Real Life 8.5.2008: Brettabordä

Und? meint Iris und räkelt sich zufrieden auf dem beifahrersitz. Zufrieden? Hinter ihr knarzen zu viele Papiertüten an ihrer schweren Füllung, und vorne müht sich der Motor eines Autos ab, das nicht wirklich dazu passt.

Ich mein, spricht sie weiter, als unhöflicherweise keine Antwort kommt, ich finde es wirklich gut. Wenn es am See kühler wird, am Abend, zum Beispiel. Als wir letztens dort waren, war es drei Grad kälter als in der Provinz. Tagsüber legst du sie über die Schulter, am Abend ziehst du sie an, und es ist schick, ohne aufgedonnert zu sein. Man wird denken, dass du ein Segelboot hast, und dann wirst du ein passendes Boot kaufen, ich komme vorbei, und dann fährst du mich auf den See, und alles ist prima. Ich finde, du brauchst unbedingt ein Segelboot. Sagt sie, und kichert, weiss sie doch, dass du Segelboote nicht zwingend aufregend und spannend findest, und Surfboards bevorzugst, auf denen nicht mal einer allein stehen kann.

Das, liebe Iris, war ein Zweckkauf. Ich brauche was zum Anziehen, und Hemden allein sind auf Passstrassen etwas zu wenig. Ich brauche was mit hohen Krägen für die endlosen Kilometer zwischen Verona und Modena in der Nacht, und am Gardasee kann es am Abend empfindlich kalt, ganz einfach kalt, arschkalt sein. Die ganze Bardot-Hausschneider-Geschichte, die Nizza-Connection, die mehr-als-Lacoste-Denke, das alles ist mir offen gesagt egal. Krawatten hätte ich nicht gebraucht, aber nachdem du darauf bestehst, auch Krawatten. Aber kein Segelboot, kein Monte Carlo, und das hier ist auch nicht Paris, oder ein Flagship Store, das ist nur die übliche Provinz und ein Witz der Globalisierung.



Und weil diesmal Iris nicht antwortet und du leichte Sorgen hast, dass es zu unhöflich ausgedrückt war, redest du weiter: Du kennst doch Frau W.? Herr W. hat ihr in den 70er Jahren das Zeug von seinen Reisen mitgebracht. Ihr Sohn P. bekam diese Nippesflugzeuge mit den Namen der Fluglinien drauf, und Frau W., die von sich dachte, dass sie aussieht wie Bardot, bekam diese Kleider. Die dann umgearbeitet werden mussten, um zu passen. Das war jedesmal ein enormer logistischer Aufwand, Herr W. musste manchmal die Flüge umbuchen, um in Paris Zwischenaufenthalte zu haben. Legenden kommen noch aus einer Zeit, in der nicht jeder immer alles haben konnte. Legenden entstehen nicht, wenn alles immer sofort verfügbar ist. Legenden sterben, wenn sie zu reduplizieren sind. Das war mal was, vor Jahrzehnten. Inzwischen ist er tot und seine Firma aufgekauft worden, und irgendeine Entscheidung eines Münchner Konzerns sorgt dafür, dass hier Leute sind, die Zugänge zu dem vermitteln, was heute hier hergestellt wird. Paris? Die Legende. Das hier?

Draussen gleitet die Bebauung der 50er Jahre vorbei, nicht gerade das beste Viertel der Provinz.

Das hier ist Globalisierung. Es ist verfügbar. Ich kann in zehn Minuten hinfahren und kaufen. Weil es gut ist, weil es einfacher ist, als nach München zu fahren, weil es sich durchaus lohnt. Es scheint vielleicht Luxus zu sein bei denen, die noch nicht wissen, wie die Globalisierung den Luxus umbringt, aber der Name, den sie reinsticken, könnte beliebig sein. Da steht kein Genuis mehr dahinter, nur noch die brüchige Legende und die Einbildung, selbst wenn es zum sonstigen Wesen passen würde, das auch nur aus brüchigen Legenden besteht. Es ist rational, so etwas zu fertigen, wie es rational ist, so etwas hier zu kaufen, den Rest erfinden wir uns dazu, weil wir es natürlich nicht so haben möchten. Wir würden es natürlich bevorzugen, wenn dergleichen mitgebracht wird, in Flugzeugen, derer sich nur die wenigsten bedienen und die frei sind von Pauschaltouristen, aus Städten, die man nicht für 19 Euro ansteuern kann und von Stoffkünstlern, die wirklich noch mitwirken an der Herstellung. Die Illusion, dass es immer noch so sein könnte, schafft die irrwitzigen Preise auf den Bapperln, und der Umstand, dass es nicht mehr so ist, lässt Susi mit Leuten essen, die es ermöglichen, dass du Möglichkeiten kennst, die illusorischen Preise zerstäuben zu lassen, als wären sie die Legende. Ich, meine Liebe, ich würde doch nie nach solchen Marken gehen. Ich...

