: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 18. Oktober 2005

Real Life 17.10.05 - Sie ruft an.

Für ein paar Momente verschwinden die Kronleuchter, die Kommoden und die Vitrinen voller Geschirr. All die willkürlich zusammengeraffte Pracht, die Herrlichkerit vergangener besserer Familien ist ausgelöscht durch ein paar freundliche Worte. Um dich herum wuselt der Besitzer, der schon mal langsam dicht macht, kein guter Tag heute. Du stehst im Weg, aber es ist egal, auch wenn das verhärmte Mädchen mit der Aura des jungen Merkel an der Bücherkiste von der Störung offensichtlich nicht begeistert ist. Sie holt sich ihren Trost und Zuspruch wohl nur aus Büchern, und ihre Vorstellung der Frau an der anderen Ende der Leitung dürfte angesichts deiner Wortwahl nicht wirklich positiv ausfallen. Immer nur über Klamotten reden und sich sagen lassen, dass sie alle lieben, verzogenes teures Luxusbalg wird sie sich denken, und damit liegt sie zum Glück nicht ganz falsch, aber auch voll daneben. Sie denkt auch, dass dir alle inneren Werte, die sie verkörpert, egal sind, und auch das ist so falsch nicht. Du lächelst sie kurz an, und sie schaut weg.

Dann, viel zu früh und ohne konkrete Versprechungen, klingt es im Unbestimmten aus, und langsam kommt die Berliner Realität in dein Bewusstsein zurück. Eine Realität, die diesmal nur wenig zu bieten hatte. Es ist kaum Angebot nachgewachsen, hier und da eine Petitesse, aber selbst das Mittelmass ist rar geworden. Und das, weshalb du eigentlich gekommen bist, gibt es nicht. Statt dessen blieben drei Türen zu früheren Quellen verschlossen - für immer. Die Händler jammern laut und viel über den Niedergang ihres Standes; es scheint, dass Berlin bald ausgeblutet ist.

Nochmal gehst du durch den langen Schlauch der Räume voll mit wenig ansprechenden Historismusschnörkeln und ramponierten Stilmöbeln bedauerst schon fast, dass du vorher nicht das Hutschenreuther genommen hast, um wenigstens irgendetwas erworben zu haben. Diesmal scheint dir nichts, keine Freude vergönnt zu sein, zwei von vier Tagen waren ein Totalverlust, abgesehen von dem Telefonat gerade eben, und das ist auch vorbei.



Gut, das englische Silberservice, das war passabel, aber einerseits musst du hier ja aus irgendwas trinken, und andererseits kann man nicht von dir erwarten, dass du den Tee aus einer Thermoskanne trinkst. Die Bekannte, bei der du bist, hat nun mal leider keinen Sinn für Tee und die unverzichtbaren Behältnisse. Insofern steht das Service auf einer Stufe mit einer im Urlaub gekauften Zahnbürste. Oder ein wenig drunter, denn zu Teekanne, Zucker und Milch musstest du auch noch die Kaffeekanne nehmen, und was bitte willst du mit einer Kaffeekanne? Vielleicht ab und an den Kakao im Winter, oder Wasser für die heisse Zitrone; ein Stilbruch bleibt es allemal. Stellen wir also fest: Bisherige Ausbeute ein unperfektes Gebrauchsgerät, genau betrachtet.

Und während sich deine Stimmung zunehmend verschlechtert, machst du dich daran, den Laden zu verlassen. Du gehst an der Stelle vorbei, an der gerade noch ihr Lachen in deinem Ohr erklang - und da steht er. Hast du doch glatt was übersehen, vor lauter Hobeln des Süssholzbaumes. Völlig verdreckt, sicher lange Zeit wenig sorgsam behandelt, steht da ein englischer achteckiger Teatable aus Mahagoni. Mit angehobenen Kanten, was wunderbar praktisch auch für den letzten Hoghel - bayerisch für Vollproll - ist. Denn die Kanten verhindern, dass man die Unterarme auf den Tisch knallt, sie zwingen, Hände und Arme in graziösem Spiel über dem Tisch zu führen. An dieser Sorte Teatable kann man gar keine falsche Haltung einnehmen, oder man bekommt mehr blaue Flecken an den Armen als nach einer Nacht mit Villons fetter Margot.

