: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 1. Juni 2008

Gestörte Lesezeit

Etwas spät, aber das bin ich bei englischen Sendungen ja gewöhnt, ist doch noch die neue World of Interiors in meinem Briefkasten. Wäre da nicht noch etwas Arbeit und die letzten 100 Seiten eines Romns, der nicht brilliant, aber eben auch nicht langweilig genug zum weglegen wäre, würde ich sie sofort lesen. Dann aber ist es Abend, ich gehe hoch auf die Dachterasse, und finde dort einen Ausblick, der mich die Zeitschrift weglegen lässt



Oh, sie ist wirklich nicht schlecht. Im Gegenteil, es ist eine wunderbare Ausgabe. Die haben Ideen, die AD und Home & Garden nie haben würden. Da ist etwa der Beitrag über ein nordafrikanisches Mausoleum, seine Einrichtung und seine langzeitbewohner. Das machen all die seichten Kopien nicht, die beschäftigen sich lieber mit lebendiger Prominenz, die auch in einem ewigen, oder zumindest ewig gelifteten Leben nie so viel Stil wie die Toten haben werden.



Ein wunderbares Haus in Istanbul, die Rettung einer alten, britischen Töpferei, die Werbung einer Hotelkette, die München anbietet, Berlin ignoriert und ein atemberaubendes Bild einer sonst von mir nicht sonderlich geschätzten Violinistin offeriert - das alles ist wundervoll und manchmal rührend, aber wirklich grossartig ist allein das Schauspiel des Himmels in diese halben Stunde zwischen Tag und einbrechender Finsternis, konterkariert von der Auflösung der dunklen Wolken im Westen.



Vielleicht finden es manche komisch, wenn ich dann um neun Uhr, wenn die Glocken erklingen und die Sonne ganz verschwunden bin, auf meiner Dachterasse klatsche - aber Menschen klatschen bekanntlich zu unwürdigeren Anlässen: Sportveranstaltungen, Politikerreden, Powerpointpräsentationen und Debatten abgefuckter Pleitiers in Berlin Mitte. Es ist legitim, hier oben zu klatschen, denn es war grandios. Und die Zeitschrift liest sich ohnehin am besten im auch von anderen geschätzten Kerzenlicht.

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Empfehlung heute - Et in Arcadia Thomas

Thomas Knüwer war in Siena, wo es natürlich auch vernünftige Feinkostgeschäfte gibt. Und hat die Sünde begangen, in Florenz nicht in Fiesole zu wohnen. Florenz ist die schönste Stadt der Welt, von Fiesole aus betrachtet.

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Koinzidenz

Ich gehörte noch nie zu denen, die Geburtstage gern feierten, schon gar nicht den eigenen, der immer zu früh und zu schnell kommt, bis er eines, hoffentlich sehr fernen Tages im netterweise übernächsten Jahrhundert aus Gründen des immer zu vorzeitigen Ablebens gar nicht mehr kommt. Aber der 31. Mai ist inzwischen so etwas wie ein Festtag. Denn am 31. Mai vor drei Jahren, A.I.D. MMV, kehrte ich so in etwa um diese Uhrzeit zurück auf den Stuhl, auf dem ich gerade sitze, und trank den ersten Tee nach dem Ende der anderthalb Jahre in Berlin. Viel ist seitdem geschehen, aber der 31. markierte eine entscheidende Zäsur in meinem Leben, den Tag, an dem ich erkannte, was ich bin und wo ich hingehöre. Ganz sicher nicht nach Berlin.

Diesen heutigen Feierlichkeiten ging diese Woche der Besuch des Mannes voraus, der mich im Winter 2003 beauftragte, in Berlin das Büro des Aufbau zu übernehmen. Wie allgemein bekannt sein dürfte, bin ich der Zeitung als langjähriger Autor sehr verbunden; dort erschienen meine ersten Printartikel, zufälligerweise übrigens auch im Mai 1998. Dass ich den Job annahm, war ebenso selbstverständlich wie das Angebot: Ich hatte nach "Liquide" und dem Ende meiner Beratertätigkeit etwas Zeit und auch ausreichend Geld, um dem chronisch klammen Blatt, bei dem man immer und manchmal nicht zu unrecht befürchten musste, dass der nächste Anruf das Ende verkünden würde, dort finanziell nicht zur Last zu fallen. Der Aufbau hatte sich unter einer unfähigen Leitung Anfang des Jahrtausends eine falsche Expansionsstrategie aufschwatzen lassen, zu der ich glücklicherweise nur meine Kritik und Ablehnung beitrug, was dann zu einer recht abrupten Streichung des Germany Correspondent aus dem Impressum führte. Das war aber 2003 längst vorbei, die Herrschaften hatten nach Verpulverung von viel Geld den Platz geräumt, und dann wurde auch noch die Berliner Büroleiterin schwanger. Also ging ich, ohne zu ahnen, was mich erwartete.



