: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 28. Februar 2020

Ich liebe Italien, aber nicht das Gesundheitssystem

Wohin geht man in Deutschland, wenn man richtig krank ist? Zum Arzt.

Wohin geht man in Italien, wenn man richtig krank ist? Erst mal nicht zum Arzt, das Gesundheitssystem in Italien ist nicht sonderlich gut, es gibt wirklich scheussliche Krankenhäuser, und Termine sind auch nicht so leicht zu bekommen. In Italien googelt man eher, geht in die Apotheke und kauft dort, was einem der Apotheker empfiehlt.

Das ist anonym, man kann es im Zweifelsfall sogar über einen Mittelsmann machen, und die Rezeptpflicht wird oft durch das Versprechen ersetzt, man habe das Rezept daheim vergessen - sofern man überhaupt danach gefragt wird. Ich mache das auch so, nachdem mir mein Hausarzt in Deutschland ein Atemmitel verschrieben hat, gegen das ich allergisch bin, und ich in italien Ventolin problemlos bekomme. Warum soll ich eine teure Stunde unter Kranken im Wartezimmer sitzen und dann eine deutsche Winzdosis mit langen Ermahnungen erhalten, wenn es auch so geht, Anhalten an einer Apotheke und kaufen für 3 Euro?



Das alles ist ziemlich harmlos, Italien hat halt einen Teil der Gesundheitsvorsorge an die Apotheken ausgelagert, und deshalb gibt es dort auch so viele. Bei den kleineren Problemen kann der Arzt auch nicht mehr tun, als irgendwelche Mittel zu verschreiben, die man in Deutschland ohne Konsultation nie bekäme. In Italien verkauft das halt der Apotheker, und wenn man Italiener kennt, dann sagen sie einem auch, welcher Apotheker besonders abgabefreudig ist. Meiner in Staggia zum Beispiel ist es überhaupt nicht, da wird wirklich nur nach Rezept verkauft. Aber der ist eine Ausnahme, und als ich Ende Januar in Modena war, bekam ich auch ein *besonders gut wirkendes* Mittel gegen meine Erkältung.

Das heisst, man kommt in Italien deutlich länger um einen Besuch beim Arzt herum, als in Deutschland. Und wenn die Erkrankung Grippe gleicht, und man ein Mittel bekommt, das die Symptome reduziert, mag es sein, dass eine Infektion mit dem Coronavirus erst mal gar nicht besonders auffällt: Der Arzt wird nicht gefragt, das Krankenhaus wird nicht aufgesucht, es fühlt sich für viele auch nicht schlimmer an. Mit dieser italienischen Eigenheit kann man vielleicht erklären, waum in den letzten 72 Stunden die Lage ausser Kontrolle geraten ist: Sie war nie unter Kontrolle. Jetzt merkt man das eben, weil doch viele zum Arzt gehen.



Das ist übrigens auch ein Klassenproblem, denn in Italien gibt es viele Leute, die sich nicht mehr als den staatlichen Grunddienst leisten können - alles, was darüber hinaus geht, muss bezahlt werden. Clandestini, nicht oder nur teilweise erfasste EU-Migranten und abgelehnte Flüchtlinge fallen zudem auch aus diesem System heraus. Für die gibt es an manchen Orten Notfallkliniken in privater Trägerschaft, oder eben den Apotheker. Und diese Leute haben auch ihre Gründe, das normale System zu meiden.

Das sind dann auch diejenigen, die bei Reisen Methoden bevorzugen, bei denen keine Registrierung im klassischen Sinn nötig ist. Das sind dann halt keine Fluggäste und auch eher nicht Zugfahrer, sondern diejenigen, die den Flixbus direkt und bar beim Busfahrer bezahlen. Oder halt all die anderen Busse, die zwischen Deutschland und Italien verkehren. Es gibt ja noch genügend private Kleinunternehmen, die das auch machen, und als ich das mal benutzt habe, hat uns auch niemand kontrolliert. Und selbst wenn man als Nicht-EU-Ausländer kontrolliert wird: Nach allem, was man so hört, ist es in Italien nicht wirklich schwer, deutsche Dokumente aus dem dysfunktionalen Asylsystem zu bekommen. Wer mit dem eigenen Auto aus Italien kommt, wird ohnehin nicht angehalten, egal ob Deutscher oder Italiener. Die Deutschen können das wegen der fehlenden Grenze zu Italien bei den Deutschen nicht einmal feststellen.



Da kommen also zwei Dinge zusammen: Ein Gesundheitssystem, das bei einer grippeartigen Erkrankung von der grossen Mehrheit unterlaufen wird, weil es geht, und sogar von vielen unterlaufen werden muss. Und offene Grenzen ohne Registrierung der Reisenden.

Israel steckt Einreisende aus Italien 14 Tage in die Quarantäne, Deutschland verteilt freiwillig auszufüllende Aussteigerkarten - wenn man sie gedruckt haben wird. Der enorme Anstieg der Fälle in Italien, und der Umstand, dass reisende Menschen aus Italien gerade in vielen Länder als erste Coronafälle auftauchen, müsste eigentlich zu denken geben, und das oben Gesagte sollte dabei in die Enscheidungsfindung einfliessen. Was sich in Italien jenseits des Gesundheitssystems speziell bei Jüngeren und Ärmeren und Unregistrierten abspielt, ist nicht abzuschätzen. Deshalb haben auch so viele in Italien Angst vor den Zuständen in Mailand, wo es auch viele Ecken gibt, die der Staat mehr oder weniger aufgegeben hat, und in denen Menschen ohne die jetzt eigentlich nötigen, sanitären Einrichtungen leben. Bis zu meinem Erdbebeneinsatz konnte ich mir das Ausmass auch nicht vorstellen, aber dann war ich in ein paar Lagern für Pakistanis und Afrikaner: Schon damals hatte man Angst vor der Ausbreitung von Seuchen in all den Ruinen, die immer noch als illegale Unterkünfte benutzt werden. Diese Leute sind auch diejenigen, die wegen fehlender sozialer Bindungen als erste die Regionen verlassen, in denen es kritisch wird. Das war so beim Erdbeben in Oberitalien, das wird jetzt auch nicht viel anders sein. Tests kann man bislang nur bei Menschen machen, die den Test haben wollen. Das dafür nötige Bewusstsein kann man bei denen, die von der Hand in den Mund leben und Taschentücher auf der Strasse verkaufen, wahrlich nicht erwarten. Und diese Leute sind die grosse Unbekannte bei den Zahlen aus Italien. Und warum sollte sich auch der aus dem System Gefallene im Alter von 25 dafür interessieren, was sein Schnupfen 2 Wochen später bei einem deutschen Rentner bewirken kann.

(Ich schreibe das hier auf der Probebühne, weil ich bei der Welt mit diesen Überlegungen vermutlich nur zur Panik beitragen würde, und um danach sagen zu können, schaut her, das hätte man in Deutschland bedenken müssen. M.E. bräuchte man rigide Grenzkontrollen schon in der Schweiz und in Österreicht, den wie schlimm es in Oberitalien wirklich ist, weiss noch niemand.)

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