Sehr zu empfehlen: Noch mal nachdenken

Ich habe einen Heidenrespekt vor Handwerkern. Ich hatte in einem Ferienjob das Vergnügen, 6 Wochen in einer als Handwerksbetrieb organisierten Abteilung eines Grosskonzerns zu arbeiten, der sich mit Rohrleitungen beschäftigte. Die Leute waren absolute Profis, wortkarg, ruhig und so selbstsicher, wie man wohl sein muss, wenn man tagein tagaus mit technischen Gasen und Flüssigkeiten umgeht, die hochtoxisch und explosiv sind. Ich kann immer noch Gewinde schneiden, schweissen und Rohre abdichten, ich weiss um die Qualität einer echten Hilti, die man jeden Tag im Werkzeuglager mit Erlaubnisschein abholen musste, aber das wichtigste, was ich bei denen gelernt habe, war das Nachdenken - und das ist etwas, was man bei einem Gymnasiasten aus besserer Familie in diesem Alter nicht zwingend erwarten kann. Das Nachdenken am Ende jedes Arbeitsschrittes, ob alles richtig war, was nicht so gut lief, und was man das nächste mal besser machen würde.

Der Stuck ist fertig montiert und verputzt. Morgen beginnt das Weissen, die Farbe steht schon bereit, aber das Ergebnis sieht jetzt schon ziemlich hübsch aus. Nichts gegen das, was man vor 100 Jahren an die Decken der Grossbürgerhäuser zauberte, aber angesichts eines ehemaligen Dienstbotenkämmerchens und späteren geheimen Schwulenspielwiese ganz akzeptabel:



Würde ich es nochmal machen? Nein, im Moment überwiegt einfach die Freude, dass es vorbei ist. Die Decke war krumm, es gab einige böse Überraschungen, man geht am Abend frustriert ins Bett, weil man an einem toten Punkt ist und keine Lösung hat. Stuck allein ist nicht das Problem - das Problem ist Stuck auf bröselndem Heraklit und schlechtem Putz mit viel alter Tapete drauf und einer Raumform, die schon erheblichen Zweifel an der Fähigkeit des Zimmermanns des Jahres 1886 (oder etwas später) aufkommen lässt.

Was dann? Das Schlimme ist: Alternativen gibt es auch nicht. Der Innenspiegel war allein schon wegen des Mauervorsprungs und dem fehlenden Abschlussteil an der Spitze ein Bruch, als Ersatz hätte man auch eine grosse Rosette nehmen können - aber dafür ist der Raum zu niedrig. Man hat einfach keine andere Wahl, und dann kommen die Katastrophen: Eine Raumecke hat einen Winkel von 94 Grad, die andere von 87, und die Eckelemente sind exakt im rechten Winkel. Vielleicht hätte es auch höherer Stuck an den Raumkanten getan - aber das geht auch nicht, weil die Wände teilweise schräg sind und die Übergänge schon jetzt ausgesprochen holprig wurden. Überhaupt die Übergänge: Ganz böse. Eine Wand krumm, eine Wand schief, Decke nicht gerade, kein rechter Winkel: Da ist ein sauberer Übergang ein Ding der Unmöglichkeit.
Aber: In Berlin habe ich ein paar Dutzend Palmetten aus Holz mitgenommen, ohne zu wissen, wofür ich die mal brauchen könnte. Spontankauf, weil sie so billig waren; Reste aus einer aufgelösten Schreinerei. Die werden in Gold und Weiss lackiert und kommen dann in die unschönen Ecken. (sorry wegen der dreckigen Fingernägel, wenn das meine Frau Mama wüsste...)



