: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 15. Oktober 2013

Kostenlos mitzunehmen

Obwohl ich Züge zutiefst hasse - oder vielleicht sogar deshalb - sind sie gar nicht schlecht zum Abgleich mit dem, was man so landläufig als "Realität" bezeichnet. Also das, wo Menschen weisse Decken und Wandtattoos haben und Nespresso trinken und dabei freudeerfüllt im Ikeakatalog blättern in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann so weit hoch gearbeitet haben, dass sie sich einen Tiefgaragenstellplatz leisten können.



In Wirklichkeit ist das alles natürlich noch viel schlimmer, meine Visionen der Finsternis sind deren elitäre Tagträume, wenn überhaupt. Zum Beispiel bin ich der einzige, den es offensichtlich reisst, wenn im Bordbistro jemand um 11 Uhr vormittags über das Boulevardblatt hinweg ein Bier und dann noch eines bestellt. Ich würde dem ja die Krankenkassenbeiträge raufsetzen, dass er sich nicht mal mehr eine Dose leisten kann. Schön, wieder daheim zu sein! Pakete sind da, und der Inhalt ist hoffentlich auch eine Versicherung, dass es mir dereinst nicht so gehen wird.



Interessanter aber fand ich den jungen Mann, der mir auf der Heimfahrt gegenüber sass. Wegen dem muss ich mir wirklich Gedanken machen, denn er hatte ein sehr teures Notebook, ein sehr teures Mobiltelefon, eine offensichtlich grössere Sammlung von Musik und einen sehr teuren Kopfhörer. Lauter Zeug, bei dem ich bei aller Gewissenserforschung genau weiss, dass ich mir das in seinem Alter nicht hätte leisten können. Der Computer, den icn dabei habe, hat inzwischen kein sichtbares N mehr und das M ist auch schon lädiert; mit so etwas würde so einer erst gar nicht aufkreuzen; gebraucht bei Ebay würde er weniger kosten, als seine umgedreht aufgesetzte Baseballkappe. Ich gehe also mal grob davon aus, dass das meiste, was er an finanziellen Mitteln hat, in solche Gerätschaften geht. Oder auch, gehen kann. Das Irre ist, mein kleiner eeePC wäre für alle Anwendungen vermutlich auch nicht schlechter, denn ich habe schon auf einem 233er Notebook mit 4 GB Festplatte einstündige Radiosendungen gebaut, und heute wären auch 24-Stunden-Features möglich. Mit so einer kleinen Kiste bliebe einem, dessen Mittel qua Lebenssituation zwangsläufig begrenzt sind, viel für Alternativen übrig - aber das macht der nicht. Vermutlich, weil er weiss, wie er den Rest dieses Lebensstils kostenlos bekommt, wenn er sich nur auf das Netz konzentriert.



Als ich mir min erstes Rennrad neu kaufte (damals gab es noch keinen Gebrauchtmarkt), hatte ich etwa 2500 Mark auf der hohen Kante. Und mir war vollkommen klar, dass ich mit jeder Mark meine zukünftigen Möglichkeiten beschneiden würde. Würde das Rad 1400 Mark kosten, wäre weniger Geld für Urlaube vorhanden. Würde ich 2500 ausgeben, wäre jede Art von grösserer Tour schlagartig unmöglich. Das ist auch heute noch so, selbst in einem grösseren Massstab muss ich Spielräume freihalten, denn wenn ich Biedermeierdame 1 nicht zu einem gewissen Limit bekomme, werde ich mir Barockdame 2 mit Sicherheit nicht leisten können.

In meinem Bereich muss ich immer ein, wenn nicht gar zwei Augen auf die Folgekosten haben. Das wurde mir auch so beigebracht, und das war eigentlich ganz gut, selbst wenn es nicht immer freudenreich ist. Aber im Lebensraum Internet sieht die Sache ganz anders aus, da wird am Anfang wirklich viel Geld ausgegeben und dann eben genommen, was man kriegen kann, im Sinne einer "Ich habe so viel bezahlt und jetzt will ich Belohnung"-Mentalität. Ich denke, das sind so die Gründe, warum all diese Träumereien von der Paywall nicht funktionieren werden: Die Leute geben irrwitzige Summen für das Technikzeug aus. Und weil sie das tun, hören sie danach zwangsweise auf mit dem Bezahlen.



