: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 14. Oktober 2005

Tritt in die Eier

Ups, meine Kollegen mögen den Literaturnobelpreisträger nicht. Zumindest die meisten. Pinter und ganz besonders seine Herkunft ist etwas, mit dem die Cordanzugträger aus den Fäuletons nicht können. Und mutmasslich ein grosser Teil der Leserschaft auch nicht, dessen Weltsicht sie jeden Tag mit neuen Hirnficks vollspritzen. Der Clash der sich besser wähnenden Familien mit Thatchers Verlierern und all den unschönen Begleiterscheinungen der Realpolitik it nicht so ihr Ding. Keine Hochkultur, vielleicht sogar - Unterhaltung, pfui.

Und da ist noch was. Zwischen dem Literaturnobelpreisträger Pinter und ihrem absoluten Lieblingshassobjekt, dem Nicht-Friedensnobelpreisträger Schröder gibt es zu viele Parallelel. Dieser unfeine Populismus zum Beispiel, mit dem Pinter auch jenseits des heissgeliebten, blutarmen Subvebtionstheaters ankommt. Die Ehrlichkeit, was die eigene Herkunft angeht. Fäuletonisten sind in der Regel krankhaft darauf bedacht, ihren Lebenslauf zu frisieren, von der jüdischen Grossmutter über den angeheirateten Ostelbieradel mit Waffen-SS-Erfahrung bis zum möglichen Fickverhältnis des Urururopas mit Cosima ist da so ziemlich alles zu finden. Schliesslich wollen sie dazugehören, zur Zielgruppe, die solche Lügen schon etwas länger perfektioniert hat. Pinter und Schröder passen da gar nicht. Und dann ist Pinter noch nicht mal diese Popkultur, an die man die Volontäre ranlässt.

Das stinkende, verfaulte Kadaver des Fäuletons, das ohne Zuschüsse der Sport- und Wirtschaftsteile keine Seite mehr in der heutigen Tagespresse hätte, zuckt parfümiert in Abscheu vor dem Schweiss, dem Blut, dem Sperma der Pinterschen Theaterstücke. Nennt ihn demode, weil er sozialen Anspruch hat. Und auf Ehrungen der Königin, der Königin! DER KÖNIGIN! pfeift, bei der sie alles drum geben würden, 40 Seiten Sonderbericht, wenn sie nur mal die georgianischen Spucknäpfe von Buckingham ausschlürfen dürften.

Na dann Prost. God save Pinter.

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Sonntag, 9. Oktober 2005

Nüsse

Vom Küchentisch aus hatte ich in etwa den gleichen Blick, den ich jetzt auch habe, über die Schule hinweg zum gotischen Dom und dem Kollegium. Nur ein Stockwerk tiefer. Da sass ich am Tisch mit den grünen Beinen und der weissen Platte, trank Zucker mit etwas Tee aus einer orangen Tasse und brabbelte etwas vor mich hin, ohne zu ahnen, was ich bewirkt hatte. Denn sieben Jahre zuvor standen meine Eltern vor einem Waffengeschäft, sahen sich Pistolen an, und überlegten sich, wie es damals unter jungen Leuten der besseren Familien üblich war, ob eine Anschaffung derselben und ein Niederschiessen eines gewissen bayerischen Politikers nicht das Gebot der Stunde sei. Aber dann machte mein Vater meiner Mutter einen - der Zeit entsprechend - coolen, Bürgerlichkeit verachtenden Heiratsantrag, weshalb besagter Politiker und ich das gleiche Erdenrund bevölkern durften.

Weil alles so schnell gegangen war, zogen sie in die Wohnung im Stammhaus, und merkten schnell, dass so eine Wohnung weit oben für Kinder nichts war - mir machte das Rumturnen am Fenster 12 Meter über der Strasse und das Runterkugeln über die steile Treppe, an deren Ende ich mit einem lauten Rumps an die Tür meiner Grossmutter knallte und von der schwer geschockten Frau Süssigkeiten einfordert, höllisch Spass. Aber einmal hatte meine Mutter meine Klettereien am Fensterrahmen beobachtet, und seitdem sassen sie und mein Vater jeden Morgen über der Zeitung und strichen darin was an.

