: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 17. Dezember 2015

Besser

Was wäre aus mir geworden, wäre ich in Berlin geblieben?

Es stand nicht zur Auswahl, es gab gute, beste Gründe, zurück zu gehen, und nur einen Grund zu bleiben: Einen Job, den ich vermutlich noch immer hätte.

Aber: Ich bin in Berlin verrundet. Das lag an einer Kombination aus generell eher fragwürdiger Küche, Stress, zwei langen Wintern und wenig Bewegung. Radfahren ist dort wirklich gefährlich, die Strassen sind in einem schlechten Zustand, und obendrein ist alles flach und Brandenburg. Bis zur Stadtgrenze: Über eine Stunde. Also tat ich zu wenig und hatte nach anderthalb Jahren die Quittung am Körper.



Übrigens, wenn mir Leute erzählen, dass man in Stadt Y mit Job Z soundsoviel verdienen könnte, ist diese Erfahrung immer etwas, das mich innerlich lächeln lässt: Geld ist nicht alles. Arbeit kann einen am falschen Ort mehr kosten, als man glauben mag. Nicht sofort, aber langfristig. Das Heimtückische ist: Wenn man es begreift, ist es zu spät.

Ich weiss nicht, wie weit ich weg war von jenem Punkt, an dem es keine Umkehr mehr gibt. Ein, zwei Jahre, so meine Schätzung, hätte ich so weiter machen können. Die Erkenntnis, dass ich auf keinem guten Weg war, war mitunter wenig schön und schmerzhaft - wer gesteht sich schon gern ein, dass der Körper älter wird und automatisch weniger zu leisten in der Lage ist. Dagegen anzugehen, wäre schon ein Anrennen gegen den Berg der Alterung, wenn man nicht zusätzlich gegen den Berg auf dem Rad oder den Beinen anrennt. Es geht voran. Es gibt Rückschläge. Man lernt einiges über den eigenen Körper, seine Grenzen und wie man sich darum herum mogelt. Sieger sehen anders aus. Tote aber auch.



Mein Berliner ich ahnte, dass es an einem Abgrund stand, und schloss die Augen. Heute schaue ich in die Zukunft und kämpfe nicht mehr gegen Fehlentwicklungen, sondern um Verbesserungen. Die Frage ist nicht mehr, ob ich einen Berg auf dem kleinsten Ritzel hoch komme, sondern warum ich da früher überhaupt ein Problem hatte. Gefühlte Siege sind heute sehr viel leichter als die gerade noch verhinderten Niederlagen der Vergangenheit. Es geht nicht nur um Kilos und um das Aussehen und die Gesundheit. Es geht auch um die Zuversicht, das Selbstbewusstsein und die Erfahrung. Für jemanden, der so für den Bund untauglich war, dass man ihn gleich zur amtlichen Feststellung der Behinderung hätte weiterschicken können, ist das, insgesamt gar nicht so schlecht. Viele marginalisierte Pisser wollen eher, dass andere ihre Privilgien checken: Ich bin vielleicht nicht voll "abled", aber was ich daraus mache, ist meine Sache, und ich allein bin dafür verantwortlich.

Irgendwann verlässt man dabei den Bereich, in dem alles eher schwierig ist, und erreicht dem Punkt, ab dem vieles leichter wird. Die Perspektive ändert sich. Man überlebt nicht die L Eroica, man fährt dort gut mit mit Tausenden, von denen ziemlich jeder zum fittesten Viertel gehört. Aber manchmal, wenn ich nach Hause komme, und sehe, wie in Berlin die Burgerläden an Bekannten und Feinden florieren, überkommt mich dennoch ein flaues Gefühl bei dem Gedanken, dass es auch ganz anders hätte ausgehen können. Es hat ja nicht nur mit dem Gewicht zu tun, sondern auch mit der Luft, die man atmet, mit den sonstigen Risiken, generell mit der Lebensqualität. Wir werden alle nicht jünger.



Es ist nicht immer schön bei uns, sondern manchmal auch neblig. Diesmal tropft das kondensierte Wasser vom Helm, nach 29 Kilometern bin ich wieder daheim, und das Grau wabert vor dem Fenster. Es ist egal. Ich weiss, was ich kann, und stünde ich morgen um 9 in Sterzing, wüsste ich, dass ich am Mittag oben auf dem Jaufenpass wäre. Aus dem Netz schaut mich das müde, zerfurchte Gesicht einer Gleichaltrigen an, die auch Sport macht, aber von Ängsten und Zweifeln zerfressen ist, und wohl nie den Punkt erreicht, da man nicht die Vergangenheit abarbeitet, sondern die eigene Zukunft bestimmt. Oh, bitte, es ist nicht so, dass es mir früher schlecht gegangen wäre - aber dieser eine Punkt mit der mangelnden Fitness war einfach nicht gut. Das hat sich jetzt geändert. Und wenn der Winter so bleibt, wird das kommendes Jahr nochmal deutlich besser.

Das Cinelli Genius ist leicht, selten, war mal sehr teuer, wurde von mir mit viel Fluchen und Mühe restauriert, und geht in die Berge.

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