Ich kann das insofern verstehen, als manches, für das man zu zahlen gezwungen ist, wirklich unerfreulich ist. Ich habe den Fehler gemacht, mir auf der Messe ein Ciabatta zu kaufen. Mit Mozarella wie Gummi und steif gefrorenen Tomaten, und das Brot war auf eine eklige Art geschmacklos.Nicht die italiensiche Art des zurückgenommenen Geschmacks, sondern diese deutsche Art der minderen Qualität und der Unfähigkeit, das Wesen des Brotes zu verstehen. Das könnte sich ein Anbieter jenseits solcher Zwangsräume nicht leisten. Ich habe dann daheim erst mal gekocht, weil ich es gerne mache und besser kann. Ich zahle ungern für Ungutes. Aber da ist immer noch ein Unterschied zu jenen, die nicht zahlen, weil es sich finanziell in ihren Rahmen nicht ausgeht. Und da hilft es meines Erachtens auch nicht, wenn man die Paywalls bunt anpinselt und Sonderfunktionen in den Vordergrund stellt.

Es sind einfach die falschen Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten geschaffen worden. Die Zeitung steht wie die Paywall vor dem gleichen Problem, es gibt einen Wandel bei dem, was man für unverzichtbar hält. Computer, Essen unterwegs aus Plastik, Nespresso, Ikea alle 5 Jahre. Und dem, was darüber hinaus mit den verbleibenden Mitteln optional zu ergattern ist. Ich sehe nicht, wo das Leben dabei besser oder praktischer wird, denn es ist teuer, so teuer, dass sogar ich Bauchschmerzen bekomme, wenn ich die Preise sehe. Aber diese Verschiebung der Bedürfnisse ist einfach da, die haben die Medien mit den neuen, wirtschaftlich besser verwertbaren Lebensmodellen selbst mitgeschaffen, und wenn da irgendwo Platz für bezahlte Texte sein soll, dann sollte man mir den zeigen.

Oder sich überlegen, bei welcher Zielgruppe man überleben kann.

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Dienstag, 15. Oktober 2013

Finalmente

Ich bin ja eigentlich eher menschenscheu. Mit einem einzigen Menschen, am besten in einem geschlossenen Raum oder auf einer Bank mit Blick auf den See, kann ich noch leidlich umgehen. Und wenn ich - was inzwischen aufgrund meiner vielen Absagen selten ist - dann doch mal wieder auf einer Bühne bin, trete ich gekonnt die Flucht der Rampensau durchs Wortgewitter an. Alles andere - und da ist viel dazwischen - ist schwierig.



Ich mag Museen am liebsten, wenn ich mit den Wärtern allein bin, und besuche lieber eine abseitige Ausstellung, als eine, die jeder gesehen haben muss. Ich versinke im Konzert in der Musik, aber wenn ich zum Ausgang strebe, kommt in mir eine leichte Panik hoch. Die schönsten Bergtouren sind die, bei denen man keinen sieht. Diese Abfahrt vom Jaufenpass in der einbrechenden Dunkelheit war einsam und perfekt. Es ist nicht so, dass ich Menschen nicht mag: Ich ertrage sie nur in kleinen Dosen. Das ist wie sardischer Pecorino, den muss man auch in kleinen Stücken geniessen, dann ist er wunderbar.

Das erklärt aber vielleicht auch, warum die Buchmesse für mich immer eine grosse Belastung ist. Das sind mehrere Tage, auf denen ich mit mehr Menschen in Räumen bin, als sonst im ganzen Jahr. Dazu kommen aber noch zwei andere Aspekte. Der eine ist Frankfurt. Nehmen wir nur einmal diese Bank:



Sie steht in der U-Bahn in einer Station, in der nur selten Züge kommen. 10 Minuten muss man hier manchmal warten. Nun bin ich nicht zart besaitet, ich spule jedes Jahr tausende von Kilimetern auf brettharten Sätteln ab und beklage mich nicht. Aber diese Bank wurde entworfen, damit sich keiner hinsetzt. Sie hat keine Lehne, sie besteht aus Stahlrohren, die nicht nur auf eine absurde Weise drücken, sondern auch nich eisig kalt sind. Ich frage mich, was für eine abartige Stadt das ist, die ihre alten, auf die U-Bahn angewiesenen Leute zwingt, sich auf solche Bänke zu setzen.

