: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 30. Januar 2005

Dirt Picture Contest - Heute in West-Kabul

Schnee breitet sich über der Ebene aus, und nicht ein Sonnenstrahl fällt vom wolkenverhangenen Himmel. Trotz der Kälte drängen sich die schlecht angezogenen Menschenmassen auf den Märkten der Hauptstadt, der man die Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft von Ewa had al Dipkahn und Chain Rik Lummah, von Sarazwahn und Arich al Honekahr immer noch ansieht. Selten fahren verbeulte, stinkende Autowracks aus den zurückgebliebenen, östlichen Provinzen über die schwer beschädigte Piste entlang der ehemaligen Todeszone. Hier prallten jahrzehntelang die Clans aufeinander; nicht umsonst galt diese Stadt als gefährlichste Frontstadt noch vor Beirut.

Doch das ist vorbei. West-Kabul hat heute wieder eine enorme Geburtenrate, nachdem unter der Schreckensherrschaft der Naweconimi-Freischärler die Frauen aus den Berufen gedrängt und zum Kinderkriegen befohlen wurden. Mangelnde Bildung, abgebrochene Ausbildung - auch heute bleibt den Frauen nichts anderes, als sich einen Pascha zu suchen, der ihr ein paar Afghani, oder hin und wieder sogar ein paar russische Kopeken zum Erhalt eines kläglichen Haushalts gibt. Von den bröckelnden Decken hängen nackte Glühbirnen, und aus den Fernsehern, den einzigen Luxusgegenständen in West-Kabul, strahlen die bunten Bilder der westlichen Konsumgesellschaft in die heruntergekommenen Behausungen die Lieder von Reichtum, Laszivität und Überfluss. Unerreichbar für die Bewohner von West-Kabul, noch auf Jahrzehnte.

Die jungen Männer fliehen sich aus ihrer ärmlichen Realität in Träume. Träume bedeutet hier: Drogen. An der Todeszone hat sich gerade ein junger Mann mit einem Geschäft für Cannabis-Produkte niedergelassen:



Am Wrack eines alten Fahhrads, das von den marodierenden Banden zerlegt wurde, hat er sein Firmenschild angebracht. Das Bild der Pflanze, die den Bewohnern von West-Kabul von den meisten Terassen und Vorgärten bekannt ist, verheisst Ablenkung vom rauen Alltag in dieser Einöde. Besungen wird die Droge von den Helden der hiesigen Jugend, die sich Aggro oder Sido nennen, aber längst selbst Befehlsempfänger des Jamba-Clans und der Universal-Klingelton-Mafia sind. Aus westlicher Sicht mag man die Menschen hier für verkommen halten, aber in einer Stadt, die ihre Einwohner fast verhungern lässt; in einer Stadt, wo wenige Reiche die Hilfsgelder der westlichen Wertegemeinschaft veruntreuen und die Elendsquartiere fast die gesamte Bevölkerung aufnehmen müssen, kann der Drogenkonsum nicht verwundern.

Immerhin kann der Besitzer des Ladens vielleicht damit für seine Familie und für die Familien der Lieferanten sorgen. Aber noch viele lange, kalte Winternächte werden über die Ebene ziehen, bevor West-Kabul Abschied nehmen kann vom Hauptwerwerb des Drogenhandels, und eine Vorbildfunktion in einer Region einnimmt, die geprägt ist von Armut, Gewalt und gleich jenseits der Grenze, im Würdegriff der Korruption und des Fundamentalismus der Horden des notorischen Hasspredigers Kar al Wotillah. Zurück ins Studio.

Liebe Zuschauer, sehen Sie nächste Woche in unserer Sendereihe "Dons abenteuerlicher Orient": Khatar al Munacia, ein trügerisches Paradies zwischen Luxus und Niedertracht. (darunter Trailer: Don im überfluteten Barchetta, Dons Schwester beim Fluchen über die SLK-Lieferzeiten, Don beim Luxusmöbelmontieren in sauteuren Anwaltskanzleien mit hilflos danebensitzender und die Prada-Site ansurfender Schwester, Don beim Pitch mit weitausholender Geste und blitzender Rolex am Arm, Don trifft alte Freunde in schlecht gefüllten Szenekneipen, lange Einstellungen auf freundlich-nichtssagende Elitessengesichter, Kameraschwenk über die einzigartige Munich Area am frühen Morgen, Rauch steigt aus den Trümmern eines Startups in den blauen Himmel)

