: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 5. August 2005

Das Biest

ist erledigt und kreidebleich. Nach 7 Kilo Spachtelmasse, 160 Schrauben unf vier Liter Farbe.



Der Rest ist nicht mehr so schlimm.

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Freitag, 5. August 2005

Nicht zu empfehlen: Meine Wand hat ein Loch.

Ja. So ist das nun mal in Altbauten. Da gibt es Wände, die Löcher haben. Na und? Auch der Schweizer Käse hat Löcher, die Raumfähre und auch das Piercing-Girl. Das Loch habe ich übrigens selbst mal gemacht, im Irrglauben, ich könnte die Deckenbalken freilegen. Die Details würden hier nur langweilen, jedenfalls ging es aus einigen statischen Gründen nicht. Zurück blieb also besagtes Loch.

Kein Problem, schliesslich wird es ja später mit Stoff bespannt, dachte ich. Tatsächlich handelt es sich aber um ein Loch in 3D, sprich, es zieht sich von der Vertikalen in eine Schräge. Auch die Schräge sollte bespannt werden, aber, wie sich heute zeigte: Es geht auch nicht. Weil nämlich... (Heulkrampf) es geht jedenfalls nicht. Und deshalb:



Alles zwei Arbeitsschritte zurück. Eine Platte aufsetzen, zuschneiden und befestigen, Tapeten entfernen (geht das nie zu Ende...) und schon wieder verspachteln. Und diesmal gleich dreimal, weil das Loch sonst nicht zu füllen ist. Dabei war es damals gar nicht so leicht, so ein grosses Loch zu machen. Das nächste Mal lasse ich die Wände zu, fertig, basta.

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Mittwoch, 3. August 2005

Sehr zu empfehlen: Noch mal nachdenken

Ich habe einen Heidenrespekt vor Handwerkern. Ich hatte in einem Ferienjob das Vergnügen, 6 Wochen in einer als Handwerksbetrieb organisierten Abteilung eines Grosskonzerns zu arbeiten, der sich mit Rohrleitungen beschäftigte. Die Leute waren absolute Profis, wortkarg, ruhig und so selbstsicher, wie man wohl sein muss, wenn man tagein tagaus mit technischen Gasen und Flüssigkeiten umgeht, die hochtoxisch und explosiv sind. Ich kann immer noch Gewinde schneiden, schweissen und Rohre abdichten, ich weiss um die Qualität einer echten Hilti, die man jeden Tag im Werkzeuglager mit Erlaubnisschein abholen musste, aber das wichtigste, was ich bei denen gelernt habe, war das Nachdenken - und das ist etwas, was man bei einem Gymnasiasten aus besserer Familie in diesem Alter nicht zwingend erwarten kann. Das Nachdenken am Ende jedes Arbeitsschrittes, ob alles richtig war, was nicht so gut lief, und was man das nächste mal besser machen würde.

Der Stuck ist fertig montiert und verputzt. Morgen beginnt das Weissen, die Farbe steht schon bereit, aber das Ergebnis sieht jetzt schon ziemlich hübsch aus. Nichts gegen das, was man vor 100 Jahren an die Decken der Grossbürgerhäuser zauberte, aber angesichts eines ehemaligen Dienstbotenkämmerchens und späteren geheimen Schwulenspielwiese ganz akzeptabel:



Würde ich es nochmal machen? Nein, im Moment überwiegt einfach die Freude, dass es vorbei ist. Die Decke war krumm, es gab einige böse Überraschungen, man geht am Abend frustriert ins Bett, weil man an einem toten Punkt ist und keine Lösung hat. Stuck allein ist nicht das Problem - das Problem ist Stuck auf bröselndem Heraklit und schlechtem Putz mit viel alter Tapete drauf und einer Raumform, die schon erheblichen Zweifel an der Fähigkeit des Zimmermanns des Jahres 1886 (oder etwas später) aufkommen lässt.

Was dann? Das Schlimme ist: Alternativen gibt es auch nicht. Der Innenspiegel war allein schon wegen des Mauervorsprungs und dem fehlenden Abschlussteil an der Spitze ein Bruch, als Ersatz hätte man auch eine grosse Rosette nehmen können - aber dafür ist der Raum zu niedrig. Man hat einfach keine andere Wahl, und dann kommen die Katastrophen: Eine Raumecke hat einen Winkel von 94 Grad, die andere von 87, und die Eckelemente sind exakt im rechten Winkel. Vielleicht hätte es auch höherer Stuck an den Raumkanten getan - aber das geht auch nicht, weil die Wände teilweise schräg sind und die Übergänge schon jetzt ausgesprochen holprig wurden. Überhaupt die Übergänge: Ganz böse. Eine Wand krumm, eine Wand schief, Decke nicht gerade, kein rechter Winkel: Da ist ein sauberer Übergang ein Ding der Unmöglichkeit.
Aber: In Berlin habe ich ein paar Dutzend Palmetten aus Holz mitgenommen, ohne zu wissen, wofür ich die mal brauchen könnte. Spontankauf, weil sie so billig waren; Reste aus einer aufgelösten Schreinerei. Die werden in Gold und Weiss lackiert und kommen dann in die unschönen Ecken. (sorry wegen der dreckigen Fingernägel, wenn das meine Frau Mama wüsste...)



Was noch? Ich weiss nicht, ob ich die Decke nochmal von Fehlstelle zu Fehlstelle verspachteln würde. Das Verspachteln des Stucks war ein Kinderspiel, aber die Löcher in der Heraktlitdecke, die offenen Fasern und die viele hunderte elende Tapetenfitzelchen waren die Hölle. Vielleicht hätte ich die Decke nochmal komplett verputzen sollen, aber das geht dann nicht in die Tiefe, da bleiben Risse und Spannungen, und kaum zwei Jahre später geht das Ganze von Vorne los, und Gipskrümel der Decke im Tee sind nicht wirklich fashionable. Als das Heraklit an die Decke kam, war der Putz nur der Untergrund für die Tapete, das hat er gehalten, und niemand konnte in den frühen 60er Jahren ahnen, dass es mal jemand geben würde, der da Stuck haben will - das war die Zeit, wo jeder den Stuck runtergehauen hat. Als Folge bleiben noch ein paar hundert Grate vom Spachteln, die abgeschliffen werden müssen, bevor morgen die Farbe kommt. Es ist einfach so elend viel Arbeit, ohne dass es wirklich vorangeht.

Weichei, das einzig wirklich Elende ist das Gejammere - dafür kann ich Jahrzehnte an die Decke schauen und mich daran erfreuen. Ausserdem, wie mir ein alter, geizistgeiliger VC schon mal gesagt hat: Verdient haben Sie nichts, Herr Porcamadonna, aber Sie haben was gelernt.