Frankfurt ist nicht so verslumt wie Berlin, aber mitunter extrem unhöflich. Es ist nicht einladend. Bei uns haben sie ohne Vorbehalt ein Bankerl an die Schneise gestellt, die jetzt auf halber Höhe der Neureuth einen Blick ins Tal erlaubt; dort sitze ich gern, und es ist bequem. Hier also Stahlrohre und gegenüber ein Display mit Werbung. Man darf das nur dann erdulden, wenn man bereit ist, sich der Vermarktung auszusetzen. Was ist das für eine Welt?



Die Bank war meine drittletzte Station auf dem Heimweg, es folgte der Bahnhof mit dem üblichen Besuch der englischen Magazine (Hunger, The Gentlewoman, Travel Almanac) , der Bahnhof von Nürnberg mit seiner lauten Fragwürdigkeit und seinem Sicherheitspersonal allerorten, und da hatte ich auch viel Zeit zum Nachdenken. Was ich will, ob ich es will, welchen Preis ich eigentlich für dieses Leben zahle, und wie es generell so ist in einem System von Menschen, von denen manche so sind und manche so, und ich nur ganz selten wirklich den Eindruck habe: Es passt. Und alle wollen wirklich mehr als nur Durchschnitt. Weil, wenn man selbst ackert und leistet und bringt und sich um alles kümmert, und im gleichen System wird gefaulenzt, die Pflicht vernachlässigt und noch nicht mal das absolute Minimum getan, um die Kunden zu halten und ihre Äuserungen ernst zu nehmen, dann kann man das auch bleiben lassen.

Dann muss man es in Zukunft eben selbst machen. Das geht, das ist die Grundvoraussetzung für mein Handeln, und ich weiss ja, dass es so ist. Es ist kein Problem, ich nehme das nicht persönlich, aber ich nehme es zum Anlass.

Zum Anlass zu sagen, was ich nicht mehr möchte.

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Sonntag, 13. Oktober 2013

Reich werden mit toten Autoren

Sage keiner, die Ansicht von höchst unerfreulichen Abzockern und Schnorrern aus Berlin schädige das Leben; im Gegenteil, diese sog. "Gründer" haben mich erst auf die Idee gebracht, es einmal genauso asozial mit der Prestigesucht der Menschen zu treiben. Was Lobo mit gleidgeilen Bloggern und Adical geschafft hat und jetzt wieder mit Verlagen versucht, schaffe ich auch auf der Buchmesse mit Besuchern und "den Bedeutenden".

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Samstag, 12. Oktober 2013

Es sind viele Leute in Versailles

Im Nachhinein bedaure ich diesen Beitrag, aber ich konnte ja nicht wissen, was gestern sonst noch auf mich zukommen würde. Leider, leider, leider, habe ich mich beim Formulieren aber zurückgenimmen, und was ich an Berliner Frag- und anderen Niederwürdigkeiten noch sehen würde, das war mir ja vorher nicht klar.

Darüber reden wir ein ander mal.

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Es ist so

Ich denke mir das oft bei Politikern: Die sind alt, scheusslich, abstossend und zutiefst verdorben. Ihr Lebenswandel war sicher ungesund, zu viele Eröffnungen, saufen hier und saufen da,, Verrat an Freunden und andere ins Unglück treiben, Zwietracht sähen und weitere schlimme Taten; alles nur wegen ihrer Gier nach Nichtigkeiten. Dann denke ich mir immer und ohne jedes Bedauern: Euch pack ich, Euch überlebe ich. Das habe ich von meiner Grossmutter, die den unbedingten Willen hatte, den vorletzten Papst zu überleben, den sie nicht leiden konnte. Er hat ihr eigentlich nichts getan, aber sie sagte immer: Dem sehe ich das an, den pack ich. Was sie dann auch getan hat.