Zum Beispiel ein ziemlich aufgeregter Wichtigtuer, der behauptete, für uns auf dem deutschen Markt als Eintreiber von Fördergeldern und Werbung zu agieren. Der Herr war mitsamt einem sittenwidrigen Vertrag noch ein Restmüll der versagenden Mannschaft in New York, und erwartete, dass er erst mal ordentlich bezahlt würde, bevor er in eine Aktion trat, in die zu treten er aber schon seit längerem versäumt hatte. Ich kam frisch aus dem innersten Höllenkreis der New Economy und darf behaupten, dass das Problem schneller einer Lösung zugeführt wurde, als er sich einen Überblick über die zu tätigenden Rückzahlungen verschaffen konnte. Dann gab es noch Leute, die sich als freie Autoren ausgaben und behaupteten, man hätte ihre weinerlichen Traktate angefordert, einen zum Rechtsextremismus abgerutschten Stammenbruder, der lernen musste, dass man seinen islamophoben Dreck nicht mehr wollte, und zu allem Überfluss dann noch aus New York die Entscheidung, dass man lieber jetzt die Zeitung einstellte und nach Investoren suchte, als sich gänzlich zu ruinieren.

Das war alles andere als lustig. Der Aufbau hatte sich ziemlich gross ein paar Jahre davor in Berlin als Hauptstadtmedium angekündigt, ohne auch nur ansatzweise den Ansprüchen gerecht zu werden, und jetzt schien die Operation am Ende zu sein, mit einem, der sie aubaden musste, ohne etwas zum Niedergang beigetragen zu haben. Aber wie schon gesagt: Ich kam aus dem innersten Kreis der Hölle und musste nur zweimal wegen falscher Darstellungen der inkompetenten, koksnasigen Hauptstadtjournaille mit Abmahnungen drohen, liess ein paar ordentliche Pressebilder machen und begab mich in den Interviewmarathon. Am schlimmsten Tag gab ich 24 davon. Als ich zugesagt hatte, wusste ich, dass es würde passieren können, dafür war ich da, also tat ich es auch.



Dann waren die Medien weg und der Aufbau tot. Meinten sie zumindest, und wir hatten Zeit, einen Investor zu suchen und sehr, sehr oft nicht zu finden. Dafür lernte ich ein paar hochspannende Leute kennen, von denen man nie wirklich wusste, ob sie jetzt nur gestört, schon etwas Borderline, richtig verrückt oder gar die echte russische Mafia waren. Ab und zu gab es auch aufmunternde Anrufe und Leute, die wirklich Hilfe und Kontakte anboten. Zu denen gehörte an erster Stelle der Aufbau-Verlag, der in dieen Zeiten desöfteren klarstellen musste, dass er weder pleite noch das Berliner Büro des Aufbau, N.Y. ist. Die Leute, mit denen wir als Journalisten oft zu tun hatten, waren absolut reizend, nett und hilfsbereit. Da war wirklich noch sowas wie die alte Emigrantensolidarität spürbar, die sich auf die Vertreter der 3. Generetion, egal welcher Herkunft sie waren, übertragen hat.

Ich hasse Berlin, und ich war glücklich, als der Investor endlich gefunden wurde, den Aufbau unter seine Fittiche nahm und ich den zur Vortäuschung einer weiteren Tätigkeit aufrecht erhaltenen Berliner Betrieb einstellen konnte. Das Büro war schön, Berlin war hässlich wie die Seele eines Berliner Kaufbloggers, ich konnte packen und gehen. Es gibt nicht viele Leute, denen ich dort etwas zu verdanken habe; diejenigen, die anders sind, wissen das sehr genau, und sollte der Aufbau-Verlag das nicht wissen: Es ist deine der ganz wenigen Firmen der letzten 10 Jahre, bei denen mir der Insolvenzantrag wirklich weh tut, angefangen bei den dünnen Brechtbänden, die ich in den 8oern im Brechthaus kaufte, bis zu Hic&Hec von Mirabeau, das zu veröffentlichen dem Verlag nicht hoch genug angerechnet werden kann. Es gibt so vieles, was gerne auf den Ramsch kann, aber der Aufbau-Verlag soll leben. Wenn wir das damals gepackt haben, weden sie es auch schaffen. Das wünsche ich mir, zum dreijährigen, durch die Insolvenz vergällten Jubiläum jenseits von Berlin.

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