Deutschland ist hässlich

Immer, wenn ich aus Italien heimkomme, habe ich ernsthafte Probleme, mich hier wieder einzufinden. Einfach, weil so vieles hier von sagenhafter Kultur- und Geschichtslosigkeit ist. Meiner Heimatstadt fehlt es nicht an architektonischen Zeugnissen der Vergangenheit, aber so im direkten Vergleich, wenn man eine Woche vorher noch in Mantua war - ist es hart. Wirklich hart. Selbst mit Rückzugsräumen, selbst mit dem Wissen, dass Italien auch massenhaft hässliche Ecken hat, die auch nicht anders als Deutschland sind. Man fahre nur mal durch Mantua hindurch und dann Richtung Ferrara, weil man glaubt, die Ausschilderung zu "La Favorita" könnte auf eine weitere Villa hinweisen. Da steht dann ein Einkaufszentrum so gross wie der historische Kern der Stadt, aber mit absolut 0 Kultur. Und voller Einheimischer, denen das Alte vermutlich genauso egal ist wie dem Deutschen historische Bausubstanz, solange es darin nicht Rinderhack aus Bulgarien für 0,09 Euro/100 Gramm gibt. Es wäre erheblich leichter Abschied zun nehmen, wenn man durch solche trostlosen Gebiete nach Hause fahren könnte - aber nur um mir das zu ermöglichen, mache ich sicher keinen Umweg durch Wien oder was es sonst noch an gebauten Abartigkeiten im Nordwestbalkan gibt.

Da ist es natürlich schön, wenn ein Besitzer eines Hemdes mit dem Aufdruck "Wien ist ein Kaff" einen zu einem Ort mitnimmt, der ganz anders ist:



Das Staatstheater am Gärtnerplatz nämlich, Münchens zweites und kleineres Opernhaus, mitunter spöttisch, aber grundlos vom hohen Haus des Nationaltheaters betrachtet. Zumal, wenn Rossini gegeben wird. Man ahnt es: Rossini ist mein absoluter Lieblingskomponist für Opern neben Mozart, nach Rossini kam leider nur noch Wagner und anderes, was die Kulturgattung auf den Weg zum geistlosen Musical und Naziaufmarschbegleitung schickte. Überhaupt Wagner. Wagner hätte heute Shoppingcenter geliebt, ihre Beschallung geschrieben und bei Lidl eingekauft. Das ist Wagner. Rossini dagegen, so eine richtige Rossinistretta mit all ihren Brüchen und Überraschungen, und dann der rote Vorhang...



Das hilft bei der Eingewöhnung. Oder wenn mich mein Käsehändler darauf hinweist, dass endlich, nach einem halben Jahr und Zuständen wie im Ostblock, in denen es ihn einfach nicht gab, endlich der junge Gaperon d'Auvergne angekommen ist. Es ist nicht nur der unfassbar frische Geschmack, es ist auch die Form, die, wenn man böse ist, wegen der gelb verschnürten Kugel an etwas ungewöhnliche Sepraktiken gemahnt - Bondage-Fromage meinte Iris heute gehässig - und wenn man eher kunstsinnig orientiert ist, an die Form der Brüste erinnert, die man in der Schule von Fountainbleu malte, so weiss, rund und wohlgeformt.



Man kann sich dieses Land schön machen, ohne es sich schön zu saufen. Immerhin. Das geht. Man muss nur wissen, wie und mit wem. Den Umstand, dass ich gestern auf eine weibliche Begleitung in der Oper verzichten musste, übersehe ich jetzt einfach mal. So süss und nett klang die Absage, und sie meinte, ich dürfte mir etwas wünschen. Ausser einem Italienurlaub, was ich mittlerweile schon etwas gewohnt bin. Nun. Da fällt mir sicher etwas ein, was nachher nicht im Blog stehen wird.

hehe. wann ist nochmal das nächste konzert mit musik von charles tessier und seiner möglichen vorderasiatischen vorbilder unter besonderer berücksichtigung der derwischmusik, am besten in einer kirche des frühbarock, deren baugeschichte ich gut kenne und wirklich viel erzählen kann?

