: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 1. April 2004

Leid macht weich. Zu weich.

(langer Eintrag, sorry. Some don´t like that)

Ende der 80er war ich in Amerika. Was mir die Städte und das Land gründlich vermieste, war das Elend, das für einen Mitteleuropäer unglaubliche Elend in den Städten. So ähnlich geht es mir heute in Berlin, ich sehe all den Schmutz, das Leid und den Zerfall. Es gibt in Berlin keine Professorentöchter, die sich neckisch downdressen. Wer in Berlin arm aussieht, ist auch arm. 17% der Bewohner von Mitte beziehen Sozialhilfe.

Als ich vorgestern beruflich, freiwillig, unbedingt zum Luftholen nach den Berliner Wochen nach München fuhr, hielt ich kurz hinter der Stadt an einem Rastplatz an, um Cola für die lange Fahrt zu kaufen.Vor der Tanke sass ein Mädchen auf dem Rasen, dünn, kurze blonde Haare, leicht slawische Gesichtszüge, wie sie bei den Preussen üblich sind, mit einem Rucksack, und fragte mich, ob ich sie in Richtung Leipzig mitnehmen könnte. Ich fahre am liebsten allein, aber nach drei Wochen Elend, dem dauernden Ablehnen von Beiträgen und den traurigen Geschichten solcher Mädchen fehlte mir irgendwo die Kraft zum Lügen.

Sie machte sich auf dem Beifahrersitz ganz klein, spielte nur manchmal am Radio rum und summte bei Blumfeld mit. Sie wollte nicht glauben, dass man als Münchner Journalist nach Berlin versetzt werden kann, wo es doch keine Jobs gibt, wie die, die sie selbst auch nicht hat. Studieren macht sie auch nicht mehr. Es ist alles sehr schwer geworden in Berlin. Bis 2002 hatte sie Arbeit, erst bei einem Startup als Mädchen für alles, dann noch eine Weile in einer Bar, und jetzt weiss sie auch nicht, sie bewirbt sich für Praktikas, aber sie bräuchte eines mit Bezahlung, denn sonst ... ich sagte nicht viel, stopfte sie mit Tropi Frutti, und log viel von dem Blau herunter, das sich über uns im Himmel in die Unendlichkeit spannte - das wird schon wieder, spätestens 2005, oder so.

Ich fuhr dann noch den Umweg, um sie direkt in Leipzig abzusetzen, wo sie mir gerne ihre Handynummer gegeben hätte, aber ihres ist gerade kaputt, sagte sie, aber sie würde mich gern anrufen, wenn sie wieder in Berlin ist, und anschauen, wie das so in der Redaktion ist. Dann ging es weiter, immer nach Süden, über den Harz hinein in die Berge Frankens, wo die Luft sauber ist und die Häuser wie aus dem Bestellkatalog für Gemütlichkeitsprodukte sind.

Die kleinen namenlosen Opfer des Untergangs der New Economy, meine Opfer, wenn man so will, wenn ich daran denke, was ich 2 Leben vorher alles getan habe, diese Opfer waren unnötig und sinnlos. Niemand hat sich damals darüber Gedanken gemacht, es war nur ein fucking Spiel, Doomen mit Companies, wir glaubten, die Gefeuerten würden halt was anderes machen, aber als ich ausgestiegen bin, lag alles in Trümmern und alle Alternativen waren tot.

Im ersten Moment hatte ich damals genug eigene Probleme, ein verdammtes Netzwerk am Hals, ich war eine lebende Bombe und musste hoffen, dass es denen einfach zu riskant war, sich nochmal mit mir anzulegen. Nach einer Weile sprang mein Antrieb wieder an, und ich ging unbeschadet durch die Vernichtung, die ich zu verantworten hatte. Ich bin ein Gewinner der New Economy, I made my share, und die anderen Gewinner können längst wieder mit mir, aber nicht mit den Versagern, die Pleite sind, und die paar zigtausend zerstörten Bios, die am Ende des Massakers namens New Economy stehen, schreibt niemand auf.

Ich kam in München an. Es wurden zwei Tage voller Arbeit, Meetings, Unterhaltungen, Absprachen, und dann heute noch ein Pressetext für einen Freund, ich kann es noch immer, dieses rasen auf der Überholspur im Pulk mit den anderen, es reicht in München zu sein, und ich werde wieder der, der ich vor zwei Leben war. Man wird das nicht los, es steckt in einem drin wie ein ätzendes Gift, dieser New Economy Spirit.