Das ist aber nur bei Politikern so, bei Kirchenleuten flacht es schon ab, weil sie einfach nicht relevant sind, und danach hört das auf, selbst wenn sich der Gedanke, sie zu überleben, aufdrängt; Heute etwa wurde ich öffentlich sehr laut und wütend angegangen, und zwar ohne mein Zutun auf dem Frankfurter Bahnhof. Ich bin ganz schlecht, wenn es darum geht, mich auf zwei Dinge gleichzeitig zu konzentrieren, ich tue immer nur eine Sache und die klappt dann auch. Die Kartenautomaten etwa nehmen mich voll in Anspruch, und was immer dann von links kommt, nehme ich nur gedämpft wahr; links höre ich nicht wirklich gut, und schon gar nicht im Gewühl.

Laut wurde es erst, als ich die Karte bekam. Offensichtlich hatte mich eine ältere Dame um Geld gebeten, und weil ich das schlichtweg nicht realisiert habe, brüllte und schubste sie, und mehr.

Ich bin das alles nicht sonderlich gewöhnt; bei uns äussert sich Not und Trunksucht anders, sofern sie überhaupt sichtbar sind. Ich kann damit überhaupt nicht umgehen, weder mit der Situation noch generell mit dieser Form der Interaktion; was man da tun soll, weiss ich auch nicht, aber jedenfalls wäre Geld, wenn ich - Schimpfwörter hier einfügen - ihr welches gegeben hätte, sicher auch nur in den Alkohol gegangen. Menschen aus Berlin legen sich für solche Momente vermutlich eine dicke Kruste Arroganz zu, aber wer mich kennt, der weiss, dass meine Stimmung ohnehin nicht gut ist, wenn ich unter vielen distanzlosen Menschen nördlich des Mains bin. Dann trifft mich so etwas wirklich. Auch, weil ich es eigentlich überhaupt nicht ertrage, Aufmerksamkeit zu erregen. Es war wirklich viel Aufmerksamkeit. Trotzdem ist da überhaupt nicht der Gedanke, dass...



Am Abend sass ich dann ganz hinten in der Rotunde; eigentlich nur aus Zufall, aber insgesamt fühlte ich mich ganz gut, mit dem Rücken zur Wand, weit ab vom Schuss. Man hat mir viel gesagt, was ich so vielleicht gar nicht hören wollte, und generell ist es keine gute Idee, als Antialkoholiker in einem Raum zu sein, wo stets kostenlos Wein nachgeschenkt wird.

Das ist jetzt nicht böse gemeint, aber so vom Gefühl, das ich beim Blick über den Saal hatte, da dachte ich mir bei ein paar sehr lauten, auffälligen, distanzlosen Leuten schon, dass das grosse Rennen nicht für sie ausgehen wird.

Aber das mag täuschen, ich bin immer noch erstaunt, warum manche Vorzeigegründer in diesem Land noch nicht mal jemand auf die Seite geräumt hat. Leute, von denen mal südlich vom Main sagen würden, die tragen das Kreuzerl auf der Stirn, scheinen irgendwie vorerst noch immun zu sein, selbst wenn man auf die Frage nach jenen, die ihre Feinde sein könnte, mit "Eigentlich jeder" antworten müsste. Also, vielleicht war hier wie dort auch der Eindruck falsch, dass ich nicht nur unter Lebenden weilte.

Wenn ich allein bin, fühle ich mich eigentlich nur allein, Einsam werde ich erst unter Menschen, und empfindlich für das, was da kommen mag.

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Freitag, 11. Oktober 2013

Auf die Schnelle

Teil 2 der Buchmessesaga, von einer unsäglichen Buchmessetastatur aus geschickt.

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Wie ich überlebe

Wie ich überlebe? Die Zugfahrt bekomme ich gar nicht so richtig mit, die ist am Vormittag, und dann bin ich ohnehin zu nichts zu gebrauchen. Schicksalsergben füge ich mich dem Unvermeidlichen, während draussen die Wolken auch niedrige Berge verhüllen. In den Bergen sind heute Nacht die Bäume umgefallen, weil sie die Last des – übrigens spät gekommenen - Schnees nicht tragen können, und ich hoffe, dass meine Korkenzieherweide (ist das überhaupt eine Weide?) und die grosse, alte Esche gut durchgekommen sind. Und wenn meine Gedanken schon mal am Rand des deutschen Elends sind, dann erklimmen sie am Seil der Erinnerung auch die Berge. Viel schreiben muss ich im Moment, und wenn meine Beiträge für die FAZ vollendet sind, blase ich sie nochmal für das Blog auf – das kann ich nicht dauernd machen. Dazwischen schraube ich an Rädern, und das Wissen, auch noch etwas anderes zu können, ist angenehm und treibt mich auch im Zug von dannen.





