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Mittwoch, 12. Dezember 2012
Penegal
Das nächste Mal, wenn ich in Italien bin, lasse ich mir bei Besia neue Visitenkarten drucken, mit der Anschrift
Grand Hotel Penegal
Mendelpass, IT
Zimmer 116
(um Voranmeldung wird gebeten)
Das Grand Hotel gibt es noch, aber natürlich ist es, wie so viele andere, längst geschlossen. Natürlich wohne ich dort nicht, aber ich finde es einfach nett, eine Anschrift dort zu haben, und die bekommen dann all die, von denen ich keine Post bekommen möchte. Sollten sie mich darauf ansprechen, so werde ich sagen, dass tatsächlich die Qualität der das Mauleseltreiber zum Pass hinauf abgenommen hat, und bis März wegen der Lawinen ohnehin kein Durchkommen ist: Meistens sind sogar die Telefon- und Telegraphenleitungen von den hungrigen Hausbären im Garten durchgekaut, aber ich frage das nachste Mal, ob es da nicht vielleicht Funk gibt, zum Anmorsen. Das wird das beste sein, denn alles andere, ich mein, bei den Bären weiss man nie...
Und dann werde ich solche Bilder von den Ebenen rund um Nürnberg zeigen und behaupten, da unten, unter dem Schnee, läge der Kalterer See begraben und gegenüber, das sei der Rittem, ja das ist schon hart im Winter, aber im Granhotel ist genug Essen für Monate, und einzige echte Problem sind die Leute, die in der Zeit sterben, denn man kann sie nicht im Schnee begraben, und in den Kühlräumen kann man sie auch nicht lagern. Aber im Hof steht eine uralte Tanne, da werden sie dann in bunten Ballkleidern aufgehängt und gehen als Christbaumkugeln durch, und wir passen schon auf, dass die Kinder an Sylvester nicht mit Böllern und Raketen darauf schiessen. Lustig geht es zu im Grand Hotel Penegal, und wenn uns gar nichts anderes mehr einfällt, dann machen wir eine Seance und schauen, ob man so eine Leiche nicht doch wieder auferwecken kann: Steh auf oder wir geben Dich den Bären zu fressen! Erfölbe blieben bislang aus, aber die Angehörigen haben sich noch nie beschwert, und die Bären auch nicht. Nur die Pailetten und Geschmeide zwischen den Zähnen, da muss man aufpassen.
So überstehen wir da oben also den Winter, spielen am Abend Rommee oder sitzen nur am Kamin und hören zu, wie das Feuer prasselt. Das Penegal war einst das modernste Haus, aber inzwischen, nun, man weiss ja, wie das geht, und man gewöhnt sich auch an die offen liegenden Rohre und die wacklige Electricität, Jeder zweite Kronleuchter kann deshalb auch mit Kerzen betrieben werden, und wenn es länger dauert, trifft man sich eben im Ballsaal und wärmt sich mit akrobatischem Engtanz. Ganz kalt wird es auch in strengsten Polarnächten nicht, denn man hat genug Bärenfelle, die einen warm halten. Man sieht also, trotz gewisser Eigenschaften, die aus der Zeit gefallen sind, kann man es im Penegal schon aushalten. Und deshalb kommen auch alle jedes Jahr wieder. Fast schon eine Familie, da oben auf dem Pass. Sie haben dort oben immer noch das Porzellan und das Benehmen aus den 20er Jahren. Und einen Monokelschleifer.
Ich denke, das ist eine ganz nette Geste für all die, die sich von solchen Lebenswelten noch ein erheblich weiter weg befinden, als ich das schon tue. Lebenswelten, in denen Wort wie entzückend und reizvoll gar keine Rolle mehr spielen, und das ganze Dasein im immer gleichen indirekten Licht der Neonröhren verläuft, mit uniformen Ritualen und vorgegebenen Einrichtungsgegenständen. Gleichzeitig aber frage ich mich, ob ich denn der einzige bin, dem das schmewrzhaft bewusst wird: Wie monoton und identisch durchgestaltet das Dasein wird, und wie frei von Abenteuern es ist. Das Penegal ist nur eine künstlerische Erweiterung des Tegernsees, aber eben nicht so weit weg,wie all die Videospiele von der Realität derer ist, die sich darum mehr bemühen sollten - man darf nicht vergessen, wie diese Branche inzwischen auch ältere Menschen und ihre Wünsche in ihr Geschäftsmodell integriert. Da sind Defizite, ich fühle sie, weil sie nicht so arg weit weg sind, aber andere überbrücken sie einfach und spielen das nach, am Ikratisch über dem Kabelsalat, den Becher mit Firmenaufdruck neben sich.
Man kann viel über Ungleichhheit und das Auseinanderbrechen der Gesellschaft reden, und ich finde auch, dass es stimmt - es gibt eine extreme Leistungsungerechtigkeit in vielen Berufen, Medien sind da sicher nur ein Beispiel, wenn man an die FTD denkt und welche seltsamen Leute trotzdem Karriere machn - aber letztzlich kümmern doch die meisten unter den immer gleichen Bedingungen vor sich hin. Immer dieses Licht, bei dem man schlechte Laune bekommt. Immer die gleichen 50x50 Zentimeter Stoff und Schaumstoff auf Rollen, und immer die gleichen, steuerlich absetzbaren Advenztskränze. Sehr ungleich ist das alles, und doch sehr gleich. Und deshalb also die Visitenkarten mit der falschen Adresse. Ein aus der Realität gefallenes Hotel für einen aus der Zeit und den Umständen gefallenen Menschen.