An einem Wochenende griff mein Vater zu Telefon, wir Kinder mussten das Frühstücksgemetzel mit im Wortsinn aufgeschlagenen Eiern beenden, und dann ging es mit dem grossen, dunkelblauen BMW hinaus aus der Stadt zu einem mittelgrossen Haus, das zu verkaufen war. Meine Mutter lief durch den grossen Garten, mein Vater sah die soliden Wände, gemeinsam begutachteten sie die Nachbarschaft, in der damals das gehobene Bürgertum lebte, und wenig später war das süsse Leben über den Dächern der Altstadt für zwei Jahrzehnte vorbei. Wir zogen, wie fast alle jungen Familien, in die grüne Vorstadt. Ich bekam eine Schaukel, von der man aus bis zu 2,5 Meter Höhe springen konnte, ein ähnlich hohes Holzhaus, und wenn es wirklich nicht zum Knochenbruch reichte, war die Absprunghöhe dank Nussbaum praktisch unbegrenzt erweiterbar. Ein Wunder, dass bei diesen Betätigungen jeweils nur die präzise angeflogenen Tulpen zu Bruch gingen.



Wenige Jahre später stellte sich heraus, dass die Gegend wohl nicht mehr lang allzu vorteilhaft sein würde. Die umliegenden Äcker, die wir mit Bonanzarädern umpflügten, wurden gesperrt, und darauf Blocks errichtet. Es gab nur noch wenige repräsentative Neubauten, statt dessen entstanden weiter hinten Reihnhäuser. Der Westen der Stadt hatte sich als kommendes besseres Viertel gegen den Nordosten durchgesetzt, und so zogen wir wieder um - diesmal in ein nach den Vorstellungen meiner Eltern errichtetes Haus, dessen Planung berücksichtigte, dass zumindest ein Kind mal die riesige Einliegerwohnung beziehen würde - so dachte man Ende der 70er Jahre.

Das kleine Haus wurde an eine geschiedene Tochter einer Bekannten meiner Eltern vermietet, die bis heute darin wohnt. Was nicht ganz selbstverständlich ist. Denn der Boom der Stadt und der Landverbrauch haben längst alle stadtnahen Bereiche aufgefressen. Und so erinnert man sich an die kleinen Häuser der 60er Jahre mit ihren riesigen Gärten, die nicht weit von der restaurierten, längst wieder bevorzugten Altstadt entfernt sind. Bauträger werden vorstellig und bieten viel Geld für den Grund. Auf 1200 Quadratmeter, in denen ein kleines Haus in der Mitte steht, bringen sie locker drei Vierfamilienhäuser im Toskanastil unter. Das Geld überzeugt. Und dem ehemals stillen Viertel werden jetzt Schneisen geschlagen für die immer gleichen Loggiahäuser, mit flachen Dächern und Winzgärten im Erdgeschoss.

Da, wo der Nussbaum steht, könnte eines dieser Gebäude errichtet werden, davor und dahinter nochmal eines. 12 Kleinstfamilien könnten hier in Pastell und Babyblau und gefälschter Romantik übereinader leben, getrennt durch Rigipswände und für Preise, die im Vergleich zum Istzusand jedem Neoliberalen einen abgehen lassen würde. Das ist die Zukunft, so optimiert man Gewinne, immer nur weg mit dem alten Scheiss, die Mieter wollen das Neue, das stylische, und wenn es nach 20 Jahren nicht mehr hip ist, ist das Gebäude ohnehin nichts mehr wert, dann kommt ein neues Renditeobjekt hin. Gerade Erben sind für solche Argumente empfänglich, weshalb heute die Toskanapest das Viertel in einem Masse verändert, wie es die paar Blocks Ende der 70er nie geschafft haben.



In Bayern gibt es ein schönes Wort: Profitlich. Es ist eindeutig negativ belegt, wer profitlich ist, gilt als nicht gesellschaftsfähig, er ist zu gierig, zu geldgeil, er hat nur seine Interessen im Auge, und man darf von ihm einiges Schlechte erwarten. Mit profitlichen Leuten macht man koa Gschäft. Es hat, wenn man eine Weile in der Munich Area war und so viel mit Revenue, Loss, Profit und Enhancement zu tun hatte, einen schönen Klang, dieses profitlich. Es ist ein altbayerisches Nein gegen das hier und heute, das von oben, von der Staatsregierung, von den Bankern und Immobilienspezialisten aufoktroiert wird, gegen das Globalisierungsgefasel, und vielleicht auch einer der Gründe, warum die CSU die Bundestagswahl verloren hat.