Ich weiss, dass ich den Berg jedesmal verfluche, wenn ich ihn bezwinge, ich wünschte, er wäre niedriger oder bald zu Ende, er lässt mich Grenzen erfahren, die durch das Alter und den Zerfall viel zu eng gesteckt sind, und überhaupt geht es mir nicht wirklich gut dabei. Gut geht es mir im Sessel oder auf dem Sofa mit einer Kanne Tee. Und trotzdem schweifen meine Gedanken hierher zurück, und es ist seltsamerweise immer die quälende Auffahrt und nie der Rausch der Abfahrt, an den ich denke. Ich denke an Bergpfade und Steine, an Latschen und die karstigen Mondlandschaften jenseits der Baumgrenzen, ich denke an die Kälte, die auf die Hitze des Körpers trifft, und den monotonen, stumpfsinnigen Atem, der so sein muss, denn über 2000 Meter muss man an das Atmen denken. Nichts ist sicher und nichts ist selbstverständlich in mir, während der Zug ein Land durcheilt, das nicht meines ist, hin zu einer Stadt, nach der der Anlass der Reise benannt ist, aber sonst nichts in meinem Leben. In meinen Gedanken ziehe ich Stahlseile durch Hüllen und ziehe Schrauben so fest wie möglich, denn der Berg kennt keine Gnade mit den Nachlässigen.





Der Berg begleitet mich im Zug und manchmal, im Gedränge auf Rolltreppen, überkommt er mich; da ist dieses erstaunliche Fehlen einer Kameradschaft bei der Bewegung von oben nach unten. Am Berg grüsst jeder. Hier grüsst niemand. Ich habe an einem verregneten Alpenpass mehr Aufmunterung als hier, wo es kostenlose Massagen gibt, Termine und überhaupt jeder nur da ist,. um Kontakte zu machen. Es ist immer das gleiche Gerede, die Zeitung, die Verlage, die Autoren, die Visitenkarten, bitteschön, irgendwann, alle möchten verbindlich sein und doch ist nie das Gefühl der Verbundenheit am Berg da. Dort weiss jeder, was der andere erlebt, hier wollen alle nichts erlebe, sondern wirken und darstellen. Die Intellektuelle. Der Autor. Die Denkerin und der Feminist, und am Abend wollen sie auf einen Empfang, an den ich nicht denken darf, sonst dreht mir die Sozialneurose den Magen um. Lieber nochmal Berg, lieber nochmal die grosse Kurve vor der Waldgrenze.






Mehrere hundert Meter hoch sind die Nadeln und Türme der Stadt, aber winzig und nichtig sind sie im Vergleich zu jenen Steinformationen, über die der Mensch auf schmalen Linien nach oben keucht. Man kann dabei leicht sterben, oder leben, um dann woanders nur die Augen zu schliessen und zu wissen: Das ist nicht echt. Ich erlebe eine absurde Fiktion. Ich wache wieder auf, wenn ich an der ersten Rampe bin.

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Donnerstag, 10. Oktober 2013

24 Karat

Man müsste in Nordafrika Radios verteilen, und dann die Nachrichten bringen, die gern schnell wieder ignoriert werden; Dass in Europa Abermillionen von Menschen auf Nahrungshilfen angewiesen sind, und andere Freuden der Spar- und Europolitik der letzten Jahre. Vielleicht würden dann den Beihelfern der Massentötungen manche Schuldgefühle erspart bleiben, die sie hätten, wären sie keine verabscheungswürdigen Monster. Und man könnte sie auch wissen lassen, was die Mafia in Süditalien mit den Flüchtlingen anstellt: Die Zitrusproduktion für all die günstigen Orangen nämlich verdankt ihre Preise dem Umstand, dass man wieder Heerscharen von Fastsklaven auf den Plantagen halten kann. Hochrömische Dekadenz im Süden. In England dagegen steigen wieder die Preise der Wohnungen von London auf nie gekannte Höhen.



