München. Nacht.

Wenn ich eines Tages nicht mehr die Sensation empfinde, in der Dunkelheit in München anzukommen, wenn es irgendwann banal sein sollte, die Stadt zu erreichen und kein Gedanke mehr da ist, sich auf das Leben in der Nacht einzulassen, bin ich das geworden, was man wohl als alt bezeichnen muss.



Es gibt Orte, da reicht es schon aus, nur einmal dort gewesen zu sein, um jedes weitere Mal zu oft dort gewesen zu sein, es gibt Tanztempel, die nur noch Erinnerung sind, es gibt das Parkcafe als Architektur ohne Bedeutung und das Ballhaus als banale Kneipe, gehalten hat sich wenig und die Sensationen sind selten geworden in einer Zeit, die Kokain ernst nimmt und posttraumatisch orientierungslos ist, 4 on the floor haben alles zertrümmert und wenig wurde aus den Spolien gebaut, es war früher nicht besser, wer gibt schon zu, dass eine Weile die Herrenbekleidung aussah, als hätte jeder bei Thierry Muglier gekauft, und wegen der vielen Knopflöcher von Gaultier empfand man sich ebenfalls nicht als der Affe, der man war. Es waren wilde Jahre, es gab keine Angst ausser der vor AIDS und Schwangerschaften, es gab noch eine Zukunft, die mehr versprach, als sie gehalten hat.



Und trotzdem hat sich vieles geändert. Manche heiraten und sitzen jetzt in der Provinz, andere heiraten nicht und bieten den Nährboden, auf dem sich Münchens überteuerte Pseudoküche für Pseudofeinschmecker entwickeln kann, andere können immer noch weggehen, und es fällt nicht auf. Die Altersgrenzen verwischen zunehmend, der angebliche Standortvorteil von Berlin, dass man auch mit 40 noch weggehen kann, als wäre man gerade 25, ist ein vollkommen normaler Aspekt der meisten Grossstädte und der Bewohner, die es in den 80ern verlernt haben, sich in Kategorien pressen zu lassen. Alter ist weitgehend irrelevant, die Zeit als Kriterium ist zertrümmert, die Götzen haben sich verändert, aber der Kult ist immer noch der Hedonismus.



Wir sind alle schön. Wir sind alle hässlich. Wir leben, wir dürfen, wir können, jetzt und in alle Ewigkeit. Das ist das Credo an der Isar und den südlichen Regionen, das ist der Anspruch und das Versprechen, das einzulösen man nicht aufhört, die Legenden mögen verschwunden sein, aber es gibt immer noch zu viele Geschichten und Vergangenheiten, und wenn sie schmerzen, schafft man sich eben neue Gegenwarten und bleibt dabei, bis sie, frisch vergangen und immer noch blutig, etwas älter und golden wirken. Wir können das.

Montag, 5. Mai 2008, 20:52, von donalphons | |comment

 
das ist nicht nur im süden so. prenzlauer berg und mitte sind inzwischen ebenfalls münchen. und nürnberg, stuttgart, hamburg, dresden usw. sind zusammen genommen heute alle irgendwie friendscout. wirklich blutige gegenwart gibt es wohl nur noch in der provinz.

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Kein Wunder, dass die alle immer noch weg wollen. Die Provinz, unfähig die Klugen zu halten seit jeher. Bitter.

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stimmt aber auch nur teilweise. ich kenne jede menge wirklich kluge leute in der provinz. und erschreckend viele super doofe arschlöcher in der city. wenn ich da jetzt mal so drüber nachdenke, gibt's in meiner stadt hier eigentlich mehr unkluge wie nirgendwo sonst. man kann ihnen nur effektiver aus dem weg gehen. andererseits wiederholt sich in der stadt die begegnung mit der tumbheit beständig, und das lässt einen manchmal schier verzweifeln.

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ich fürchte, man braucht eine gewisse geistige Reife und berufliche Unabhängigkeit, um die Provinz als kluger Mensch zu überleben - Stichwort ethnologische Betrachtung. Dass Grossstädte, Berlin zumal, ein ganz bestimmtes Publikum anzieht, im Bereich zwischen Lobby, PR, Werbung, Medien, Mover, Shaker, diesen ganzen Dreck einer entwurzelten Sekte, die sich da formiert, ist fraglos die Schattenseite. In Berlin blendet es sich leicht, da weiss keiner die Wahrheit, da kann man es krachen lassen, ganz im Gegensatz zu daheim.

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Wobei man natürlich auch pendeln kann. Dann wohnt man in der Provinz und arbeitet in der Stadt. Nur weiß ich nicht, ob es das, was man hier den "Speckgürtel von Hamburg" nennt (inkl. Verkehrsanbindung) auch in anderen Städten so gibt.

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In München haben wir einerseits einen so speckigen Speckgürtel, dass Münchner dort hinauspendeln (EADS, Flughafen, etc.). Und dann gibt es noch den "Münchner Süden" als stehenden Begriff, beginnend in Grünwald zum Starnberger See, und dann im Bogen vom Ammersee, Kochelsee, Tegernsee zum Chiemsee, da, wo "man" wohnt, wenn man lebt. Allerdings ist das keine Hardcoreprovinz, sondern eher Vermögendenghetto.

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Der größte Teil des Münchner Speckgürtels ist ja ein Produkt der desolaten städtischen Wohnungssituation und den abartigen Mietpreisen. (vielleicht abgesehen von Grünwald oder Starnberg wo die Zugroassten wohnen, die meinen der Wohnort sei so eine Art Statussymbol)

Für jemanden wie mich (ob ich nun dumm bin oder nicht) ist das Leben in Stadtmitte hier ideal. Alle Businesstermine mit dem Radl, danach auf nen Sprung mit Surfbrett an die Isar und Abends ein paar Meter weiter in einen Club in der Innenstadt. Insofern hat sich München in den letzten Jahren deutlich verbessert, denn zu der Wasserqualität der Isar, ist das Nachtleben auch ins Lehel zurück gekehrt.

(ausserdem finde ich: "Depperte gibts überall")

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