Denn in der CSU sind Leute am Drücker, die ganau dieses Entdärmen der Heimat, des Gewohnten, dessen, was den Menschen hier entspricht, mit aller Kraft fördern. Weil sie selbst davon profitieren, die Banken werden reich, und die Sparkassen an den Rathausplätzen grauenvoll geschmacklos. Die drohende Zukunft ist geschichtsvergessend, arrogant gegenüber der Herkunft und illusionistisch, nach Toskana deutet sich schon eine Hinwendung zu einem neuen Historismus an, dann gibt es eben wieder Rundtürme statt Rundfenster. Da drin lebt man sowieso nur noch auf Zeit, man ist ja mobil und was nicht in den LKW passt, wird weggeschmissen.

Einmal im Jahr bringt die Mieterin einen Eimer voller Nüsse. Das ist ein nichtschriftlicher Teil des Mietvertrags. Diese Nüsse sind etwas, das die "liberalen" Arschgeigen in Politik, Medien und Blogs nie begreifen werden: Sie sind Symbol für den Luxus, ihre Moderne und die versprochene 600%-Steigerung des Profits einfach nicht mitzumachen. Es ist gut so, wie es ist. Ich mag die Nüsse von diesem Baum, selbst wenn ich dagegen allergisch bin. Ich mag sie anfassen, und sie in einer Silberschale rumliegen lassen. Und ich mag die Magengeschwüre, die diese Dreckschweine bekommen, wenn sie daran denken, was diese Nüsse für einen Schaden für ihre Traumvorstellungen einer auf Profit getrimmten Wirtschaftsdiktatur anrichten.

Letzte Woche, als diese Bilder entstanden, hat zumindest einer von denen erkennbar die ersten Schritte in Richtung Magenkrebs gemacht. Wegen der Nüsse? hat er gefragt, nach meiner Antwort auf seine Bemerkung, es gäbe wohl keinen Grund, es nicht zu verkaufen, und da sah ich in seinen Augen schon die ersten gnädigen Metastasen. Ich weiss nicht, ob die Welt Menschen braucht, die die Welt nur durch eine Excel-Tabelle begreifen. Und die Hausbesitzer profitlich auf der Strasse anquatschen.

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Samstag, 8. Oktober 2005

12.55 Uhr

Schulschluss - Die Tochter wird von Frau Mama ins Wochenende abgeholt.



Für einen nie geschriebenen Photoband über den Niedergang und das Ende der besseren Bürgerfamilien zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

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Sonntag, 21. August 2005

Besitzstand

Sie haben sich ganz gut eingerichtet. Und jammern auf hohem Niveau. Es ist alles so ungerecht, das mit der Reduktion. Ihre Arbeit ist schliesslich wichtig, auch wenn sie für 98% der Bevölkerung keine Rolle spielt, und sie auch kein Interesse haben, mehr als die restlichen 2% zu erreichen. Das ist halt so. Das ist ihr verfassungsgemässer Auftrag. Oder wollen wir da draussen nur noch RTL-II-Qualität?

Schlimm ist es nur für die Jüngeren, die kündbar sind, und nicht bei der Stiftungsmafia, die den Posten garantiert. Die haben natürlich ein Problem. Aber ansonsten wird man schon überleben, bei Minireformen mit etwas Kosmetik. Passiert sowieso nur alle 20 Jahre. Nebenbei macht man halt noch was anderes, was dann von den sich darauf gleichgeschaltenden Kollegen als Thema verwurstet wird. Einen Kongress vielleicht, ein paar Texte für das Magazin einer Kulturstiftung, ein paar Panels. Oder ein Buch, das ein Must-Read der anderen Kulturapparatschiks ist. So lässt es sich leben, so kann man sogar das Frühaufstehen aushalten, und wenn es andere nicht so schnell schaffen, telefoniert man eben noch eine halbe Stunde auf Firmenrechnung mit der Freundin, die man zu Mittag trifft, um ein relevantes Thema zu besprechen.