Was noch? Ich weiss nicht, ob ich die Decke nochmal von Fehlstelle zu Fehlstelle verspachteln würde. Das Verspachteln des Stucks war ein Kinderspiel, aber die Löcher in der Heraktlitdecke, die offenen Fasern und die viele hunderte elende Tapetenfitzelchen waren die Hölle. Vielleicht hätte ich die Decke nochmal komplett verputzen sollen, aber das geht dann nicht in die Tiefe, da bleiben Risse und Spannungen, und kaum zwei Jahre später geht das Ganze von Vorne los, und Gipskrümel der Decke im Tee sind nicht wirklich fashionable. Als das Heraklit an die Decke kam, war der Putz nur der Untergrund für die Tapete, das hat er gehalten, und niemand konnte in den frühen 60er Jahren ahnen, dass es mal jemand geben würde, der da Stuck haben will - das war die Zeit, wo jeder den Stuck runtergehauen hat. Als Folge bleiben noch ein paar hundert Grate vom Spachteln, die abgeschliffen werden müssen, bevor morgen die Farbe kommt. Es ist einfach so elend viel Arbeit, ohne dass es wirklich vorangeht.

Weichei, das einzig wirklich Elende ist das Gejammere - dafür kann ich Jahrzehnte an die Decke schauen und mich daran erfreuen. Ausserdem, wie mir ein alter, geizistgeiliger VC schon mal gesagt hat: Verdient haben Sie nichts, Herr Porcamadonna, aber Sie haben was gelernt.

Mittwoch, 3. August 2005, 01:29, von donalphons | |comment

 
Sieht toll aus. Und die Lösung mit den Palmetten fetzt. Die meiste Arbeit ist immer die, die man nicht sieht, wenn man nicht dabei war. Das ist auch bei der Hausarbeit so. Fensterputzen, Staubwischen, wem fällt es auf, wenn es immer sauber ist?

Weiter so - bin gespannt auf das Endergebnis!

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Keine Sorge, das lässt nicht mehr lang auf sich warten.

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ach, ich liebe das! im grunde meines herzens werde ich immer handwerkerin bleiben. das weiß ich, jeden tag, wenn ich die küchenschublade aufziehe, die mein vater gebaut hat. (nein, den ganzen schrank natürlich.) wer kann schon heute noch den schwalbenschwanz?

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Ich kenne da ein paar Leute. OK, zugegeben, als Archäologe kennt man auch Leute, die aus einem Haufen Trümmer einen Rokokosekretär wiederaufbauen können. Wass ich hingegen aus meiner Wohnung nicht kenne, sind Schubladen ohne Schwalbenschwanz. Gibt es das überhaupt (ausser bei Ikea, aber das sind ja keine Möbel, das ist Sägeäbfall in neuer Form für häusliche Zwischenlagerung)?

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immer diese gehäßigkeiten! natürlich gibt es das. ;-)
ohne schwalbenschwanz geht immer, das ist ein leichtes. wenn ich jetzt die schreibtischschublade neben mir öffne, dann ruckelt da plastik über eine holzschiene, die ich nachträglich dort angebracht habe. nachdem die aus plastik nach jahren zerbrochen ist. komisch, ist nun auch schon fast dreißig jahre alt. geht alles.

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Nun, dieses Blog ist nicht wirklich für seine netten Töne berühmt. Schon gar nicht für Lobgesänge auf die totalitäre Einrichtung ehemaliger Nazi-Bejubler.

Gehen tut vieles. Aber ich gehöre nun mal zu denen, die gerne wohnen und leben - damit hat man mehr vom Leben.

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Schwalbenschwanz
(oder Zinken wie der Schreiner sagt) muss auch heute noch jeder Schreiner können. Das ist Bestandteil der Gesellenprüfung. Und wenn man es einmal kann, verlernt man es nicht. Ausser vielleicht die Formel zur Berechnung der Anzahl der Zinken, die krieg ich auch nicht mehr hin. Aber echte Schreiner machen die Zahl eh nach Gefühl.

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lebensgefühl muß ja nicht unbedingt etwas mit möblierung zu tun haben. ich kenne menschen, die sich jeglicher einrichtung zu entledigen versuchen, um sich einem lebensgefühl überhaupt wieder zu nähern. aber es stimmt natürlich, daß totalitäres auch nicht nicht förderlich wirkt.

mr. 4finger (versteh ich das richtig? ;-) schreiner hin oder her, können müssen heißt nicht können können. meiner bescheidenen erfahrung nach.

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