: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 29. März 2015

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So eine Folge von Katastrophen hat auch einen Vorteil - tiefentspannt, wie ich bin, konnte ich auf der Heimfahrt das Buch von Malte lesen. Erwartet hatte ich ein Buch über Kinder, gelesen habe ich ein Buch über die Politik der Generationen. Kurz gesagt hat Malte in vielem Recht, aber den gewünschten, kollektiven Aufschrei wird er nicht bekommen - weil die Mängel, die er in Berlin sieht, vielerorts auf lokaler Ebene gar nicht existieren. Bei uns zum Beispiel geht ein riesiger Brocken der Gesamtausgaben für die Familienförderung aus. Ergebnis: Haufenweise Nachwuchs in massgeschneiderter Tracht.



Malte und ich, wir sind uns ja nicht ganz unähnlich vom Lebenslauf her. Wir stehen beide für eine gewisse Generation und eine gewisse Haltung, für eine bestimmte Art des Schreibens und eine Vermittlerfunktion zwischen der alten Bundesrepublik und dem, was gerade entsteht. Nur ist Malte halt in Berlin, und inzwischen müssen wir gar keine Mauer mehr bauen: Dieses Land läuft auf drei Ebenen krass auseinaner. Da ist der Süden, das ist vom Main bis zu den Bergen ein eigenes Land. Sauber, wirtschaftsstark, gut versorgt. Dann sind da die Städte des Nordens: Berlin, Leipzig, Hamburg, Köln - viele Menschen mit vielen Problemen, und einer schmalen Oberschicht, die davon abgehoben lebt. Dazwischen dann Land. Manches ist gut, anderes dagegen Pegidaheimat. Und überall starker Tunnelblick - bei mir ist der selbstironisch, aber man gehe besser nicht zum Bäcker und rede mit dem. Oder zum früheren Besitzer des Ghost.



Das ist nämlich so ein Fall, der zu uns kam, dann sehr lange lachte und jetzt halt da ist und bleibt, und immer noch lacht. So Dinge wie hohe Mieten und Lebenshaltungskosten sind dem und seiner Frau egal. Gut, er wohnt jetzt nicht direkt in der Stadt, sondern zehn Kilometer ausserhalb. Aber prima geht es ihm, der Garten ist gross, das Haus passt, und das Rad muss nur weg, weil es ein neues gibt.



Es war erst mal nicht teuer, aber dann hat er es Stück für Stück aufgebessert, wann immer halt was Schönes des Weges kam. Neue Gabel, neues Federelement, neue Bremsen, aberwitzig teure Laufräder, original ist eigentlich nur noch die Kurbel, und dafür habe ich auch einen Ersatz daheim. Gekauft für - weniger als ich pro Beitrag netto bekomme, und gekostet hat es einst das Zehnfache. Aber egal. Hier fliegt alles mögliche raus, wenn die Audi die Gratifikation, also zwei weitere Monatsgehälter verteilt. Einfach so. Gut abgefedert halt.



Es gibt in Anzeigen solche Bilder, die muss man nur anschauen um zu wissen, dass einen genau so eine Geschichte erwartet. Nachlässig aufgenommen und beschrieben, Hauptsache weg. Ich bitte um Nachsicht: Das sind die, die gekommen sind - die, die wissen wie es früher war, haben ihre Kinder ganz anders erzogen, mit einem anderen Selbstverständnis und einer Sparsamkeit, die heute fast absurd wirkt. Natürlich könnte ich auch das Zehnfache ausgeben, allein -es geht nicht. Ich kann das nicht. Nicht, wenn es anders geht. So ist das bei uns. Aber das ist auch die Vergangenheit.



Es ergibt sich die erstaunliche Situation, dass manche wirklich sparen müssen und andere angesichts des Überschusses in euine Art Konsumsparrausch verfallen. Es ist besser, so ein Rad zu kaufen, dessen Laufräder bei Ebay genauso viel kosten würden, als es zur Bank zu bringen, der man hier ohnehin nicht mehr traut. Und dann geht auch noch das Konsumklima nach oben. Mitten in der Eurokrise. Da merkt man, wie die alten Gewissheiten zu Staub zerfallen. Und niemand weiss, wo das hinführt. Nicht nach amerika, dafür ist Deutschland noch zu gut und kompetent. Aber die Gruppen und Klassen verstehen sich nicht mehr.



Ich mag das Unterkomplexe der Räder. da kann man wenig falsch machen, es ist berechenbar und logisch. Aber Maltes Buch ist die Erzählung aus einer sehr fremden und fernen Welt, und das, obwohl Malte eigentlich mitunter schon fast die Gabe des Zweiten Gesichts hat - für seine Welt. Das mag noch Deutschland sein, aber ich lese ja, was die da so über ihr Leben schreiben. Das ist nicht mehr in Relation zueinander. Und vielleicht auch einer der Gründe, warum letztlich die Wirtschaft entscheiden kann, wie sie will: Weil sie der letzte Kitt in einem zerfallenden Land ist.

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