: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 7. Dezember 2019

Kein Rad mehr, nur Bremsen

Manche denken, dass ich ohne Verstand und Bodenhaftung Räder kaufe. Das ist natürlich falsch, davon kann gar nicht die Rede sein, oft ist es sogar so, dass ich quasi Geld zu einer besseren Bank trage. Wie zum Beispiel mit diesem Merida, das quasi ein verkapptes Specialized ist, weil Merida damals die teure Marke nicht nur de facto baute, sondern auch einen grossen Anteil an Specialized besass. Im Kern ist das hier eine Art vollgefederter Stumpjumper, nur halt mit Meridaaufdruck. Und, nachdem ich Scheibenbremsen nicht mag, noch mit mechanischen V-Bremsen.



Verkauft wurde es von einem Nachbarn am Tegernsee und für einen Preis, den andere in einen einzigen Flaschenhalter investieren. Da kann man nichts falsch machen, sogar mit einem gebrochenen Rahmen könnte man aus den verbliebenen Teilen mehr herausholen. Der Nachteil an diesem Rad: Es ist halt das Einsteigermodell der Serie. Der Rahmen, das teure Herzstück, ist innerhalb der Serie immer gleich gewesen. Die Preisstufen entstanden durch die Komponenten, und da wurde an einigen Stellen gespart. Vor allem bei der Kurbel und den Bremsen.



Bei der Kurbel ist es egal, die ist, zusammen mit den Kettenblättern, ohnehin ein früher oder später auszuwechselndes Verschleissteil, und dieses Rad soll vor allem im Winter laufen: Da ist die Oberfläche der Kurbel nicht so wichtig. Bei den Bremsen ist es eine andere Sache: Die sind sicherheitsrelevant. Der Vorbesitzer hat schon die Aussenhüllen gegen teure Jagwirehüllen ersetzt, aber wie es nun mal so ist: Wirklich gut sind die Hausmarkenbremsen trotzdem nicht. Deshalb habe ich geplant, sie den Winter über runterzufahren und so lange nach Alternativen zu suchen. Das sind halt so die Kompromisse, wenn man einen wirklich guten Rahmen fast geschenkt bekommt: Neue Bremsen in der passenden Qualität kosten gleich mal so viel wie das ganze Rad.



Deshalb schaue ich gern bei den gebrauchten Schrotträdern, ob da nicht vielleicht verwertbare Teile auftauchen, und letzthin, siehe da, tauchte bei der Anlieferung des Vertrauens genau das auf, was ich brauchte. Bremsen der Serie Deore 9-fach, aus der schon Schaltung und Naben meines Merida stammen. Die Bremsen sind in einem fast neuen Zustand, denn sie sind Gegenstand der Verbastelei eines Altrades, das dadurch nicht unbedingt besser wurde: Die Cantileversockel alter Räder sind meistens nicht auf die Kräfte ausgelegt, die durch V-Bremsen auf den Rahmen wirken. Also wurde das Rad zwar für die Benutzung durch einen alten Herrn mit hohem Vorbau und weichem Sattel umgebaut, aber kaum mehr benutzt.



Gleichzeitig wurden auch die Bremshebel erneuert, was ganz wunderbar ist, denn auch an meinem Merida sind die Bremshebel eher schlecht, und sollten auch runter. Somit ist da also genau die Bremse im Schrott gelandet, die ich suche. Dafür braucht kein Chinese in einem Aluwerk Strom aus Kohlekraftwerken in die Schmelze einleiten, und das fertige Teil um die halbe Welt schippern. So mag ich das. Und nun gibt es zwei Optionen: Ich schraube die Bremse ab, zahle 20 Euro, und verbaue sie bei mir.



Oder sich sage meinem Händler: Ich nehme für 10 Euro mehr gleich das ganze Rad mit all dem Restaurierungsaufwand, den ihr da gar nicht hineinstecken könnt, denn es ist wirklich viel, und verschaffe dem Rad eine bessere Zukunft als das Verschrotten als Bahnhofsgurke. Ich nehme die Bremse für das Merida, und baue aus meinem Fundus wieder die Bremse, den Lenker, den Vorbau, den Sattel, die Laufräder, die Kurbel hin, die an dieses Rad gehören. Und ich mache daraus wieder das, was es einmal war: Das 1991 noch 3300 DM teure Longus High Tech Spitzenmodell, eines der frühen Alu-MTBs mit Schweissnähten wie aus einem Guss. Es dauert sicher einen Tag, bis das gute Stück wieder richtig gut ist, und in altem Glanz erstrahlt. Ich kann sogar die linke Seite der Kurbel für ein anderes Rad brauchen, an dem die Kurbel gebrochen ist. Ich kaufe also kein weiteres Rad.