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Sonntag, 31. Juli 2005

Sehr zu empfehlen - Pimp my Wohnung

Seit ein paar Wochen habe ich einen Beitrag in der Pipe, den kein Feuilleton je abdrucken würde, und das obwohl der Mensch hinter Don Alphonso das Kulturgeschreibe in so manchem grossen Blatt zu allseitiger Zufriedenheit beherrscht: Ein Beitrag, warum die MTV-Sendung "Pimp my Ride" in gesellschaftlich-ethischer Hinsicht das Beste ist, was der Musiksender zu bieten hat, und warum man dafür gern die Kuttner-Labertasche absetzen kann; es ist eine Enklave des alten Europa in der neuen Medienwelt, und in meinen Augen ein Hoffnungsträger für die Zukunft einer gewissen Wertbeständigkeit in unserer industriell-marketingverseuchten Konsumwelt.

Ohne dem an dieser Stelle vorgreifen zu wollen, hier schon mal ein Stück applied Pimpery, wie es im amobilen zentraleuropäischen Kontext aussehen kann:



Yo Baby, das da im Schaufenster ist ein echter 1750er vollbreiter Konsolspiegel mit WENIG Vergoldung, Mann, das ist nichts, wenn Du erst mal siehst was ich vor einer Woche genommen habe für so wenig Bucks ey, da kriegt noch nicht mal dein Pitbull einen Knochen für, aber bei mir ist fett Gold überall drauf und besser erhalten ist er auch. Yo, Baby, das da bei Muggenthaler ist vielleicht der Chevy unter den Spiegeln, aber meiner, der ist der gestretchte Eldorado, 24K-Blattgold überall, da würde auch Muggibaby mehr als die 1650 Mucken haben wollen, die da fett draufstehen. Und das volle Flowerpowerdesign hab ich an allen Stellen, der ist da krass 60ies auch nach 260 Jahren, das findest Du nicht mal bei Muggenthaler Mann, also gib auf und geh zurück in Dein Ikeaheim.

Baby, if´ya ain´t gut 1750ies in your deVille Mansion, ya ain´t got Shitz you know.

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Dienstag, 19. Juli 2005

Sehr zu empfehlen - Hängt ihn höher!

Es war an einem verregneten Freitag Nachmittag in Berlin - so verregnet, wie Freitag Nachmittage in Berlin nun mal meistens sind. Meine kleine Schwester war gerade dem verspäteten Flugzeug aus München entstiegen und ärgerte sich, dass ihr die terroristische Gefahrenlage zwei Stunden wertvolle Shopping Time gekostet hatte. Wir fuhren zu einem grossen Nachlassgeschäft in Schöneberg, die Stimmung war nicht die Beste, und ich nahm mir vor, sie zu enterben, wenn es das ganze Wochenende so bleiben sollte. Ich bin hart im Nehmen, was Katastrophen angeht, aber Berlin und eine schlecht gelaunte kleine Schwester und Regen und jeden Tag 8 Stunden Shopping und dabei noch Chauffeur und Möbelschlepper und Spedition sein, das kann dem abgebrühtesten Theatinerstrassen Shoppingtoursurvivor die Laune verderben. Und wehe, sie kauft etwas, das ihr dann nachher nicht gefällt - dann versucht sie, es mir anzudrehen und sich im Gegenzug meines Strahlenspiegels zu bemächtigen... (hat sie dann einen Trip später tatsächlich getan)

In Schöneberg angekommen, rauschte sie in den Laden, während ich einen Parkplatz suchte. Das Ganze erwies sich letztlich als Glück, denn sie donnerte an den draussen abgestellten Lockvogelangeboten vorbei - der Trödel mit den 5-Euro-Preisen, der die Schnäppchenjäger anlockt, um ihnen dann drinnen mit mässigen Mingvasen das bayerische Fell über die Münchner Ohren zu ziehen. Mit so etwas hält sich meine kleine Schwester erst gar nicht auf. Ich schon - ich schaue mir aus Prinzip alles an. Kulturhistoriker gehen an einen Befund nun mal anders ran als Architectural Digest Leser.

Und da stand dieser Prunkspiegel, riesig, ein Monster, für sich betrachtet in jeder Hinsicht zu viel: Zu viel Ornament, zu viel Gold, zu viel übermalt, zu viele Schäden im unteren Bereich. Und, beim ersten Anheben, höllisch schwer. 30 Kilo, Vollholz, hinten mit 1 cm dicken Bohlen abgenagelt, und die Nägel erst... quadratische Köpfe, handgeschmiedet. Auch wenn der Spiegel im ersten Moment aussah wie frisch aus einem Bordell für russische Mafiosi, war er doch mindestens 100 Jahre alt. Nicht Rokoko, aber Wiener Barock, sprich 1860 bis 1880. Kein Fabrikspiegel, sondern eine massive Schreinerarbeit. Und eine Spiegelplatte so dick wie Panzerglas.

Rechts oben über meinem Trommelfell hörte ich dann ein Knirschen - die Rädchen des Gierzentrums in meinem Gehirn drehten sich in den roten Bereich. So verdammt gross, so schwer, wo soll der nur hin und wo passt das, er ist ja fast schon geschmacklos und zumindest an der Kippe, und was wird meine kleine Schwester sagen, wenn der Wagen schon nach der ersten Station voll ist und wir nochmal zurück in den Wedding müssen - wie gesagt, der Spiegel ist verdammt gross.

Ich schlos mit mir eine kleine Wette ab - wenn meine kleine Schwester eine bestimmte, gnadenlos überteuerte Vase Modell "Bayernfellabzieher" kaufen würde, dann würde ich den Spiegel nehmen, weil ein Platzerl findet sich ja immer, und für 10 Euro... da ist wirklich nichts verloren. Die Wette mit mir habe ich prompt verloren, aber weil ich nun mal auch mich selbst gern betrüge, kaufte ich ihn im letzten Moment doch noch, und handelte mir zusätzlich 10 Minuten Vorwürfe meiner kleinen Schwester ein - scheusslich, abartig, grässlich, ich hätte keinen Sinn für Qualität und wo soll sie jetzt ihre Käufe hintun - angehört. Draussen gingen Schauer nieder, ich verschloss meinen Geist und ging die Wände meines zu restaurierenden Zimmers durch, wo man dieses Monster von einem Spiegel wohl hängen könnte. So phätt, und der Raum ist so klein...

Heute morgen habe ich ausprobiert, wie er an einer Stelle symmetrisch zur Tür passt. Und was soll ich sagen:



Er hätte fast noch etwas grösser sein dürfen. Ich würde mich heute schwarz wie Merkel ärgern, wenn ich ihn damals nicht gekauft hätte. Im Licht da oben kommt das Gold ganz ordentlich, und die Schäden lasse ich so. Ich mag diese Dinge mit kleinen Macken. Und ich hasse es, wenn Antiquitäten wie neu aussehen.

