: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 4. November 2004

Strasse der Verlierer

Fanatiker, Irre und Psychopathen sind, als Einzelpersonen, nicht nur zu ertragen, sondern auch wichtiges Korrektiv jeder Gesellschaft - zumal, wenn sich später irgendwann mal erweisen sollte, dass sie doch nicht ganz Unrecht hatten, mit ihren Ideen. Schlimm wird es nur, wenn sich die Durchgeknallten zusammenrotten, sich auf einen grösstmöglichen gemeinsamen Nenner einigen - in der Regel die Übernahme der Weltherrschaft - und in ein Dorf, eine Stadt oder eine neudeutsche Area oder Cluster ziehen. Dann fällt die nötige Reibung mit der Realität, die verändert werden soll, weg. Dann fangen sie an zu glauben, dass ihre Realität schon erreicht ist.

Man muss sich doch nur umschauen. Da hinten bestellt eine ihr Essen über Internet. Da drüben redet jemand mit der neuen dependance in Shanghai, wo auch alle so denken. Shanghai rules sowieso, da sitzen vielleicht Freaks. Und ein Stockwerk drüber ist die Kommunikationsagentur, die das schon richten wird, wenn mal doch jemand da draussen glauben sollte, dass er noch mit seinem alten Scheiss etwas zu melden habe. Die Jungs vom Filmwerk werden das der Mehrheit schonend, witzig und nachhaltig beibringen.



Oder auch nicht. Besonders, wenn die Kommunikationsstrategien der Irren nur von den nächsten Durchgeknallten zu verstehen ist. Da helfen keine grossen Etats, keine Werbekampagne, nichts. Irgendwie muss man den Opas, den kleinen Angestellten und den Hausfrauen mal erklären, warum sie all das Zeug, das Credo der Cluster, die Ideologie der Areas gauben sollen. Denn nur 10 Meter davon entfernt gelten sie bestenfalls als komische Typen, die was tun, was niemand versteht.

Dann verschwinden erst mal ein paar Schilder, und dann, wenn es doch etwas heftig werden würde, bleiben auch Schilder da, wenn die Leute schon weg sind. Die Schilder exopandieren sogar manchmal, auch wenn die real bewirtschafteten Räume schwinden. Aber der Club heisst immer noch Rheingold. Das, wie man wüsste, wenn man sich ernsthaft mit alter Kultur auseinander gesetzt hätte und nicht nur zu Wagner gegangen ist, um den japansichen Geschäftspartnern vor der Bordelltour noch einen Freundschaftsdienst zu erweisen, das also bei allem Funkeln und Gleissen den Besitzern und allen, die danach strebten, zum Verderben gereichte.

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Mittwoch, 3. November 2004

Wegen Berlin Bashing

das sich hier und dort ja stets angeregter Debatten erfreut: Wollen Sie bitte im Kopf behalten, dass es sich bei dem Autor dieses Blogs um justament die Person handelt, der in Rezensentenkreisen nachgesagt wird, eine der bösesten Abrechnungen mit München verfasst zu haben?

Angesichts der verrotteten Ausgangsmaterials dieses Slums Berlin bei Marzahn hat es in Relation dazu wirklich eine liebevolle, nachgerade zärtliche Beschreibung erfahren. Nix Bashing.

So. Jetzt erfreuen Sie sich bitteschön an diesem fürsorglich in der Choriner Strasse abgestellten Kühlschrank, der so voll ist, wie das bei Berliner Studenten nun mal typisch ist, und denken Sie daran: Berlin und Rauchen kann tödlich sein.


(so sehen echte fiese Drecksphotos aus, girl. Wenn schon, denn schon)

(Beiseite: IGITT!! BÄH! Wie kann man sowas nur tun? Wieso macht da keiner was?)

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Dienstag, 2. November 2004

3900 qm zu viel

und auch die mickrigen 80 Quadratmeter mit Aussicht auf die Allee werden es schwer haben. Zu gross für die Ich AGs der New Media Szene, und viel zu teuer, angesichts des Home Office, wo der Küchentisch den Besprechungsraum und das Schlafzimmer die Recreation Area ersetzt.



Die Tafel wird wohl noch eine Weile dort stehen bleiben; vielleicht länger, als der für die Verwirklichung der Vision nötige Immobilienfond Bestand hat. Gut für die Bäume, die Grünanlage und das graubraune Haus dahinter, das in seiner Tristesse immer noch den Charakter hat, der dem geplanten Glasloch mit Stahlskelett fehlen wird, bis zu dem Tag, an dem sie das Ding wieder abreissen. 20 Jahre, schätze ich.

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Sonntag, 31. Oktober 2004

Alles super

wenn man mitten im Moloch eine Tanke findet, den Wagen abfüllt und raus kommt, mit Vollgas irgendwohin, wo noch nicht alles kaputt und Zukunft noch was anderes als die verschärfte Fortsetzung des Niedergangs ist.