Du, mein Bester, mischt sich Iris nun doch ein, bist doch derjenige, der sich mal für 400 Mark mal ein Byblos-Hemd gekauft hat, mit Spitzen am Kragen, und einen lindgrünen Gaultieranzug, und da war doch auch mal so ein schwarzer Yamamoto-Frack, oder?

Nein, sagst du empört.

Ich weiss es aber noch ganz genau, betont Iris.

der frack war nicht schwarz, sondern schwarz mit weissen Kreidestreifen, gibst du klein bei und beginnst, über das wetter zu reden, das ausnehmend schön ist

Samstag, 10. Mai 2008, 01:36, von donalphons | |comment

 
willkommen im alltag: die beschreibung der globalisierung entspricht der, die saviano in seinem buch über die camorra gibt: globaliserung ist dort, dass in der region neapel die gleichen menschen mit den gleichen Stoffen für maximal albanische löhne sowohl hot kotür als auch die "fälschung" produzieren - weil sie dort verfügbar sind, andere arbeit aber nicht.

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Der Geruch der Freiheit
Freie Verträge! Freie Menschen!

...röcheln bei dieser Gelegenheit mit bluthustiger Stimme diejenigen, die lieber heute als morgen alle Gewerkschaften verboten sähen. Ein bald aus allen Fugen geratener Arbeitsmarkt sorgt aber auch so für den gleichen Effekt bzw. für ein kaum noch Lohn zu nennendes allgemeines Vergütungsniveau und die daraus folgende soziale Zerrüttung Europas - was wiederum die meisten derjenigen schätzen, die mit teuer Kleidung bzw. teuren Etiketten Distinktion suchen.

Die übrigen können sich bei KiK einkleiden, für dreißig Euro von Kopf bis Fuß, allerdings mit einem Gestank in den Kleidern, der sich auch mit einem Dutzend Wäschen nicht entfernen lässt.

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was die gewerkschaften angeht, da tun die mitbewerber um arbeitsplätze in den neuen eu-ländern das, was die bonzen allein nicht schaffen. das wird das zunehmend eine veranstaltung für den öffentlichen dienst.

bei kik kaufen die, denen es zum polen- oder tschechenmarkt zu weit ist. arzneimittel gibt es in den genanten ländern auch günstig.

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nä. es gibt tatsächlich dinge, die ich nicht mehr verstehen und nachvollziehen kann. ppfft. wenn mir kalt ist, ziehe ich mehrere lagen von t-shirts und strickjacken an. zum schluss vielleicht die jacke vom winterjoggen, die hat ein kleines packmaß und lässt sich in jeder handtasche unterbringen. ich werde alt, ich sag's ja.

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In dem Fall wird wenigstens zu deutschen Konditionen produziert, aber das ist immer noch was anderes als Paris. Generell kann man sagen, dass das, was nicht nach China verschoben wird, gerne nach Osteuropa geht. Textil ist neben Optik und Elektronik einer der Bereiche, in denen praktisch alles weg ist - mit Ausnahme der Strickmaschinen und der Musterfertigung. Was hülfe, wären vielleicht ein paar protektionistische Massnahmen - darauf, dass jemand von selbst darauf kommt, welche Hintergründe Schuhe für 10 Euro möglich machen, glaube ich nicht. Es gibt da auch kein besonderes Interesse. Bei den Perserteppichen hat sowas wie Fair Trade branchenübergreifend funktioniert, aber auch nur, weil die Käufer selten Bildungsfern sind. Normale Kleidung in Zeiten von Hartz IV bleibt wohl die Domäne von Fernost.

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