Ich habe mir früher überlegt, ob ich den Raum überhaupt restaurieren soll. Die erste Idee war, die sieben verschiedenen Tapeten da abzureissen, wo sie lose sind, nur den Fussboden zu schleifen, und dann in den Verfall exquisite Möbel zu stellen. Der Frust begann beim ersten Handgriff in dem Mauerrücksprung zwischen Tür und Spiegel, wo früher ein Ölofen stand. Aus dem Kamin kam braunes Wasser, hinter der Abdeckung war alles verrostet. Das wäre trotzdem kein Problem gewesen, denn der Rücksprung wird später ein natürliches Bücherregal. Die Katastrophe kam im Anschluss: Leider hat man in den 50er Jahren die Wände mit ekelhaftem Heraklit - Platten aus gepresstem und geteerten Stroh - verkleidet und miserabel verputzt. Es kam sowieso Tapete drüber, dafür hat es gereicht. Wo heute die Tapete fehlt, bröckelt der Putz unaufhörlich, und dahinter kommen die schwarzen Fasern zum Vorschein, und entlang der Heraktitplatten enstehen gerade, horizontale Risse - Verfall in seiner hässlichsten Variante. Es gab andererseits keine Möglichkeit, das Heraklit zu entfernen. So sieht das aus der Nähe aus.



Das ist der Fluch und der Segen von alten Häusern: Man hat viele Möglichkeiten, es gibt so gut wie nichts, was man unter Bewahrung der Bausubstanz nicht damit tun könnte. Es ist unendlich viel mehr als das banale Möbelrücken, das Einrichten von modernen Häusern ist. Man kann seine Vorlagen aus Jahrhunderten der Stilgeschichte auswählen und mischen, nichts wirkt darin peinlich oder falsch, sogar so ein riesiger Prunkspiegel geht in einem kleinen Raum. Anything goes, ausser vielleicht gerade Wände, Feng Shui, Ikea, Schlichtheit und Laminatfussböden. Solche Räume brauchen etwas Prunk, um zu leben, wie die fidele Tante in ihrem alten SL-Mercedes ein Glas Sekt braucht, um auf Touren zu kommen. Aber, und das ist das Verhängnis: Man muss sich entscheiden. Eine Variante zu nehmen bedeutet, andere Varianten auszuschliessen.

Mit dem aktuellen Konzept mit Wandbespannung bin ich auf der sicheren Seite. Stoff drauf, festnageln, Stuck an die Decke, Möbel, Perser auf den Boden, Kronleuchter aufmachen und den Spiegel noch mal 7 Zentimeter höher, fertig. Kein Experiment, kein Wagemut, kein bisschen exzentrisch nach den Kriterien, die an derartige Projekte angelegt werden. Just another Hochglanzraum. Der Verfall, die wahre Geschichte dahinter wird ausgeblendet, und erst in 150 oder 200 Jahren, wenn der Stoff zu verschlissen ist, wird irgendjemand dahinterschauen und die Möglichkeit haben, auf die ich diesmal verzichte. Die Tapeten lasse ich für diese Person so. Viel Spass damit, wer immer er auch sein mag.

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Mittwoch, 13. Juli 2005

Sehr zu empfehlen - kein venezianischer Spiegel für die Ä.

Die Ä. sitzt mit dem E. bei ihrem Lieblingsitaliener. Sie geht gern hierher, vor allem, weil sie die Spaghetti Bolognese und die Cola inzwischen ohne Sächseln aussprechen kann, E. auch sein Schweinefleisch bekommt und die Gesamtrechnung mit einem Bier hinten auf 90 Cent ausgeht - das heisst, die geizistgeilige Ä. kommt mit 10 Cent Trinkgeld aus. Weil, zu nett soll man mit den Fremdländern auch nicht sein, solange man von ihnen keine jüdischen Vermächtnisse, saudische Exportbeihilfen oder französische Nummernkonten in Lugano bekommt. Das Leben ist ok für Ä., denn gerade hat ein grosser Elektrokonzern seinen Umzug von München nach Zug in die Schweiz verkündet - und das bringt kurzfristig 10.000 neue Stellen für die Umsiedlung, zur Hälfte finanziert durch die Arbeitsagenturen, zur anderen Hälfte dank grosser Steuerreform steuerlich absetzbar bei reduziertem Arbeitgeberanteil. Das sind Erfolge für Ä. und E., während der fidele G. am anderen Ufer der Spree Party mit den hübschen Jungunternehmern der New Economy 2.0 macht.

Alles prima, oder besser gesagt, fast alles, im Jahr 2 nach der bildvolksdemokratischen Machtergreifung. Nicht ganz. Denn gegenüber von Ä. hängt einer dieser Prunkspiegel, und Ä. renkt sich beim Versuch, den Kopf herrisch mit Ausblick auf die Naseninnenbehaarung zu recken, so, wie sie sich immer auf den Titelseiten der Spiegel-Hofberichterstatter findet, die Nackenwirbel aus. Der Prunkspiegel zeigt jedes Detail, er ist obszön brandneu, wurde im Sommer 2005 angeschafft, als das Restaurant in Erwartung neuer goldener Spesenzeiten umsattelte vom Toskana-Landhausstil hin zum spanisch-norditalienischen Barock, mit Anleihen zwischen heiligem Offizium und Metternich. Alles atmet Schwere und Strenge, auch wenn der Spiegel nur Kopie ist, denn die eigentlich nötigen Originale haben sie damals nur teilweise gefunden. Und so hängt gegenüber von der Ä. ein hässlicher Glasklops, der besser zu den Fleischklöpsen gegenüber passt, als denen lieb sein kann.

Die ultrakonservative Rechristianisierung und Umverteilung verdankt ihr Spiegelbild einem moslemischen Antikenhändler der zweiten Generation und einem dezidiert nichtchristlichen Kunden sowie der grauenvollen Überfüllung eines kleinen Kellerladens in Berlins Bergmannstrasse. Im heissen Sommer 2005 zog das Einrichtungsteam des Nobelitalieners durch diese Strasse, nur um festzustellen, dass die kleine Schwester des Kunden bereits grossflächig alles zusammengerafft hatte, was an älteren venezianischen Spiegeln zu holen war. In diesem Keller hatte es viele davon gegeben, aber nun sind sie alle weg, und so zog das Team weiter und bestellte letztlich sündteure, billig und protzig aussehende Kopien der Originale. Der Kunde jedoch hatte ein untrügliches Gespür für Verborgenes, und schliesslich, in einem kleinen Zwischenraum, hinter einem Barockschrank, einem Packen schlechter Öldrucke und einer durchnässten Kiste voller mottenzerfressener Stoffe, entdeckte er ein zartes Glasblümlein, grau von Staub und Schmutz, daran eine Glasleiste, ein Glasblatt, noch eine Leiste, eine matte Spiegelfläche, und so zog er am Ende einen halbwegs gut erhaltenen, venezianischen Spiegel der Zeit um 1850 oder älter hervor. Er tat so, als würde ihn der allenfalls als Ersatzteillager interessieren, wies auf abertausend Mängel hin, verhandelte eine Stunde mit dem Händler der 2. Generation, wie nur levantinische Nichtchristen mit Libanesen verhandeln - und einigte sich am Ende auf einen Preis, der vielleicht fünf mal so hoch war wie das, was der ein Verlustgeschäft beteuernde Händler gezahlt hatte, und ein Viertel dessen, was so ein Spiegel in einem normalen Antiquitätengeschäft heute kostet.