Man könnte vielleicht glauben, hier wird alles wieder gut, wenn man die neue World of Interiors sieht. Lange Zeit war das Magazin in Ermangelung von Anzeigen eher schwindsüchtig und auf die redaktionellen Beiträge reduziert. Aber diesmal kommt es so fett und umfangreich daher, wie vor der Krise, und nichts scheint sich geändert zu haben: Auf teuren Sofas räkeln sich wieder halbnackte Frauen, Vergoldungen prunken und Firmennamen ohne weitere Erklärung sollen scheinen, als wüssten die Angesprochenen ohnehin, was sie zu erwarten haben. Das Genöle über den Limburger Bischof wirkt schal, wenn man sich durch die Seiten blättert: Das Limburger Desaster wäre hier noch nicht einmal Mittelklasse, sondern einfach nur stillos halbteuer.



Ungeachtet dessen ist Europa in einem neuen Biedermeier versunken, nicht umsonst kaufen die Menschen hier Landlust, und die WOI hat in Deutschland, dem reichsten Land des Kontinents, keinerlei Ableger. Ich wage die Vorhersage, dass Biedermeier übrigens auch als Antiquitätenstil bald wieder kommt; da gibt es im Moment so ein Durchhängen, weil sich die Mode geändert hat, aber mir ist das als Käufer nur recht und wenn die Landlust erst mal vorbei ist, kommt auch sicher wieder der Rückzug in behagliche Städte ohne allzu viel offensiven Prunk. Dass England hier plötzlich wieder auftrumpft, ist allerdings keine Folge des Wiedererstarkens der Verbrechermeile mit ihren Bankstern – auch wenn man sie nicht in die Themse geworfen hat, es sind weniger und es geht ihnen nicht mehr gar so gut – sondern einfach an den Umständen: Es ist eine Sonderausgabe. Die nächste wir wieder dünn und bescheiden sein, auch wenn sich Weihnachten nähert.



Es ist also nur eine Erinnerung an Zeiten des bankstererfundenen Verbreherüberflusses, die hier zu bestaunen ist; viele Anbieter von früher gibt es nicht mehr, und in der Realität geht es längst nicht mehr so scheinnobel zu, da wird das Zeug im Internet mit Rabatt verschleudert. In der Spitze mag noch Geld da sein. Die Mittelklasse oder was davon übrig ist, hat wenig zu lachen, und als wir letzthin den Polen brauchte, hatte er gleich 4 Leute dabei, die England nicht mehr als Zentrum des Heils betrachten, und nun doch lieber in Deutschland arbeiten, weil hier das Schicksal nicht so launisch ist. Nach England geht, wer Englisch kann, aber wer mehr kann, geht nach Deutschland, berichten meine italienischen Freunde. Nicht die Opulenz der Magazine lockt, sondern die schnöde Sicherheit der langweiligen, deutschen Bausparer mit ihren Träumen von 1/3 von einem Dreispänner mit Anschluss an die U-Bahn.



Natürlich ist das, wie die Flüchtligsströme zeigen, Jammern auf allerhöchstem Niveau, das hier Anzeigeabteilung und all die Menschen eint, die mich nach dem Kauf des Magazins am Bahnhof Frankfurt um Hilfe gebeten haben. Europa geht es, global betrachtet, gar nicht so schlecht, von der weiterhin drohenden Krise und ihren Parasiten einmal abgesehen. Nach unten kommt viel, und von oben nicht, denn Sylt hat gegenüber kein Afrika und wenn es doch so wäre, dann würde man hier vielleicht auch Entscheidungen treffen, um die man den italienischen und griechischen Handlangern dann doch dankbar ist.

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Donnerstag, 10. Oktober 2013

Überleben

Der Zug nach Frankfurt hatte Verspätung.

Generell ist so eine Zugfahrt im Herbst auch nicht gerade schön, wenn das Ziel nicht jenseits der Alpen liegt. Und ich glaube auch nicht, dass sich Zeitungen oder Messen schlechter verkaufen liessen, wenn sie in Meran, am Comer See oder Verona wären. Mit der Globalisierung wäre das doch leicht zu machen.

