Feiern wie 1825
In Gmund auf dem Parkplatz standen zwei Männer vor einem Auto mit Berliner Kennzeichen.
"Oh, a Berlinah, den zind ma oh."
"Naaah, blos ned, sunsd fuidase dahoam und bleibd do."
Bayern, weltoffen und tolerant.
Daheim ist es dann so kalt, dass ich angezogen einschlafe und später eine Geschichte darüber schreiben werde. Die dicken Mauern sind Wärme- oder Kältespeicher, je nachdem, und in dieser Nacht strahlen sie arktisch. Ich behelfe mir mit körperlichen Tätigkeiten, Aufräumen, Putzen, Sortieren, was man halt so tut, wenn man sich bewegen will, und sonst nur ungern nach draussen geht. Kerzen sind das Kaminfeuer des kleinen Mannes.
Auf dem Rückweg vom Obsthändler - der ist zum Glück nur zwei Blocks entfernt - fällt dann ein Neuzugang im Briefkasten auf. Eine an jemanden anders adressierte Postkarte aus Thailand, bei der ich lange überlegen musste, wer zum Teufel in meinem Bekanntenkreis Yolo heisst - seien wir ehrlich, privat bin ich so reaktionär, da kommen die Postkarten meist auch noch per Sie - und ein Lieferschein. Zum Glück über einen Gegenstand, der beim Nachbarn abgegeben wurde, denn die Poststelle für die Innenstadt haben fantastische Kostenschneider inzwischen ausserhalb der Altstadt eingerichtet, ziemlich genau inmitten des grossen Staus an einer radfeindlichen Strasse. Und diesmal, das weiss ich, ist es etwas grösser. Nicht so gross wie ein Rad. Aber gross genug für den Platz über einer Kommode.
Das wird mit etwas Pech das letzte derartige Paket für dieses Jahr sein, denn während andere zumindest davon ausgehen können, dass die Preise bei Industrieprodukten gleich bleiben, weil Nachschub hergestellt wird, sieht bei unsereins die Lage ganz anders aus: Tendenziell steigt zum Jahresende das Interesse an Gegenständen, die nicht mehr hergestellt werden können. Gleichzeitig ist das aber auch nicht die Jahreszeit, in der so etwas besonders oft anfallen würde: Verkauft wird mehr im Frühling, wenn Wohnungen und Häuser neu eingerichtet werden. Anders kann ich mir die Preisentwicklung der letzten Wochen nicht erklären. Warum es dieses eine Mal noch geklappt hat? Ich weiss es auch nicht. Vielleicht, weil kein Rahmen dabei war, vielleicht, weil zu wenig Haut zu sehen ist, oder manche haben es einfach übersehen: Jedenfalls war alles Interessante um Quantensprünge teurer, als ich erwartet hatte. Aber diese Dame von 1825 war eigentlich recht günstig.
Und warum, wo ich doch keinen Platz mehr habe? Ich habe tatsächlich keine neuen Räumlichkeiten, aber was ich habe - und was mich letztlich verleitet hat - ist die Idee einer jahreszeitlich unterschiedlichen Hängung. Wobei diese spezielle Dame sogar eine Ausnahme ist und tatsächlich noch Platz findet, aber das ist nicht so wichtig; statt dessen werde ich Bilder umräumen, wie andere ihre Möbel umstellen. Im Sommer kommen dann die ganzen Nackerten an die Wände und im Winter die Hochgeschlossenen... so in etwa stelle ich mir das vor. Manche werden natürlich bleiben, Aber so kann ich dann Akzente setzen und ausserdem, falls mal konservativere Gäste kommen, es ihnen ersparen, unter "Faun zerrt Nymphe im Gebüsch! Tee trinken zu müssen. Das ist jetzt mal eine von den Anständigen, sogar mit Uhr an der Kette. Die war sicher kein Spass für ihre Angestellten.
Darunter wird der weitere Ausbau der Silbersammlung "leiden", aber obwohl die Briten heute mal wieder einsehen musste, dass gar nichts bergauf geht, und das Tal der Tränen bis hinter den Horizont reicht, obwohl das Land weiter in Bankenmeile und den Rest zerfallen wird, sind die Preise für Kannen immer noch unanständig hoch. Noch so ein Beispiel, wo die Nachfrage klein, aber preistreibend ist. Dann warte ich eben noch, ich habe schliesslich in den frühen Tagen der Krise genug erworben, und spare auf einen grossen Rokokobrocken - am Wochenende können wir dann nochmal die Richtigkeit meiner These überprüfen, während in den Geschenkverpackungen der Wert von iPhone und TV-Gerät Tag für Tag schrumpft.