Venezianische Spiegel vor 1900 sind extrem selten, und purer Luxus und Verschwendung. Niemand braucht solche Spiegel mit den vielen Glasstücken, die Spiegelfläche ist klein und durch aufwendigen Schliff weitgehend unbrauchbar, und die Teile sind auch nicht geschaffen, alt zu werden. Ein Sturz, und sie sind Geschichte - ausserhalb von Venedig fand sich kaum jemand, der die vielfältigen Glasformen nachmachen konnte. Heute ist das unmöglich, weil sich die alten Verfärbungen und Weichheit des Glases aus echter Pottasche nicht mehr reproduzieren lässt. Weil klar war, dass diese Spiegel trotz ihres immensen Preises nur Verschleissgüter waren, wurde auch der Holzrahmen aus eher schlechtem Holz, wie Pinie oder Pappel gefertigt. Kurz, kaum einer hat Wischmobs, Umzüge, Bombenkrieg und spielende Drecksblagen überlebt, und selbst die, die durchgekommen sind, haben immer Schäden. Im Einzelnen sieht das nach dem Abschrauben einzelner Leisten so aus:



1. An dieser Stelle ist eine einzige Blume im Rahmen verschraubt, hier war früher weitaus mehr, also fehlt was.
2. Nochmal eine kleine Blume, daneben vier glasbesetzte Zierschrauben, brutal in das Holz gedreht. Gegenüber waren dagegen jeweils ein grosses Glasblatt. Da stimmt was nicht.
3. Der Rahmen ist unten wie auch die dortige Glasleiste gebrochen.
4. Eines der Blätter ist zertrümmert und wurde mit grünem Glaskitt wieder geklebt. Nicht besonders sauber, übrigens, wie überhaupt das Ding schon mal restauriert wurde, vermutlich in den 20er Jahren.
5. An dieser Stelle sind mitten in der Leiste zwei Blümchen, weil
6. die originale Leiste fehlt und durch zwei jüngere Bruchstücke ersetzt, deren Produktionsweise mit maschineller Bohrung sie auf die Zeit nach 1950 datiert.
7. Oben ist nochmal die Leiste und der Rahmen gebrochen.

Den Beschädigungen und Reparaturen zufolge hat der Spiegel zweimal Stürze überlebt und wurde mit geringen Mitteln nicht sehr sauber erneuert.



Hier zum Beispiel eine nicht originale, verrostete Fabrikschraube, die die Blume 1. fixiert. Damit sie nicht wackelt, wurde dahinter auf den Holzsockel harziger Klebstoff aufgebracht, der heute schwarzbraun wie die Sozialpolitik der Äs und Es ist - klebrig, scheusslich, ekelhaft, verstaubt, eine Beleidigung für jeden Betrachter, der kein Drecksfetischist ist. Runtergekommen wie die Moral eines schwarzen Parteispendeneintreibers ist der - im übrigen extrem seltene - geschnitzte Zwischenrahmen mit Blattgoldauflage.



Das verrät uns einiges über die Kosten beim ursprünglichen Kauf; die Ausnahmeform deutet darauf hin, dass dieser Spiegel damals eine Spezialanfertigung für ein mitteleuropäisches Interieur war. Bevor venezianische Spiegel nach 1945 zum Touristenkitsch herabsanken, konnten sie nach Bedarf bestellt werden. Gerade gehobene Einrichtungen nördlich der Alpen verlangten im vorletzten Jahrhundert nach goldenen Leisten; klassische venezianische Prunkspiegel bestehen komplett aus Glas und sind optisch zu massiv, wenn sie in kleinen Räumen hängen - sie erdrücken die Einrichtung. Auf der Rückeite finden sich dann auch einige Anpassungen bei der Aufhängung, die die These wahrscheinlich machen.

Zum anderen zeigt der gleichmässig verteilte Dreck, dass der Spiegel die letzten Dekaden irgendwo auf dem Schrank gelegen haben muss. Aufhängen war wegen der Brüche im Rahmen - sichtbar im obigen Bild links unten - riskant.



Da hilft nur eines - komplett auseinandernehmen wie Joschka die Merkel, und die Gläser in warmen Wasser sauberer waschen, als der Koch seine Dreckspfoten in Unschuld. Das dauert etwa eine Stunde, aber das Ergebnis lohnt sich. Solange wird der Rahmen vorsichtig geputzt, alte Klebereste werden entfernt, der silberne Grund wird an den nötigen Stellen nachgestrichen - sehr zu empfehlen ist dafür die matte silberne Künstlerfarbe auf Wasserbasis der bayerischen Firma Kreul. Keinesfalls überstreichen sollte man das Blattgold - so gut wie das Original wird das niemals, und wenn man die Fehlstellen nur ordentlich säubert, passt der Farbton des Holzes sehr gut zum matten Schimmer der alten Vergoldung.



Das Zusammenschrauben ist ein Puzzlespiel. Alle Teile ausser den Leisten des Problems 6 haben die gleiche grünlich-graue Tönung und viele längliche Lufteinschlüsse - it´s a feature, not a bug, die Blasen lassen das Glas schimmern. Soweit erkennbar, sind die Teile also original, wenngleich mitunter etwas bestossen. Die Bruchstelle der Leiste von 7 wird geklebt, der grüne Glaskleber von 4 wird silbern überstrichen. Die Blümchen von 1, 2 und 5 werden dort angebracht, wo sie nach Aussage alter Löcher hingehören: in die kleinen Zwickel oberhalb der unteren Leiste. Und siehe da, plötzlich stimmt es wieder mit der Symmetrie und den Objekten - zumindest im unteren Bereich. Die Nahtstelle der Ersatzleisten von 5 bleibt dann aber sichtbar, was zu verschmerzen ist - das Glas hat eine hellere Farbe und wäre so oder so bei genauem Hinschauen als spätere Ergänzung erkennbar. Jetzt wird die Stelle wenigstens nicht mehr durch eine Asymmetrie betont. Hinten werden dann noch zwei horizontale Latten aufgenagelt, um den gebrochenen Rahmen zu fixieren; Kleben würde da kaum helfen, zu hoch ist das Gewicht des 10 Kilo schweren Spiegels.

