: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 12. Mai 2013

Zurück an der Villa Minerva

Daheim beginnt der Weinstock jetzt, mein Fenster im 2. Stock zu umranken, und fast ist es so, als wüchse da eine Hand am Haus entlang, die mir entgegengestreckt wird. Es ist ja nicht irgendein Haus, nach 400 Jahren und all den Geschichten ist es sicher ein klein wenig verwunschen; nicht verflucht oder verzaubert, einfach mit etwas aufgeladen, was mehr als Stein und Holz ist. Damit muss man, wenn man sein Leben darin zubringt, umgehen können, und mit dem Wissen, dass man, auf die lange Zeit bezogen, nur eine kurze Episode sein wird.





Weil ich damit aber umgehen kann und keine Angst vor dem Leben in den Steinen habe, übt die Villa Minerva in Riva einen solchen Sog auf mich aus. Ich kann nicht daran vorbeigehen, ohne den Wunsch zu empfinden, über den Zaun zu klettern und dort einzusteigen, und durch die leeren, modrig riechenden Gänge zu streifen. Villa Hotel Pension Minerva, es hatte viele Namen, das palladianische Haus vor den Toren von Riva, und es passt zu mir. In meinem Haus starb der Feldherr Tilly, und hier nun machte Kafka Urlaub.





Ich kann nicht wirklich viel mit Riva anfangen, so als Ort betrachtet, es ist zu klein und zu voll mit Touristen, aber ich kann auch mit meiner Heimatstadt nicht viel anfangen, und trotzdem ist da das Haus, das mein Leben mehr bestimmt als viele Menschen, Quelle meiner Sicherheit und Zuversicht, Schutz meiner Gedanken und Lebensraum eines nicht Kompatiblen. So ähnlich würde ich das auch hier machen. Meine eigene Welt, genau an der Grenze zwischen den Ländern: Als diese Villa errichtet wurde, war Riva noch österreichisch, aber auch mal bayerisch, deutsch, Teil der Terraferma von Venedig und Besitz der markgrafschaft Verona, römisch, langobardisch, fränkisch, immer umstritten und nie einem allein gehörend: Mag Italien seit 1918 hier regieren, die Deutschen haben es längst wieder okkupiert.





Man müsste es behutsam angehen. Dass die Villa nun schon so lange leer steht, ist eigentlich ein Gewinn für den originalen Bestand: Es sind noch die alten Fenster drin und die alten Gitter, die Bäume sind imposant, und wenn man sich ganz langsam, Zimmer für Zimmer vorabeiten würde, mit viel Raum und ohne sinnlose Zwischenwände, könnte das durchaus fein werden. Die Schilder könnte man natürlich daran lassen und darunter schreiben: Belegt bis zum 22. Jahrhundert.





Es ist eine Schande, dass sie zerfällt, und nur ganz wenig auf dieser Welt könnte mich aus dem Phlegma erlösen: Aber hierfür würde es sich lohnen, sich reich zu arbeiten, ranzuklotzen, um es zu übernehmen und seinen Frieden zu finden. Es hat eine schöne Grösse, es liegt gut, zentral und dennoch ruhig, und es ist eine nette Ecke. Man wäre schnell dort und schnell wieder weg, wenn es sein müsste. Es muss sein, dass ich mir solche Flausen ausrede.





Für andere mag es nur ein Stück Denkmalschutzelend sein, das einem Neubau im Weg steht, oder eine Erbstreitigkeit oder ein Insolvenzverfahren. Für mich ist es ein Wesen, das mich und andere Passanten vielleicht auch, und das fühle ich einfach, obsessiv begehrt, weil ich vielleicht der Richtige sein könnte. Solche Häuser sucht man sich nicht heraus, sie suchen sich ihren Besitzer. Und ich hoffe, dass es einen findet, der darin nicht den Zerfall, sondern die Möglichkeiten sieht.

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