Nachzeit

Ich wollte bis Samstag bleiben, denn bis dahin hatte ich gebucht. Dann bekam ich das Angebot, ein Zimmer zu mieten, für das man eine Empfehlung braucht, weil die Signora nicht jeden nimmt. Ich sagte, ich bliebe bis Mittwoch Morgen. Dann bis Freitag. Und gerade eben habe ich noch bis Sonntag verlängert. Für die Signora geht das in Ordnung, ich bin ein Gast, wie man sich ihn wünscht, höflich, sauber, still, am Morgen vor dem Rechner und ab Mittag bis Mitternacht unterwegs. Und so ziehen die Tage gleichmässig dahin, um zehn Uhr bekomme ich mein Wasser für den Tee, um elf wird das wenige gemacht, was im Zimmer zu machen ist, um ein Uhr verlasse ich das Haus, egal bei welchem Wetter, ich weiss schon, wo ich hin muss, damit es nicht regnet. Ich kenne die Wolken hier und den Wind und ihre Bedeutung.



Es gibt Tage, da sage ich sehr wenig, und andere, da rede ich fast zu viel. Das hängt ganz von den Leuten ab, die ich treffe, oder die vorbeikommen. Aber es ist nicht wichtig. Ich überfliege ein paar Mails und wundere mich ein wenig über die Hektik, die da herrscht, und es ist mir inzwischen egal, ob ich an einen Netzanschluss komme, oder nicht. Irgendwo da im Norden muss Deutschland sein, aber es kommt hier nur sehr gedämpft an. Es ist Anfang Mai am Gardasee, die Horden der Brückentage sind wieder verschwunden, alles ist leer, und das ist gut so. In ein paar Wochen wird das alles ganz anders sein, dann ist Pfingsten und die Massen fallen ein. Bis dahin gibt es hier nichts von Bedeutung. Ohne dass mir etwas fehlen würde.

Eine Bekannte fragte mich gestern bei einer russischen Torte in Verona, ob ich denn hierher ziehen würde. Das ist so eine Frage - wenn man russische Torte in Verona isst und gute Torten mag, sagt man tendenziell eher nein. Die italienische Tortenkunst ist aber auch einer der wenigen Gründe, die dagegen sprechen. Man muss sich das mal vorstellen: Verona muss eine russische (!) Torte kopieren, um eine eigene Spezialität hervorzubringen. Wie mies ist das denn bitte. Wobei, Opel baut ja auch Autos, die wie drittklassige Kopien amerikanischer Kleinwägen aussehen. Meine Bekannte jedenfalls stammt aus Frankreich und hat schon in Paris, Dijon, Düsseldorf, München, Algerien, Rom und Neapel gewohnt, bevor es sie nach Verona verschlagen hat - und wenn sie könnte, würde sie zurück nach Dijon, dem Ort ihrer Kindheit gehen. Ich kenne Dijon ganz gut, und ich frage mich, wie man sie nach den 20 Jahren Italien dort empfangen würde, so laut, wie sie italienisch und durcheinander bei Bedarf englich, deutsch und französisch kräht, mit ihrer vollkommen italienischen Gestik und all den Unarten und Oberflächlichkeiten, die man sich hier unten schneller aneignet, als einem selbst bewusst ist. In Deutschland fände ich es vielleicht seltsam, wenn jemand, ohne meine Antwort abzuwarten, aufspränge und zu einer Freundin liefe, die gerade des Weges kommt. Hier ist es... es ist eben so.



Und obwohl die Fassade hier so laut und bewegt ist, trotz all der Geschichten am Wegesrand und der Eindrücke, die an jeder Ecke auf den Kundigen warten: Es geschieht nichts. Mein Italien ist ein Land des totalen Stillstandes. Es ist schwer zu erklären, aber ohne den Blick auf die Metadaten der Photos weiss ich nicht mal mehr, welcher Tag heute ist. Es könnte noch Monate so weiter gehen, es fehlt hier an nichts, und ob der See sonnenüberflutet ist, diesig oder regenverhangen, oder ob der Vento die Wellen peitscht, dass die Schwalben in ihrem rasenden Flug vor meinem Fenster in der Luft still stehen, ist mir gleichgültig, solange der See nur da ist und vor meinem Fenster liegt.

Freitag, 4. Mai 2007, 17:22, von donalphons | |comment

 
halb OT: Bei Gelegenheit wäre ein Bild von der russischen Torte 'mal nett. Ich kenne die nämlich nicht, vermute aber, dass es ein alkoholisiertes Buttercrememonster ist.