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Freitag, 28. Januar 2005

Dirt Picture Contest - Mein erstes Jamba

Ich bin Early Adopter. Ich habe eines der ersten Siemens S45, und ich hatte es schon, bevor es in den Handel kam. Ein simples, dunkelblaues Mobiltelefon ohne besonderen Schnickschnack. Ich hatte auch kurz mal das grauslige Nokia 7610 zum Testen, aber ich bin zurück zum Siemens. Dummerweise haben sich heute ein paar Tasten entschlossen, den Dienst zu quittieren. Unter anderem der Abhebeknopf. Also bin ich los, mir schnell ein Ersatzhandy zu kaufen, bis das S45 wieder läuft. Meine Wahl fiehl auf das Günstigste, das der 2nd Hand Laden hatte: Ein NEC n21i. Richtig, das erste i-mode Handy. Gekauft habe ich es auch, weil es nochmal eine hübsche "Skalpe meiner feinde"-Geschichte aus dem Jahr 2002 zu diesem Ding gibt.

Ich habe immer gedacht, naja, die Jambanutzer sind doof, bestellen ein Bild und kriegen ein Abo, merken es aber nicht. Der Vorbesitzer dieses Handies wusste wohl, was er tat. Und jetzt, 3 Stunden, nachdem ich wieder mobil erreichbar bin, weiss ich einiges über die typische Bildersprache sowohl von Jamba als auch dem Vorbesitzer.



Neben dieser nackten Frau habe ich auch noch 5 weitere in diversen Posen. Ich verfüge über einige "Arschgeweihe"; so nennt man das Gekrakel wohl. Ich habe auch ein dünnes Krokodil, an dem ein fetten Krokodil geschlechtliche Handlungen vollzieht, aber keinen Klingelton mit "In der Bar zum Krokodil", einem Chansonklassiker aus den 20er Jahren. Schade.

Dafür habe ich etliche Klingeltöne. Viele. Sachen, die ich nur kenne, wenn ich mal bei meinen Eltern Farbtelevision erlebe und unabsichtlich in eine Jamba-Werbung und die Jamba Musik dazwischen, MTV heisst das glaub ich, reinschalte. Ich frage mich, was für Leute das runterladen. Ich frage mich auch, ob die Samwers nicht einfach verdammt arme SchwWesen sind, wenn sie am Abend in den Spiegel schauen, sie sehen die Meister der fickenden Krokodile, die Ohren pfeifen noch vom verrückten Frosch, oder sie müssen beim Essen an das Gefurze denken, nein, ich denke, denen kann es eigenntlich nicht wirklich gut gehen, denn um das zu ertragen, muss man entweder viel leiden oder so schmerzresistent sein, dass es auch nicht schön ist. Und ich frage mich, ob es die Firma woanders als in Berlin geben kann.

Ironischerweise habe ich das Handy gebraucht, weil ich eigentlich den Spreeblick-Johnny anrufen wollte, wegen eines Artikels über Jamba. Tja.

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Mittwoch, 26. Januar 2005

Dirt Picture Contest - Berliner Saubär

Irgendwann in den glücklicheren Tagen muss es jemand als gute Idee empfunden haben, einen roten Bären vor einen Berliner Gummibärenladen in der Schönhausener Allee zu setzen. An der Stelle, wo heute, ein paar schlechte Jahre und Finanzskandale später viele stinkende kleine Autos ohne TÜV und ASU rumgurken, zwischen den Punks in Wolldecken und dem Typ, der Gebrauchtbücher auf dem Bürgersteig verkauft.



Der Bär bräuchte dringend eine Dusche. Aber das geht nicht, weil er ja festgekettet ist, wie so ein grossäugiges, grünhaariges Mädchen in einem japanischen Zeichentrick. Was aber beim Erfahrungsschatz Berliner Minderjähriger, die sich hier die Kariesförderung holen, auch kein Problem mehr ist. Fesselspielchen und Ähnliches sieht man entweder bei Mama, wenn wieder so ein komischer Onkel da ist, oder man guckt das auf den Mangavideos, die man im Schulhof austauscht.

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Freitag, 21. Januar 2005

Dirt Picture Contest - Schleudersitz

passend zu diesen Ereignissen, die mich heute in Berlin umtreiben.



