Wrapped

Als ich Wraps kennenlernte, war ich kein besonders glücklicher Mensch. Auf dem Papier war ich das, was die Szene um mich herum "erfolgreich" nannte. Erfolg wurde in Netzwerken, Einladungen, Jobs gemessen. Die New Economy hatte mich wie einen toten Delphin auf den Strand des exzellenten Lebens gespült. Ich hatte nichts dazu getan, mich aber auch nicht gewehrt. Alles war mir auf eine dumpfe, schmerzliche Art egal. Ich tat, was sie von mir wollten, ganz gleich wie falsch es war. Es gab damals kein Richtig.

Um mich war Dunkelheit und Niedergang. Meine Freunde fielen aus den Jobs, ihre Firmen klatschten in die Pleite, und bei den Jüngeren kam noch die übliche Orientierungslosigkeit dazu. Ein Mädchen verlor nach und nach den Halt am Arbeitsleben, zog sich zurück, hoffte nicht mehr, und verschwendete ihr Talent und ihre Begabung in langen Sommernachmittagen mit mir in einem kleinen Cafe in der Türkenstrasse. Über ihre Lippen kam pure Literatur, das Script zu Reality Bites Teil 2. Ich hatte als Hired Gun tagsüber viel Zeit zum zuhören, denn mein Arbeitstag begann damals erst mit Einbruch der Dunkelheit.

Sie nahm in der Regel einen Milchcafe und manchmal einen Muffin. Aber fast niemals einen Wrap. Die waren ihr zu teuer, und überhaupt. Sie fand sich zu dick. Und so gut sind die auch nicht. Wenn ich einen bestellte - was ich eigentlich jedesmal tat - wollte sie das Ding noch nicht mal kosten. Oder nur einmal einen kleinen Bissen. Nur auf gutes Zureden nam sie noch einen, behielt das Ding zufällig in der Hand, knabberte daran. Und weil das Gespräch hin zu den typischen leeren Träumen des Sommers 2000 wanderte, verschwand der Wrap in ihrer Hand beiläufig irgendwann, und bisweilen wollte sie dann auch einen haben, den ich ihr dann brachte.

Es war ein sehr verrückter Sommer, der durch seine bleierne Stille alle überraschte, die in den Jahren zuvor noch an den grenzenlosen Aufstieg geglaubt hatten. Manche krepierten sofort, andere brachen in blutigen Klumpen auseinander, viele waren äusserlich gesund und trugen die Ausrottung in sich. In diesem Sommer starb die Zuversicht, und sie starb beim ersten Anblick des Zweifels. Aber in diesen seltsamen Stunden im Cafe war ein Freiraum ohne zeitliche und räumliche Grenze, unschuldig und naiv, wie sich erst lange später zeigen sollten, als der gegenseitige Verrat alles zerstörte, was in diesem Sommer an eingebildetem Vertrauen und Nähe aufgebaut wurde, an einem kleinen dunklen Tisch mit einem Salat-Schafskäse-Wrap drauf.



Heute gab es sie wieder, bei einem offiziellen Empfang. Im Gegensatz zu den meisten meiner Freunde von damals bin ich noch immer im Geschäft und das, was man so landauf landab als erfolgreich bezeichnet - weil ich den Irrsinn der Jahre 2000/2001 nicht einfach vergessen, sondern zu einem Produkt gemacht habe. Don Alphonso, eine der wenigen Erfolgsgeschichten der New Economy, ein grausamer Treppenwitz der Geschichte für alle, die besser waren, zielstrebiger, und nach den gängigen Moralkriterien der Brokats und I-D Medias sauber gearbeitet haben, statt ihre Firma bei Dotcomtod zu verraten.

Ich bin nicht mehr in der Munich Area, sondern in der Hauptstadt. Es lässt sich nicht bestreiten, dass der Winter vorbei ist, und für the happy few wieder etwas mehr Essen aufgefahren wird. Aber es ist nicht mehr so wie 2000, dass man Wraps bei Gesprächen hübschen Mädchen essen kann, während draussen die Welt genau an der Grenze zwischen Hype und Downturn, zwischen Aufstieg und Vernichtung steht.

Es gibt noch das Essen, die Rezepte. Die Wraps haben es heute nebenbei auf die Platten der Ministerinnen, Staatssekretäre und Bundespräsidentengattinnen geschafft. Aber die Menschen, die damit etwas verbinden, sind nicht mehr das, was sie waren, und ihre Revolution, ihre Hoffnungen und Träume sind ausgelöscht.

Das Cafe, in dem ich damals war, hat schon den Herbst 2001 nicht überlebt.

Freitag, 5. März 2004, 21:39, von donalphons | |comment