Letztendlich sind alle Zierschrauben noch da, spätere Schrauben der Reparaturen können entfernt werden, und die Glasteile sind ebenfalls komplett. Aufgehängt in der Wohnung sieht der Spiegel dann so aus:



Nachbemerkung: Äs würden es hassen, wenn sie wüssten, dass die Spiegelfläche einen typischen Makel hat, der dem Betrachter zum Vorteil gereicht. Die Fläche ist leicht gewellt und verzerrt das Bild; in der Mitte zieht sie zusammen und verbreitert an den Rändern. Will sagen: Das Gesicht wird schlanker, die Schultern werden breiter. Sofern man nicht aussieht wie geplatzter falscher Hase, macht der Spiegel den Betrachter also schöner - und niemand muss die Nasenhaare zeigen, um das Gesicht covererträglich zu machen.

Und noch der Ikea-Check: Natürlich gibt es bei Ikea keinen derartig teuren Spiegel; selbst, wenn dieses Stück Muranokunst sehr günstig erworben wurde. Das ist Gift für das Bestreben, am Ende dieser Serie alles billiger als Ikea bekommen zu haben. Aber: Nur eine Stunde später war auf dem Flohmarkt am Fehrbelliner Platz eine Frau, die im Auftrag der Tochter einer Freundin Omas altes Hutschenreuther Tee- und Kaffe-Service verkaufte - ein Bilderbuchfall für den Niedergang des Bürgertums. Für 12 Personen mit Dessert- und Kuchentellern, 76 Teile perfekt erhalten, die klassische "Margarethe"-Form. Mit vielen Extrateilen wie Kuchenplatten und so weiter. Für 60 Euro, damit hat sich der Spiegel mehr als amortisiert.

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Freitag, 1. Juli 2005

Sehr zu empfehlen - Jan Graf Potockis Sierra Morena

Die Zeit um das Ende der napoleonischen Herrschaft scheint eine grosse Zeit für Autoren gewesen zu sein, die eine Verpflichtung empfanden, mit einer Kugel in den Kopf ihrem Dasein ein Ende setzen zu müssen. Nachdem Modeste schon auf das traurige Schicksal Kleists hingewiesen hat, möchte ich nicht darauf verzichten, einen anderen Selbstmörder dieser Epoche vorzustellen: 1815 erschoss sich in seinem letzten kleinen Hause der dem Wahnsinn verfallene Jan Graf Potocki, der Legende nach mit einer silbernen, geweihten Kugel, denn er hatte Angst, ein Werwolf zu sein.

Ein wahrhaft erstaunliches Ende für einen grossen Aufklärer. Potocki war ein polnischer Adliger, der seine Bildung, seinen Stil und seine literarischen Vorbilder vor allem im Frankreich der Diderots, der Voltaires, der Le Sages und der Mirabeaus suchte. Er war Diplomat, Forscher, Universalgelehrter, Reisender, und nebenbei auch noch Verfasser eines Buches, das neben den Gefährlichen Liebschaften und der Philosophie im Boudoir in den Zeiten der französischen Revolution die Epoche der Aufklärung noch einmal in allen Facetten zusammenfasst: Die Abenteuer in der Sierra Morena, ein Buch, das in keiner neu zu errichtenden Bibliothek fehlen darf.



Was Potocki über de Sade und Laclos erhebt, ist der Verzicht auf die allzu starke Konzentration auf Sex; vielmehr vermengt er die unterschiedlichen Methoden der Aufklärungsliteratur zu einem stimmigen, auf über 800 Seiten höchst charmanten und unterhaltsamen Roman. Gespräche, ineinander verschachtelte Rahmenhandlungen, kurze Exempla und gelehrte Disputation wechseln einander ab, verwoben in eine Mischung aus Schelmenroman, Abenteuergeschichte und Novellenzyklus. Ganz nebenbei vermittelt er Philosophie und Freidenkertum, erklärt die Sinnlosigkeit und das Versagen von Religionen und Moral, und entwirft eine leichte, delikate Ethik der Freude, irgendwo zwischen Epikur, Aristipp von Cyrene und einem lebensbejahenden Hedonismus.

Vor dem Leser wird eine Schatzkammer an schillernden Personen ausgebreitet, das Helden und Schurken umfasst, leichtsinnige Frauen und schwerdumme Betschwestern, stolze Herzoginnen und verdammte Giftmörderinnen, Räuber und Bischöfe, Meuchelmörder und Ordensritter, Geister und Kabbalisten, Liebende und Heuchelnde, Vizekönige, Scheichs, Juden, Christen, Schiiten, Sunniten und Atheisten, den ewigen Juden und zwischen all den Schichten ein unendliches Gestrüpp von Hass, Gier, Liebe, Treue, Verrat, Freundschaft und niedrigster Heimtücke. Nichts ist diesem vorgeblichen Bericht über 66 Tage in der Sierra Morena aus der Feder eines gewissen Alphonso van Worden fremd.

Potocki hat die Aufklärung nicht so konsequent und radikal auf die Spitze argumentiert wie de Sades Boudoirphilosophie, und seine verschachtelten Geschichten sind bei weitem nicht so raffiniert wie Laclos Liebschaften. Er ist nicht radikal neu und besinnt sich aller von ihm geachteten Vorgänger. Dennoch, trotz der vielen Zitate, für die man sich bestens in der Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts auskennen sollte, ist das Buch jedermann leicht verständlich. Es hinterfragt den abendländisch-christlichen Unwertekanon, umtänzelt mit feinem Florett die staubigen Lügen und Vorurteile der Kultur des Hasses und der Lügen, und versetzt dem Moloch - gegen den zu kämpfen auch heute in Zeiten von Volksbibel und geistlosem Papismus, von Merkel und Stoiber jedem aufgklärtem Menschen ein Anliegen sein sollte - viele kleine, tödliche Stiche in den stinkenden Eingeweide, so dass am Ende nichts zurückbleibt als ein helles Rokokolachen der Ethik über dem faulenden Kadaver der Dummheit.

Ich denke, wer in den Urlaub fährt, vielleicht sogar auf den Spuren einer Grand Tour in den Süden wandelt, sollte sich die drei Bücher besorgen und auf dem Weg lesen. Laclos erklärt vorbildhaft, wie einfach man sich den ewigen Mysterien der Frauen und Männer gewinnbringend nähern kann, de Sade gibt das nötige Wissen für eine Nacht der Freuden, und Potocki kann das ethische Rüstzeug für ein aufgeklärtes Gespräch am nächsten Morgen liefern.

Ich wage zu behaupten, dass Kenner dieser drei Werke eigentlich keine schlechten Menschen sein können. Und ja, natürlich ist es kein Zufall, dass mein Roman so viele Kapitel hat, wie Potockis Roman Tage.