Ich kaufe die Lösung für zwei Probleme. Dabei bleibt halt noch eine Radruine übrig, die ich mit Hausmitteln aber wieder herrichten kann.Gekostet hat es dann im Ergebnis also nichts. Und wenn ich fertig bin, ist diese unsere Welt wieder ein klein wenig besser geworden, denn ein rettbares Rad endet nicht früher oder später im Container, sondern lebt neu auf. Sicher, ich habe dann ein Rad mehr, aber ich habe letzte Woche auch ein anderes Rad an einen Liebhaber weitergereicht. Für mich ist die Welt damit dann wieder im Lot, das Merida hat gute Bremsen, das Centurion hat die gute Kurbel, und das Longus wird funkeln und gleissen

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Freitag, 6. Dezember 2019

Die Luft

Ich war gestern im 9. Stock eines Hochhauses, und es war wie immer: Oben blau, wirklich hübch, keine Frage, aber um mich herum, am Horizont, alles gelbgräulich. So ist das, wenn man nicht durch den Smog hindurch, sonder seitlich in ihn hinen schaut: Ein paar hundert Meter Luftmassen, und vom Blau bleibt nichts übrig. Schon beim Weg von der Tiefgarage hoch auf die Strasse schlägt sich die spezielle Atmosphäre auf der Lunge nieder - Sensibelchen wie ich erkennen das sofort.



Vielleicht kommt es nur mir so vor, aber die Kleintransporter sind in Berlin immer besonders schäbig, alt und runtergekommen. An den Fliessen der Bahnhöfe mattet einem das Staubgrau der Ablagerungen entgegen. Manche sagen, man hätte hier ein enormes Kulturangebot, aber atmen muss man 365 Tage im Jahr. Wie berechnet man bei den Lebenskosten den Mangel am Grundbedürfnis Luft?



Als ich vor 15 Jahren hier wohnte, hatte die Stadt rund 300.000 Einwohner weniger, und mein Gefühl sagt mir, dass die Neuankömmlinge alle ältere, verdreckte Autos fahren, anders ist der Verkehr auch nicht zu begreifen. Überall raucht es aus irgendwelchen Schloten, überall hustet jemand, und auch den Rauchverbotsbahnsteigen wird natürlich achtlos gequalmt. Kein Wunder, wenn junge Familien ins Umland ausweichen: Hier züchtet man Atemwegserkrankung schon mit dem Verlassen der Geburtsklinik.



Es ist noch nicht mal richtig kalt, im Gegenteil: Am Tegernsee ist es in der Nacht sicher 5 bis 10 Grad kälter. Und dennoch atmet es sich deutlich leichter. In der S-Bahn wird das La-Lü-La bei jedem Türenschliessen zur Belästigung, überall sehe ich geschlossene Kopfhörer: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es so etwas auch für Atemluft gibt.

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Mittwoch, 4. Dezember 2019

Engelsgeduld zu Weihnachten

Am 25. November linkte mir jemand unwohl Gesonnenes einen Blogbeitrag zu, in dem ein früherer Bekannter eine ganze Reihe sehr hässlicher Unterstellungen über mich verbreitete. Aus der Zeit vor meinem Abitur. Das Problem: Ich habe den Autor erst nach meinem Abitur kennengelernt. Davor wusste ich an unserer Riesenschule nichts von seiner Existenz. Danach waren wir sogar recht gut miteinander bekannt, ohne jeden offenen Konflikt.

Aber wie es so ist, ein Blogbeitrag irgendwo im Netz ist halt ein Blogbeitrag irgendwo im Netz, der Autor machte auch keinen sonderlich gefestigten Beitrag, und ich hasse juristisches Vorgehen: Also dachte ich nach einem Gespräch mit einem Anwalt vorläufig, dass man das in Ruhe analysieren muss. Man werde ja sehen.

Dann erschien am 26. November eine gekürzte und verschärfte Version des Blogtextes beim Neuen Deutschland. Natürlich ohne mich vorher mit den Inhalten zu konfrontieren.

Weil ich bis dahin Zeit hatte, mir die Details der Bekanntschaft mit dem Autor mit Hilfe von Bildern und Bekannten zu vergegenwärtigen, informierte ich das ND direkt per Mail, dass der Text nicht der Wahrheit entspricht. Ich nannte einen Zeugen aus der Zeit, und erwähnte die Bilder und den Umstand, wie sie über die Datierung nachweislich zeigen können, dass die Behauptungen des ND nicht stimmen könnten.

Währenddessen tobte draussen der Shitstorm, die Falschbehauptungen wurden von vielen verbreitet, und am Tag darauf retweetete das Neue Deutschland den Text erneut und unverändert.

Danach kam ein weiter, hämischer Text über mich. Der dritte in dieser Woche beim Neuen Deutschland.

Ich habe mir dann noch die Mühe gemacht, auf eine Red Flag bei den Erfindungen hinzuweisen: Dass ein abgeblicher Feind kaum meine Graphiksammlung kennen kann. Reaktion: Keine.

Es gab dann letzte Woche eine Abmahnung gegen das Neuen Deutschland mit Frist bis zum Freitag Nachmittag.

Das Neue Deutschland forderte eine Fristverlängerung zur Recherche, man werde sich beizeiten äussern. Es wurde eine Fristverlängerung bin Montag Nachmittag gewährt.

