit gewissen Entwicklungen fallen dann auch alle Lebensalternativen weg, die man früher zu haben glaubte.

manchmal ist es auch prima, sich mit leuten zu zerstreiten, da kann man dann öffentlich durchaus offen reden, wenn deren umfeld nicht ganz den selbstgesteckten zielen entspricht, auch wenn ich das vollkommen ohne häme und lediglich mit dem interesse einer öffentlichen debatte zur kenntnis nehme



Vieles davon finde ich bedauerlich. Natürlich neigt man im Netz dazu, nicht ohne Jammern zu leben, aber das sind ganz andere Töne als jene, die ich von daheim und aus meinem Umfeld kenne. Was ich hier erlebe, liegt selbst bei scheiternden Beziehungen in Sachen Zufriedenheit deutlich darüber. Gleichzeitig ist das hier aber auch nicht der Ort für absurde Erwartungen an Kinder, die bei dem ganzen Schlamassel dann als Rendite bewertet werden, und in der Folge dann auch das Pech haben, als Minderjährige der Welr als Superkinder vorgeführt zu werden - was in Berlin heute wohl üblich ist, wäre bei uns Anlass für krasses Schneiden in den tonangebenden Kreisen.

ich komme da noch inmer nicht drüber weg, wie eine gewisse andere person sowas run kann

Je niedriger die Erwartungen sind, desto weniger wird man enttäuscht, und wenn ich zwischen den Berlinern vergleiche, die allein blieben und den meisten, die Kinder haben, dann sehe ich durchaus sowas wie ein Gefälle bei der Zufriedenheit mit dem Erreichten. Man muss sich halt entscheiden und vorher überlegen, welche Rolle die Bessere sein mag.

So ist dann auch dieser Beitrag in der FAZ zu verstehen, in dem es nicht nur um Berlin, sondern um unsere eigenen Jugendkriminellen geht.

Ansonsten wird man abwarten müssen, wie das weiter geht. wir werden alle nicht jünger. Die anderen hat die Sache mit den Kindern zu einer Zeit erwischt, da sie vor Mitte Fünfzig kaum wieder rauskommen werden. Allein dieser Gedanke lässt mich noch ein Bild kaufen und noch ein verhonackeltes Rad restaurieren.

Vielleicht braucht ja jemand mal ein müttertaugliches Damenrad. Passiert schnell, und die alten Kisten waren einfach qualitativ hochwertiger als das, wa heute aus Asien kommt.

Samstag, 24. Januar 2015, 20:56, von donalphons | |comment

 
Oder gar heiraten und Kinder zu kriegen.

Doch, das stand 2004 bei mir tatsächlich auf dem Programm, aber ich gehörte auch nicht zu dieser Berliner Blase der Berufsjugendlichkeit.

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Duplizität der Ereignisse: Bei mir auch. Sowohl das Programm als auch die Distanz zur Blase.

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eine Anmerkung zu journelle die ich machen möchte: Nicht nur feministische Gesichtspunkte treiben die Mütter in die Arbeitswelt. Nicht die Konsumwünsche gebieten das Doppelverdienen. Nicht der Urlaub und nicht die äpfelchen.

Für mich ist der unmäßige Anspruch von Staat und Gesellschaft schuld. 50% Staatsquote! 19% MWSt und 46% (Grenz-) Steuersatz schon bei mittleren Verdiensten. 52.000 im Jahr entsprechen einem Mercede E250D. 1980 kostete ein e280 26.000 Mark. Auch mit einem Jahreseinkommen von zwei solchen Mercedes war man weit weg vom Spitzensteuersatz. Dazu knapp 20% für die Rente, 15% für die Krankenkasse, 20ct für die kilowattstunde Strom. Wo immer dieses Geld hinfließt, die Arbeitnehmer sehen es nicht wieder. Deshalb nüssen zwei arbeiten.

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Die Arbeitnehmer sehen zwar das Geld nicht mehr, ...
... das ihnen abgezogen wird, aber beim Lichte (20 und mehr ct/kWh) betrachtet werden sie ärztlich versorgt und die Renten werden bis jetzt noch immer monatlich (überhaupt) ausgezahlt. 1980 kostete ein Heimcomputer / Smartphone nur wenige Bruchteile vom Preise eines sparsamen Daimlers, so viel mag stimmen, heute müsste ich auf hundert iPhones fürs Gleiche verzichten. :lol: Vielleicht sollte ich mich zum Milchmädchen umschulen lassen.