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Dienstag, 28. Juni 2005

Sehr zu empfehlen - Nachhaltigkeit

Der Journalist, der Berater und der Restaurator eines alten Hauses haben einiges gemeinsam: Sie wollen, wenn sie gut sind, wissen, was dahinter steckt. Das ist meist nicht einfach: Der Journalist wird ununterbrochen belogen, verarscht und betrogen; der Berater erlebt, wie die Schuld von einem zum anderen geschoben wird, während die Verdienste gehortet werden, und nur der Restaurator hat es mit einem Objekt zu tun, das seinem Auge nur wenig verbergen kann.

Allen dreien wird natürlich suggeriert, man habe nachhaltig gedacht, gearbeitet und gewirtschaftet, ganz gleich wie übel der Skandal, wie vergeblich jeder Rettungsversuch ist oder wie morsch es hinter der Fassade. Im schlimmsten Fall war man seiner Zeit vorraus und deshalb wäre es in Zukunft fraglos nachhaltig gewesen. Einem alten Haus ist die Zukunft egal, es hat schon viel Zukunft kommen und gehen sehen, in seinen Mauern wurde viel Unsinn erdacht und zu wenig Freude am hier und jetzt empfunden, und für wenige Häuser nördlich der Alpen trifft das mehr zu als dasjenige, für das der Verfasser dieses Blogs gerade all seine anderen Tätigkeiten zurückstellt. Dieser alte Brummer hier hat Aufklärer erlebt und Fanatiker, bei jedem Fick im Gebälk erschaudern die Geister von Generationen hier vielleicht noch hausender jesuitischer Memen, seine Bohlen haben junge Freidenker getragen und tote Völkermörder, und heute war es dann so weit: Wie sehen diese Bohlen eigentlich aus? Sind sie auch nach 405 Jahren noch nachhaltig?

Unten, in den vornehmen Stockwerken der Professores und ihrer Bibliotheca voller Abartigkeiten und Hass, später dann der Privatiers und Offiziere, war alles in Ordnung, doch hier oben, 15 Meter über der kleinen Stadt, war nur der Speicher. Wer weiss, ob man da nicht geschludert hat und gespart, ob hier die Zusammenarbeit zwischen hiesigen Zimmerleuten und welschen Baumeistern nicht geklappt hat, viele böse Überraschungen kann es da geben, in Würzburg, Pommersfelden, das Altmühltal hinunter bis ins Voralpenland erklingen in den oberen Geschossen die Schmerzensschreie der Besitzer, weil Feuchtigkeit, Schlamperei, billiges Material und der Holzwurm selbst Dachstühle des späten Barocks zu einer schwammigen, instabilen Masse hat werden lassen. Schräg gegenüber haben die Asams in dem damals zu diesem Komplex gehörenden Oratorium ein Dach hingepfuscht, das nach nur 250 Jahren kurz vor dem Einsturz stand. Das üben wir nochmal, Herr Asam. Wie auch immer, bleiben wir bei dem Unseren, weg mit dem Belag auf dem Boden, und:



Schön. Was sich schon weiter unten angedeutet hat: Intakte Balken aus dem Jahr 1600. 30 Zentimeter breit, 4 Zentimeter dick, Schädlingsbefall minimal, Abnutzung maximal 3 Millimeter, Abstand zwischen den Bohlen nicht mehr als 4 Millimeter - das heisst, maximal 2 Millimeter Schrumpfung in 405 Jahren. Grob gesagt: Bis hier oben etwas ausgetauscht werden muss, können nochmal mindestens 1000 Jahre Säcke geschleift und gestapelt werden. 1000 Jahre, das ist eine ziemlich lange Zeit. Die wilden Sexparties, die hier oben in den 50er und 60er Jahren stattfanden (davon später mehr) waren dagegen so gut wie keine Belastung. Hier oben wurden Vorräte untergebracht, dehalb sind unter den Bohlen auch noch Träger, und die sind 30 Zentimeter dick.

Natürlich ist das Holz nicht glatt. Da sind auch Äste drin. Die Balken sind nicht immer gleich breit, und 4 Millimeter Abstand wäre nach den Massstäben eines heutigen Laminatfussbodens unvorstellbar, ein Fall für eine Reklamation. Allerdings hätte man hier oben Laminat in den letzten 405 Jahren 10, 15 mal erneuern lassen müssen. Sprich rausschmeissen, neues Laminat kaufen und verlegen lassen. Die Gesellschaft Jesu war damals eine Bande durchgeknallter Fanatiker, gegen die ein heutiger islamischer Fundamentalist ein Musterbeispiel der Aufklärung ist, aber hier haben sie - durchaus aus Eigennutz natürlich - das ihren Schäfchen abgenommene Geld für etwas Besseres als die Unterdrückung Andersdenkender und obskure Riten ausgegeben.



Auch das hat sich natürlich erhalten. Dafür brauche ich ja auch den Raum als Bibliothek. Mit einem Giftschrank für solche Sachen. Sage bitte keiner, dass die Aufklärung dergleichen hat verschwinden lassen. Das Papier, auf dem diese Worte der Niedertracht gedruckt sind, hält wie die Bohlen viele Jahrhunderte, wenn alle Computer, auf dem dieser Text gerade erscheint, und alle Leser, und diejenigen, die sich nicht entblöden, von "totem Holz" zu schwätzen, und deren Kinder und Enkel längst zu Staub und Müll zerfallen sind.

Totes Holz oder Wollreste halten nun mal besser als toter Mensch. Und Nachhaltigkeit ist manchmal eben auch nur eine Sekundärtugend.

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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 13. Juni 2005

Sehr zu empfehlen: Die Wohnungsauflöser.

Um es gleich vorauszuschicken: Das Credo, die dauernd zu wiederholende kabbalistische Beschwörung für die jetzt folgende Tätigkeit ist ein Spruch, den ich von meiner allzeit raffgierigen Grosstante gelernt habe - dofia find si scho no a Platzl - für dieses Objekt findet sich sicher noch ein passender Ort. Und meine Frau Mama, die es nicht mochte, dass meine Grosstante ihren Grossneffen schon als Kind zu solchen Plünderungstouren mitschleifte, antwortete bei jedem angeschleppten Trumm mit pikiertem Schriftdeutsch: Also, für so etwas (hier leichter Schauder in der Stimme) ist wirklich kein Platz mehr. Angesichts des riesigen, rappelvollen Lieferwagens aus Berlin sagte sie gar nichts mehr, da verschlug es ihr die Sprache. Nichtsdestotrotz sind in den letzten zwei Wochen seit meiner Rückkehr aus Berlin vier Stehlampen und zwei Spiegel von ihr konfisziert worden, und ich fragte mich heute morgen, wo die Kiste mit dem Bernadotteporzellan vom Zarenlieferanten Concordia wohl sein mag, bis ich es heute Nachmittag fand - meine Mutter hat es mitsamt Kuchen ihren neidig-blassen Freundinnen vorgesetzt, die garantiert kein Porzellan aus Karlsbad haben. Also immer daran denken: Dofia find si scho a Platzl.

