TGV

Aus irgendwelchen Gründen kommt der TGV in Pasing an. Das nimmt etwas den Ruch des Wohllebens aus dem Narrativ heraus, das da lautet: Der Gast kommt mit dem TGV aus Paris und ich fahre rechtzeitig am Tegernsee los, um ihn in München zu holen - so würden schlechte Bücher über bessere Kreise anfangen, gäbe es sie in diesem Land der Ekzem-Autorinnen mit Nazigrossmutter, an der sie leiden. Der Gast kommt also nicht im hässlichen Hauptbahnhof an, sondern im absurden Pasinger Bahnhof. einem über hundert Jahre gewachsenen Geschwür zwischen villen und Norden und einer längst verrammelten Einkaufswüste im Süden.



Wir gehen essen.

Das ist gar nicht mehr so leicht, wenn man das parkplatzlose Schwabing meiden will, selbst wenn es auch dort nicht mehr so leicht mit der Auswahl ist. Und südlich von München gibt es mit dem Morizz die Üblichste aller Adressen schon lang nicht mehr. Das Gärtnerplatzviertel ist zu teuer für all die Mischformen aus Schwul und Freizügig geworden, aber es gibt schon noch weiter südlich das ein oder andere Lokal, das sich gehalten hat. mitsamt Erinnerungen an wüste Nächte und dem wozu Gott vermutlich die Motorhauben anderer Leute Autos erschaffen hat. Man sollte sich an die Marke mit dem Stern halten, die halten das spielend aus. Expertenwissen aus einer fernen Vergangenheit, als das salzige Wasser an den vibrierenden Fenstern des Parkcafes herunterlief.



Es ist spät und unter der Woche und Studium ist heute anders - weniger Geld angesichts der Preise und keine Freisemester, und so altert hier natürlich nach zehn auch das Publikum deutlich. Früher war das noch etwas anders, heute ist es eben so, aber man kennt mich natürlich noch und die Augen des Kelners fragen mich, was wohl aus meiner früheren Begleiterin wurde, mit der ich dauernd hier war - einfach weil das asiatische Essen so gut wie im Morizz war, und man ihr da nichts vormachen konnte. Wir kommen wieder, keine Sorge, lächle ich ihn an, und dann setzen wir uns vor die Glaswand, hinter der die Köche arbeiten. Viel ist nicht mehr zu tun und es gibt Gründe, warum das heute so sittsam abläuft. Ich glaube, an die Nacht, bevor B. nach Berlin ging, erinnern sich hier noch alle.



Es ist ein wenig wie daheim ankommen - und das ist ein Gefühl, das ich in München sonst nur noch in Museen und den verbliebenen Antiquariaten habe. Ich verstehe, dass Menschen Vorbehalte gegen die Stadt haben, denn sobald man sie lieben gelernt hat, stirbt sie auch schon wieder tausend Tode und was sich hält, sind schlechte Japaner und die immer gleichen Modegeschäfte. München hat mich mit seinen damals unbezahlbaren Antiquitätengeschäften und Buchläden, zwischen denen ich wohnte, geboren - heute leiste ich mir das alles, aber sicher nicht in München, wo das Angebot schlecht, sehr schlecht geworden ist. Es gab da hinter der Uni eine Strasse voller kleiner Silberkammern. Heute ist dort ein Studentenladen neben dem anderen, und Juristen klagen über die Berufsaussichten. Wir drückten uns die Nasen platt und flüsterten uns ins Ohr, dass wir dereinst ganze Schränke davon haben würden. Das haben wir. Aber darüber eben auch die Stadt verloren.