Der Tisch hat einen geschnizten, dreibeinigen Balusterfuss, und die Beine laufen in zoomorphen Enden aus. Du rubbelst am Dreck und den Teeflecken auf der Platte, in einem der geschnitzten Öffnungen der Kante steckt noch etwas Weisses, du piekst rein, und eine kleine, runde Pille fällt heraus. Der Händler hat dein Interesse bemerkt und erklärt dir, dass die Vorbesitzerin jetzt keine Pillen mehr braucht, ihre Erben zerschlagen gerade den Grunewalder Haushalt, da kommt auch noch mehr, wenn er es sich denn leisten kann, denn billig ist das nicht - und er nennt einen Preis, der völlig überzogen ist und an Dreistigkeit nur noch von deinem Angebot übertroffen wird. Ihr einigt euch auf eine "Alter Habibi wir kennen uns schon so lang"- Summe knapp über dem, was besserer Ikeamüll kostet, und damit erhält der Tisch einen neuen Besitzer, der ab-so-lut keine Ahnung hat, wo er den noch hinstellen soll.



Aus einer Laune heraus beendest du damit den Raubzug und gehst, weil du dort noch nie warst, auf den alten Kreuzberger Friedhof. Über den Hügel hinweg verläuft eine Mauer, an der die Repräsentationssucht der Berliner Wurst- und Bierfabrikanten ein letztes Mal fröhliche Urstände feierte. Für teures Geld gekauft, gebaut, eine Weile benutzt und dann verkommen lassen. Niemand kümmert sich um stürzende Steine oder durchgerostete Eisengitter. Betrauert und beweint, steht bei einigen Namen, aber auch die Auftraggeber dieser Zeilen sind längst irgendwo da unten, und die Nachfolgenden haben keinerlei Interesse mahr an dem alten Plunder.

Du denkst an die alte Frau, der dieser unsagbar arrogante Teatable gehört hat, und daran, dass sie vielleicht verzweifelt versucht hat, den Erben diese Trümmer ihrer Existenz ans Herz zu legen. Aber man kann nichts an eine Stelle legen, an der nichts ist, und alle Versprechen wirkten nicht so sehr wie die lausigen 20 Euro, die sie dafür bekommen haben dürften. Vielleicht war sie eine dieser nervösen alteren Personen, die tags auf 10 Thommies und nachts auf 5 Schlaftabletten laufen und genaugenommen nicht an Altersschwäche, sondern an Tablettensucht sterben, alleine und verbittert bei dem Gedanken, dass die Enkelin das Geld später auf Malle verjuxt.

Überall fallen Blätter. Du bist ganz allein auf dem riesigen Areal, mit vielen Toten, deren Geschichte keiner mehr kennt. Und du nimmst dir vor, dass du die erste Frau, die an dem Teatable Platz nehmen wird, und sei sie auch wildfremd, blond, dürr wie eine Nordlandtanne und Juristin, später auf den Seidenteppich ziehen wirst. Für dein Leben, für deine Geschichte, für die Lust und das Leben. Und in dem Zusammenhang war es doch gut, diese ideale, imposante Teekanne zu kaufen. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass Beuteltee aus dem Keramikeimer auf Frauen anregend wirkt?

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Samstag, 15. Oktober 2005

Real Life 15.10.05 - Der Motor ist tuckert,

und die Scheiben sind beschlagen. Das Licht ist noch an, aber er steht auf der Bremse, die ganze Zeit, als du vom Parkplatz die lange, alte Handelsstrasse herunterkommst, die von hier direkt nach Italien führt, Verona, Siena, Rom, den Norden mit dem Mittelmeer verbindet, genau auf halbem Weg zwischen Spree und Po. Da steht er also, eingefroren in Raum und Zeit und rührt sich nicht. Denn es ist nichts vorbei und nichts hat angefangen, es ist schon verdammt spät, 4 Uhr, und es gibt noch keine Entscheidung, wie es enden wird.