Ob ich Berlin nicht doch schon vermisse, etwas zumindest, werde ich gefragt. Nein. Absolut nicht. Ich bin froh, dass ich weg bin. Ich habe Berlin schon immer nicht leiden können, und ich habe 15 Monate am Stück die Kälte, den Gestank, den Dreck, die unfreundlichen Berliner und ihre versifften Nachäffer aus der Provinz gehasst. Einmal die schmatzschaufelnden Tischsitten der Kastanienallee sehen heisst begreifen, dass das Oktoberfest eigentlich doch eine recht zivilierte Angelegenheit ist. Ich hatte eine Bauhaus-Wohnung, in der es sich aushalten liess, ich hatte das Blog hier zum Abreagieren, ich habe ein paar nette Leute kennengelernt, die sich nicht so haben gehen lassen, aber als vor einer Woche mein kleiner, blauer Punto spät Nachts die Landesgrenze nach Bayern passiert hat, dachte ich gar nicht mehr an das, was da hinter mir lag. Vorbei, aus, kein Thema, ich bin ein sonniges Gemüt, selbst mein Hass verfliegt nach ein paar Stunden. Hauptsache, ich muss da nie wieder hin.

Dennoch werde ich ab und zu hinauf fahren. Zum Plündern. Denn so sehr mir Berlin mittlerweile egal ist, so sehr fehlt hier in Bayern der Luxus, den einem der Berliner bereitwillig nachwirft. Berlin war schon immer die Blutzecke an der deutschen Lebenader, aber was heute als Privilegien- und Unterstützungsempfänger die Wirtschaft ruiniert, war etwa ein Jahrhundert lang, von 1840 bis 1940, der wirtschaftliche Motor dieses Landes. In Berlin wurde die Eisenbahn, die Dampf- und Elektroindustrie, und später dann die Industrie des Massenmords konzentriert; alles hochprofitabel und durch Exporte in andere Landesteile vorzüglich geeignet, um sie auszuplündern. Der Berliner verdiente gut anderthalb mal soviel wie der normale Deutsche, und das Verhältnis zum unterentwickelten Bayern lag bei 2:1. Setzt man voraus, dass die Lebenshaltungskosten annähernd identisch waren, konnte die bessere Gesellschaft von Berlin für Luxusartikel das drei- oder vierfache von dem ausgeben, was eine im Status entsprechende bayerische Familie (wie die meinige) zur Verfügung hatte.



Die Folgen sieht man, wenn in Berlin Haushalte aufgelöst werden. Die besseren Familien spucken Silber in Mengen aus, die alles, was man in Bayern an versilbertem Besteck findet, in den Schatten stellen. Der bayerische Antikhändler deutet auf die 90er oder 100er Stempel seiner auf schwarzem Samt ausgebreiteten Bestecke und sagt voller Stolz: WMF versilbert! Stück 10 Euro! Der Berliner Wohnungsauflöser stellt einem eine Kiste hin und sagt: Jedes Teil 2 Euro. Von einem 800er-Silberstempel hat er so viel Ahnung wie von dem Umstand, dass die Gebrüder Friedländer, die die Griffe der obigen Messer gefertigt haben, preussische Hofjuweliere waren. In Berlin habe ich nach kurzer Begeisterung über 36 versilberte Teile BSF für ein paar Euro ganz schnell aufgehört, etwas anderes als Silber zu kaufen. Alles andere lohnt sich nicht. Berlin hat solche Unmengen davon; offensichtlich waren weder die Russen noch die Metallkollekten der Weltkriege besonders effektiv.

Aber jetzt sterben die Leute, die das noch zu schätzen wussten, ihre Erben geben das Kilo für ein paar Euro an die Auflöser, und die finden noch nicht mal Kunden - denn Berlin ist heute arm. All die Illegalen dort berücksichtigt und die Steuerhinterzieher und Vermögensverstecker hier in Bayern mit einbezogen, hat sich das Verhältnis trotz Transferleistungen umgekehrt. Bayerischer Antiquitätenhandel ist fünf bis zehn mal so teuer wie Wohnungsauflöser in Berlin. In zwei Wochen Berlin kann man, wenn man die richtigen Adressen kennt, mehr zusammentragen, als in Bayern in einem Jahr - und das zu einem Bruchteil des Preises.



Das hier ist einer dieser Wohnungsauflöser. Er ist im Wedding, also einem Stadtteil, der seine Existenz dem grossen Industrieboom in der Zeit um 1900 verdankt. Es ist sinnvoll, sich bei der Suche nach derartigen Läden an die Gegenden zu halten, die früher von besseren Leuten bewohnt wurden, und das gab es im Wedding entgegen aller Gerüchte auch - in dieser Strasse, zum Beispiel. Heute ist sie heruntergekommen, die Stuckfassaden bröckeln, aber bei Nacht sieht man hinter dem ein oder anderem Fenster noch einen grossen Kristallleuchter erstrahlen.

Wohnungsauflösung in Berlin ist meist eine Kiezangelegenheit. Der Berliner geht zu den Auflösern um die Ecke, lässt sie die Einrichtung schätzen, nimmt ein paar hundert Euro für alles und glaubt, ein gutes Geschäft gemacht zu haben, für den alten Plunder. Der Wohnungsauflöser stopft das alles irgendwie in seinen kleinen Laden, der meist nur 2, 3 Zimmer hat, stapelt hoch bis unter den oft grandiosen Stuck, und so steht alles zusammen: Billige Stahllöffel neben silbernem Fischbesteck, Pressglas neben Kristallkelchen, Lausitzer Emailtopf neben japanischer Cloisonné-Vase, China-Nippes neben Murano, geschmackloser Webteppich neben Täbris, oder da oben:



Schreckliche Geschmacksverirrungen neben einem Paar Alabasterlampen aus den dreissiger Jahren, zeitlos klassisch mit speziell gefertigten Seidenschirmen. Die gleichen könnten ohne Probleme auch in einem englischen Landhaus stehen, oder bei einem Münchner Antiquitätenhändler. Tun sie auch, letzte Woche gesehen im Gärtnerplatzviertel für 550 Euro das Paar. Die auf dem Bild stehen jetzt allerdings bei mir, und gekostet haben sie 32 Euro.