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Die Staatsquote war vor 30 Jahren genauso hoch. Allerdings war die MWSt nur die Hälfte, die ESt aber wesentlich höher. Von der Besteuerung der Kapitalerträge (mehr als halbiert) genauso zu schweigen wie von den Sozialabgaben (fast verdoppelt).

Der Staat holt sich das Geld eben von anderen Leuten. Nur können diese Leute schlecht gegen "Reiche" protestieren, wenn sie sich so gerne selbst dazu zählen möchten.

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@melursus: Gehe ich nicht ganz mit.
Steuern auf 90.000 Euro Jahreseinkommen bei LStkl I liegen bei fast präzise 30% (inklusive Soli). Und da lagen sie bei einem vergleichbaren Einkommen auch vor 30 Jahren.

Was sich deutlich erhöht hat, sind Sozialabgaben. Nicht wegen der weggefallenen Vermögenssteuer, sondern im wesentlichen dem Haupttreiber "Demographie" folgend. Im statistischen Mittel leben Deutsche deutlich länger und arbeiten eine kürzere Zeit als 1985. Irgendwo musste sich das niederschlagen.

Autos sind übrigens eine schlechte Messgrösse, die sind im Vergleich zum verfügbaren Einkommen teurer geworden.

Gruss,
Thorsten Haupts

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So ein 280E von 1980 kann zudem weder vom Komfort noch von der Sicherheit, Ausstattung und Größe her auch nur im Ansatz etwa mit einem 2014er Skoda Octavia (15.000€) mithalten. Die Leute kaufen heute teurere Autos, weil sie nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. Die Anbieter stellen sich darauf ein.

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i beg to differ
schon der 78er /8er 200, den mein Kumpel von seinem Vater geerbt hat fährt sich göttlich im Vergleich zu so 'nen Octavia.

Vor allem geht nicht alle Nase lang die dreckige Motorkontrollleuchte an, nur weil die Hersteller QS und Release-Mgmt der Software nicht im Griff haben ;-)

Auch beim Konsumverhalten bei Autos muss ich widersprechen: der Durchschnittspreis eines Autos iVgl zum durchschnittlichen verfügbaren Einkommen, kombiniert mit dem Leasing- und Finanzierungs-Anteil der Neuzulassungen… Da kann die Schlussfolgerung nur sein: Money you don't have buys you things you don't need to impress people you don't like.
Wir sind quasi auf dem direkten Weg in die amerikanische suburbane Hölle: Shiny car, not so shiny savings/loans balance. Man kann über alles sprechen, aber nicht über "my credit card debt is killing me…"

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Ich empfehle da mal in eine der letzten Auto Motor und Sport Exemplare reinzuschauen, die tatsächlich mal Modelle von Heute mit "alten Klassikern" von vor 20 Jahren verglichen haben.

Da kommt auch die "alte S-Klasse" das Modell 220 der Baureihe 126 vor. Es gab übrigens nie einen 280er E-Klasse Mercedes, die Bezeichnung war immer 200/230 (180 C-Klasse, 200 e-Klasse, 220 S-Klasse).

Inflationsbereinigt würde ein 220 nach heutiger Kaufkraft 40,000 Euro kosten. Man müsste ihn allerdings von Komfort, Ausstattung und Fahrleistungen mit der C-Klasse vergleichen.

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Don, tu' uns allen einen Gefallen und lass diese Kinderthemen sein, das ist einfach nicht Deine Baustelle ... Rad fahren, Geruempel, boese, boese Journalisten, Opa-erzaehlt-von-New-Economy - alles ok, aber dieser Kinderkram - sorry da bist Du als alleinstehender, kinderloser Fruehrentner einfach zu weit weg.

Also bitte - nur noch Pensionaersthemen. Ginge das?

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Nicht doch, in der römischen allumfassenden Kirche ...
... sind alleinstehende und (na ja, meistens) kinderlose Priester für die wichtigsten Fragen des Lebens: Geburt (Taufe), Heirat und Tod zuständig: Und das ist auch gut so! Außerdem, wer von uns hat noch nie im Leben eine(n) ledige(n) Eheberater(in) getroffen, die/der gar nicht ausgelacht werden wollte, denn "eine professionelle Distanz" sei sonst kaum gegeben usw.

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Als Historiker redet man dauernd von Zeug, mit dem man ansonsten nichts zu tun hat, und das werde ich auch hier nicht ändern.

In der Kirche gibt es aber auch die Pfarrersköchin und da kann der Pfarrer dann schon mitreden.

