: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 20. Januar 2004

Old teaching young

Damals, Berkeley, muss ihre grosse Zeit gewesen sein. Hey hey, LBJ, how many kids have you killed today. Sie waren ganz vorne mit dabei, und als Kissinger den Schwanz einzog und der Alptraum Vietnam endlich vorbei war, hatten sie ihre Mission erfüllt. Sie gingen in den Beruf, machten Karriere und wurden reich. Manche verliessen auch die USA, bildeten Expat-Gemeinden irgendwo in der Welt und waren mit dem Leben zufrieden. So zufrieden, wie es nur Amerikaner sein können.

George W. Bush stört diese Zufriedenheit. Er ist genau das, wogegen sie in Berkeley angetreten sind: Der Inbegriff des drögen Cowboys aus dem Mittelwesten. Bush stört sie. Bush inszeniert das neue Vietnam.

Und deshalb machen sich die inzwischen angegrauten Damen auf, um nochmal zu mobilisieren. Sie, nicht die jungen Leute, bringen die Expats dazu, sich als Wähler registrieren zu lassen. Die 68er sagen den Twens abroud, wie das geht. Sie machen American Voices Abroad Party. Draussen gibt es noch Bier, drinnen, nach der Registrierung dann Rotwein. Und die Jungen lernen mühsam, wie das geht, aktiv zu werden und sich nichts alles vom reaktionären Klüngel gefallen zu lassen.



Die 68er machen aus ihren Überzeugungen keinen Hehl. Eine der Frauen trägt unter ihrem alteuropäischen, roten Pashmina-Poncho von Krizia eine Friedenstaube. Aus Silber, handgesschmiedet.

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Dienstag, 6. Januar 2004

Das Dissen meiner Freunde

Was soll das, fragen meine Gleichaltrigen die jungen Leute, mit denen ich zu tun habe. Das ist doch kein Streik. Ihr habt kein politisches Bewusstsein. Klemmt Euch lieber mal hinter verfasste Studentenschaften, oder ne ordentliche Bafögzuteilung für Sozial Schwache. Ihr denkt viel zu kurz, wenn ihr gegen Studiengebühren auf die Strasse geht. Und macht Euch nicht für die Professoren krumm, sondern tut was für eine umfassende Systemänderung.

Das Wort Weltrevolution konnten sie sich gerade noch verkneifen. Aber gedacht haben sie es, kurz, als sie sich erinnert haben, wie es damals bei ihnen war.

Jetzt verspielen die Idioten das, was wir damals erreicht haben, denken sie sich, gehen in die Designerküche von der Grösse zweier Studentenbuden, und machen sich leicht angesäuert einen Espresso. Auf der Maschine, die sie als Büromaterial steuerlich abgesetzt haben.

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Dienstag, 23. Dezember 2003

Der Markt und die Herrlichkeit

Er hatte in Rom seine Gitarre dabei. Nachdem wir um 12 in der Pension sein mussten, klimperte er noch eine Stunde rum und sang christliches Liedgut, nur eine Wand und einen Meter von mir entfernt. Andere sangen manchmal mit. Nach ein paar Nächten gab mein Walkman den Geist auf, und Nero mit seinen Christenverfolgungen wurde mir sehr symphatisch.

Damals, Mitte der 80er, war er eine Art Spätfolge der 68er, missionarisch eifernd und gleichzeitig verständnisvoll, selbst wenn man ihm den Schädel eingeschlagen hätte. Zudem öko und Lennon-Brille. Für meine in Ungarn handgenähten Budapester hatte er kein Verständnis. Er trug Birkenstock, die früher mal beige waren, inzischen aber ins isabellabraun hinüberwesten. Er stank nach Frömmigkeit. Seine erste Freundin wollte er ganz sicher mal heiraten.

So war es denn auch, als er mir heute über den Weg lief. Er hat sich nicht verändert, was kaum überrascht bei Leuten, die schon als alte, faltige Greise auf die Welt kommen. Inzwischen ist er leitender Angestellter bei einer kirchlichen Einrichtung, und betreut dort die "EDV-Anlagen" und den "Internet-Auftritt". So heisst das da. Die Begriffe IT und Website stehen wahrscheinlich noch auf dem Index. Mit dem Internet-Auftritt haben sie jetzt ganz grosse Pläne, nach dem Ende der New Economy sehen sie im "weltweiten Netz" einen Trend zurück zu den wahren Werten. Dass seine Schuhe inzwischen geputzt waren, dürfte an der verhuzelten Kinderhandhalterin neben ihm gelegen haben, sauber und unapetitlich wie Kernseife in der Zoloft-Kapsel.