Das Neue Deutschland hat seitdem nichts mehr von sich hören lassen.

Ich bin also von der genervten Betrachtung eines abseitigen Blogtextes über einen klaren Hinweis an die Redaktion über eine Abmahnung, deren Akzeptanz jedes Problem aus der Welt schaffen könnte, schon recht weit gegangen, und weiter, als mir das eigentlich lieb wäre.

Das Neue Deutschland war frühzeitig und ohne juristische Mittel informiert.

Es hätte vorher bei mir nachfragen können, wie man das normalerweise macht.

Es hätte nachher bei mir nachfragen können, wie man es spätestens seit Relotius tun sollte.

Es hätte den Text nicht retweeten und einen dritten Text nachschieben müssen.

Es hätte die Abmahnung akzeptieren können.

Es hätte zwei Fristen einhalten können.

Es is, wias is, sagen wir in Bayern

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Bald ist Nikolaus und falls der Knecht Rupprecht auch kommt:

Ich war artig. Und die anderen haben genug Optionen gehabt, um aus der Sache mit der Knute raus zu kommen.

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Sonntag, 1. Dezember 2019

Der Winter ist da

Gestern Nacht hier unten 5 Zentimeter Neuschnee, oben in den Höhen sicher so viel, dass man überlegen kann, die Rodel aus dem Keller hochzutragen. Zumal es in der Nacht auch ziemlich eisig ist.



Alle haben Angst, dass es ein Winter wie der Letzte wird, man hat auch vorgesorgt und alles schon bereit: Das ist an sich die beste Garantie, dass der Schnee bald geschmolzen ist, an Weihnachten mal wieder alles grün sein wird, und dann im April die Schneestürme durchziehen, gerne an Ostern. Für die Touristen ist das hässlich, für die hier Lebenden ist es egal. Einen Tag wollte ich bleiben, fünf bin ich schon wieder hier: Man versumpft und vergisst schnell die Welt da draussen, die bei diesem Wetter auch nur zögerlich gekommen ist. Die Cafes waren voll mit alten, reichen Menschen und ihren Krankengeschichten. Ich bin immer noch hingerissen von der sagenhaft guten, silbrigen Luft am See, die einen so herrlich leicht atmen lässt. Auch noch nach fast einem Dutzend Jahren.

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Donnerstag, 28. November 2019

Niemand nimmt gern Ratschläge von Gegnern an.

Aber ich würde mir, wenn ich obendrein gefragt werde, Geld zu geben, und gar nicht lange nachzudenken, vielleicht in einem Moment der Ruhe ein paar Gedanken machen. Nehmen wir einmal an, es gibt kein Internet, Selfies in der Wohnung, Digitalkameras. Alles, was man erfahren kann, ist entweder selbst gesehen oder gehört. So wie in den 80ern.

Nehmen wir weiter an, jemand hasst einen aus tiefster Seele, vielleicht, weil er etwas damit verdrängen will. Soziale Herkunft, sexuelle Vorlieben, Gesundheit, Privilegien, Beziehungen, Stellung, was auch immer. Es gibt da so viel. Immer wieder. Vielleicht ist es die Villa am See oder aber einfach der generelle soziale Druck der Kleinstadt, die man nicht erträgt.

Und das entlädt sich dann in kontinuierlichen Hassausbrüchen. Direkt. Brutal. Hemmungslos. Das gibt es bekanntlich wirklich, früher waren die Brutalitäten ja noch viel direkter als heute. Tatsächlich befördern so etwas kleine Orte ohne soziale Alternativen. Das klingt alles glaubhaft, oder? Für mich selbst übrigens auch, denn als Asthmatiker mit zwei falschen Füssen und JuSo im Bayern der 80er war vielleicht nicht ganz optimal aufgehoben. Aber egal. Es sind harte Zeiten, und man bekämpft sich bis aufs Blut. Wir hatten solche Typen. Das glaube ich jederzeit.

Aber was ich dann nicht begreife. Einfach, weil ich diese Typen kannte und niemals, unter gar keinen Umständen bei denen nach Hause gekommen wäre: Wie soll in so einer Konstellation eine Konfliktpartei in das Haus der anderen zu kommen, von einer Sammelleidenschaft erfahren, Bilder sehen, die man in so einer Gesellschaft nie herumerzählen würde, teilweise mit expliziter Nacktheit, Nagelbilder, Kreise, die andere verlachen, und die dann geschmacklos zu finden?

Denn über solche Bilder spricht man in der Provinz nicht, man bezieht sie in der Galerie und hält den Mund, weil die anderen es eh nicht verstehen würden. Und es gibt kein Medium, kein Facebook, kein Selfie, nichts, um sie zu vermitteln, nur diese eine angebliche Konfrontation. Wie passt genaue Kenntnis eines äusserst privaten Lebensbereiches zu einem gnadenlosen Konflikt?