Grand Hotel Penegal
Mendelpass, IT
Zimmer 116
(um Voranmeldung wird gebeten)
Das Grand Hotel gibt es noch, aber natürlich ist es, wie so viele andere, längst geschlossen. Natürlich wohne ich dort nicht, aber ich finde es einfach nett, eine Anschrift dort zu haben, und die bekommen dann all die, von denen ich keine Post bekommen möchte. Sollten sie mich darauf ansprechen, so werde ich sagen, dass tatsächlich die Qualität der das Mauleseltreiber zum Pass hinauf abgenommen hat, und bis März wegen der Lawinen ohnehin kein Durchkommen ist: Meistens sind sogar die Telefon- und Telegraphenleitungen von den hungrigen Hausbären im Garten durchgekaut, aber ich frage das nachste Mal, ob es da nicht vielleicht Funk gibt, zum Anmorsen. Das wird das beste sein, denn alles andere, ich mein, bei den Bären weiss man nie...
Und dann werde ich solche Bilder von den Ebenen rund um Nürnberg zeigen und behaupten, da unten, unter dem Schnee, läge der Kalterer See begraben und gegenüber, das sei der Rittem, ja das ist schon hart im Winter, aber im Granhotel ist genug Essen für Monate, und einzige echte Problem sind die Leute, die in der Zeit sterben, denn man kann sie nicht im Schnee begraben, und in den Kühlräumen kann man sie auch nicht lagern. Aber im Hof steht eine uralte Tanne, da werden sie dann in bunten Ballkleidern aufgehängt und gehen als Christbaumkugeln durch, und wir passen schon auf, dass die Kinder an Sylvester nicht mit Böllern und Raketen darauf schiessen. Lustig geht es zu im Grand Hotel Penegal, und wenn uns gar nichts anderes mehr einfällt, dann machen wir eine Seance und schauen, ob man so eine Leiche nicht doch wieder auferwecken kann: Steh auf oder wir geben Dich den Bären zu fressen! Erfölbe blieben bislang aus, aber die Angehörigen haben sich noch nie beschwert, und die Bären auch nicht. Nur die Pailetten und Geschmeide zwischen den Zähnen, da muss man aufpassen.
So überstehen wir da oben also den Winter, spielen am Abend Rommee oder sitzen nur am Kamin und hören zu, wie das Feuer prasselt. Das Penegal war einst das modernste Haus, aber inzwischen, nun, man weiss ja, wie das geht, und man gewöhnt sich auch an die offen liegenden Rohre und die wacklige Electricität, Jeder zweite Kronleuchter kann deshalb auch mit Kerzen betrieben werden, und wenn es länger dauert, trifft man sich eben im Ballsaal und wärmt sich mit akrobatischem Engtanz. Ganz kalt wird es auch in strengsten Polarnächten nicht, denn man hat genug Bärenfelle, die einen warm halten. Man sieht also, trotz gewisser Eigenschaften, die aus der Zeit gefallen sind, kann man es im Penegal schon aushalten. Und deshalb kommen auch alle jedes Jahr wieder. Fast schon eine Familie, da oben auf dem Pass. Sie haben dort oben immer noch das Porzellan und das Benehmen aus den 20er Jahren. Und einen Monokelschleifer.
Ich denke, das ist eine ganz nette Geste für all die, die sich von solchen Lebenswelten noch ein erheblich weiter weg befinden, als ich das schon tue. Lebenswelten, in denen Wort wie entzückend und reizvoll gar keine Rolle mehr spielen, und das ganze Dasein im immer gleichen indirekten Licht der Neonröhren verläuft, mit uniformen Ritualen und vorgegebenen Einrichtungsgegenständen. Gleichzeitig aber frage ich mich, ob ich denn der einzige bin, dem das schmewrzhaft bewusst wird: Wie monoton und identisch durchgestaltet das Dasein wird, und wie frei von Abenteuern es ist. Das Penegal ist nur eine künstlerische Erweiterung des Tegernsees, aber eben nicht so weit weg,wie all die Videospiele von der Realität derer ist, die sich darum mehr bemühen sollten - man darf nicht vergessen, wie diese Branche inzwischen auch ältere Menschen und ihre Wünsche in ihr Geschäftsmodell integriert. Da sind Defizite, ich fühle sie, weil sie nicht so arg weit weg sind, aber andere überbrücken sie einfach und spielen das nach, am Ikratisch über dem Kabelsalat, den Becher mit Firmenaufdruck neben sich.
Man kann viel über Ungleichhheit und das Auseinanderbrechen der Gesellschaft reden, und ich finde auch, dass es stimmt - es gibt eine extreme Leistungsungerechtigkeit in vielen Berufen, Medien sind da sicher nur ein Beispiel, wenn man an die FTD denkt und welche seltsamen Leute trotzdem Karriere machn - aber letztzlich kümmern doch die meisten unter den immer gleichen Bedingungen vor sich hin. Immer dieses Licht, bei dem man schlechte Laune bekommt. Immer die gleichen 50x50 Zentimeter Stoff und Schaumstoff auf Rollen, und immer die gleichen, steuerlich absetzbaren Advenztskränze. Sehr ungleich ist das alles, und doch sehr gleich. Und deshalb also die Visitenkarten mit der falschen Adresse. Ein aus der Realität gefallenes Hotel für einen aus der Zeit und den Umständen gefallenen Menschen.
donalphons, 22:40h
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