: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 6. Mai 2013

Amazon dankt seinen bequemen Kunden

Verlassen wir Don Carlos. Don Carlos ist der Grandhotelkater, und wenn man glaubt, so etwas gäbe es nicht: Doch, hier schon. Niemand käme auf die Idee, Don Carlos zu verscheuchen. Don Carlos möchte einfach nur Gesellschaft und bewundert werden, also kommt er immer auf die Frühstücksterrasse und sieht gut aus. Nie nimmt er etwas zu Essen an. Es geht ihm nur darum, dabei zu sein.



Fahren wir nach Verona, und gehen wir auf öffentlichen Strassen auf bestem Marmor. Verona ist reich, steinreich, steht gewissermassen gleich neben einem Marmorberg, da kann man es sich leisten, die Strasse nicht zu betonieren, sondern zu marmorieren. Weshalb man in Verona auch den ganzen Tag andere Schuhe tragen kann als jene, die sich in Oberitalien sonst empfehlen.



Die marmorierte Strasse Via Giuseppe Mazzini - benannt nach einem Herren, der die Selbstbestimmung der Völker Europas forderte - verbindet in Verona die Piazza delle Erbe, wo man hin muss, mit der Arena, die auch jeder kennt. Das ist so etwas wie die gute Stube der Stadt, und als ich klein war, gab es hier alles. Heute hat sich das gewandelt, ausser von zwei Tabakgeschäften werden die Modegeschäfte nur noch von Banken unterbrochen. Es ist etwas eintönig geworden, mit den immer gleichen Menschen, die so auch in Paris oder München sein könnten, und die Frauen sind alle etwas zu dünn und wahrscheinlich nicht ganz unkompliziert.



Dass es so ist, verdankt man natürlich auch ein wenig dem Internet. Denn bis letztes Jahr gab es hier in der Strasse auch noch eine Bastion der Bildung, die den Passanten bedeutete: Es gibt noch etwas anderes. Ihr seid hier nicht in einer dummen Shapping Mall in Dubai, ihr seid in einem Weltkulturerbe und wenn ihr schon hier seid, dann benehmt Euch auch entsprechend. Gebt doch auch etwas Geld für Bildung aus. Oder lest wenigstens mal ein Buch. Nicht nur immer SMS oder Twitter.



Ghelfi & Barbato war also so etwas wie der Fels in der Brandung einer Entwicklung, die dafür sorgt, dass die Preisschilder auch in Russisch sind und ich von Leuten lese, die es für Bildung halten, eine Weltbibliothek ungelesener Ebooks ohne jedes Gewicht mit sich herumzutragen. Es ist nicht ganz so schlimm, wie es scheinen mag, Ghelfi und Barbato lebt, kann nur die Miete in dieser extrem teuren AAA-Lage nicht mehr bezahlen und zieht nur 30 Meter weiter in eine Seitenstrasse, aber an dieser Stelle eröffnet demnächst ein Laden für in Bangladesch genähte Damenunterwäsche.



Damit hat der Corso Anastasia nun entgültig der marmorgedeckten Via Mazzani den Rang abgelaufen. Und kluges Kerlchen, das ich bin, habe ich natürlich nachgefragt: Dieser Laden hier zum Beispiel ist nicht gemietet, sondern seit jeher in Besitz der Betreiber. Und sollte, was zu befürchten ist, wenn man die Lehren aus München betrachtet, Ghelfi & Barbato am neuen Standort schon wieder vertrieben werden, so ist am Corso auch noch eine grosse Buchhandelskette, von der bekannt ist, dass die Renditeziele nicht stimmen. Vielleicht kann man dann, wenn die weg sind, Ghelfi & Barbato mit genau dieser Fassade hier neu entstehen lassen. Der Rest kann gern weiter Texte auf das Mobilgerät laden.



Es ist nicht so, dass ich die Vorteile der Moderne nicht zu schätzen wüsste, aber ich hätte sie gern mit weniger negativen, vermeidbaren Folgen und ohne den Eindruck, dass jeder Amazonkunde, der sich auf Bequemlichkeit hinausredet, am Ende wiederum derjenige sein wird, der dann das internationale Kapital, Gentrifizierung, Arbeitsplatzverluste etc. bekrittelt. Wer das bekämpfen will, wer hier Einhalt gebieten will, kann sofort damit anfangen und dort seinen Account löschen. Es ist ganz einfach, eigentlich. Und wenn man erst mal weniger Geld für den ganzen Digikrempel ausgibt, kann man sich vielleicht auch mal in der Via Mazzani etwas anderes als Sklavenarbeit leisten.

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