Real Life 26.05.08 - Leben inclusive

Du hast keine Ahnung, woher er die Nummer hat. Das ist bedenklich, weil die Leute in diesem Bereich eigentlich dazu angehalten sind, keine Informationen rauszugeben. Und du kannst auch nur hoffen, dass er jetzt nicht standardmässig am See anruft, denn das ist keine Firmenadresse. Selbst, wenn es über weite Strecken private Dinge sind, die er vorzutragen gewillt ist. Irgendwo zwischen dem beruflichen betätigungsfeld und dem privaten Nutzen. Irgendwo verständlich, du verdankst das hier ja auch dem Kontakt zu einem Kunden, der schnell Geld brauchte. Und er verdankt seine Geldanlage dem grossen Spiel, der Initiatorenseite eures kleinen, moralisch miesen Arbeitsgebietes, den schlauen Herren, die schnell flüssige Mittel brauchen, um die Investoren vom Klageweg abzuhalten wegen Prospektlügen und Scheingeschäften mit anderen Anlagen, die irgendwann nicht mehr laufen. Dann muss eben nach draussen verkauft werden, um weiter wirtschaften zu können, gerne auch mit günstiger Zwischenfinanzierung, Hauptsache die Bücher stimmen. Und der junge Herr in Berlin kann sich trotz hoher Kosten für das Automobil eine Immobilie leisten. Mietwohnung, das geht in diesen Kreisen so gar nicht, in denen man normalerweise an mehreren Orten Wohnungen hat.

Und da sitzt er nun und ist froh, mit seinem der Krise geschuldeten Gehalt eine der Krise geschuldete Wohnung erworben zu haben, und weil er in der sache viel, sehr viel nachzuholen hat, bekommt er sich gar nicht mehr ein über seinen dreistelligen Quadratmeterpreis und die Lage und die Hauptstadt und das, was er seinem Vermieter noch reindrücken wird, die verbleibenden drei Monate, da braucht der nicht glauben, dass die Miete für die Bruchbude noch komplett kommt, ausser er findet einen Nachmieter, der bereit ist, für die Ablöse zu zahlen, er sagt es nicht so, er verwendet Worte, die in seinem Hirn unter "salopp" verschlagwortet und dir eher fremd sind, weil sie ausdrücken, dass bei diesem Geschäft der andere der Dumme ist.

Die Wohnanlage ist allgemein in diesen Kreisen bekannt, jeder weiss um die Ausführung durch rumänische Subunternehmer und das kleine Problem, dass zwischendrin der Sanitärlieferant pleite machte und der Nachfolger nicht bereit war, die alten Arbeiten abzunehmen. All das vermag den neuen Eigentümer nicht zu stören, und er lässt es sich nicht nehmen, den - von ihm zu hoch eingeschätzten - Preis für deine kleine Sommerfrische mit seinem City Loft, so hiess das auch im Prospekt, zu vergleichen, und du würgst ihm, als es dir zu bunt wird und ausserdem der Abendspaziergang ansteht, die Sache mit dem Stadtpalast rein. Das ist etwas, das er versteht, alles andere begreifen sie nicht, sie sehen nur die Mauern und die Preise, sie können runterrechnen und vergleichen, aber die Wiese



über die du nach dem Aufhängen dieses Störers deiner Ruhe gehst, die Wiese vor der Terasse und dem Lattenzaun, über den du kletterst, entlang des ersten kleinen Berges der Alpen, bevor es in die 1000er geht, mit ihrem Grün und ihrem Geruch und ihrer grandiosen Fülle, die so unter dem Schnee nicht zu ahnen war, als du zugesagt hast, diese surrealistisch überbordende Almwiese über dem See



der darunter liegt und sich verändert und neu erfindet, zwischen dem Schwarz des Morgens, dem Türkis des Mittags und dem gehämmerten Goldsilber des Abends, der in keinem Kaufvertrag steht und dennoch inclusive ist, das alles entzieht sich all den Mitteln zur Ertragsabschätzung und Profitberechnung, das alles ist einfach so da, es existiert und es existiert nur hier und für diesen einen Moment, und du würdest dich auch nicht gut fühlen, wenn du zumindest den Abglanz davon weitergibst daneben so ein Stück Werbung für Autoversicherung, SEO-Dienste oder drittklassige Viagraabzocker stünde.

Dienstag, 27. Mai 2008, 01:24, von donalphons | |comment

 
Ich geb's zu: Deine Bilder können mich immer wieder erfreuen "und aber auch" (Berti Vogts, 2001) ein wenig neidisch machen ... Kruzitürken, wenn ich dagegen hier so aus dem Fenster schaue ...

... link  


... comment
 
Ich lebe ja gerne in der Stadt, aber den Wert von Dingen, die man NICHT beziffern und einpacken und verpacken und verkaufen kann ... den habe ich auch mittlerweile zu schätzen gelernt. Ist manchmal schon seltsam, wenn man hin und wieder den Blick hebt und Dinge wahrnimmt, die "einfach so" existieren und nicht dem ständigen Druck ausgesetzt sind, doch jetzt endlich bitte Gewinn und wenn möglich noch mehr Gewinn abzuwerfen. Da will man den Blick gar nicht mehr senken :)

... link  


... comment