Ist so eine Mühle dann erst mal leichter, fährt sie schneller. Und wo keine Sitze sind, wird sich auch kein weiterer Fresser reinsetzen. Die Logik ist immer die gleiche. In den Hochhäusern rechts der Isar genauso wie in den Berliner Slumbezirken, in denen ihr Geld versickert ist - gleich nebenan ist so eine Immobilie mit Fondsbeteiligung.

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Freitag, 14. Januar 2005

Dirt Picture Contest: Um die Ecke

gesehen und als Bild mitgebracht: Diese Dinge hier gibt es einfach so im Schaufenster, und überall hängen Wimpel mit "Verkauf ohne Waffenschein" - nur falls jemand mal auf die Idee kommen sollte, eine kleine Todesschwadron aufzuziehen.



Oder Sturmtruppen, oder eine kompakte Kampfeinheit für neurechte Ordnung. Der Laden hat viel davon. Muss wohl so sein, in Berlin. Wo Bedarf, da Markt.

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Dienstag, 11. Januar 2005

Dirt Picture Contest - Westmüll

Das mit dem Slum, geben inzwischen manche Berliner zu, stimmt schon irgendwo. Manchmal. Aber nicht immer und überall. Überhaupt soll es ja nur eine Erscheinung in den schlechteren Vierteln, also Osten komplett und Teile von Kreuzberg und Wedding und Ähnliches handeln, wo sie eigentlich nie hinkommen. Im alten Westberlin wird jedenfalls noch auf Ordnung in Sachen Müll geachtet. Sagen sie und schlucken ihren Ärger runter, dass ihr schönes neues Auto gerade mitten in Wilmersdorf zerkratzt wurde.

Aber es stimmt schon: Westberlin, die alte konsumfreudige Frontstadt, kümmert sich um den Müll.



Dan werden in den Passagen extra Zwischenräume angelegt, in die ein blauer Müllsack präzise reinpasst. Der wird ordentlich mit Papptellern und Speiseresten gefüllt, so dass die ordentliche Berliner Passagenratte auch Abends was zum Knabbern vor ihrem Versteck hat, und nicht draussen die Passanten erschreckt (das machen die beiden Verückten schon selbst, die sich gegenseitig belauern und Leute anschnauzen, was sie hier tun).

Und nachdem in den drei Wochen, seitdem diese Mülltüte hier eingeklemmt mindestens ist, kein Punk auf die Idee kam, der Tüte einen herzhaften Tritt zu versetzen und ihre Eingeweide über den brüchigen Marmor aus besseren Tagen zu verteilen, ist bewiesen, dass hier ein anderer Menschenschlag zu Hause ist. Ordentliche Leute eben.

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Sonntag, 19. Dezember 2004

Dirt Picture Contest - 2,5 - 20 - 45 Millionen

Euro in einen öffentlichen VC-Fond pumpen - nein, wir befinden uns nicht im Jahr 1999, sondern richtig, 2004. Der Senat beschloss, die Investitionsbank Berlin folgte. VC Fonds Berlin GmbH heisst das Ding, und bezahlen soll erst der Europäische Fond für Regionale Entwicklung, letztlich also wiederum der Steuerzahler. Und wofür? "Minderheitsbeteiligungen an jungen Technologieunternehmen in der Frühphase" - nein, dazugelernt hat man bei der IBB nichts, scheint es. Es riecht nach verschimmelten Papiergeld, wenn man hier vorbei fährt.



Die Namen des Chefs Roger Bendisch kennt man durch die IBB Beteiligungsgesellschaft mbH- und von ihren Kids, der insolventen Lipro AG etwa, oder der verschwundene Blue Orange Internet GmbH, zum Beispiel. Eindrucksvoller Track Record, wirklich. Neues Geld, neues Spiel, neues Glück - immerhin sollen nach der Anschubfinanzierung durch die EU auch Privatleute ihr Geld einbringen können.

Also, auf zum Gründen! Berlin zahlt mit Geld, das es von anderen bekommt - und bei Entwicklungsfonds erwartet doch keiner, dass Geld zurück kommt, oder? Anderswo heisst die Verschickung inkomeptenter junger Arbneitsloser zu sinnlosen Tätigkeiten übrigens ABM-Massnahme, oder auch 1-Euro-Job - und es braucht keine EU-Gelder.