Draussen bei mir, wo wir dann durch die funkelnde Stadt und über die schwarze Isar hinauf fahren, ist ein alter Mann zugezogen. Millionärsgentrifizierung halt, es ist billiger und praktischer am Tegernsee zu wohnen, als 200 Quadrateter Altbau in Bogenhausen gegen die Erben zu verteidigen. Er hat sich eingewöhnt, der See macht das sehr leicht, und sieht München jetzt auch eher skeptisch. eine Generation liegt zwischen uns, aber wir verstehen das beide gleich. Es ist vielleicht nicht wirklich schick, Gäste in Pasing vom TGV abzuholen, aber es ist das, was uns bleibt, und in der Nacht hört man nicht den Verkehr, sondern das Bimmeln der ersten Kuhglocken des schwindenden Bergwinters, der gerade die Wiesen frei gemacht hat.

Es ist ganz in Ordnung so. Und die Erinnerungen ziehen mit solange man sie eben braucht.

Freitag, 17. April 2015, 00:33, von donalphons | |comment

 
TGV?
Ist das ein Stockfoto oder fahren TGVs neuerdings in ICE-Farben?

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Die Gentrifizierung frisst ihre Eltern
"Wir werden überhall hinfahren können, aber es wird sich nicht mehr lohnen, dort anzukommen".
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Und wenn das Geld erstmal jeden normalen Menschen aus den inneren Stadtbezirken verbannt hat, werden diese halt veröden: London am Sonntag.

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Wie soll´s denn anders gehen (ernsthaft)? Alle wollen in die grossen Städte, aber einer der wirklich begrenzten Resourcen ist nun mal Boden, also Wohnraum. Und mit allen Anstrengungen könnten es Frankfurt oder London nur hinbekommen, mit sozalem Wohnungsbau kleine Inseln für Normal- oder Unterschnittverdiener hinzubekommen. Mehr nicht.

Gruss,
Thorsten Haupts

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D'accord. Freilich könnte man das Ganze mit geschickterer Bauplanung zumindest verzögern. Zum Thema "höhere Häuser" in München hab ich mich früher schon mal ausgelassen (und ja, Volksentscheid und so, war aber trotzdem nicht klug). Der recht neue Stadtteil Frankfurt Riedberg ist ein weiteres Beispiel: da werden munter platzverschwenderischste Reihenhäuschen gebaut, Vorgärtlein, hinten Gärtlein, Auto parkt auf der Straße. Fürs Wohnen bleibt da oft nur noch Splitlevel in Kaninchenstallgröße. In der sogenannten Gründerzeit konnte man das noch besser, und es kommt ja nicht von ungefähr, dass damals die Stadtviertel entstanden, die heute so dicht bebaut und mit Nachversorgungsinfrastruktur ausgestattet sind, dass jeder dort leben will.
Dicht und hoch oder zumindest höher bebauen muss ja nicht gleich aussehen wie Karl Marx Allee oder Bürostadt Niederrad.

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Klar könnte es anders gehen, aber wozu eigentlich?
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Es geht auch ohne lebenswerte Städte.

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www.derelictlondon.com
Schaut mal dort rein. Heute empfehlen die Makler Ingolstadt, Kassel oder Wolfsburg als Anlageorte, eine Generation später sieht es dort aus wie in Detroit.

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Auch das eine Prozent mit dem Vermögen könnte seine Prioritäten anders setzen.
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Es ist sonst halt das ewige Dilemma des reichen Schnösels: Er kann mit seinem Geld viele junge Frauen anlocken, wird dann aber gefahr laufen, dass sich der hübsche Engel nach der Heirat als geldgieriges Monster entpuppt. Und so war es in New York, London und jetzt halt auch in der kontinentaleuropäischen Wohlstandsprovinz: Man kauft sich ein in einen hippen Szenebezirk und wohnen tut man dann in einer gepflegten Seniorenresidenz.

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Es ist nicht das eine Prozent mit Vermögen, das die "Gentrifizierung" vorantreibt (das wohnt am Tegernsee oder in Bad Homburg). Es sind die oberen 20% Einkommensbezieher. Und das muss übrigens auch nicht immer etwas schlechtes sein, ich kannte früher auch in Hamburg durchaus Ecken, denen etwas Gentrifizierung gut getan hätte.