Es gibt so viel davon... wie gesagt, mein Ford Transit war voll bis unter die Decke, als ich zurück kam. Manches habe ich stehen lassen. Für manches war ich einfach zu dumm. 72 Teile Hutschenreuther Porzellan für 12 Personen mit allem Drum und Dran, profiliert aus den 60er Jahren - das habe ich erst mal photographiert, meiner Mutter das Bild geschickt, festgestellt, dass ihre Gegenwehr nicht allzu gross war, und dann, als ich es kaufen wollte, war es weg. Eine Schwäbin verliess den Laden mit zwei Kisten, als ich ihn betrat. Hutschenreuther, K(rister)PM, Thomas, Seltmann, und all die alten, in den letzten Jahrzehnten untergegangenen Porzellanfirmen mit ihren exquisiten Produkten - das gilt dem Berliner wenig oder nichts, das kennt er nicht mehr. Wohnungsauflöser kennen Berliner KPM, Meissen, manchmal noch Rosenthal, das war´s dann aber auch schon. 1 Euro pro Stück ist meist schon die Obergrenze, oder bei diesem Service, 41 Teile Essgeschirr für 12 Personen:



35 Euro Ausgangspreis. Elfenbeinfarben, praktisch neu, wahrscheinlich ein mie benutztes Hochzeitsgeschenk. Mit einem damals, in den späten 50er Jahren, gewagten Motiv mit vielen kleinen, umlaufenden Sternchen auf den Spiegeln. Ein wenig verspielt, ein wenig glamurös. Es steht seit einem halben Jahr in diesem Laden, ich habe einfach keinen Platz dafür, und es passt stilistisch nicht in meine Wohnungen. Vielleicht kommt mal ein Leser in die Amsterdamer Strasse, direkt gegenüber vom Cafe Schraders, Berlin Wedding, da ist ein Laden namens Meyers Kaufhaus, im zweiten Schaufenster von links. Es ist sicher keine Rarität, keine Kostbarkeit, und so viel wird man nie brauchen - wer lädt heute noch 12 Personen ein? - aber wenn mal ein, zwei, drei, vier Teller herunterfallen, hat man immer noch genug. Oder, wenn man eine Freundin hat und sich trennt, kann man es in zwei 6er-Service teilen. Man kann sicher auch noch etwas handeln.

Man muss nur zwei Dinge können; man muss ich vorstellen können, wie es wirkt, wenn es auf einem ordentlichen Tisch steht. Und immer daran denken: Dafür findet man schon noch einen Platz. Garantiert. Und wenn nicht: Das junge Mädchen, das es bei einem sieht, sofort von den Sternchen begeistert ist und es soooo gern haben würde, das läuft schon zu Hunderten durch die angesagten Strassen von Berlin. Aber da zieht es mich nicht hin. Mich wird es in die schäbigen Gassen ziehen, in denen früher der Reichtum zu Hause war, der bei mir ein neues Zuhause bekommen wird.

Die Berliner, die geschmacklosen Vollproleten, wollen es ja nicht anders, solange sie dafür ihre zwei Euro bekommen.

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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 9. Juni 2005

Sehr zu empfehlen - was alles geht

Und irgendwann ist dann der Moment erreicht, da das Unheil in das Leben eines Wohnungsrestaurateurs tritt. Oft, allzu oft ist das Unheil die Zweitgeborenenbrut der eigenen Eltern, und die wirft, weil genervt, neidisch oder einfach nur so, einen schiefen Blick auf einen Teppich und sagt: Das passt überhaupt nicht zur Wandbespannung. Und verweist auf Hypeblättchen wie AD - Architectural Digest, in der irgendwelche Villen von Sachsen-Glorias und Häuser von promotiongeilen Tütü-Architekten vorgestellt werden. Da ist das von mir geplante Ambiente nämlich nicht abgebildet, also kann es gar nicht passen.

Nun bin ich Kulturhistoriker mit einem Schwerpunkt auf frühe Neuzeit und die AD nur ein von vielen Anwaltsgattinnnen gehaltenes Werbeblättchen, das mitunter heute das nachzuschreibt, was vor 6 Monaten bei International Interieur zu lesen stand - so sieht man da momentan auf Kronleuchtern die spiessigen Hütchen auf den Lampen, die Dolce & Gabbana in einem Anfall von Interieurverarsche verwendet haben. Bitte, wie gay ist das denn? Hütchen. Also echt.

Nichts desto trotz hilft es, sich die zeitgemässen Farben der geplanten Einrichtung am lebenden Objekt anzuschauen. Gleich neben meiner Provinz ist gewissermassen die Provinz der Provinz mit dem Namen Neuburg an der Donau. Neuburg ist für uns das, was Tschernobyl für Kiew ist, und ihr Autokennzeichen ND steht bei uns für "Nationaldepp". Nach Neuburg fährt man über den Deadroad Track der B16, eine Strasse mit ziemlich hoher Unfallquote. Da stehen alle paar Meter die Marterl, an manchen Kurven auch zwei oder drei. Das ist hart. Am Ende kommt dann ein geschlossenes frühneuzeitliches Ensemble, das von der Donau aus so aussieht:



Neuburg war ab 1505 Residenz der damals neugeschaffenen Pfalz, hat ein entsprechend üppiges manieristisches Schloss und eine fast völlig intakte Altstadt. Und Bewohner, die bereitwillig die alten Fassungen und Farben wieder so auftragen, wie es zur Hochzeit des Ortes Mode war. Will sagen, früher war Neuburg nie so authentisch, wie es heute aussieht; kein Dreck, kein Kot auf den Strassen, kein Zerfall und kein Niedergang, obwohl es das hier immer wieder nachweislich gab.

Dafür findet man hier wie in einer riesigen Datenbank die Farben, die in dieser Region tatsächlich vorhanden waren. Die Hausbauer waren keine Kinder von Traurigkeit und dezenter Kolorierung, gleich nebenan in der Kirche war ein Farbrausch von Rubens, da brauchte sich keiner was wegen ein bisschen orange oder rosa denken. Da wurde vieles aufgetragen und gemischt, was heutigen Innenarchitekten die Eier abfallen lassen würde:



Rosa, Grün und Goldgelb kommen zusammen an ein und dem selben Gebäude vor, es wird Stein vorgetäuscht und kräftig gepinselt, bis das letzte Kalkweiss verschwunden ist. Alles geht. Nach einer Stunde kann einen keine Bonbon- oder Tortenfarbe mehr schockieren, das alles ist kein Problem, es harmoniert, nur feige sollte man nicht sein. Dagegen sind meine Teppiche und die Wandbespannung dezent.

Im Schloss selbst gibt es dann noch Beispiele für originale Wandbespannung aus dem 18. Jahrhundert, die nicht im Mindesten so sauber gemacht war, wie man das vielleicht erwarten würde. Und eine Ausstellung über den hiesigen Ottheinrich und den Landshuter Erbfolgekrieg, die zeigt, dass Bayern das System der Landesausstellungen noch immer nicht begriffen hat. Ohne fundiertes Fachwissen, intensives Studium des Katalogs oder Don Alphonso als Begleiter ist man da drinnen ziemlich verloren unter schlecht erklärten Zusammenhängen und Exponaten. Aber das war ja nicht das Ziel der Exkursion. Sondern Selbstbestätigung.

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