Er hat alles richtig gemacht. Er ging konsequent den Weg aller irdischen 68 durch die Institutionen. Kein Risiko, keine Visionen, es sei den bei 12 Stunden hardcore Rosenkranz, und dann auch nur Jungfrauen. Dafür hat er ein gesichertes Einkommen, und eine Spielplatz im Netz für seine Ideologie. Dagegen war die Gitarrenfolter nur ein leichter Vorgeschmack.

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Freitag, 12. Dezember 2003

Eybel

Irgendwann ist Schluss mit den Gebräuchen. Kein Kindergeburtstag mehr, keine Ostereier, kein Nikolaus. Zumindest war das noch vor ein paar Jahren so. Niemand hatte Zeit, den 6. Dezember mit den Eltern zu verbringen. Das hat sich geändert.

Eybel hat wieder Hochkonjunktur. Zumindest bei Julias Eltern. Sie kamen auf dem Rückweg vom Tegernsee vorbei und brachten ihr eine Tüte gemischtes Durcheinander mit. Von allem etwas, Nougat, Meeresfrüchte, Marzipan, weisse Schokolade, weil sie sich nicht sicher waren, was Julia nach all den Jahren mag.

Julia rührt nichts davon nicht an. Die Tüte mit der grünen Schleife stand eine Weile hinten auf dem Küchentisch und wartete darauf, dass sie wieder von ihrem Schlankheitswahn runterkommt. Sie wiegt 56 Kilo bei 1,75 Meter. Zu viel, als dass sie das Zeug von Eybel anfassen würde.

Am Montag kommen ihre Eltern wieder. Es geht um die Wohnung. Seitdem Julia keine Arbeit mehr hat, wird es mit der Miete eng. Ihr Vater hat inzwischen mit dem Vermieter über den Kauf der Wohnung gesprochen, und hat einen guten Preis erzielt. Er will, dass sie sicher leben kann. Am Montag ist der Notartermin, und dann ist sie eine Sorge los. Ihre Eltern würden auch für alles andere aufkommen, aber das ist keine Lösung. Die Arbeitslosenhilfe läuft aus, sie braucht dringend irgendeinen Job, und nächste Woche sind wieder zwei Vorstellungsgespräche. Sie darf nicht fett werden. Aber wenn die Eybel Pralinen immer noch da sind, werden ihre Eltern beleidigt sein.

Seit gestern verfüttert Julia die Pralinen deshalb an ihre Bekannten. Es tut ihrer Laune nicht gut. Der Sack hat 50 Euro oder mehr gekostet. Das Geld hätte sie dringend anderweitig bräuchte. Aber ihre Eltern, die gerne ins Oberland und an die Seen fahren, hätten nur wenig Verständnis für neue Straussenlederstiefel. In Cremebraun. Ihre Mutter hat einen Ökofimmel, der sich gegen Straussenleder sträubt und echte Schokolade befürwortet. Auch wenn letztlich damit Bekannte ihrer Tochter gestopft werden.

Die Schokolade auf den Mandelplätzchen ist nur ein dünner, fast geschmacksneutraler Film, mit zarten, rautenförmigen Linien auf der Rückseite. Nur sehr gute Schokolade kann so fein geformt werden.

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Dienstag, 9. Dezember 2003

Der Kriechgang durch die Institutionen

Früher war es schick, links zu sein. Sponti. Steine schmeissen gegen den Bullenstaat. Mit Joschkas Putztruppe die Strasse von den grünen Misthaufen säubern. Im Pflasterstrand dem Cohn-Bendit nach dem Mund schreiben, für die Weltrevolution und in der Hoffnung, auch mal so Puppen wie der Langhans auf die Ökomatte zu bekommen. Uschi Obermeier, die wär´s gewesen.