Wie immer bei solchen Veranstaltungen: In den Ecken sammelt sich der Schmutz.



Ich habe immer das Gefühl, da sitzt dann so ein ungewaschener Berliner mit Bierflasche und lallt die Leute mit ROI an. Das ist übrigens auch ein Grund, warum ich Buchhändler so mag: Weil sie angesichts der Alternativen wirklich Gutes und Schönes leisten, wie ich im Buchmesseblog der FAZ schreibe. Auch sonst merke ich das, was ich einmal gewesen bin, nur noch selten. Aber gestern kam mir das alles wieder hoch. Manchmal wäre ich gern wieder der Alte.

Denn der Beitrag war vordatiert und hat nicht ausgelöst; naja. Man kennt das. Zum Glück habe ich auch viele andere Displays gesehen, die nicht korrekt angesteuert waren, unter anderem bei der Welt, die dort auch einen Stand hat.

Es gibt ja auch jede Menge anderen Krimskrams, nur gutes Essen gibt es nicht.

Am Morgen meinte übrigens das Hotel, die Buchung habe nicht funktioniert. Drei Stunden Buchmesse reichen aber auch, und nach 7 Stunden Frankfurt sass ich gar nicht unglücklich über eine Nacht im igenen Bett wieder im verspäteten Zug. Ist das immer so?

Daheim dann die Belohnung:



Die transsylvanische Verwandte ist da. Die Heimfahrt hat sich also durchaus gelohnt.

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Dieser Beitrag kommt erheblich zu spät

Ja, das Javascript mal wieder. Wenn sich das totlädt und mir den Browser abschiesst - was jedes zweite Mal beim Einstellen der Uhrzeit für einen FAZ-Beitrag passiert - könnte ich auch zwei Stunden radeln gehen. Und dabei die I. treffen. Und danach noch einen Beitrag darüber schreiben, dass wir zwar nicht ganz so scheusslich wie dieses Javascript sind, aber doch fragwürdig erscheinen. Und dass es halt ein Zwang ist. In der FAZ und im Kommentarblog, das erstaunlicherweise, weil da keiner am Javascript Veränderungen vorgenommen hat, stets reibungslos funktioniert.

Ja, und deshalb steht das erst jetzt hier und nicht schon erheblich früher.

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Mittwoch, 9. Oktober 2013

Das Haus der Lügen

Das Rote Kreuz, den Fussballverband und den Pfarrer darf man nicht angreifen, auch wenn einer unterschlägt, Staatsgelder abzweigt oder Kinder missbraucht. Das war lange so, das ist wohl teilweise noch immer so, aber es ändert sich langsam. Irgendwann hat der hehre Zweck aufgehört, die Funktionäre zu schützen.

Am Rande: Ich finde es übrigens gar nicht so schlimm, wenn ein Bischof 32 Millionen für seine Butze ausgibt; das ist, wenn man die Residenzen in Eichstätt, Würzburg, Bamberg und Pommersfelden kennt, noch nicht mal Kleingeld; was ein echter Schönborn ist, hätte sich geweigert, in so einem kabuff zu wohnen, und die katholiken bekommen jetzt auch nur einen Anschein von dem, was ihre Religion die letzten 1500 Jahre ausgemacht hat.



Aber egal, es geht um Bücher, oder genauer, die Messe, die jetzt beginnt, um das Heil neuer Bestseller zu verkündigen. Was Bücher und den Handel damit angeht, bin ich ja nicht sonderlich betroffen, denn was ich schätze, kommt gar nicht so oft aus dem normalen Buchladen, und falls doch, sind es Bücher, die nicht jeder liest (wobei ich heute mit "Blasmusikpop" vermutlich sogar ein wirklich beliebtes Buch erworben habe, 10. Auflage, alle Achtung). Das hat den Nebeneffekt, dass ich für die Durchsagen des Handels, seine Aufsteller und Listen vollkommen unempfindlich bin; ich nehme das nicht zur Kenntnis und wundere mich, dass andere das tun.

