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Mittwoch, 7. Mai 2014
Lust und Dummheit
Ich habe einmal eine Seminararbeit über Flügellanzenspitzen der Langobarden geschrieben. Das Thema und das Volk bringen es mit sich, dass die Funde entlang des Wegs der Völkerwanderung zu finden sind, von Norddeutschland nach Ostdeutschland weiter in die ungarische Tiefebene, manche Bereiche von Bulgarien, Serbien und Rumänien, und dann letztendlich in Oberitalien. Und ich erinnere mich noch genau an die bröckelnde Bände aus Osteuropa, das amateurhafte Layout und die Zeichnungen, die eher schematisch waren. Bodendenkmalpflege im Osten war nun mal Beschäftigung mit nichtsozialistischen Kulturen, und das war von geringer Bedeutung für den ruhmreichen Sieg des Sozialismus. Ausserdem waren die Langobarden ja auch so unfreundlich, den Herrschaftsbereich der slawischen, für den Sozialismus besonders gut geeigneten Völker wieder zu verlassen, und als sie dann in Italien waren, lebten sie, wie man aus der Geschichtsschreibung weiss, eher spätrömisch dekadent. Deshalb hatte dann auch die Erforschung ihrer Gräberfelder nicht den Stellenwert, den die protosozialistischen Urgesellschaften einnahmen, die beim historischen Materialismus von Marx eine grosse Rolle spielten.
Um in kommunistischen Diktaturen Geld für die Publikation solcher Bücher zu bekommen, die sich nur mit Relikten der vom Sozialismus beiseite gewischten Gesellschaftsordnungen beschäftigten, musste das alles natürlich einen kommunistischen Dreh bekommen. Deshalb schrieben die Autoren vor den fachlich meist ordentlichen Berichten über Gräberfelder und Siedlungen Vorworte, in denen sie sich zum Histomat bekannten und betonten, wie wichtig solche Kulturen waren, damit der Sozialismus kommen und sie wegwischen konnte. Sie waren also notwenige Betriebsunfälle auf dem Weg zur Freiheit, die Marx versprochen und Stalin garantiert hatte, und das wurde so verzweifelt ausgewalzt, dass man zwangsläufig an einen schmalen, hungrigen Geschichtsprofessor denken musste, der in einem miefigen Zimmerchen mit Vorhängen in senfgelb sitzt und jedes Jahr vergeblich um neue Reifen für seinen Polski Fiat bettelt.
Das ist lange her, und heute sind Bücher aus dem Osten nicht nur gut gemacht, auch unsere Fachbücher werden oft dort gedruckt. Ich habe nicht geschaut, wo nun meine Neuerwerbung mit dem Titel "Lust und Freiheit" ihren Ursprung nahm, aber der Autor kommt aus England, einem Land, wie er selbst bezont, mit langer Tradition der Freiheit. Allein, ich stecke gerade im ersten Teil fest und ich kann gar nicht so viel Torte essen, wie ich... ich will mich auch gar nicht übergeben, aber es ist schon furchtbar, wie dort das Mittelalter abgehandelt wird: Anhand von Gesetzestexten und vereinzelten Urteilen. Das ist so, als würde man sagen: Oh, schaut mal, die im 21. Jahrhundert hatten eine Richtgeschwindigkeit von 130 auf der Autobahn und alle haben sie sich beobachtet - da ist keiner schneller gefahren! Es gibt inzwischen phantastische Untersuchungen über Unzucht, Porno und Sex im Mittelalter, es gibt Berichte über deutsche Kaiser, die öffentlich mit Prostituierten Reigen tanzten, und einen Umbruch während der Reformation, auch wegen der Syphilis - das kann man alles ausblenden und dann behaupten, davor wäre alles schlimm gewesen und dann käme die Aufklärung und würde vieles verändern. Statt dessen geht man heute eher davon aus, dass es, abgesehen von der sogenannten "Renaissance", also den wirklich dunklen anderthalb Jahrhunderten von ca. 1500 bis 1650, eigentlich recht locker zuging. Viel lockerer, als wir uns das vorstellen können. Aber das würde natürlich nicht zum Spin des Buches passen, also fällt es raus.
Als ich davon in der Zeit las, dachte ich, naja, vielleicht empfehlen die ja doch mal ein Buch, das kein Schrott ist, aber weggelegt habe ich es, und zum Radfahren bin ich gegangen, als dann auch noch betont wurde, die Vorteile der sexuellen Befreiung hätten allen - und das steht da wirklich - "weisse, heterosexuelle Männer" gehabt. Das ist einerseits eine Aussage, die so pauschal nicht zu halten ist. Denn das 18. Jahrhundert ist sehr wohl durch einen Kampf für die Rechte der Frau und der sexuellen Spielarten geprägt, und ich wage es auch zu behaupten, dass sich für Männer in dieser Epoche nicht wirklich viel geändert hat, abgesehen avon, dass manche Verhaltensweisen vielleicht mehr öffentliche Akzeptanz in Textbeiträgen fanden, die aber naturgemäss wenig Folgen für das tatsächliche Treiben hatten.