Das Neue, das stört nur. Auch das Internet, naja, das taugt nicht wirklich, und als sie vor dem Weg in die Institutionen ein paar Friseurtermine hatten, waren sie Punks und haben Fanzines gemacht. Sie mussten dann auch kaum umdenken, denn irgendein Nischendings haben sie dann eben besetzt, und wenn es nur Metakulturkultur ist, Hauptsache der Intendant, der Chefredakteur, der Hauptabteilungsleiter kann damit brillieren. Wer das nicht schafft, betreut eben Volksmusik, oder die Quotenkritik an der real existierenden Gesellschaft, aber bitte immer mit der Absicherung, die der Kollege von der Wirtschaft für den Rest der Menschen abschaffen will.

Recht hat er, das sind sicher die Vollprolls, die von den 98%, sowas hat die Kultur noch immer überlebt, um die zu füttern, die ihre Bedeutung herausstellen. Nach Vorschrift, und wenn man auch mal 2 Tage den Katholischen auf Befehl bekommen muss, aber mehr Dreck ist da auch nicht, als auf den Parties, wo sie als Punks und Spontis waren.

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Freitag, 29. Juli 2005

Wie übersetzt man ein "Herz"?

Ich persönlich gehöre ja zu den Leuten, die nicht an diese seltsame Einteilung an junge, hippe, internetaffine, mobile Mehrsprachler mit viel Zukunft und dumme, alte, netzlosesesshafte Dielaktsprecher ohne Chancen glauben. Das heisst, ich glaube schon, dass es diese Gruppen gibt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Frage ihrer Zukunft nur von ihren am Strassenrand zum PR-Puff verhungernden Gossenjournalisten zwischen SPON über Brand1 zu Junge Karriere so gesehen wird. In der Not malt man sich bekanntlich die schönsten Phantasien aus, kurz vor dem Verdursten kommt die Fata Morgana gleich doppelt so gut.

Vor ein paar Tagen nun brachte jemand aus dem - heute würde man sagen - Old-Boys-Network meines Vaters ein paar Opernkarten vorbei, die es eigentlich nicht gab, und wollte wissen, ob ich mich denn mit Notebooks auskennen würde, es sollte gut und zuverlässig sein und zumindest ein paar Jahre halten. Wir sprachen auch über so Dinge wie WLAN und ob er von verschiedenen Orten aus arbeiten wollte. Nein, meinte er, er braucht ihn nur im Arbeitszimmer. Ob dann nicht vielleicht ein Desktop die bessere Alternative wäre? Nein, meinte er, so einen Kasten kann man nicht wegräumen, er will nicht, dass so ein Ding einfach rumsteht. Er ist einer von denen, die ein paar Tausend in der goldenen Geldklammer mit sich rumtragen. Und einer von denen, bei denen keiner eine abfällige Bemerkung darüber machen würde. Man will ja nicht emigrieren müssen.

So ist das hier. Und wenn dann man ein Film kommt, in die kleine Stadt, die formal eine kleine Grossstadt ist, und der Filmname hat in der Mitte ein Herz, was nach meinem Wissen für Love steht - dann sieht die Schrift über dem Kino so aus:



Formal richtig, nach Weltmassstäben faktisch falsch, aber was geht die Provinz die grosse weite Welt da draussen an, solange die paar Weltmarktführer der Region dort so viel Geld einsacken, dass sich sogar die Malerinnung eine eigene Galerie leisten kann, in der dann die Malermeistersgattinnen ihre Bilder ausstellen. Und an die Honoratioren verkaufen. Verkaufen ist das, was heute bisweilen unter "kooperieren" läuft, wobei beim verkaufen mutmasslich mehr Geld den Besitzer wechselt.

Ohne Internet, natürlich. Bei einem provinziellen Sekt badischer Produktion.

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Dienstag, 28. Juni 2005

Ein Schild und seine Geschichte

Nach so vielen Dirt Pics und Photos von gescheiterten Fond-Immobilien hier mal ein Bild, das so oder ähnlich wahrscheinlich nur wenige Leser in Realität gesehen haben dürften:



Das ist kein Druckfehler, kein Photoshop, sondern nur eine nicht atypischer Erscheinung bei gewissen Modehäusern einer kleinen Boomtown - wer mehr wissen will, warum und wieso, einfach auf´s Bild klicken.