Wenn es, sagen wir mal, die Bilder wirklich gibt – wenngleich erst deutlich später als den angeblichen Konflikt. Und nachweislich eine angebliche Konfliktpartei, die sie kennt und abwertend einschätzt. Kommen dann niemandem Zweifel, speziell, wenn den Erzähler bis vor 2 Tagen fast niemand kannte? Wenn seine Erzählung ansonsten genau das ist, was man hören will, plus noch mehr, weil es so gut passt. Sieht da niemand die „Red Flag“ bei der Kenntnis der Bilder? Wie kann so ein Gesamtsystem stimmen? Wie kommt man an die Adresse, durch den Garten, ins Haus, die Treppe hinauf? Was, wenn aus der ersten Erzählung weitreichende Folgen erwachsen? Risiken gar für Dritte, die sich darum drängen, Teil des Narrativs zu werden, das da so toxisch vorgetragen wird?

Und, nehmen wir einmal - nur theoretisch - an, der Erzähler wäre doch im Haus gewesen, und rund 30 Jahre später sähe er einfach eine gute Gelegenheit, mit seiner Geschichte Teil einer grossen, besseren Geschichte zu werden - was mag ihm wohl an seinen Zuhörern liegen?

Nun.

Und dann ist da plötzlich eine grosse Rettungsaktion.

Es ist ganz furchtbar, so schlimm, dass man gar nicht sagen kann, was eigentlich los ist, ganz böse rechte, dunkle Mächte sind beteiligt, und Lichtgestalten rufen auf, sie haben schon das eine geglaubt und jetzt glauben sie das andere schon wieder, weil es eben alles passt. Sie brauchen über 10.000 Euro, sie nehmen es auf allen Kanälen, ohne darüber nachzudenken: Wie ein angeblicher Todfeind eine Sammlung kennen kann, die nicht bekannt ist.

Gute Nacht. Morgen ist ein neuer Tag.

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Dienstag, 6. August 2019

Shitstorms überstehen.

Das Leben hat einen ganz langen Lauf. Und es gibt keine Garantie, dass jemand dauerhaft vorne ist. Was einen relativ sicher relativ lange vorne hält, ist dagegen eine intakte Familie, ein relativ hohes Vermögen mit Wohnungseigentum, und relative Gesundheit. Damit kommt man ziemlich sicher ziemlich gut durch. Und man hat Jahre, auf den Moment zu warten, da man es den anderen heimzahlen kann.



Ich habe das eher zufällig an der Bucht am See begriffen, nach meinem Abitur. Die 5., 6., 7., 8. und 9. Klassen waren ziemlich ätzend für jemanden, der nicht wie die anderen konnte, in der 10. und 11. kam ich in eine andere Klasse, und das hat enorm geholfen: Sobald keine Mädchen mehr in der Klasse sind, endet auch ein spezifisches Mobbing als Imponiergehabe vor Frauen. Dann habe ich noch die Kollegstufe abgesessen, wurde untauglich für den Bund, und hatte einen schönen Sommer. Die Quälgeister von früher verloren ihre Freundinnen, weil sie zum Bund mussten, begannen mit dem Saufen und Rauchen, waren weit weg und hatten Themen, die ich nie haben wollen würde: Ich bin Zivilist. Es war, als wäre eine Klaue aus dem Himmel hernieder gefahren, hätte die ganzen miesen Typen ergriffen und in eine Parallelwelt gezwungen. Was habe ich daraus gelernt? Man muss nur warten und sich verdeutlichen, dass es den anderen vielleicht auch nicht gut geht. Eine Art der zynischen Empathie, würde ich sagen.

Natürlich hatten wir auch Selbstmörder, und fast alle waren relative Aussenseiter, Mobbingopfer und Verfolgte des damaligen Schulsystems. Wenn sie es nicht getan hätten, wäre e Ihnen vergönnt gewesen, einige ihrer Gegner fallen zu sehen, und mitunter auch recht unschön: Es gibt keine göttliche Gerechtigkeit, sber hin und wieder den Moment, da hört man etwas, und sagt: Ach? Hebt kurz einen Mundwinkel an und schämt sich dann gleich dafür, aber so etwas passiert immer wieder, man muss nur warten und wissen, dass der öffentliche Hass der anderen auch nicht gerade ein Zeichen des guten Daseins ist. Und je mehr bei so einer Aktion mitwirken, desto eher sieht man auch den ersten unter die Räder kommen.

Schauen Sie, ich habe ja so einiges mitgemacht im letzten Jahr, da war im Netz auch sehr viel los, manche haben das explizit gefeiert und mein damaliges Blogfell schon geteilt. Daraus wurde dann natürlich nichts, weil Pöbeln im Netz keine Qualifikation ist, und mir geht es heute bestens und die anderen haben immer noch Geldsorgen massivster Art, und ihre wenig erbaulichen Lebensumstände. Die Welt war für mich definitiv ein Schritt nach vorn, die anderen sind nur ein Jahr älter. Der Wechsel war nicht schön - die Ankündigung der FAZ ereilte mich in einem Moment, da ich jemand pflegen musste und nicht mehr wirklich viele Reserven hatte - aber heute ist alles wieder gut. Man hat sich im Netz viele andere Opfer ausgesucht. Ich kann warten. Man muss beim Klettern immer daran denken, wiee es ist, wenn man wieder oben ankommt. Und den festen Glauben haben, dass es dieses oben gibt.