Man kann die Epoche der Aufklärung natürlich so oder so betrachten, je nachdem, welche Quellen man nutzt und welche Autoren man behandelt. Ich bin in gewisser Weise zufrieden, dass das Buch meinen Horizont um englische Aspekte erweitert, aber es widert mich formal an, dass es eine postkommunistische Rektalakrobatik enthält und ausführt, die offensichtlich für die Zensurbehörden der Genderequality geschrieben wurde. Und es ist ein wirklich lustfeindliches, trockenes und komplett humorfreies Buch. Wie kann man aus so einem Thema...
Kauft Mirabeau, Diderot und Franz Blei! Da habt Ihr was davon.
Um in kommunistischen Diktaturen Geld für die Publikation solcher Bücher zu bekommen, die sich nur mit Relikten der vom Sozialismus beiseite gewischten Gesellschaftsordnungen beschäftigten, musste das alles natürlich einen kommunistischen Dreh bekommen. Deshalb schrieben die Autoren vor den fachlich meist ordentlichen Berichten über Gräberfelder und Siedlungen Vorworte, in denen sie sich zum Histomat bekannten und betonten, wie wichtig solche Kulturen waren, damit der Sozialismus kommen und sie wegwischen konnte. Sie waren also notwenige Betriebsunfälle auf dem Weg zur Freiheit, die Marx versprochen und Stalin garantiert hatte, und das wurde so verzweifelt ausgewalzt, dass man zwangsläufig an einen schmalen, hungrigen Geschichtsprofessor denken musste, der in einem miefigen Zimmerchen mit Vorhängen in senfgelb sitzt und jedes Jahr vergeblich um neue Reifen für seinen Polski Fiat bettelt.
Das ist lange her, und heute sind Bücher aus dem Osten nicht nur gut gemacht, auch unsere Fachbücher werden oft dort gedruckt. Ich habe nicht geschaut, wo nun meine Neuerwerbung mit dem Titel "Lust und Freiheit" ihren Ursprung nahm, aber der Autor kommt aus England, einem Land, wie er selbst bezont, mit langer Tradition der Freiheit. Allein, ich stecke gerade im ersten Teil fest und ich kann gar nicht so viel Torte essen, wie ich... ich will mich auch gar nicht übergeben, aber es ist schon furchtbar, wie dort das Mittelalter abgehandelt wird: Anhand von Gesetzestexten und vereinzelten Urteilen. Das ist so, als würde man sagen: Oh, schaut mal, die im 21. Jahrhundert hatten eine Richtgeschwindigkeit von 130 auf der Autobahn und alle haben sie sich beobachtet - da ist keiner schneller gefahren! Es gibt inzwischen phantastische Untersuchungen über Unzucht, Porno und Sex im Mittelalter, es gibt Berichte über deutsche Kaiser, die öffentlich mit Prostituierten Reigen tanzten, und einen Umbruch während der Reformation, auch wegen der Syphilis - das kann man alles ausblenden und dann behaupten, davor wäre alles schlimm gewesen und dann käme die Aufklärung und würde vieles verändern. Statt dessen geht man heute eher davon aus, dass es, abgesehen von der sogenannten "Renaissance", also den wirklich dunklen anderthalb Jahrhunderten von ca. 1500 bis 1650, eigentlich recht locker zuging. Viel lockerer, als wir uns das vorstellen können. Aber das würde natürlich nicht zum Spin des Buches passen, also fällt es raus.
Als ich davon in der Zeit las, dachte ich, naja, vielleicht empfehlen die ja doch mal ein Buch, das kein Schrott ist, aber weggelegt habe ich es, und zum Radfahren bin ich gegangen, als dann auch noch betont wurde, die Vorteile der sexuellen Befreiung hätten allen - und das steht da wirklich - "weisse, heterosexuelle Männer" gehabt. Das ist einerseits eine Aussage, die so pauschal nicht zu halten ist. Denn das 18. Jahrhundert ist sehr wohl durch einen Kampf für die Rechte der Frau und der sexuellen Spielarten geprägt, und ich wage es auch zu behaupten, dass sich für Männer in dieser Epoche nicht wirklich viel geändert hat, abgesehen avon, dass manche Verhaltensweisen vielleicht mehr öffentliche Akzeptanz in Textbeiträgen fanden, die aber naturgemäss wenig Folgen für das tatsächliche Treiben hatten.
Man kann die Epoche der Aufklärung natürlich so oder so betrachten, je nachdem, welche Quellen man nutzt und welche Autoren man behandelt. Ich bin in gewisser Weise zufrieden, dass das Buch meinen Horizont um englische Aspekte erweitert, aber es widert mich formal an, dass es eine postkommunistische Rektalakrobatik enthält und ausführt, die offensichtlich für die Zensurbehörden der Genderequality geschrieben wurde. Und es ist ein wirklich lustfeindliches, trockenes und komplett humorfreies Buch. Wie kann man aus so einem Thema...
Kauft Mirabeau, Diderot und Franz Blei! Da habt Ihr was davon.
donalphons, 21:47h
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