Weniger super, wenn man das zwar täglich lesen kann, aber hier bleiben muss, wo absolut gar nichts super ist. Gut, gegenüber ist ein kleines Bordell, bei dem die Fenster sowieso verrammelt sind, eine Autovermietung und dann, weiter hinten, eine Industriebrache. Aber das dunkle Haus dahinter ist auch im strahlenden Sonnenschain bitterfeldgrau, und über die laute Bahntrasse werden alle paar Minuten, wie zum Hohn, abgearbeitete, frustrierte, verarmte Menschen vorbeigekarrt, für die Glück schon bedeutet, nur einmal auf dem Heimweg nicht von irgendjemand angemacht zu werden, dem es noch dreckiger geht.

Alles super, lesen sie, wenn sie den Blick vor dem kommenden, vielleicht auch ihrem eigenen kommenden Elend abwenden und die Leuchtschrift lesen. Fehlt eigentlich nur noch ein Mc Donalds Plakat mit "Ich liebe es [tm]".

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Sonntag, 31. Oktober 2004

In dem Gebäude links

sollte eigentlich Politik gemacht werden. Politik im Sinne der Medien, die es mal mit internationalen Thinktanks, dann wieder mit diskreten Treffen versuchten. Man wollte mit am Tisch sitzen, networken, bei den Entscheidungen dabei sein. Und wenn man schon nicht an den Tisch des Ministers kommt, hiolt man eben den Staatssekretär an das eigene Buffet.

Die Idee war nicht dumm, aber an der Realität vorbei. Wenn man etwas zu spät von einem anderen Termin kam, stand oft schon ein Wagen mit laufendem Motor vor dem Eingang, ein wichtiger Staatsmensch stürmte raus und fuhr irgendwohin, wo er sich das Theoriegewäschirgendwelcher Wissenschaftler nicht anhören musste. Berliner Republikflucht, wenn man so will.



Inzwischen, nach der Sommerpause, sind die Termine weniger geworden. Das grosse Konzernschiff hat genügend strukturelle Probleme. Manche Sparten brechen komplett weg, man hat sich auf zu viele Felder eingelassen, man verdient noch Geld, aber es wird nicht besser, sondern schlimmer. Neue Impulse sucht man vergeblich, Zukunftsmärkte gibt es nicht. Für das Internet hat man noch immer keine Strategie, und selbst wenn man sie hätte, wäre sie aufgrund der internen Streitereien veraltet, bevor sie wirken könnte.

Und der politische Ansatz des Konzerns wird, wenn man ehrlich ist, nirgends ernst genommen, ausser bei der Spesenabrechnung der Wissenschaftler natürlich. Womit es der Firma aber auch nicht recht viel besser geht als den anderen, die südwestlich davon in einem Hochhaus versuchen, ihr halbintellektuelles Schlachtschiff irgendwie über Wasser zu halten. Berliner Republikfluch, wenn man so will.

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Freitag, 29. Oktober 2004

Shop in the Making

Die Räume, muss man sagen, die sind toll. Draussen bröckelt der opulente Putz der 1870er Gründerzeit, drinnen herrscht die Klarheit der Post-New-Economy. Seit diesem Sommer beobachte ich diesen Laden:



Eine Mischung aus Klamottenladen, Design-Agentur, Kleindisco, Eventlocation, Treffpunkt, mitunter sogar Anlaufstelle für Kunden. Die Website ist seitdem soon to come. Manchmal würde ich gerne reingehen und fragen, ob sie über die Runden kommen, wie sie es schaffen, aber das wäre sehr indiskret und auch nicht wirklich nett gegenüber Leuten, denen zum freien Unternehmertum kaum Alternativen bleiben.

Lumpenentrepreneure nennt Ingo Niermann das, im Gegensatz zu Lumpenproletariat. Ich mag beide Begriffe nicht, auch wenn im Erfolgsfall aus diesen jungen Kreativen oft, zumindest nach meinem Erleben, die schlimmsten Zyniker werden. Aber wie sollen sie grosszügig sein, wenn sie nie Grosszügigkeit erlebt haben. Schon die Bewerbung an die besondere Designerschule war Krieg, der Kampf um Praktika, schliesslich das Gerangel um möglichst grossartig klingende Professoren. Dann der tägliche Krieg mit den Ämtern, die auch für den kleinsten Kreativen Grosskonzern-Vorschriften anwenden, ohne dass sie sich jemals die entsprechenden Angestellten leisten könnten, die ihnen das abnehmen.

Mal schaun, wie weit sie heute Abend sind. Vielleicht ist dann auch wieder Vernissage oder Party, und ich komme doch mit einem von ihnen ins Gespräch.