Obwohl ich gerade wegen des günstigen Kurses eine britische Kanne sehr billig bekommen habe, glaube ich, dass auch England sich wieder erheben wird. Solange es Chancen gibt, muss man sie nutzen, und daran denken, dass es nicht so schlimm bleiben wird. Da ist halt sowas in einem drin, das sich an kleinen, kleinsten Erfolgen hochziehen kann. Beim Rennradfahren muss man das lernen, die Regerneration am Berg, während man trotzdem weiter nach oben fährt. Das Provinzdasein macht das möglich, da lebt man doch deutlich entspannter und hat auch noch etwas anderes als das Netz all der Einsamen. Es kommen bessere Tage.

Und schlechtere für die anderen.

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Montag, 5. August 2019

Über Wahrheit

Irgendwann kommt raus, dass ich gar nicht Don Alphonso Porcamadonna heisse, nicht aus Palermo stamme und auch keine 363 Jahre alt bin. Und dann übersieht man auch, dass ich immer gesagt habe, dass ich a) mein Umfeld durch Verfremdung schütze und b) ein Grundrecht auf Unwahrheiten in Anspruch nehme. Bei einer neueren Zählung zum Beispiel hat sich herausgestellt, dass der Stadtpalast doch nur 54 statt 55 Räume hat. Der Einfachheit bleibe ich aber bei 55.



Es haben einige Leute zu der Doerry/Hingst-Geschichte wenig bis nichts gesagt, und das liegt nicht daran, dass sie Mlle Readon nicht kannten - tatsächlich hat sie wohl sehr viele Protagonisten der Szene getroffen. Es hat vermutlich auch damit zu tun, dass es die anderen weitaus mehr als mich betrifft, der ich nie behauptet habe, etwas anderes als eine Kunstfigur zu sein. Fehlende Wahrhaftigkeit, Verdichtung und Unkenntlichmachung gehören hier draussen wirklich dazu, und wie man nun durch die Wortmeldung aus der Denkmalstiftung erkennen kann, gibt es bei Marie Sophie eine weitere Ebene der Persönlichkeit, die mich offen gesagt kalt erwischt hat. Es ist insofern spannend, als bislang eine zeitliche und inhaltliche Lücke zwischen dem Readon-Blog und den - letztlich dem Spiegelbeitrag den nötigen Durchschlag bringenden - Biographien bei Yad Vashem lag. Wie schon gesagt, von diesen Biographien hat sie nie etwas erzählt und ich wüsste jetzt auch nicht, dass sie davon gegenüber anderen Bloggern gesprochen hätte. Das lief abseits der Realität hier draussen, aber parallel zu ihrem - wie auch immer gearteten - Tun bei der Stiftung.

So gesehen erscheint die Geschichte, die im Spiegel zu lesen war, nicht komplett, und sie bekommt ihre Dynamik nicht durch alle Fakten, sondern auch durch das Zusammenziehen dreier Ebenen: Das literarische Privatblog mit seinen Fiktionen, der Fehler, die im Blog erfundene Klinik in die Realität der Medien zu tragen, und dann letztlich noch die ganz alte, ganz grosse Dummheit mit Yad Vashem. Man fühlt beim Lesen irgendwie, dass eine Linie da war, an die die Fakten gehängt wurden, und ganz vorsichtig gesagt, fürchte ich, dass man so etwas mit vielen da draussen auch tun könnte. Bei mir sowieso - ich habe meine Geburtsurkunde aus Palermo bei einem Umzug verschlampt - aber auch bei vielen anderen bekannteren Personen, die diverse Lücken im Lebenslauf, aber nicht in den Blogs haben. Was bei dieser Geschichte fast völlig ausgeblieben ist, ist das Narrativ "Alter, weisser Mann jagt erbarmungslos verzweifelte Frau" - eigentlich ein Spezialgebiet von Spiegel, Bento, Zett und SZ. Keine Solidarität. Vielleicht Selbstschutz angesichts eigener Lücken? Die Angst, dass zu lautes Aufschreien den nächsten Verdacht auf einen selbst lenkt? Marie Sophie war nicht die einzige Labile da draussen.

Was mir das Leben leichter macht, ist die Knipserei - ich kann ziemlich gut belegen, dass ich wirklich dort war, woher meine Beiträge kommen, und was ich beschreibe, sieht man auch. Persönliches geht einfach nicht mehr, dazu sind die Risiken viel zu hoch, weniger für mich als vielmehr für die jeweiligen Bekannten, denen ein paar Gestalten da draussen sofort den Mob an den Hals hetzen würden. Aber vielleicht sollte man die Erkenntnis mitnehmen, dass mitunter die Recherche beendet ist, wenn alles für den Artikel schön genug ist. Und dass man besser das tut, was ich nun auch schon seit über 11 Jahren konsequent tue:

Keine Interviews, ausser man kennt die Leute.