Von sowas träumte wohl der junge R. Mohr, aber leider war er etwas zu jung für die Kommune und die freie Liebe, bei der die Frauen trotz des theoretischen Feminismus die praktisch besetzten Löcher putzten. Die Revolutionäre guckten so lang Pinups in der Konkret, den Big Mezz in der Hand. Die Goldenen Zeiten ihrer Revolte eben. R. Mohr bekam nur noch den Niedergang der Bewegung mit. Als er im Pflasterstrand noch linke Parolen orgelte, waren andere schon auf dem Weg in die Realpolitik.

Joschka spricht vor der UN.
Cohn-Bendit will weiterhin im Europaparlament sitzen.
R. Mohr schreibt als Quotensponti für Spiegel Online. Beim Argon-Verlag sollte er mit seinem Buch Generation Z die Lücken schliessen, die der dem Kapitalismus systemimmanente Weggang von Florian Illies gerissen hat.

Hat nicht geklappt. R. Mohr war zu jung für Uschi, und wird auch keine Maike als Groupie bei seinen Lesungen finden. Er ist ein Auslaufsmodell, selbst, wenn er sich den fragwürdigen Methoden eines Kapitalismus bedient, der die Meinungsfreiheit nur als Asset seiner ureigensten Interessen versteht.

Er war nie das richtige Produkt für den sich stetig ändernden Markt.

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Samstag, 6. Dezember 2003

Fettschlanke Malle-Spiesserrevolutionäre

Irgendwo in Mittelbayern. An prominenter Stelle ein Schmuckgeschäft. Schräg davor ein silberner Audi TT. Aus den Sitzen schälen sich zwei Berufsjugendliche weit jenseits der 50er Grenze. Nachbarn meiner Eltern, Makler. Sie hat das Grinsen chirurgisch hochgetackert, er kunstvoll die Löcher im Haupthaar mit Wetgel zugeschleimt. Lässige Freizeitkleidung, braunverbrannt.

Sie gehen zum Juwelier. Sie streckt eine Hand mit viel Weissgold-Plunder aus und zeigt auf etwas. Das da, sagt sie, ist doch was schönes für Anabel, oder? So jugendlich.

Er greift mit lässiger Pose in die Hosentasche, den Daumen in Richtung Primärgenital, die Breitling sichtbar, und nickt cool. Klar, sagt er, greift um ihre Taille und gibt ihr einen Kuss. Öffentlich, damit es jeder sieht, dass sie immer noch guten Sex haben. Da kaufen wir aber lieber zwei, denn Dir steht das sicher auch, Babe. Dann verschwinden sie im Laden.

Anabel ist ihre Tochter. Sie ist Ende 20 und arbeitslos. Sie sitzt in München in der Eigentumswohnung ihrer Eltern und macht irgendwelche Freelancersachen. Manchmal treffen wir uns, und sie erzählt, dass sie sich nicht mal Mallorcaurlaub leisten kann. Sie sagt es ihren Eltern nicht, denn die hätten sicher Verständnis und würden ihr was zustecken.

Schliesslich waren sie auch noch jünger als heute und wissen, dass das Leben was kostet. Wahrscheinlich würden sie nur mit den Schultern zucken, wenn sie bei Anabel Haschisch finden würden. Sie verstehen es. Sie können es sich leisten, und später mal kann Anabel alles haben. Dann haben ihre Eltern ja noch die Rente.

Und das Haus in der Provence mit Ökogarten, von dem Mama schon geträumt hat, als sie noch Soziologie in Marburg studierte. Und der Kontakt mit dem Bullenstaat noch was anderes war als der Strafzettel, den sie hier im Halteverbot bekommen wird.

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Donnerstag, 4. Dezember 2003

68er

Wir hatten genug von den sozialschmarotzenden Lehrern, die mit uns über Weltverbesserung diskutieren wollten. Wir gingen in die Stadt, um was zu werden.

Aber dort standen Wir plötzlich vor lahmarschigen Professoren, die genau so jutemässig drauf waren waren wie der Sozialkundeonkel daheim. Sie zeigten Bilder aus ihrer Jugend, langhaarig mit Joint, und erzählten, wie das war, mit dem Hafermaß und den Markuse. Zu ihrer Zeit war das noch richtig toll, glaubten sie. Und jetzt sind sie als Quasibeamte an der Uni und kommen mit so Scheiss wie Oskar Negt oder Sozialethik.

Sogar, wenn Wir was Hippes wie Jura, BWL, Kommunikationswissenschaften oder Informatik studieren.

Die müssen weg. Schnell.

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