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na, ja - das Ueberkindergeplappere ist ja wohl auch ungefaehr so relevant wie Deine wissenschaftlichen Beitrage als Historiker, schlaegt also in etwa ein wie eine Daunenfeder ...

Aber die Datenbanken wollen ja gefuellt werden, na denn kann man weiter plappern.

Ich bleibe aber dabei - lieber ueber Silber, Fahrraeder und Geruempel schreiben.

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Nettes Damenrad, aber...
...die Bremsen waren der Schrecken meiner Jugend. Lange Weichmänner verbunden mit Stahlfelge sorgen für spontanreligiöses Verhalten bei Regen oder steilen Abfahrten.
Haben Sie die Bremshebel nachgerüstet? Sehen so modern aus, mit Zugführung am Lenker. Ultegra oder 105?

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Ich tippe auf 105er, die 600er Ultegras hatten dunkel eloxierte Hebel.

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Die Zeiten ändern sich...
In den Fünfzigern - so weit ich mich an die Zahlen richtig erinnere - verdiente ein akademischer Berufsanfänger ca. 9.000 DM im Jahr, ein Käfer kostete 5.000, ein ordentliches Einfamilienhaus in einer mittleren Gegend kostete ca. 40.000 DM. Ein 300SL Flügeltürer ca. 30.000 DM.

Solche Statistiken, nicht zu trocken aufbereitet, wären eine ganz spannende Sache, um effizient bewerten zu können, ob das kapitalistische Versprechen der Teilhabe am Wachstum wahr war - oder die kommunistische These von der Verelendung der Mittelschicht eher den Tatsachen entspricht.
Dass ein Fabrikant vielleicht das 20 fache eines Arbeiters
verdiente, ist sicher heute anders, wenn man den Fabrikanten gegen den HedgeFondsCEO ersetzt.

Aus einer Epoche kommend, wo man nicht schnell genug den Führerschein für seine knatternde 50er, getunt, machen konnte, sehe ich es mit einem Grinsen, dass es bei Fahrradbremshebeln offenbar schon Kultgegenstände gibt.

Ich bin mal gespannt, ob die meisten heute Zwanzigjährigen überhaupt noch einen Gedanken daran verschwenden werden, was ein /8er Mercedes einmal war, wenn Uber, Fernbusse, Nahverkehr, E-Carsharing und Hochleistungs-Fahrräder erst mal wirklich funktionieren.

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Das sind 105er und stabilere Aussenhüllen mit Teflon. Dadurch ist der Seileinzug wesentlich kürzer, die Toleranzen sind geringer, aber jetzt passt die bremskraft. Besonders hinten kann man leider keine andere Bremse verbauen, aber ich war damit unterwegs und schlechter als eine schlechte Scheibenbremse oder eine mittelgewartete Cantilever sind sie auch nicht.

Die Kiste ist eh nur was für Stadt und leichte Bedingungen, aber technisch ausreichend und mit schönen Details. Und ich habe die Schaltung hinten auf Ultegra umgerüstet, denn die Positron war ein einziges Gräuel.

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Das Schaltwerk kommt mir irgendwie bekannt vor, war das nicht am Daccordi50 dran, bevor Du es auf Campa Dura Ace umbautest?

@gta: Gute Frage, aber weitergehendes Interesse für Strich-Achter u.Ä. ist auch bei den heute 40Jährigen nicht unbedingt die Regel. Für die Leute (etwa die Führungsriege beim Brötchengeber meiner Frau), die sich für Oldtimer interessieren, ist der damalige Standardbenz oder selbst der Vorgänger mit Heckflosse schon weitgehend uninteressant, da kapriziert man sich auf Selteneres oder Sportlicheres.

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@tga: Ich wär ja sofort dafür, aber die Aussage
solcher Aufbereitungen könnte man nur als Hinweis nehmen. Beispiel Haus: Ohne Darstellung des Hauskomforts und der gesetzlich geforderten Hauseigenschaften wären Hauspreise (auch im Bezug zum Einkommen in exakt der gleiche Region) kaum zu vergleichen.

Zur Verelendung der Mittleschicht mache ich es mir wirklich ganz einfach und greife auf den gröbsten Verelendungsindikator zurück, der denkbar ist - die Lebenserwartung. Solange die steigt, verelendet da nichts. Sie steigt übrigens sogar in den Billiglohnländern, die von Marxisten gerne als Ausweichargument für die ausbleibende Verelendung herangezogen werden (Elendexport in die imperialistische Peripherie oder so ähnlich).

Gruss,
Thorsten Haupts

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