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Mit viel trockenem Teig aussen rum, dass man sie ohne einen Liter Tee nicht runter bekommt.

Aber sowas bekommt hier kein Bild.

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Das Foto oben erinnerte mich unwillkürlich und blitzhaft an Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer".
Ich ging dem nach und fand beispielsweise, daß die Farben identisch sind - nicht die einzige Übereinstimmung, aber die verblüffendste.
Je länger ich die beiden Bilder nebeneinander halte, um so mehr erscheint das Foto wie ein Wiederklang dessen, was im Gemälde seinen Ausdruck findet.
Dieser Gehalt ist jedoch durch die Zeit gegangen. Das Auftreten des Subjekts hat sich um eine Nuance verändert. Das Subjekt ist noch mehr zurückgenommen in Form einer Steigerung des kontemplativen Moments.


Wer es nicht anderweitig greifen kann, findet es hier:

http://www.art-perfect.de/cdf.jpg

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Ach, Herr Geheimrat, Regentropfen,
Sie wissen gar nicht, wie gern man auf der anderen Seite der Alpen solche Regentropfen nicht nur auf Bildern sehen würde. Das Land verdorrt, die Bauern ziehn verzweifelt über die ausgebrannten Äcker und nicht nur der Mais, zu früh herausgelockt, verfault auf halber Höhe. Aber das soll Sie jetzt nicht bekümmern. Gehaben Sie sich wohl für den ich hoffe doch erholsamen Rest Ihrer italienischen Reise.
gez. Frau von Stein, hach.

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Eben
Treffender hätt ich auch nicht verlinken können. Hach, mein Taschentuch bitte, Luise, diese Erinnerungen dauernd

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Aaaaahhhhhhh
Ich liebe es, gebildete Leser zu haben. Danke, mille grazie.

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Ja mei,
wissenS schon, München halt. Die junge Dame mit dem Fensterbild kommt ja auch da her, wo die Isar immer durch fließt. Mir können das halt, weil wir das gelernt haben wie das geht, diese Bildung und so Zeug. Und jetzt machens aber bitte das Fenster zu, wo Sie vielleicht stehn, sonst verkühülenS eahna no. Wiederschaun

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Falls Sie weiterhin...
jeden Tag solche Texte und Photos und deren Pendant auf gtblog.de veröffentlichen, kann ich wirklich nur sagen
bitte kommen Sie nie mehr zurück

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@hajommitmajo: Machen Sie bitte im nächsten Kommentar klar, auf wen oder was Sie sich beziehen.

Im ersten Moment dachte ich, Ihre Aufforderung ist gegen mich gerichtet. Erst mit Blick auf den von Ihnen vorgestellten gtblog.de wurde mir klar, dass ich keinen Grund habe, auf Sie wütend zu sein.
Eine andere Möglichkeit, solche dummen Missverständnisse zu vermeiden wäre, sich nicht unter den gerade letzten Kommentar zu hängen, sondern direkt unter dem Beitrag reinzuhauen. Wenn Sie das tun würden, wäre dann auch sofort klar, auf wen oder was Sie sich beziehen.

Ich sage Ihnen das übrigens nur, weil ich zu cholerischen Anfällen neige und kurz davor war, Sie ganz schlimm zu beleidigen und mich mit dieser Erklärung sozusagen von der Palme jetzt eigenhändig wieder runterhole, auf die Sie mich sozusagen irrtümlich gebracht haben.

Nebenbei: Ob Sie mit Ihrem Kommentar richtig liegen, weiß ich natürlich nicht.
Das müssen Sie mit demjenigen klären, der für "solche Texte, Photos und deren Pendant" – was immer das in Deutsch oder für Sie persönlich heißen mag – verantwortlich ist.
Oder er mit Ihnen.
Je nachdem.
Das geht mich nichts an.
Und jetzt bin ich auch schon wieder ganz ruhig.
Und weg

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wtf?
sonst alles ok?

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Anscheinend nicht.

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Dürfen Sie Ratschläge annehmen im Urlaub?
Meiner wäre der: Rühren sie sich bitte nicht von der Stelle, bleiben Sie, wo Sie sind. Und das vielleicht bis Juni?
Und schreiben Sie weiterhin solche Berichte vom Gardasee, dass das Herz vor Sehnsucht brennt. Dann ist alles gut.

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Ich komme morgen wieder. Ich habe auch noch eine Heimat. Und Menschen. Aber keine zwei Wochen spaeter bin ich wieder da :-)

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Auch gut :-)

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