Du magst den Typ nicht, der dieses Auto normalerweise fährt. Nicht ganz umsonst hast du ihn zuerst jemandem in deinem Buch zugeordnet, den du nicht leiden konntest, weder ihn noch seine literarische Umsetzung. Aber du hast dem Auto die Gelegenheit zu einer Wandlung gegeben, das Auto schafft es am Ende mit dem letzten Überlebenden, der Munich Area zu entgehen. Was auch nicht gerecht war, aber warum muss es immer gerecht zugehen. Dass du jetzt hier bist und nicht woanders, ist auch nicht gerecht.

So ein Auto ändert nichts am immer gleichen Fluch dieser späten Stunde, zu der man nie weiss, wie es ausgehen wird. Das heisst, du weisst es natürlich, du hast es gerade hautnah erfahren dürfen, deshalb gehst du ja gerade allein durch diese kalte Nacht, die Strasse hinunter und denkst darüber nach, wie es wohl in Italien in einem Hotelzimmer ausgegangen wäre, wo sie nicht so einfach sagen kann, dass sie dir den Heimweg heute Nacht noch ohne allzu grosse Gewissenbisse zumutet. Als du an dem Wagen vorbei gehst und drin die idealtypische, lokale Blondine ist, dieser kräftige, robuste Typ des Südens, der nie nordisch-schweinchenrosa ist, da wünscht du dem Typ am Steuer, dass es anders ausgehen mag.

Dann gehst du die Seitenstrasse hinunter, an deren Beginn einst ein - der Literatur zufolge - verzweifelter Sucher wohnte, der es hier nicht lange ausgehalten hat, weiterzog und dann unter den Goethe geriet; du gehst weiter über das alte Kopfsteinpflaster vorbei an den Angeberbauten der Kuttenbrunzer, um dann am Ende zu dem Haus zu kommen, in dem ein Kriegsverbrecher verrochelte, so viel Elend und Abschaum auf einen Fleck, all das in dieser einsamen Nacht, und über dir funkelt die kalte Pracht des klaren Sternenhimmels. Man sieht ihn oft hier, ganz anders als in dem Berlin, in das du in - moment - eigentlich 23 Minuten, um 5 Uhr fahren wolltest, aber das kannst du jetzt knicken, prima.

Es ist finster an der Haustür, als du nach dem richtigen Schlüssel suchst, schwierig, wenn man an drei Orten lebt und 20 Schlüssel hat, aber da vorn kommt ein Wagen und taucht die Strasse in gleissendes Licht. Du findest den Schlüssel, sperrst auf, betrittst den Gang mit seinen jahrhundertealten Marmorplatten, über die sie damals den sterbenden Kriegsverbrecher mit dem brandigen, zerschmetterten Schenkel zum Verrecken nach oben getragen haben, und als du die Tür schliesst, siehst du, dass draussen der einsame, silberne TT vorbeifährt. Langsam, sehr langsam.

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Samstag, 15. Oktober 2005

Real Life 14.10.05 - Und das geht einfach so ins Netz?

will Iris wissen. Und das lesen dann die Leute? Und warum? Aus Langeweile, Überdruss, weil sie den Charakter irgendwo lustig finden, weil ich Geschichten erzähle, weil es Kommunikation ist, sagst du, und sehen würde sie es schon gern, nachdem das Konzert heute in einer bitterkalten Kirche und eher mässig war. Etwas grosse, weite Netzwelt nach der Enge des hiesigen Kulturbetriebs.

Du machst also ein Photo - von dir natürlich, für diesen Zweck, schnibbelst es zusammen als Impression des nächtlichen Bloggens - viola:



So einfach? fragt sie. So einfach. Aber warum machst Du das? Puh...

Später. Nachher. Beim Essen. Wenn ihr euch beeilt, bekommt ihr noch was in der Casa Rustica, bevor der Maestro die Küche schliesst. Zumindest eine Spitzenleistung kultureller Art sollte der Abend haben. Und... abschicken.

