: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 2. Juni 2008

Tage aus Blei

Es gibt solche Zeiten. Betrachten wir es realistisch: Ich habe wieder drei Wohnungen. Die Gästewohnung: Voll. Gestern führte ich dort die neue Mieterin, bei der ich mich absolut am Riemen reissen muss, nicht über sie zu schreiben, bei der Dachterassenbesichtigung hinein, und sie fand es - voll. Wo eine gerade Wand ist, hängen dort entweder Spiegel oder Bücherregale mit ungefähr 4600 Bänden. Meine grosse Wohnung: Voll. Zumindest so voll, dass ich das Angebot, eine durch einen Designwandel einer Beratungsgesellschaft überflüssig gewordene Biedermeiervitrine kostenlos zu übernehmen, ablehnen musste. Auch, weil sie in Kirschholz stilistisch absolut nicht zu meinen Mahagonimöbeln passte, aber auch, weil ich keinen Ort habe, wo ich sie noch stellen könnte. Ich brauche eigentlich nur noch zwei venetianische Spiegel und zwei grosse Bücherregale, 5 Reliefs nach griechischen Originalen, und ein Dutzend Qing-Teller, dann bin ich wirklich durch. Und am Tegernsee möchte ich den Eindruck einer halbwegs schlichten Sommerfrische erhalten. Wie schlimm es wirklich ist, sah ich vorgestern, als Frau Mama beschloss, die Anordnung ein wenig wie daheim haben zu wollen und einen Sessel auswählte, den man am See ins Schlafzimmer stellen kann, zum Ablegen der Kleidung und als Rückzugsplatz vor das noch fehlende Buchregal: Wir gingen durch meine Räume, begutachteten die acht Optionen, und als ich dann einen Sessel ins Auto gebracht hatte, sah der Raum nicht unbedingt entleert aus. Eigentlich merkte man gar nichts.

Das hat zwei Folgen: Sollte ich jemals den Tegernsee wieder verlassen, muss ich als Ausgleich wieder etwas neues zur Unterbringung all der Möbel kaufen, und es wird wieder kein Ferrari sein. Das liesse sich irgendwo verschmerzen, selbst wenn es jedesmal aufs Neue kribbelt, den Vorbesitzer oder dessen Frau hier mit dem schwarzen 456er vorbeifahren zu sehen, den sie mir für einen geringen Aufpreis überlassen hätten - zur Abschreckung reicht ein Blick auf die Zapfsäulenpreise. Andererseits habe ich in letzter Zeit häufig das Gefühl, auf den Antikmärkten Dinge, die wirklich schön und begehrenswert sind, einfach nicht zu brauchen. Ich begegne den schönsten Antiquitäten mittlerweile mit stumpfer Agonie und dem dummen Gedanken "Kein Platz". Ich stand gestern Abend vor dem besten Antiquitätengeschäft von Rottach, die mit einem Schwung ganze Häuser ausstaffieren können, und dachte mir: Naja. Und gestern morgen ging ich über einen Flohmarkt und fühlte mich wie zwischen zwei Bleiplatten; oben das heisse, schwüle Blei der Sommerhitze, unten das Blei der Langeweile und des Überdrusses, Stand für Stand, Reihe um Reihe. Manches würde schon gehen, aber halt gerade so eben; sprich, man ärgert sich erst, dass es nicht das ist, was man wirklich will, und dann gleich nochmal, wenn man die bessere Alternative findet. Die Person mit der Biedermeiervitrine ist so ein Fall. Ein Reisekoffer war ganz nett, aber es fehlte ein Griff. Ein Quirl mit Drehrad und Holzgriff war in einem Haufen sehr unsauberem Besteck. Ich war fast schon durch. Und dann:



Ich habe schon einen. In der Provinz. Und am Tegernsee wieder gelernt, was bluten heisst. Einmal habe ich in München eine halbe Stunde vergeblich nach den Einsätzen gesucht, als ich einen Halter in einer Kiste gefunden hatte. Derlei Benehmen, wie Isnogud auf der Suche nach dem letzten Puzzleteilchen, ist mir an sich vollkommen fremd, aber ein Mouli Grater ist eine absolut grandiose Erfindung, es gibt keinen Tag, da ich ihn nicht nutze, und keinen Tag am Tegernsee, an dem ich das Fehlen desselben nicht verflucht habe. Es geschieht nicht oft, dass ich nur einen Euro ausgebe, und nur mit einem Trumm von der Jagd komme, aber gestern war dieser Tag, und dennoch war ich vollkommen zufrieden.

Bis ich dann beim vorletzten Stand noch diesen Pralinenstuhl sah, dieses wirklich entzückende Sesselchen für eine von Mama geschlagene Lücke, aber das ist eine andere Geschichte.

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Hausarbeiten

Es gibt Dinge, die würde ich in Berlin keinesfalls tun wollen. Berlin hat zwar viele Einwohner und ist gnadenlos anonym, wenn man überfallen, in einen Koffer gesteckt und angezündet wird. Aber es bedeutet nicht, dass man dort ungestört in der Öffentlichkeit arbeiten kann. Dem Gesindel dort ist der arbeitende Mensch ein Graus, zumal falls er sich mit Verschönerung auseinandersetzt. Das ist dieses Ding, das das Gegenteil der Berlinern wohlbekannten Schmierereien, Müllhalden und sinnloser Vandalismusaktionen darstellt. Eine Tätigkeit, derer man sich in Städten befleissigt, die Berliner aber spiessig finden. Überhaupt wundert es mich, dass Neapel inzwischen nicht voll mit Berlinern ist. Dann könnte ich vielleicht dort auch etwas Angenehmes machen.

Aber im Moment gäbe es sicher irgendwelche Leute, die es lustig fänden, das Verweilen auf der Leiter für allerlei Zeitvertreib zu nutzen, angefangen vom blöden anlabern über die demonstrative Notdurft im Beet bishin zu Versuchen mit der Leiter und der Schwerkraft. Es ist nicht so, dass es in der Provinz störungsfrei abgeht, aber die Störungen beim Hochbinden der überbordenden Pracht der Weinstöcke sind durchaus angenehmer Natir.



Da bieten wildfremde Leute an, die Leiter zu halten. Da wird bewundert und photographiert, da schätzt man die inzwischen enormen Ausmasse und die Kraft der Stämme, da will man alle paar Minuten hören, was es mit den Stöcken auf sich hat und was man später mal mit den Weintrauben macht. Und jeder findet es toll, dass es so etwas in der Altstadt noch gibt. Früher waren sie häufiger, aber heute ist es das einzige Haus mit einer durchgehenden Weinstocktradition von mindestens der Mitte des XVIII. Jahrhunderts bis heute.

Nur einmal gibt es milden Spott mit der Bemerkung, ich möchte doch die Fenster im 1. Stock zuwachsen lassen, dann würde man nicht sehen, dass sie nicht geputzt sind. Man kann das spiessig finden, aber lieber so, als die Schweine, die jedes Fleckchen Erde als Toilette für sich oder ihre Köter missbrauchen. Man bekommt viele gute Wünsche mit auf den Weg, in dieser Stunde beim Weinhochbinden, mehr als in Berlin im Laufe eines Jahres.

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