: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 2. Mai 2008

Empfehlung heute - Gefährliche Mission

Also, ganz ehrlich: Mich beschleicht beim Betreten von Kirchen immer ein blödes Gefühl, das später das Interesse an der Kunstgeschichte wegwäscht. Aber sowas wie Glamourdick würde ich doch nicht wagen.

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Real Life 1.1.2008 - Besser als jede Vorabendserie

Du gehst gern zu dem Konditor im Ort, wenn Hochbetrieb ist. Bei Hochbetrieb, sagen wir mal, so gegen halb vier an den Sonn- und Feiertagen, kann man immer fünf Minuten spannende sozioethnologische Beobachtungen machen. Armutsforscher gehen in Obdachlosenasyle, Reichtumsforscher, die es in einer vergleichbaren Form nicht gibt, sollten das hier besuchen: Eine etwas teurere Konditorei mit schweren, wirklich schweren Torten an der Strasse zwischen einem Casino und drei Millonärsvierteln, an einem Feiertag um halb vier.



Neben den üblichen Rentnerinnen in Gucci und Chanel, die sofort den Wunsch nach selektiver, gegenläufiger Rentenanpassung in unterschiedlichen sozialen Schichten aufkommen lassen, drücken an solchen Tagen die Nachfolger rein. Besonders herzig in diesem Kontext zwei Clans, zwischen denen eingepfercht du auf deine Torte wartest.

Da ist also die städtische Kleinfamilie, Eltern etwa in meinem Alter mit einem Sohn im niedrigen Grundschulalter. Papa in Schwarz mit dunkelgrauem Lodenjanker, Mama in Schwarz mit diesen beschnallten Stiefeln, die sowas wie Durchsetzungskraft ausdrücken sollen und immer arg bemüht wirken, beide den Eindruck erweckend, man habe gleich in der Villa einen grossen Empfang zu geben, und bräuchte neun Stück Kuchen. Es ist voll, es ist eng, von hinten schiebt die zweite Familie heran, und so wäre es angeraten, die Extremitäten dem Umfeld entsprechend zu kontrollieren. Nicht aber bei Mama. Obwohl auf der Sachertorte fett "Sacher" draufsteht, wippt sie dynamisch in die Knie, lässt die Hand dynamisch in Richtung Torte sausen, ungeachtet des Umstandes, dass du genau dorthin gedrückt wirst, und weil die Torte weiter unten ist, kommt es zu einer Kollision von Hand und einer deiner Körperregionen, das dir, würde dir es bei einer Frau passieren, so peinlich wäre, dass du dich sofort im See ertränkest. Zumindest würdest du daran denken, und dich danach, dunkelrot vor Scham wie eine Himbeertorte, entschuldigen. Sie jedoch nutzt dein instinktives Zurückweichen, um mit dem manikürten, geisterweissen Fingernagel auf das Glas vor der Torte zu tippen. Du findest konservative Leute erträglich, wenn sie sich konservativ benehmen, aber diese Vermischung, Kassieren wie ein Ausbeuter und privates Benehmen wie im antiautoritären Kindergarten, macht dich fertig. Denkst du.

Und drehst den Kopf zur Seite, denn du hast genug gesehen, und wirst jetzt bedient. Du musst nicht deuten, du kennst hier die Torten,du kenne sie alle, leicht und effektiv erbittest du das Gewünschte, einen Kontrast zu setzen gegen Herr und Frau Neokonservativ, da erblickst du den Block, der dich gegen sie drängte: Noch eine Familie, diesmal eindeutig altkonservativ, so, wie man das fette Balg in eine ladenneue Bauerndeppenuniform gezwängt hat: Ladenneue Lederhose mit Hirschhornlametta, Dorfseppelhut, Haferlschuh, Wadlsocken und ein kariertes Hemd. Von Ralph Lauren.

Dergestalt angetan, unternimmt das Balg seine erste Klettertour an den Metallstangen von der Tortenvitrine. Es werden wohl die einzigen bezwungenen Berge sein, eine Ernährung, die das Breitenwachstum im Auge hatte, dürfte selbst die Besteigung des Gasteigs oder des Osterberges bei Gmund unmöglich machen. Seine mutmasslichen Eltern sind möglicherweise gerade aus dem Musikantenstadl ausgebrochen, Kirschbombe und Tegernseetorte werden farblich gebleicht durch die Farbenexplosion von Dirndl und seiner zwischen dem Janker hervorberstenden Weste. Und sie unterhalten sich auf bestem Mitteldeutsch mit hessischem Einschlag über ihre Auswahl. Der Farbschock lässt nach, du erkennst eine üppige Moschinotasche in Glanzleder an der Seite des Dirndls, und der Mann spielt mit seinem Porscheschlüsselanhänger. Draussen steht das passende SUV. Hanauer Kennzeichen, wie du beim Verlassen des Cafes sehe. Konservativ bis in die Knochen ist auch Scheisse.

Sie wiederum werden sich gedacht haben: Äh. Noch so ein Berufssohn, mit seinem mittelbayerischen Tonfall und dem Smalltalk mit der Bedienung, die jetzt zum gefühlt zwanzigsten Mal in der Öffentlichkeit lautstark betont, wie günstig doch diese Wohnung war und wie schön es da ist, wo du wohnst, nicht wissend natürlich, wie dich derzeit die Grunderwerbssteuer schmerzt.

A saubere Bagasch, die da drin war, sagt man dazu in Bayern. Man erfährt hierzulande sehr viel über die tatsächliche Armut, und sehr viel über eine hinkonstruierte Oberschicht und ihren telegen gestalteten Reichtum. Es gibt eine Realität hinter Bunte, Gala, Managermagazin und RTL2-Dokus, sie verschliesst sich, weil sie doch nicht so schön ist, aber ab und zu muss sie raus, und sich was zum Essen beschaffen. Um halb vier, an der Strasse zwischen drei Millionärsvierteln und einem Casino, da kann man sie beobachten, in freier Wildbahn, an der Futterstelle. Danach weiss man mehr über dieses Land, das unseres ist, wenn wir oben stehen.

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