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Donnerstag, 13. Oktober 2005

Real Life 11.10.05 - Nicht globalisierte Landpartie

Über lange, gerade Strassen geht es nach Süden, hinweg über das alte Moor, das, entwässert und trockengelegt, zu einer Boomregion wurde. "Wir stellen ein", steht auf hohen Betonsäulen neben der Strasse, und leichter, silbriger Dunst flirrt im gleissenden Spätsommerlicht, da geht das Leben auch ohne Arbeit, da könntetst du auch in einem Cafe mit ihr sitzen und inhaltslose Artigkeiten austauschen, wie es das Ritual verlangt.

Aber so fliegt der Wagen nach Süden, vorbei an Kiesgruben und kleinen Wäldern, die die Eintönigkeit der üppig wuchernden Ebene durchbrechen, zum Rand des Tales in ein ehemals kleines Dorf, das, umgeben von Neubaugürteln, schon nicht mehr weiss, ob es nun Speckgürtel der Provinzstadt oder der Munich Area sein soll. Geschmackvoll ist es nicht, auch wenn sie fasziniert bei einem Garten mit einer übervölkerten Gartenzwergburg aus dem Fenster sieht. Hauptsache bunt, und bunt ist auch der Grund, warum du hier bist.

Denn vor ein paar Wochen ging sie mit ihrem Herrn Papa für die grosse Reise einkaufen, und sie nahm das nagelneue Notebook in Mint. Sie mag es bunt. Das Notebook in Mint ist unfassbar dünn, elegant, mit allen Finessen ausgestattet, und lässt einen Thinkpad wie ein Urtier aus dem Pleistozän aussehen. Da, wo es herkommt, ist es wahrscheinlich nur ein weiterer Klecks in einer schreiend bunten Warenwelt voller Hello-Kitty-USB-Gadgets und TV-Kühlschränken und Videohandies, hier bei uns jedoch...

Hat es zuerst mal einen Mainboardschaden, und ist am Montag morgen beim Einschalten mindestens so tot wie elegant. Nicht dass du viel Ahnung davon hast, aber als sie dann bei dir klingelte und fragte, ob du, der du immerhin das WLAN gebracht hast, es dir mal anschauen kannst, war diese Tatsache nach ein paar Minuten offensichtlich. Es dauerte dann aber zwei Stunden, bis klar wurde, dass das nächste Ersatzteil auf der anderen Seite der Erde ist. Das Notebook gibt es nur in Japan. Was nicht wirklich schön ist, wenn man in Deutschland täglich damit arbeiten muss.

Das nennen die Angstmacher und ökonomischen Staatsterroristen dann Globalisierung, ja von wegen. Die Globalisierung endet gleich hinter dem Prozessor auf dem Sockel. Vielleicht sollten wir solches Pack nicht mehr selber in der Uckermark bauen, sondern auch in der Japan only Version importieren, und dann nach dem Mainboardschaden wegschmeissen. Vielleicht gibt es die dann auch in Mint statt nur in Aprigoat mit Transpirationsbug, das ohne Photoshop noch nicht mal markttauglich ist. Und das jetzt gerade ein Amt zugesprochen bekommt, aber das spielt gerade keine Rolle, denn du wärst ein schlechter Gastgeber, wenn du ihr bei diesem Problem nicht helfen würdest.

Langsam, ganz langsam hast du zu verstehen gelernt, dass sie nicht nein sagt, noch nicht mal nein danke, sondern nur lächelnd ja, und die feine Nuancierung des ja letztlich erklärt, ob es ein nein ist. Du würdest dir wünschen, dass sie noch ein klein wenig mehr Regung auf deine Vorschläge hin zeigen würde. Aber das wäre unhöflich. Vermutlich denkt sie sich, der blöde Trottel, ich hampel mir hier einen ab, führe mich auf wie der letzte Bauer, nur damit dieses Rindvieh mit der langen Nase endlich kapiert, was ich will, ohne dass hier jemand das Gesicht verliert.