Ist aber auch egal, denkt man sich nach den zwei Tagen, man muss wieder aufbauen, es muss wieder was entstehen, jede verlogene PM, jeder hingedrehte Quote, jedes Hoffnungsprojekt ist vielleicht doch wieder der Hauch, der die Glut wieder zu Feuer macht, und wenn wir erst mal wieder die Welt in Brand setzen, dann schaffen wir es diesmal vielleicht, die alten, verlogenen Säcke der Reaktion in Notwehr zu verbrennen, so wie sie uns seit 2001 auslöschen wollten. Dieses Mal dürfen wir keine Gefangenen machen, dürfen uns nicht belügen lassen von den Alt-68ern, die uns von hinten bekrochen und beim ersten Anzeichen der Krise fallen liessen. Nicht der Hype war der Fehler, sindern die mangelnde Konsequenz in der Umsetzung, und die falschen Freunde in unserem Rücken.



Das war der Stand der Dinge, als ich die Theresienstrasse runter ging. Das Odeon, wo ich das letzte Telefonat mit einer Frau hatte, die bald danach den falschen Cocktail, den definitiv falschen, letzten Cocktail nahm, und die nie erfahren wird, dass unser Dasein damals nicht die einzige Alternative war, auch wenn wir das damals genau so empfunden haben, dieses Odeon liegt schon um 14 Uhr im tiefen Schatten, und ist ausgestorben, eine leere Hülle, tot, zurecht tot, und es ist gut, dass es so leer ist, denn da drinnen geschah damals nichts Gutes. Bestenfalls, später, nach allem, noch ein paar ironische Nachklänge, Interviews am Originalschauplatz der einzigartigen Munich Area

Vielleicht ist das der richtige Moment, um Frieden zu machen. Es muss irgendwann Schluss sein, der Krieg ist vorbei, nur noch nicht in manchen Köpfen, aber es bringt nichts. Man muss sein eigenes Ding tun, Schlussstriche ziehen, und wer kämpfen will: Auch die Zukunft braucht Auseinandersetzungen. Aber hier ist nichts mehr zu gewinnen, das System von damals ist tot, aus, vorbei....



Und dann kommt, die Strasse weiter runter auf der rechten Seite, ein Süssigkeitengeschäft.Oder besser, es kam, bis vor ein paar Wochen. Jetzt ist es weg, Statt dessen expandiert dort der Japaner, der 2 Leben zuvor schon mal in mein Leben trat, mit einer astronomischen Rechnung, die damals in unseren Händen zur Waffe wurde.

Vor dem neuen Laden stehen zwei Typen wie früher, klassische Berateranzüge, so wie ich eigentlich auch, aber das dummdreiste Grinsen im Gesicht, das nur Idioten haben, die Schmerz und Leid nicht kennen wollen und immer irgendwie oben sind oder einen ihrer Clone finden, um sie wieder nach oben zu bringem, ganz gleich, was sie angerichtet haben. Im Vorbeigehen höre ich, wie sie über Spesenrechnungen reden. Einer hat das neue Monopol in der Hand.

Es gab so viele Opfer. Aber ausgerechnet dieser Menschenschlag hat irgendwo überlebt. Der Krieg in den Areas muss weitergehen.

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Unter Null

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Thomas Hettche war fünf Jahre Jury-Mitglied beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt.

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Crash mit Golf in der Choriner Strasse (Mitte)

Menu bei Monopol: Themen geht nicht. Autoren geht nicht. Fotografen geht nicht. Archive gehen nicht. Das ist schlecht, am Erstverkaufstag.

Aktuell: Begeisterung bei der Werbeagentur. Wann hat man schon einmal die Chance von Null zu starten? Eine Marke von Anfang an mit aufzubauen und einem Produkt Glaubwürdigkeit zu verleihen, indem man ein zentrales Thema in unterschiedlichen Kommunikationskanälen verschiedenartig interpretiert?“ (Stefan Schmidt, Executive Creative Director TBWA\)

Sonst nichts bei Aktuell. Typisch für Berliner ökonomische Seiten: Sie haben eine Idee, sie glauben an einen Markt, sie brauchen keine Kunden, erst mal, oder so. Die Geschichte wiederholt sich nicht. Sie verläuft in Spiralen.

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