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Donnerstag, 16. Juni 2005

Dubai sein

Es ist schon hart. Das mit der finanziellen Situation, in dieser Stadt. Hat auch der Bürgermeister gesagt. Sparen muss sein, denn so viel Geld ist auch nicht mehr da. Die Stadt jedenfalls setzt auf die Eigeninitiative der Bürger. Die sollen es richten. Das mag der Bürger natürlich auch nicht hören, obwohl sein Steuerberater letztes Jahr wirklich sein Geld wert war. Spitzensteuersatz, was soll das sein. Ein Gerücht, solang es noch Verlustzuschreibungen gibt, und - ähem - Sache, die das Finanzamt nichts angehen. Die sollen ruhig mal die Ledercouch im Wohnzimmer als Büroeinrichtung berücksichtigen, für ihr Geld.

Leicht grantig geht er über den penibel gereinigten Platz in Richtung seines Autos. Natürlich werden sie jetzt Rot-Grün zum Teufel hauen, aber so richtig gut ist das hier auch nicht mehr. Bei den Benzinpreisen überlegt man es sich, ob man für ein Mittagessen nach Salzburg fährt. Und dass er bald für seine Tochter wird Studiengebühren zahlen müssen, passt ihm auch nicht. Da kann er sie gleich nach Amerika schicken, das hat mehr Zukunft. Hier geht alles den Bach runter, in 20 Jahren, da hat der wütende junge Mann schon recht gehabt, sieht das hier aus wie Hintersachsen, überall diese Grattler aus der Shopping Mall, das ist nicht mehr seine Stadt.

Weg müsste man, in Ruhe das hart erarbeitete Vermögen geniessen. Aber Mallorca, wo die Giancretinos hingezogen sind, ist ihm zu jung, all die zugekoksten Nackerten, das will er nicht. Er will was, wo die Leute anständig sind, aber sogar in Sizilien ist inzwischen das linke Pack, der Doktor Vialerosso, der dreckade Sozi, ist da hin und sein Baracklerweib macht so Kunstakademien. Thailand kommt nicht in Frage, er mag ja nicht ersaufen. Er kommt an der Raiffeisen-Bank vorbei und schaut auf die Immobilienangebote - und da ist das, was er sucht:



Dubai. Die haben noch richtige Sitten. Und von dem Palm Island hat er auch schon mal im Focus gelesen - und was kostet das? Nur knapp 300.000? Ah so, Anfangspreis... aber für 600.000, da müsste man schon was Ordentliches bekommen, das hätte er grade flüssig, aber nicht hier. Oha, keine Steuern in Dubai, die werden auch nicht fragen, wenn das Geld aus der Schweiz kommt. Und wenn er dann in zwei Jahren in Rente geht, kann er sich ja dort niederlassen.

Das wäre dann doch was, denn das hier, das geht nicht mehr lang gut. In 10 Jahren gibt es garantiert nicht mehr bei jeder kleinen Raiffeisen-Filiale seiner kleinen Stadt solche Angebote, sondern nur noch Grattlerwohnungen. Gleich morgen mal mit Luisa besprechen, das wär´s, dabei sein in Dubai...

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Sonntag, 22. Mai 2005

Zombies on a deadroad Track

Gegen 11 Uhr tauchte in Schöneberg dieser signalgrüne 911er Targa im Rückspiegel auf. Recht dynamisch gefaghren, um nicht zu sagen, brutal. An der Ampel pastte vielleicht ein plattgefahrener Frosch zwischen seine Stossstange und mein Heck. Und dann diese Spielerei mit dem Gasfuss...

Er sah aus, wie Jean Paul Belmondo mit 90 aussehen wird, wenn er Pocken und eine Schlägerei mit einem dutzend Halbstarken hatte. Zerknautschtes Gesicht, garantiert falsch dunkelblond, Zigarette im Mundwinkel. Sie hatte die Frisur nach ihrem eigenen Vorbild Anno 66 machen lassen, und sah ansonsten aus wie eine vertrocknete Leiche eines zugekifften Beat Girl, das zugedröhnt im Abluftschacht einer Disco verendet ist und gerade auf dem letzten Weg ist. Der Motor des 911ers klang richtig schlecht, die Karre hatte ein paar Beulen und Rostflecken.