Keine Phototermine.

Immer alles aufheben und keine Mails löschen. Der Bekannte von heute kann derjenige sein, der morgen entstellend zitiert.

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Sonntag, 28. Juli 2019

MlleReadOn, my Dear, read on.

Was ist Fake News? Eine Kliniktätigkeit erfinden, die es nie gegeben hat, und darüber einen Text zu schreiben, der so in den Zeitgeist passt, dass sich grosse Medien um einen reissen. Denn der Text behauptet, dass Migranten, die nach den Ausschreitungen von Köln kritisch betrachtet werden, selbst Opfer fehlender Aufklärung und Erziehung sind, und man das Problem ganz einfach durch intelligente Ansprache lösen kann. Der Text steht nicht für sich allein, es gibt derartige Kurse und es gibt Berichte darüber. Das kann man schon mal glauben.

Was ist eine dagegen von Bundesministern und Medien unterstützte Aktion? Etwa, wenn sich nach dem gleichen Köln intersektionelle Feministinnen zusammentun und die Aktion „Ausnahmslos“ gründen, bei der dann prompt radikale Figuren wie Angela Davis und Judith Butler unterschreiben, und die behauptet, Übergriffe seien ein männliches Problem, weshalb man über Männer und nicht über die Herkunft reden sollte. Das wurde in führenden Medien so weitergereicht, kein jubelnder Journalist hat sich bislang davon distanziert, die skandalöse Umdeutung eines Massenverbrechens zugunsten der versagenden Regierung gilt bis heute als Wahrheit.

Als Wahrheit kann man in den gleichen Medien, die sich heute von der Fake News der erfundenen Sexualaufklärung distanzieren, nachlesen, dass die geöffneten Grenzen zu einem kleinen Wirtschaftswunder führen könnten, die Flüchtlinge dereinst die Renten zahlen würden, Migranten nicht krimineller als Deutsche in der gleichen sozialen Lage wären, und letztlich sogar mitunter, als sich das alles so nicht manifestierte, dass es gar keine Grenzöffnung gegeben habe. Die fraglichen Autoren/Aktivisten durften Vorträge halten und in Ministerien arbeiten, wurden bei Stiftungen herumgereicht und hielten bei der Re:Publica umjubelte Reden. Ich habe damals dagegen angeschrieben und wurde dafür recht hart angegangen, und wenn ich etwas aus dieser Zeit gelernt habe, dann ist es das: Wenn nur genügend Leute so dreist lügen, wie es den Herrschenden gefällt, gibt es keine Selbstreinigungskraft, die Lügen später richtig zu stellen. Was es dagegen gibt, ist das Statuieren von Exempeln, um sich zu reinigen, wenn es nicht anders geht. Beispielsweise am Fälscher Claas Relotius. Und an einer Frau, die weitgehend andere Sichtweisen als ich hatte, und, wenn man es nüchtern betrachtet, lediglich eine in der Szene mittelbekannte Bloggerin gewesen ist.

Diese Frau lernte ich nach einem Beitrag über die Stiftung von Anetta Kahane – eine Person, die nach ihrer Zeit als Stasi-IM heute als Menscherechtsaktivistin bei Wikipedia neu erfunden wurde - im Internet kennen, als jemand ihr Blog in den Kommentaren verlinkte. Ich habe wie viele andere den Beitrag dann auch verbreitet, sie mailte mich an, und so kamen wir ins Gespräch. Über Loden; genau genommen begann es mit Lodenkleidung, die bei uns ab und zu bei speziellen Terminen gebraucht verkauft wird. Sie sagte, sie wünschte sich einen Lodenmantel für das raue Klima in Irland, und ich hatte das Glück, ein paar hübsche Damenmäntel zu finden und ihr zu schicken. Von da an ging es eben so, wie es meistens geht, wenn Blogger einander etwas besser kennen: Die jeweiligen Blogs traten in den Hintergrund, man sprach mehr miteinander. Das ging so weit, dass ich überhaupt nicht bemerkte, wie sie unter anderem Namen Artikel über ihren angeblichen Sexualaufklärungunterricht schrieb. Ich wusste davon aus den Mails, aber nur sehr am Rande. Und so sehr ich auch nachdenke: Das Thema Judentum kam nur marginal vor.

Dafür sprachen wir oft über Thomas Mann und darüber, dass er an meinem Wohnort seine Sommerfrische abhielt, und auch etliche Bücher schrieb – Herr und Hund zum Beispiel versteht man nur, wenn man hier die Landschaft kennt. Man kann auf den Spuren der Familie Mann den Hirschberg besteigen und seine Aufenthaltsorte in Bad Tölz besichtigen. Man fühlt bei uns tatsächlich noch etwas das Flair des frühen 20. Jahrhunderts. Ich habe sie eingeladen, hierher zu kommen, und zu verweilen, wie man das halt so macht, wenn man den Eindruck hat, der andere würde vielleicht gern kommen, mag das aber nicht artikulieren: Die Frau, die in einem Beitrag des Spiegels als Fälscherin mit Drang nach öffentlicher Anerkennung dargestellt wird, war mir gegenüber eher schüchtern, eindeutig dezent, sehr wohlerzogen und mit dem rücksichtsvollen Verhalten gesegnet, das einen annehmen lassen kann, ein Besuch wäre sicher eine nette Sache. Nur bräuchte sie halt noch einen freundlichen Stups. Es hat sich zeitlich nicht ergeben, die Einladung jedoch stand für diesen Sommer.