Samstag, 12. Mai 2007, 20:54, von donalphons | |comment

 
Deine Hommage an den "Gaperon d´Auvergne" ist trotz Bondage eine Spur zu fromm ... age.

Und auch im Französischen geht der Accent aigu nicht als Apostroph durch. (Vergleichbar mit der Unsitte *der* Blog zu schreiben.)

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Besser jetzt?

Danke für die Hinweise.

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Irgendwann ist auch mal wieder das Cuvilliéstheater offen... das ist nun ein Rokoko-Schmuckstück erster Güte.

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Zuerst mal: Teatro Bibiena in Mantua!

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Ach ja....

Splendido gioiello progettato tra il 1767 e il 1769 da Antonio Gallio Bibiena, era stato concepito come prezioso involucro per incontri scientifico-culturali. Una pianta a forma di campana avvolge la scena di palchi lignei affrescati a monocromo. Fu inaugurato il 3 dicembre 1796 da Wolfgang Amadeus Mozart.

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Dort gibt es dann auch Konzerte in historischer Aufführungspraxis. Und jetzt rate mal, wo ich übernächste Woche sein werde.

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Je älter eine Kultur ist, desto mehr Zeugnisse der Vergangenheit gibt es. Und Italien geht nun mindestens auf das Römische Reich zurück. Wie arm sind da eigentlich die Nordamerikaner? Ich habe gerade einen wunderbaren Spruch gehört: "Die Europäer denken, 100 km seien eine weite Entfernung, die Amerikaner denken, 100 Jahre seien eine lange Zeit."

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Es ist aber nicht nur die Geschichte, sondern die Art, mit ihr umzugehen.

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Nun gibt es auch dort welche, die für 100 Jahre mehr Verständnis haben als andere bei uns für 50 Jahre. Dennoch war es genau das in den USA: Die fehlende Geschichte, die einem überall reingerieben wird. Alles ausgerichtet an den Bedürfnissen der Moderne, einer Oversize-Moderne, die mittlerweile wie ein zu grosser Anzug an einem alten Mann schlabbert. Europa hat noch das theoretische Potenzial, die Geschichte mit einzuziehen. Die USA haben lediglich Museen, in denen zusammengekauftes Zeug nicht wirklich viele Leute anzieht. Das ist eben der Unterschied zwischen "es haben" und "darin leben".

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@mouchi, ich hatte mal Besuch aus Ägypten und habe mit dem eine Deutschlandreise gemacht. Das war ein ganz eigenartiges Gefühl, dem unsere ältesten Kulturdenkmäler zu zeigen, zu einem Zeipunkt, als Nebra usw. noch nicht ausgebuddelt waren. Gegenüber der dortigen Geschichte ist ja fast alles bei uns neu, und für die Leute dort war in der Tat das Mittelalter eben erst.

@Don, Tipp für Italien zum Abgewöhnen: Einfach am letzten Tag im Lande selbigen im Öl- und Containerhafen von Genua verbringen.

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Deutschland wird noch hässlicher
Wir schämen uns unserer Geschichte aus gutem Grund, aber selbst die Teile unserer Geschichte derer wir uns nicht zu schämen brauche, freuen wir uns nicht, weil wir sie als Übergangsphase zu den Gründen der Scham sehen.

Deshalb haben wir auch keine Architektur für den Menschen sondern eine neue Sachlichkeit die man eher als Scheußlichkeit bezeichnen müsste.

Unsere Häuser gewinnen durch ihr Alter nicht an Geschichte sondern an Hässlichkeit. Wir kennen keine Zwischentöne, Verfall oder dickärschiges Angebertum in Marmor. Keine Klasse sondern Protz. Prunk als Ersatz für Gebrauchbarkeit.

Mag sein das es an unseren Gesetzen liegt, an der Möglichkeit selbst den größten Schwachsinn abzuschreiben, statt Erhalt den schnell vergehenden Glanz des neuen zu fördern.

Dieser Prozess schreitet von Tag zu Tag fort.

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Freut mich sehr!!

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