Kaum war die Ampel auf Grün, zogen sie rechts vorbei, Richtung Westen. Irgendwo dort hinten muss der Eingang zur Hölle sein.

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Mittwoch, 4. Mai 2005

They hired a contract shopper

Du fühlst dich etwas schmutzig, als du deinen verdreckten Punto hinter dem blitzsauberen, lindgrünen Mercedes abstellst. Keine gute Vorraussetzung, denn da drinnen musst du der ordentliche Sohn aus besserem Haus sein, der täglich zweimal duscht und gepflegte Fingernägel hat. Nicht, dass du nicht darauf achtest; es ist dir in Fleisch und Blut übergagangen, aber der lindgrüne Mercedes verheisst gesteigerte Ansprüche. Da drinnen krachen gerade geballte Repräsentationswünsche aufeinander. Frau P., die schon immer, seit du sie kennst, lindgrüne Mercedes-Limousinen fährt, wird die nötigen Assets an ihrem Körper mitgeschleift haben, und deine Eltern sind auf solche Überfallkommandos der besseren Gesellschaft eingestellt.

Es ist nicht so, dass sie nicht auch schon früher aus mehreren Geschirren hätten auswählen können. Aber das hat sich dank deiner Einkäufe in Berlin und der Neigung deiner Frau Mama geändert, diese Dinge, die sie eigentlich gar nicht braucht, dann nach zwei Wochen dringenst zu benötigen. Das geht dann so: *bimmelbimmel* - "Mein mittelgrosser Pastetenheber. Alphonso, ich brauche den jetzt." "Frau Mama, Sie sagten aber, ich könnte den wieder mitnehmen..." "Wirklich, Alphonso." "Frau Mama, Sie haben doch auch den grossen Pastetenheber." "Ja, aber mit dem beschäme ich Frau K., der ist zu protzig." Nur falls sich jemand mal wundern sollte, warum du nur zwei mickrige Pastetenheber besitzt. Für die Frau P.s dieser kleinstädtischen Welt stehen jetzt immer zwei grosse Tabletts voller notwendiger Waffen bereit, und die Abwehrfront steht meistens, noch bevor sich der Besuch gebührend über das Wasserspiel vor der Terasse äussern kann.

Tatsächlich plätschert ein wenig Wasser über den arabesken Steinbrocken, und daneben sitzen sie vor Damast, Silber und Porzellan und tauschen sich über die Neuigkeiten des Provinzdaseins aus. Du gibst artig die Hand, mit angedeuteter Verbeugung, und kannst schlecht einfach Richtung Arbeitszimmer und Internet verschwinden, zumal dir ausdrücklich ein Platz angeboten wird. Frau P. erzählt von ihren Töchtern, deren ältere gerade dabei ist, sie zum dritten Mal zur Grossmutter zu machen. Und alle sehen aus wie die Mutter. Die weiblichen P.´s haben die Sorte Gene, mit denen man notfalls auch Metall fräsen, Flugzeuge abschiessen oder Tunnel sprengen kann. Noch in Jahrhunderten werden sich die P.´s ihre Bresche durch den Genpool dieser Welt schlagen, keine Frage. Die jüngere Tochter ist etwas aus der Art gschlagen; immer noch Single und nie daheim. Noch. Aber das werde sich schon ändern.

Deine Frau Mama erklärt, dass du nun auch wieder oft in der Provinz sein wirst, und deine Zelte in Berlin abbrichst. In Frau P.´s Kopf entsteht wahrscheinlich die Illusion eines verlorenen Sohns, eines reuigen Sünders, der in den Schoss seines Clans zurückkehrt. So zumindest interpretierst du ihre Begeisterung, ihren dezenten Hinweis, du könntest doch dann mal ihre jüngere Tochter treffen, wenn sie auch hier ist. Du revanchierst dich mit ein paar Bemerkungen über deine Pläne zum Ausbau deiner Wohnung; schön soll sie werden, antik, repräsentativ, nicht so billig, und vor allem: Kein Acryl. Sagt auch übrigens die aktuelle House & Garden. Das sitzt. Frau P. schaut etwas betroffen auf den Tisch, und stochert mit der Vorlegegabel in den kleinen Gebäcken.