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Freitag, 22. Oktober 2004

Fehlstelle

an einem prominenten Ort: Der momentan so beliebte graue Muschelkalk.Verkleidung hat nicht gehalten, an der D****ner Bank in der Friedrichstrasse. Die Lücke ist da schon länger, und offenbart die Qualität des Aufbaus; schnell was reingeschmiert und dann eine glatte Fassade angepappt. Wie aus dem Lehrbuxh der Uhu-Economy, wir basteln uns ein Bankgebäude, das lustige Spiel mit einem steuersparenden Immobilienfond, 250 Schwarzarbeitern aus Rumänien und 1-A Bindemittel für Saucen, wird schon irgendwie halten. In der Upgrade-Version Deutsche Bank bekommt man zumindest besseren Klebstoff.



Vielleicht könnte man zumindest irgendwann mal das Facility Management anrufen, die zumindest schon mal die Trümmer beseitigt haben sollten. Muss ja nicht jeder sehen, wie schlecht es im Haus aussieht.

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Ein voller Erfolg

5.000 weniger Schnorrer. 1.500 Quadratmeter weniger, bei gleichem grüngefüllten Leerstandsbereichen und Erholungszonen. Karten weiterhin über Chip und Co. Firmen aus der Region, die mal Munich Area hiess und angeblich führend war. Ein plus minus Null Geschäft. In Würde sterben ist in der IT-Branche nicht üblich. Dann doch lieber den Heise-Teppich mit Eiter besudeln.

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Mittwoch, 20. Oktober 2004

Ehrlich währt auch nicht immer

Zumindest wirft Ehrlichkeit keine Währung ab, in den neu hochgezogenen "Quarees" des angeblichen Spree-Paris.



Man könnte es als Bankrotterklärung bezeichnen, aber nein, pleite sind sie noch nicht, nur in der Krise. Und ja, es mag ja sein, dass die Wirtschaftsflaute für manche Chancen bietet, aber sicher nicht für die Investoren, die auf ihren zuigtausend Quadratmeter im Quaree sitzen bleiben. Fährt man die Strasse hoch, kommen noch etliche grosse Freiflächen, verwildert und ruinenübersäht. Bis dort die Projektplaner in die Puschen kommen, dürfte die Flaute das Quaree schon wieder zur Ruine gemacht haben.

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Dienstag, 19. Oktober 2004

Alles geht

Da steht also ein ganzes Gebäude in allerbester Lage, gleich neben der Frankfurter Messe. Es ist frisch hergerichtet, strahlend weiss, neu poliert, mit glänzend-schwarzen Glasfenstern, und steht da einfach so rum. Vollkommen jungfräulich, unberührt und leer. Es muss schon etwas länger her sein, dass da jemand im Erdgeschöss die Scheiben mit diesen grossen, optimistisch-deutschebankblauen Plakaten verklebt hat.



Anything goes, der rebellischen Wahlspruch der Tempo, ist jetzt also in die Tiefen des Systems angekommen, als Wahlspruch derer, die keine Grenzen anerkennen wollten. Alles geht bei 24.000 Quadratmeter, sofort zu beziehen, und wirklich passt fast alles, solange es nur gross, vermögend und durch den Boom entsprechend aufgebläht ist. Bloss haben wir im Moment keinen Boom.

Nur eben diese 24.000 Quadratmeter, das sind 50 mal 50 Meter Grundfläche auf 10 Stockwerke minus Mauern und Versorgungsanlagen, das wäre Platz für 1000 Studenten, 500 Angestellte, 250 mittlere Manager, wenn man denn Wohnraum wollte. Will man aber nicht. Wohnraum lohnt sich für Immobilienfonds und Investmentstrategen nicht. Erst die Grösse macht bein Vermietung den Profit. Man mag langfristige Mieter aus der Finanz- oder Versicherungsbranche, und man wartet denn eben mal ein paar Monate auf den richtigen Kunden. Oder Jahre. Gut, langsam geht das hier eher in Richtung Jahrzehnte. Gleich rechts neben dem Marriott-Hotel, kurz vor Dresdner KW. Gute Gegend, wirklich, natürlich nicht in jedermanns Augen schön, und manchmal so entsetzlich leer.



Aber es ist ja Anything goes, es kostet ja nur Geld, genauer Steuergeld der Anleger, die entsprechende Verlustzuschreibungen bekommen und ihre Steuerlast damit schön niedrig bekommen. Rendite ist eher mau, aber es ist weniger riskant als Steuerflucht, und solange der Fond nicht crasht oder in einen Skandal schlittert, ist es immer noch besser als Spitzensteuersätze zahlen. Nur wenn denn mal ein Skandal kommen würde, so einer, wie der, der gerade in Frankfurt Konjunktur hat, dann...

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