Es gibt schon Gründe, warum an Aschentonnen Bilder angebracht werden, damit man keine alten Mobiltelefone hineinwirft. Es gibt gute Gründe, so etwas zu tun, aber hier sind klar die Schlechteren gemeint: Veralterung und der Wunsch nach Neuem. Bei Ölgemälden wird man das eher nicht befürchten müssen. Das Bild dürfte von 1825 sein, und kaum ein Gerät, vor dem wir zum 200. Jubiläum sitzen werden, wird noch zu jenen Tagen entstanden sein, da ich dies schreibe. Manche glauben, Zeit sei absolut. Das stimmt nicht. Nichts ist so relativ wie Zeit. Und wir sollten gut aufpassen, dass uns die Zeit behandelt, als seien wir ein Gemälde, und nicht wie ein Datentransfergerät.
"Oh, a Berlinah, den zind ma oh."
"Naaah, blos ned, sunsd fuidase dahoam und bleibd do."
Bayern, weltoffen und tolerant.
Daheim ist es dann so kalt, dass ich angezogen einschlafe und später eine Geschichte darüber schreiben werde. Die dicken Mauern sind Wärme- oder Kältespeicher, je nachdem, und in dieser Nacht strahlen sie arktisch. Ich behelfe mir mit körperlichen Tätigkeiten, Aufräumen, Putzen, Sortieren, was man halt so tut, wenn man sich bewegen will, und sonst nur ungern nach draussen geht. Kerzen sind das Kaminfeuer des kleinen Mannes.
Auf dem Rückweg vom Obsthändler - der ist zum Glück nur zwei Blocks entfernt - fällt dann ein Neuzugang im Briefkasten auf. Eine an jemanden anders adressierte Postkarte aus Thailand, bei der ich lange überlegen musste, wer zum Teufel in meinem Bekanntenkreis Yolo heisst - seien wir ehrlich, privat bin ich so reaktionär, da kommen die Postkarten meist auch noch per Sie - und ein Lieferschein. Zum Glück über einen Gegenstand, der beim Nachbarn abgegeben wurde, denn die Poststelle für die Innenstadt haben fantastische Kostenschneider inzwischen ausserhalb der Altstadt eingerichtet, ziemlich genau inmitten des grossen Staus an einer radfeindlichen Strasse. Und diesmal, das weiss ich, ist es etwas grösser. Nicht so gross wie ein Rad. Aber gross genug für den Platz über einer Kommode.
Das wird mit etwas Pech das letzte derartige Paket für dieses Jahr sein, denn während andere zumindest davon ausgehen können, dass die Preise bei Industrieprodukten gleich bleiben, weil Nachschub hergestellt wird, sieht bei unsereins die Lage ganz anders aus: Tendenziell steigt zum Jahresende das Interesse an Gegenständen, die nicht mehr hergestellt werden können. Gleichzeitig ist das aber auch nicht die Jahreszeit, in der so etwas besonders oft anfallen würde: Verkauft wird mehr im Frühling, wenn Wohnungen und Häuser neu eingerichtet werden. Anders kann ich mir die Preisentwicklung der letzten Wochen nicht erklären. Warum es dieses eine Mal noch geklappt hat? Ich weiss es auch nicht. Vielleicht, weil kein Rahmen dabei war, vielleicht, weil zu wenig Haut zu sehen ist, oder manche haben es einfach übersehen: Jedenfalls war alles Interessante um Quantensprünge teurer, als ich erwartet hatte. Aber diese Dame von 1825 war eigentlich recht günstig.
Und warum, wo ich doch keinen Platz mehr habe? Ich habe tatsächlich keine neuen Räumlichkeiten, aber was ich habe - und was mich letztlich verleitet hat - ist die Idee einer jahreszeitlich unterschiedlichen Hängung. Wobei diese spezielle Dame sogar eine Ausnahme ist und tatsächlich noch Platz findet, aber das ist nicht so wichtig; statt dessen werde ich Bilder umräumen, wie andere ihre Möbel umstellen. Im Sommer kommen dann die ganzen Nackerten an die Wände und im Winter die Hochgeschlossenen... so in etwa stelle ich mir das vor. Manche werden natürlich bleiben, Aber so kann ich dann Akzente setzen und ausserdem, falls mal konservativere Gäste kommen, es ihnen ersparen, unter "Faun zerrt Nymphe im Gebüsch! Tee trinken zu müssen. Das ist jetzt mal eine von den Anständigen, sogar mit Uhr an der Kette. Die war sicher kein Spass für ihre Angestellten.
Darunter wird der weitere Ausbau der Silbersammlung "leiden", aber obwohl die Briten heute mal wieder einsehen musste, dass gar nichts bergauf geht, und das Tal der Tränen bis hinter den Horizont reicht, obwohl das Land weiter in Bankenmeile und den Rest zerfallen wird, sind die Preise für Kannen immer noch unanständig hoch. Noch so ein Beispiel, wo die Nachfrage klein, aber preistreibend ist. Dann warte ich eben noch, ich habe schliesslich in den frühen Tagen der Krise genug erworben, und spare auf einen grossen Rokokobrocken - am Wochenende können wir dann nochmal die Richtigkeit meiner These überprüfen, während in den Geschenkverpackungen der Wert von iPhone und TV-Gerät Tag für Tag schrumpft.