Gruss,
Thorsten Haupts

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Auch das Kapital braucht ab und zu jemanden, der es vor sich selbst beschützt, durchaus auch im Interesse seiner Eigentümer (die ja ebenfalls Menschen sind aus Fleisch und Blut).
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Nirgendwo konnte und kann man das so deutlich sehen wie auf dem Gebiet der Stadtentwicklung.
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Gucken Sie mal, was grade in China abläuft.

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"grade in China"
Was läuft da so?

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Hier (Dresden) wird von interessierter Seite auch gerade wieder das Hohelied der Investoren gesungen. Ein Bauboom ohnegleichen; ständig wird die unmittelbar vor der Tür stehende Wohnungsnot beschworen (dass im Augenblick 40% mehr Wohnungen gebaut werden, als von der Stadtplanung für notwendig erachtet werden, fällt dabei gepflegt unter den Tisch; dass sich fast alle Neubauten im Premiumbereich finden ebenso).

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@Oberlehrer:
Wenn Sie Recht haben, fallen in Kürze eine Reihe von Investoren gepflegt auf die Schnauze und das Problem erledigt sich über Preisverfall im "Premium"segment von selbst.

Ich kann mich an eine ähnliche Entwicklung aus den neunzigern erinnern, bei der es um Büroimmobilien ging. Mangel, hochgejazzt, massive Preissteigerungen, massig Neubauten, Leerstände, Preisverfall, einige Konkurse, erledigt.

Schweinezyklen scheinen im Immobilienbereich, so sagte mir ein grosser Bauherr einmal, etablierter und bekannter Standard zu sein.

Gruss,
Thorsten Haupts

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Die Schweinezyklen im Immobilienbereich sind in der Tat gut zu beobachten; hier gingen nacheinander Büroimmobilien, Altenheime, Hotels und jetzt eben Wohnungen durch.
Was die Selbstregulierungskräfte des Marktes angeht: Da bin ich weniger optimistisch. Ich sehe es z.B. an Stralsund, wo es nun beileibe keinen Wohnungsmangel gibt, aber die Mieten trotzdem ziemlich hoch liegen (und anscheinend keiner runtergehen will).

Was an diesen Zyklen aber eben auch fatal ist: Überall, wo man eine nicht vermietbare Bebauung hingesetzt hat, kann man dann später schlecht was neues hinsetzen (jedenfalls ohne Abriss). Und so stehen dann inmitten von Wohngebieten halbleere Einkaufszentren an Stellen, wo sich früher mal Grünanlagen befanden...

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Möge Fachleute mich korrigieren, weil aus dem Bauch heraus:

Soweit ich weiss, werden Bebauungspläne, -zonen und -ordnungen auf kommunaler Ebene entschieden? Also reichlich Raum für politische Eingriffe, die allerdings ein solches Problem niemals vollständig verhindern können.

Gruss,
Thorsten Haupts

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Politische Eingriffe erfolgen auch nicht im luftleeren Raum. "Wir sind Investoren, wir sichern Arbeitsplätze" führt ja nun nicht gerade selten zum Einknicken auf Entscheiderebene.
Wenn die Sinnhaftigkeit mancher Investitionen hinterfragt wird, ist gleich die Rede von "Sozialneid gegenüber den Machern" und ähnlichem.
Oder auch hübsch: Wenn der Ortsvorsteher gleichzeitig Inhaber einer Baufirma ist...

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Fällz das jetzt unter die Rubrik: "Die Gesellschaft würde so schön funktionieren, wenn nur die Menschen nicht wären?"

Gruss,
Thorsten Haupts

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Das fällt eher in die Rubrik "Unterschiede zwischen Theorie und Praxis".

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Das ist das gleiche :-).

Gruss,
Thorsten Haupts

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