Getroffen haben wir uns trotzdem, und zwar im Januar 2018 in Berlin. Zwei mal, und wie es der Zufall haben will, einen Tag vor und einen Tag nach der Verleihung des Goldenen Bloggers, bei dem sie zur „Bloggerin des Jahres“ wurde, ein Titel, der jenseits der Szene in etwa so bedeutend ist wie Spargelkönigin von Adelshausen. Am Tag davor lernte ich im Grosz eine durchaus unterhaltsame Frau kennen, die nicht wirklich zur Darstellung passt, sie würde ganz in einer jüdischen Familiengeschichte aufgehen. Was sie erzählte – und wir redeten über Gott und die Welt und darüber, dass die Tarte Tatin hier nur ein gebratener Apfel, aber keine Tarte Tatin war, und dass es dem Ober hoch anzurechnen ist, dass er Damen korrekt aus dem Mantel hilft – war schlüssig und, oberflächlich betrachtet, in sich kongruent. Man sehe mir nach, dass ich zwar als Journalist kritisch, aber als Privatmensch wohlwollend bin: Ich will einen schönen Abend und nicht nach der Verabschiedung googeln, was ich alles so herausfinden kann. Extravagente Geschichten über Partner beispielsweise nehme ich einfach so hin: Man wird da oft angelogen, sei es, weil die betreffende Frau damit klar machen will, sie sei vergeben und an Sex nicht interessiert (dem Vernehmen nach soll Angraberei bei Twitterbekanntschaften ein erhebliches Problem sein), sei es, weil eine gewisse Beschönigung der eigenen Beziehung nun mal dazu gehört. Man hat bei Twitterleuten schon fliegende Beziehungswechsel gesehen, da bleibt einem der Mund offen stehen, an so einem Sinneswandel wäre beinahe einmal ein Grossprojekt gescheitert. Wie auch immer, sie konnte so eloquent erzählen, wie sie auch schrieb, und ein anderer Verdacht, der nicht nur bei ihr ab und zu im Raum stand – das Blog sei gar nicht von einer Frau verfasst – war damit ausgeräumt. Damals gab es noch die grosszügige Regelung, dass ich Gastautoren bei der FAZ einladen konnte: Ich habe ihr das gesagt. Sie bedankte sich für das Angebot und kam nie mehr darauf zurück.

Das zweite Treffen war nach dem Goldenen Blogger, bei dem es, höflich gesagt, nicht nur schöne Szenen gab. Manche Teilnehmer sind langjährige frühere Bekannte, die sich auf der Veranstaltung mehr oder weniger offen von mir distanzieren wollten, und – das ist jetzt eine Ironie der Geschichte: eine Anwesende erzählte ihr eine sehr negative Geschichte über mein angeblich früheres Verhalten, das die gleiche Anwesende mir selbst auch schon einmal über einen anderen Bekannten erzählt hatte. Eine Moderatorin einer Sendung von Funk rief zu meiner Person ein sehr unschönes Wort in den Raum, und generell fühlte sich die Frau, die als durchtriebene Öffentlichkeitsarbeiterin in eigener Sache dargestellt wurde, eher abgeschreckt von Neid und Missgunst in dieser Szene. Sie hat das gespürt, was auch ansonsten offensichtlich war: Manche fanden ihre Arbeit toll und bewunderten die Beharrlichkeit, mit der sie an den damals in der Türkei inhaftierten Deniz Yücel jeden Tag eine Postkarte schrieb. Andere hielten sich für besser und wären gern Preisträger anstelle der Preisträgerin geworden. Bloggen ist, das darf ich als Angehöriger der Szene sagen, ein entsetzlicher Sumpf der Eitelkeiten mit sehr vielen Protagonisten, die ein deutlich überpositives Bild von sich selbst haben: Für einen Aussenseiter kann das, zusammen mit dem Marketing der Veranstaltung, durchaus eine abschreckende Wirkung haben. Ansonsten sprachen wir vor allem darüber, ob man mit Rechten reden dürfte, oder nicht.