Es gibt schon Gründe, warum an Aschentonnen Bilder angebracht werden, damit man keine alten Mobiltelefone hineinwirft. Es gibt gute Gründe, so etwas zu tun, aber hier sind klar die Schlechteren gemeint: Veralterung und der Wunsch nach Neuem. Bei Ölgemälden wird man das eher nicht befürchten müssen. Das Bild dürfte von 1825 sein, und kaum ein Gerät, vor dem wir zum 200. Jubiläum sitzen werden, wird noch zu jenen Tagen entstanden sein, da ich dies schreibe. Manche glauben, Zeit sei absolut. Das stimmt nicht. Nichts ist so relativ wie Zeit. Und wir sollten gut aufpassen, dass uns die Zeit behandelt, als seien wir ein Gemälde, und nicht wie ein Datentransfergerät.
donalphons, 11:45h
Dienstag, 4. Dezember 2012, 11:45, von donalphons |
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pade,
Freitag, 7. Dezember 2012, 20:22
Das Bild gefällt mir sehr gut, Glückwunsch!
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donalphons,
Freitag, 7. Dezember 2012, 21:37
Danke, ich mag es auch. Und es ist etwas Abwechslung zu all den dreisten Rokokösen.
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ilnonno,
Samstag, 8. Dezember 2012, 10:49
Eine indiskrete Frage habe ich: was sagen denn die Bilder zu den beschriebenen Feuchtigkeits- und Temperaturschwankungen in den Räumen bzw. an den Wänden? Meine Erfahrungen sind da nicht so gut.
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donalphons,
Samstag, 8. Dezember 2012, 10:59
Man darf nie etwas an Aussenwände hängen, und nie etwas im Edgeschoss, dann sollte es aber gehen. Die Schwankungen sind nicht so extrem, ich würde sagen zwischen 12 und 26 Grad. Im Prinzip herrscht hier das Klima, für das sie gemacht wurden.
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ilnonno,
Samstag, 8. Dezember 2012, 11:40
Danke für die Hinweise. Ja, meine Erfahrungen hängen tatsächlich mit dem Stichwort Erdgeschoss zusammen. Vielleicht sollte man da wirklich nur Vieh halten.
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savall,
Samstag, 8. Dezember 2012, 13:39
Bethsy Buddenbrook. :-)
Der Erhaltungszustand ist auf jeden Fall exzellent. Aber bei ihr möcht ich nicht Dienstbote gewesen sein. Die hat bestimmt die Zuckerstückchen in der Dose gezählt. Irgendwie fällt mir spontan das Stichwort "Pietismus" ein. Haben die schwarzen Handschuhe etwas zu bedeuten? Witwe vielleicht?
Der Erhaltungszustand ist auf jeden Fall exzellent. Aber bei ihr möcht ich nicht Dienstbote gewesen sein. Die hat bestimmt die Zuckerstückchen in der Dose gezählt. Irgendwie fällt mir spontan das Stichwort "Pietismus" ein. Haben die schwarzen Handschuhe etwas zu bedeuten? Witwe vielleicht?
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donalphons,
Samstag, 8. Dezember 2012, 13:46
Damals könnte man Zuckerdosen auch noch absperren, und die Kerzen hatten einen eigenen Schrankschubleden mit Schloss.
Das Bild muss in den letzten 10 Jahren mit neuer Firnus behandelt worden sein, ansonsten ist es gut grundieert und hat so absolut keine Risse, dass man fast an einen Öldruck denken könnte, bis man es im Schräglicht anschaut.
Das Bild muss in den letzten 10 Jahren mit neuer Firnus behandelt worden sein, ansonsten ist es gut grundieert und hat so absolut keine Risse, dass man fast an einen Öldruck denken könnte, bis man es im Schräglicht anschaut.
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savall,
Samstag, 8. Dezember 2012, 14:26
Holla! Wo hab ich denn da schwarze Handschuhe gesehen? Ich muß das Bild irgendwie gedanklich ergänzt haben. Strange. Vielleicht habe ich die Frau irgendwo schonmal gesehen. *grübel*
Edit: Weiß wieder! In der Wirth-Verfilmung der Buddenbrooks hatte Bethsy so ein schwarzes Kleid und so eine Frisur und schwarze Handschuhe. Uff!
Edit: Weiß wieder! In der Wirth-Verfilmung der Buddenbrooks hatte Bethsy so ein schwarzes Kleid und so eine Frisur und schwarze Handschuhe. Uff!
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