: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 11. Mai 2008

Real Life 11.5.2008 - Neukonservativ

Suchen Sie etwas bestimmtes?

Nein, sagst du und erzählst die übliche Geschichte: Dass du ohnehin zu viel hast, dass es jetzt mit dem neuen Wohnsitz gerade etwas entspannter wurde, und dann gehst du das Angebot durch und verweist auf die Stücke, die genau so oder ähnlich in deinem Schrank stehen. Nicht so sauber geputzt wie hier, natürlich, denn das hier, auf dem Antikmarkt in Bad Wiessee, ist nach englischen Vorstellungen "mint condition". Solche Teekannen besitzt man nicht, wenn man nicht über Personal verfügt, oder diesselben an den ortstypischen Reichen, oder die jüngere Abart, den mitteljungen Neoconservativen bringen will. Überhaupt, sehr viele junge Leute, hier. Entsprechend ist auch das Angebot an alten Taschen für sie, in Schlange oder Krokodil aus den 60er und 70er Jahren. Optisch politisch unkorrekt, andererseits immer noch gut für das Gewissen, denn das Tier ist schon tot, und besser so, als jetzt ein neues Tier umbringen. Man kennt das. Schwarze Bedürfnisse, grüne Umsetzung. Wie auch beim Getränk. Kaffee scheint völlg aus der Mode zu sein, angesichts des Angebots in den Reihen.



Aber Namen geben sie ihren Kannen nicht, fragt die Händlerin.

Äh, nein, aber es gibt natürlich eine funktionale Trennung in Morgen-, Abend- und Nachtkannen, die zudem auch in verschiedenen Qualitäten da sind, von der angeschabten Krankheitskanne bis zum Vollsiberexemplar für besondere Gelegenheiten, erklärst du.

Nun, sagt die Verkäuferin, offensichtlich jemanden gefunden zu haben, der den passenden britschen Spleen nicht mehr erst erwerben muss, sie kenne auch Kunden, die ihren Kannen Namen geben, immer dem Alphabet nach, und danach auch durchwechseln.

Die Luft hier ist gut, die Menschen sind gesund, aber nicht zwingend am Geiste, mag mir scheinen. Hier nicht, und an anderen Orten auch nicht. Es gibt so einen Retrotrend, der sich ganz bestimmte Epochen und Gegenstände raussucht, die in klar definierten Epochen entstanden sind. Es gibt hier konservatives Biedermeier, und dessen Überhöhung in der 2., nun wirklich spiessigen Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts, es gibt Strassschmuck der reaktionären 50er Jahre aus den Vereinigten Staaten, hochwertigst-schreckliche röhrende Hirsche aus Porzellan, wie zum 50. Betriebsjubiläum eines Unternehmen der Deutschland AG in den 60ern verschenkt, es finden sich schwere Gemälde und obendrein Dinge bar jeder Funktion, die zu allen Zeiten als Nippes der Hausfrau liebste Arbeitsbeschaffungsmassnahme waren. Es ist, kurz, ein wenig viel hier, es ist alles gut, exzellent, auf höchstem Niveau, ein kulturgeschichtlicher Bügeleisenhieb zur Plättung derer, die sich einzudecken haben, und deshalb gehst du wieder.

Draussen sitzen sie unter Sonnenschirmen und kurz geschnittenen Kastanien, die restaurierten Ausflugsboote ziehen über das türkisfarbene Wasser, und vom Niedergang der Familie ist angesichts der Muttertagereien auch nichts zu bemerken. Vielleicht waren die späten 60er bis 80er auch nur eine Zeitschleife für wenige, während der Rest sich mit ein paar angenehmen Neuerungen arrangiert hat, und unter der Oberfläche immer noch Heintje kaufen würde, nur eben als Klingeton.



Und als du dann Richtung Gmund fährst, bist du dir gar nicht mehr so sicher, ob der Wackeldackel da vorne im Oldtimerbus Stilecht, ironisch oder ernst gemeint ist. Todernst für alles andersartige, was du zu sein präferierst. Kommen in Berlin, niedriger im Standard natürlich, bald wieder Käseigel in Mode, und dazu ein Magenbitter?

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