Danach wären ihr alle Tore offen gestanden, zumal sie die fraglos richtigen Einstellungen hatte: Zu Flüchtlingen, zur Migration, zum Tempolimit, und bei der Gelegenheit sind wir auch öffentlich im Netz zusammengerumpelt, weil ich nun mal gern die Möglichkeit habe, schnell zu fahren, und sie wenig begeistert von meiner Sportwagenliebe war. Was ich damit ausdrücken will: Sie hat sich bei mir nicht angebiedert. Sie hat auch sonst nach meinem Wissen keine Journalisten gedrängt, ihre Geschichten zu nehmen. Sie drängte nicht nach vorne, sie zeigte auch recht offen einen gewissen Widerwillen gegen tagesaktuelle Publizistik. In einem Metier, in dem jeder denkt, er hätte Anrecht auf einen Leitartikel oder wenigstens eine gebührenfinanzierte Lebensversorgung, war die Haltung eher ungewöhnlich. Von irgendwelchen Unterlagen bei Yad Vashem war nie die Rede. Da war einfach eine offene, wohlerzogene und zuvorkommende Frau, die eher behutsam in Bekanntschaften ging und sehr aufmerksam war, und mitfühlend sein konnte. Das ist nicht nur mein Eindruck, sondern auch der von anderen Bloggern, die sie näher kannten. Stolz war sie natürlich auch – auf ihre Stelle in Irland und darauf, dass sie mit dem abseitigen Thema „Kunstgeschichte als Brotbelag“ einen Internethit gelandet hat, auf den viele Agenturen lange warten müssten.

Zurückblickend habe ich die vage Vermutung, dass sich diese Frau mit dem Erfolg im letzten Jahr von den alten – wie wir heute wissen – Erfindungen frei geschrieben hat, vielleicht, weil sie gemerkt hat, dass sie auch ohne diesen Kontext gut ankommt und neu beginnen kann – der mutmasslich erfundene Tod des irischen Freundes mag ein Hinweis sein. Sie hatte ein erhebliches literarisches Talent und vielleicht inzwischen auch eines für Wahrheiten, und wenn es die Causa Relotius nicht gegeben hätte, und nicht diese erfundene Flüchtlingsaufklärung in Ostdeutschland, die andere Medien verbreiteten, hätte man das alles in etwa so sehen können: Einsame Frau mit Borderlinetendenz, die sich in Irland nicht wohlfühlt, erfindet sich eine Biographie und Familiengeschichte, um sich interessant zu machen, wird in einer wenig relevanten Szene bekannt und will aus naheliegenden Gründen nicht, dass ihr angesichts erster eigener Erfolge die alten Konstrukte um die Ohren fliegen. Natürlich ist das unschön, aber eine andere Dimension als Relotius, der wirklich nach vorne wollte. Was der Spiegel mit Trophäenbild, Skandalisierung, zweisprachigem Artikel und Konzentration auf zwei brisante Punkte – Familiengeschichte und Flüchtlingshilfe - daraus gemacht hat, ist etwas ganz anderes. Knallharte Aufklärung sollte das sein, nachdem der Spiegel das in eigener Sache wegen Relotius selbst machen musste. Es war die Zerstörung der Reputation, eine internationale Vorführung der Person, die zur einer der wichtigsten Bloggerfiguren gemacht wurde, weiter zum Shitstorm im Netz, natürlich auch Diskreditierung der Bloggerszene, gefolgt vom der panischen Aberkennung eines völlig irrelevanten Preises durch die Veranstalter, Panikreaktionen bei der Betroffenen, Versuche, das Uneinfangbare noch einmal einzufangen, und dann das Verstummen gegenüber Bekannten, die bei ihr nachfragtren. Und jetzt ist sie nach Angaben der Irish Times gestorben.

Es kann immer mal passieren, dass man jemanden auf dem ganz falschen Fuss erwischt. Ein ehemaliger Internetunternehmer wirft mir vor, ich hätte ihn bei Dotcomtod nahe an den Selbstmord gebracht – dabei habe ich die Meldung zu seiner Firma gar nicht geschrieben. Ich habe mal sehr banal über einen Hashtag geschrieben, den zwei Personen aufbrachten – die eine hat ihn zuerst erwähnt, aber die andere hat ihn gross gemacht. Weil ich das so beschrieb, hat die Ersterwähnerin einen Feldzug gegen mich gestartet und versucht, die Medien auf mich zu hetzen, weil ich Schuld an ihrer desolaten psychischen Verfassung sei. Später versuchte sie, ein anderes Portal auch noch zu verklagen. Erst vor ein paar Wochen wurde mir bekannt, dass eine Gastautorin bei der FAZ, die damals vor Selbstbewusstsein nur so strotzte, in Wirklichkeit wohl eine schwere Krise hatte, die mit ein Grund für ein öffentliches und später juristisches Ausrasten gewesen sein mag. Man kann in die Menschen nicht hinein schauen, und im Internet ist es nochmal deutlich schwerer als im echten Leben. Ich habe aus meinen Fehlern insofern gelernt, als dass ich für niemanden den Kopf mehr hinhalte und nur noch mein eigenes Ding mache. Aber nichts davon kann man mit dem vergleichen, was der Spiegel da mit der – meines Erachtens – Privatperson MlleReadOn gemacht hat. Alle, mit denen ich darüber gesprochen habe, hatten Angst, „sie könnte sich etwas antun“. Alle haben das gefühlt. Der Spiegel hatte die Fakten, aber kein Gefühl.

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