Aber diese Epoche der angenehmen Ahnungslosigkeit ist wohl auch langsam vorbei, denn das Buchgeschäft fängt an, in einen Bereich zu wuchern, den ich nun wirklich recht gut kenne: Das Internet und seine Publikationsformen. Und da werden mir p0lötzlich neue Influencer vorgestellt, die mich ganz fatal an die Geschichten um gewisse Blogs wie "Schlaflos in München" erinnern, die völlig banale Inhalte aufwiesen, kaum erkennbare Beteiligung, und Zahlen in die Welt pusteten, die nach allem menschlichen Ermessen vielleicht zu erreichen wären, wenn sie sich nackt, Freibier ausschenkend, an den Ausgang vom Oktoberfest gestellt und dabei noch Geldscheine in die Luft geworfen hätte. Bloggen und Leserbeteiligung ist nicht ganz einfach, und nach einer Weile hat man es im Gefühl, wie die Debatten funktionieren: 100.000 Zugriffe und 0 Kommentare und 0 sonstige relevante Verbreitung sind in einem normalen Blog einfach nicht drin. Alles, was 5-stellig ist (SEO mal rausgerechnet) ist schon exorbitant gut. Oder halt, wie manche das machen, mit Clickbots, schliesslich beschwert sich niemand über gute Zahlen. Und bis sich Google mal ärgert, dauert das schon ein wenig.

Solche unglaubwürdigen Monsterzahlen höre ich gerade wieder, von Leuten, die angeblich Literaturchannels im Netz betreiben. Experten stellen sich hin und ernennen neue Entscheider zum Wohl und Wehe von Büchern, und die wiederum warten dann mit Reichweiten auf, die ich nicht habe. Und die FAZ im Feuilleton auch nicht Und Spiegel Online in ihrem sog. Kulturteil auch nicht. Nicht mal zu turbulentesten Hegemannzeiten mit 500+ Kommentaren. Wie ist das möglich?

Die Literaturchannelbetreiber kooperieren mit den Experten, die sie promoten.

Das ist der ganze Witz.

Das ist so, als würde man den Dreck glauben, den Pleitier Lobo damals, bevor er damit auf die Schanuze flog, über die gewesenen Adical-Blogs verbreitet hat.



Natürlich sind Medien auch oft nicht gerade gut, wenn es darum geht, Literatur im Netz begreifbar zu machen, man könnte mehr machen und vieles konsequenter umsetzen, aber diese immens grossen Leserzirkel, die sich da gebildet haben sollen, die alle nur folgen und nie etwas sagen: Die gibt es nicht. Zumindest ist da nichts verifizierbar. Da wird mit Zahlen jongliert, die irgendwie gut aussehen, da befördern sich neue Stars gegenseitig und mit etwas Pech werden mir morgen dann solche über den Weg laufen und erzählen, sie seien ganz wichtuge Blogger und müssten sofort mit der PR-Frau... und dass sie wichtig sind, steht doch auch da und dort... fragt ja keiner nach.

Ist das ein Problem? Für die Verlage vermutlich nicht, die decken ohnehin ein, was nicht bei 3 auf dem nächsten Baum ist, und die Medienkrise hat diesen Trend eher verstärkt, weil es weniger Journalisten gibt. Für mich sicher auch nicht, weil ich arge Zweifel habe, dass so ein Experte jemals die Gelegenheit bekommen wird, seine Zahlen unter Realbedingungen unter Beweis zu stellen.

Es zeigt nur, dass im Gegensatz zur Annahme, dass alles irgendwo im Netz stünde, an jener Stelle, wo der Literatur ein Platz vorbehalten sein sollte, ganz seltsame Gestalten sind. Und es zeigt die Unfähigkeit von Medien und Bloggern auf, so etwas zu machen. Das mag auch seine guten Gründe haben; ich zum Beispiel informiere mich einfach nicht zu diesem Thema im Netz. Aber es ist wie so oft: Wo man dem Geschmeiss diesen Freiraum überlässt, breitet er sich aus. Mir ekelt es deshalb ein wenig vor dieser Messe, auf der man lügende Buchschmarotzer nicht als solche bezeichnen darf. Es ist wie früher auf dem Dorf. Es sind ja Buchfreunde. da darf man nichts sagen.

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