"Schöne Gabeln", wechselt sie das Thema und läuft deiner Mutter damit gleich ins Vorlegemesser. Die, so sagt sie, hat ihr Sohn aus Berlin mitgebracht, Geburtstagsgeschenk, allerliebst mit kleinen Putti drauf. Tatsächlich fandest du die Teile damals ziemlich grenzwertig; knorpelige Gründerzeit, die versucht, falschverstandenes Rokkoko zu imitieren. Hier, auf dem Gartentisch, sind sie erträglich. Irgendwie sogar hübsch. Ob es in Berlin oft dergleichen gebe, will Frau P. wissen, und bereitwillig gibst du ihr Auskunft. Frau P. japst schlussendlich nach Luft, als Du beiläufig die Notwendigkeit einer neuen Silbervitrine erwähnst. Und als du sagst, dass du es inzwischen einfach nicht mehr kaufst, weil du nicht nochmal so Zeug brauchst, kann sie nicht mehr an sich halten und fragt, ob du ihr nicht vielleicht, natürlich nur wenn du so etwas siehst und natürlich gegen sofortige Bezahlung dieses und jenes und das, was sie nie findet, mitbringen könntest. Habgier ist in diesen Kreisen normal, man kennt sich ja, und wird zumindest hier kaum kaschiert vorgetragen.

Mit deiner Einwilligung in ihr Begehren ist auch die Höflichkeits-Viertelstunde vorüber, und du ziehst dich zum Rechner zurück. Du wirst ihr das Gewünschte mitbringen, sie werden dich einladen, in ihrem Garten zu sitzen, ihre ältere obszön aufgequollene Tochter wird dabei sein, die quäkenden Blagen, vielleicht auch die Missratene, und du wirst dir wünschen, dass man dich erschiesst, wenn du auch so werden solltest. Denn du kennst diese lindgrünen Mercedes-Schlitten noch aus den 70er Jahren. Frau P. hatte den damals von ihrem Vater bekommen, und über uns über mit Blumen und Parolen bemalt. Am Wochenende war der Mercedes über irgendwelche Feldwege gehoppelt, wo Frau P. Gerüchten zufolge seltsame Sachen rauchte. Ihre Kinder hatte sie am Anfang noch auf alle Ostermärsche mitgeschleift. Und überhaupt sehr progressiv getan, die indischen Perlen gleich neben der Luxusuhr, und die Gabeln aus dem Familiensilber hatte sie zu Armringen umarbeiten lassen. Du wirst bei ihr Tee trinken und den kleinen Finger nicht zu sehr abspreizen, du wirst das ordinäre, viel zu teure Stilmöbel bewundern, das den Acryltisch abgelöst haben wird, und in dem Wissen lächeln, dass es im Netz jederzeit und immer Anleitungen zum Bombenbau gibt.

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Mittwoch, 6. April 2005

Die Must haves der jungen Leute

Zwischen Murnau und Salzburg, zwischen Rottach und Berchtesgaden zeigen sich die verheerenden Folgen der deutschen Rentenpolitik. Viel hat sich dort im letzten Jahr geändert: Die Preissteigerung bei Hotels, Restaurants, Eigentumswohnungen und Seniorenmalkursen hat sich deutlich verlangsamt. Die Krise bei den Rentnern mit nicht niedrigen Bezügen zeigt sich weniger bei den Confisserien, die weiterhin blauweisse Bierpralinen für 8 Euro auf 100 Gramm - oder 10 deka, wie es jenseits der Grenze heisst - erfolgreich anbieten, denn Mitbringsel laufen immer. Hart trifft es wohl das einheimische Handwerk, das seine grob geschnitzten Putti im Stil der hiesigen, wie Perlen über die Landschaft verstreuten Rokokko-Kirchen, immer seltener zu Preisen jenseits der 500 Euro an den Mann bringt. 500 Euro ist im Moment so eine Schmerzgrenze sowohl für Kunden als auch für Verkäufer, ganz gleich, ob es um fette Engel, Dirndl mit Puffärmeln für sie oder echte Hirschlederhosen in Massanfertigung für ihn geht.