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Freitag, 17. Dezember 2004

Dirt Picture Contest: Trash TV

Immerhin hat man die Glotze in die Nähe eines Mülleimers gebracht. Da passt sie nicht rein, aber daneben ist ziemlich viel Platz. Es ist Weihnachten. Da gibt es neue Glotzen, da muss man die alten aussetzen.



Mal schaun, wie lang der hier noch rumsteht, bis ihn die Kids aus dem Block eintreten. Vielleicht gewinnt auch ein Müllsammler den Wettlauf, der das Ding dann nochmal auf dem Flohmarkt verkloppt. Solange kann er den Ratten, die hier die Strasse runter an den Bahngleisen hausen, als Zwischenlager für ihre Raubtouren in die bewohnten Gebiete dienen.

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Mittwoch, 8. Dezember 2004

Dirt Picture Contest - Fast wie bei Illies aufm Sofa

Die Choriner Strasse ist etwas stiller als die Parallelstrasse, die notorische Kastanienallee. Hier stören nachts um 3 keine chemisch verseuchten Partygirls aus Bielefeld und Speyer, wenn sich jemand von seinem durchgesessenen, roten Ikea-Sofa auf immer trennt:



Florian Illies, dessen Büro ein paar Meter die Strasse rauf ist, wird hier manchmal vorbeilaufen, und sich der Tage Anfangs der 90er erinnern, als Kinder der besseren Haushalte in der grossen Stadt einfach so ein quietschrotes Sofa haben mussten. Dann träumten sie davon, darauf ein klein wenig American Psycho zu machen, was aber nie wirklich gelang, oder Dorothea zu verführen, was aber auch nicht wirklich gut ausging. Aber rückwirkend ist das nur schale Erinnerung, denn die Ehe mit Antonia läuft reibungslos und steuersparend, das neue Sofa in Cremeweiss geht hoffentlich als Büromöbel bei der Steuer durch. Das alte Rote Ding landet ohne Kissen auf der Strasse, mit einem philantropen Schild "zu verschenken" darauf. Vielleicht kommen ein paar Punks, nehmen es mit, stellen es vor ihren Hauseingang und haben es dann nach dem betteln etwas bequemer.

Es muss so sein, denn es ist einfach keine Stadt für rote Sofas. Das typische Zielpublikum dafür ist entweder arbeitslos oder pleite oder verheiratet oder wegezogen oder meistens alles auf einmal. Ausserdem ist ein rotes Sofa zutiefst München, und es sollte niemanden überraschen, dass der einzige, den ich hier im Besitze eines derartigen Möbels weiss, ich selbst bin - ein kusslippenförmiges, quietschrotes Ledersofa für maximal 2 Personen bei den Szenen, die Sie in Filmen von Eric Romer in der Regel nicht sehen.

Es ist Berlin. Es kann nicht überraschen, dass ein nie beficktes rotes Sofa im Dezembernebel auf der Choriner Strasse vor sich hin schimmelt.

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Dienstag, 7. Dezember 2004

Dirt Picture Contest: Big Dirt in big Slum

Der notorische Stefan Niggemeier finalisiert als amtlicher FAZ-Sentinel eine ganze Reihe abgesetzte, gefeuerte, in die Tonne getretene, verlustreiche TV-Betriebsunfälle des Jahres 2004. Und das in einem hämischen Stil, der ihm über kurz oder lang vielleicht gewisse Aufmerksamkeiten aus dem Schleimpfuhl der deutschen Wirtschaftspresse verschafft. Bei "Mission: Traumhaus - Deutschlands verrückteste Baustelle" auf RTL2, einer Säge- und Hammer-Reality-Show, mutmasst Niggemeier, der Ort der Handlung, eine maroden Bauruine in der Choriner Strasse würde "wegen der Absetzung der Show wohl heute noch fröhlich vor sich hin" modern.

Nun, man kann ihm von hier aus Bescheid geben, dass es tatsächlich so ist:



Das Mega-Plakat von RTL2 ist weg, und so ragt der viertelsanierte Stumpf grau in den Berliner Nachthimmel, und träumt vielleicht von den Aprilnächten des Jahres 45, als er und die deutschen Medien schon mal eine fast unvergleichbare Krise durchmachten.

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