Wie deine Eltern nach ihrem Kurzurlaub in der Krisenregion berichten, hat sich das fragile Gleichgewicht aber wieder hergestellt. Allerorten, von Seeshaupt bis Garmisch, hat man ein neues Wort entdeckt, das diese erbärmliche 500-Euro-Grenze atomisiert. Den armen Greisen, denen der brutale Staat alles bis auf ihre paar Wohnblocks, die Villa, zwei Autos, das Cabrio für den Sommer und die 10 Wochen Urlaub im Jahr wegnimmt, bekommen jetzt zwischen Lüstern und kleinen Silberdosen zu hören, dass das, was in diesem Geschäft gezeigt wird, "die Must haves der jungen Leute" sind.

Der im krisengeschüttelten Oberland kursierenden Legende zu Folge sind diese Must haves besagter junger Leute vor allem Silbergegenstände. Historistische Etagieren zum Beispiel. Fussschalen. Englische Silberkannen, eine Weile nicht wirklich begehrt, sind jetzt wieder wichtig für die jungen Leute. Es geht ganz sicher nicht mehr um den Versace-Protz, oder gar den Kolonialstil, diese Eiche Rustikal der New Economy, sondern wieder um klassische Werte. Biedermeier, Empire, historische Lackschränke aus China zum Aufbewahren der kleinen Preziosen. Das wollen die jungen Leute, wenn sie up to date sind. Daneben liegt die amerikanische Elle Decoration, die tatsächlich den Nachweis erbringt, dass sich dergleichen in den Räumen jüngerer Topmanager, Künstler und Berufskinder befindet. Es sieht aus wie in den südfranzösischen Villen der späten 50er Jahre.

Ausserdem, so sagt man, ist der venezianische Spiegel ganz gross im Kommen; ein Geschäft etwa weigerte sich sogar, ein Exemplar überhaupt anzubieten. Jedenfalls nicht unter 2000 Euro, wenn es denn unbedingt sein müsse und man dem aus dem badischen angereisten Ehepaar sie Freude machen könne - weil, gut, es stimmt schon, ohne so ein Must have der jungen Leute kann man eigentlich nicht nach Hause fahren, das verstand die Händlerin in ihrem Dirndlkostüm. Und gab dem Drängen nach, wie meinen Eltern dann beim letzten Galamenu erklärt wurde. Inzwischen sind die Käufer mit ihren Schätzen und dem SLK schon wieder daheim, ein paar Kilometer nördlich des Bodensees.

Und auch deine Eltern sind wieder da, und nein, gekauft haben sie nichts. Aber wenn du wieder in Berlin bist, könntest du schon mal nach einem silbernen Brotkorb schauen, und ein grosser, geschwungerer englischer Kerzenhalter hätte sicher auch noch Platz. So wie das eben in den Wohnungen der jungen Leute ist, oder besser: In den Vorstellungen, die man im Oberland von diesen Wohnungen hat. Du sagst ja, klar, mach ich, du wirst schon was Entsprechendes finden, und fährst, vorbei an schlafenden Katzen auf dem Gehweg, hohen Hecken und schmiedeeisenen Toren unter dem strahlend blauen bayerischen Himmel Richtung Norden.



Du hast einen Auftrag, ein Gespräch, ein Meeting, das ziemlich wichtig ist, und bist gedanklich nicht wirklich bei der Umgebung der Autobahn, die sich von der Provinz über das Fränkische, die Oberpfalz, den Thüringer Wald, die verrottende Brache um Leipzig bis hinein nach Berlin kontinuierlich verschlechtert. Du rumpelst über die Chausseestrasse zur Alten Lokfrabrik, wo früher die New Economy hauste, über Schlaglöcher und vorbei an den grossen Freiflächen, die die Landschaftsgestalter der Alliierten in dieser Stadt anstelle von dichter Wohnbebauung kreierten, und dazu fällt ein fieser, schmutziger Regen. In einem lichten Moment wunderst du dich, was zum Teufel du hier eigentlich verloren hast. Aus der Lokfabrik kommt ein Schwarm junger, bauchfreier Dinger in Rosa und himmelblau, ungepflegt, abgerissen und viel zu dünn, oder dem typischen, quellenden Speck einer falschen Ernährung. Das einzige Must have, das sie wahrscheinlich haben, ist ein Scheck, um die drei Monate Mietrückstand zu bezahlen.

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