Und während im Slum Berlin Münte das Aprigoat historisch als CDU-Chefin einsortiert, wird hier klar, dass ihr ein geliehenes Notebook nicht ausreicht. Sie will selbst eines haben, nur sollte es nicht allzu teuer sein, es ist ja nur für die verbleibenden vier Monate. Sagt sie nicht. Aber als du es so vorschlägst und dich anheischig machst, ihr bei der Beschaffung eines soliden, günstigen Rechners behilflich zu sein, ist sie unerwartet schnell bereit, dazu ein ja zu sagen, das nach ihren Massstäben sicher grauenvoll offensiv ist.

Und so fährst du dank der misslungenene Globalisierung mit ihr über das Moor, fernab aller Tagesaktualität, und bist eigentlich ganz froh, nichts zu sehen als ihr ewig gleiches, nichtssagendes und inhaltsleeres Lächeln, denn verkniffene Fressen wird es jetzt viel zu oft geben. Später dann, im Laden, der angebaut ist an ein Einfamilienhaus in diesem Dorf, das nicht hässlich und nicht schön ist, gibt es Notebooks nur in IBM-Schwarz und Dell-Dunkelblau, da kann sie eigentlich nichts falsch machen.

Und du lächelst nur freundlich, als sie den einen T20 nimmt, also genau den, den du ihr vorhin leihweise angeboten hast.

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Montag, 10. Oktober 2005

Real Life 10.10.05 - Liebe, Tod und Teufel

Vielleicht stimmt es, was man andernorts denkt. Vielleicht musste das alles wirklich hier geschehen, und die Moderne, die sich nur zufällig hier eingefunden hat, ist nicht mehr als ein Nebelschleier über dem alten Grauen, das hier herrscht und nur an Vormittagen wie diesem sichtbar wird, zumal für dich, der du sonst nie früh aufstehst und nur heute schon vor 8 Uhr durch die feuchte Luft gehst, weil du nach wirren Träumen von japanischen Geisternachtmahlen inmitten von nichtssagenden Toten, angezogen auf dem Bett liegend die Gelegenheit versäumt hast, das Auto noch in der Nacht umzuparken. Jetzt musste es schnell weg, bevor alte, ranzlige Merkelhomunculi oder ihre männlichen Pendants mit Spitzbart Strafzettel verteilen, die dich von der Windschutzscheibe höhnisch anlachen: Du hast dich nicht an die Regeln gehalten, wie immer, also musst du zahlen. Oder so früh am Morgen durch den Nebel in den Gassen eilen.



Unter dem Besen der Strassenkehrer raschelt das Laub wie die Erinnerung an das Geflüster einen fernen Liebesnacht, irgendwann vor langer Zeit hoch oben unter den Dächern, von denen nichts geblieben ist als manchml die falsche, eingebildete Ahnung eins Geruches, der kurz, viel zu kurz haften blieb und dessen Substanz kaum mehr zu erahnen ist, alles verschwunden im Nebel des Vergessens, der so dick und undurchdringlich wäre wie das verschimmelte Weiss, das sich vor den Toren der Stadt hinunter zu den Niederungen ausbreitet, wäre da nicht Nächtens ein helles Lachen gewesen, das alle Wunden wieder aufreisst, und den Geschmack wieder auf die Lippen zaubert, der Geschmack später Erfüllung nach den immer gleichen, nie wieder gut zu machenden Fehlern.

Und so treibst du durch das frühe Grau des Tages über das alte Kopfsteinpflaster, den Dom entlang zur Bäckerei, um die Süssigkeit des Lebens zu kaufen. Vor dir sind, auf den ersten Blick an ihren Käppis amerikanischer Hochschulen erkennbar, frische, blonde, noch rosige Studenten der hiesigen Elitenzuchtanstalt, die mit ihrem kalten, nordischen Zungenschlag das Essen für den Tag in der Bibliothek zusammenstellen, und danach sprechen sie über die hiesigen Putzfrauen in ihrem staatlich geförderten Wohnheim, und dass die so arrogant wären und nicht bereit sind, bei ihnen - schwarz, vermutlich - die Buden und das Bad zu putzen. Was für eine Mentalität das hier sei, und von hinten kommt der Teufel zu Dir, er tippt Dir auf die Schulter und sagt: Siehe dort den alten eisernen Schürhaken, mit dem das Feuer in den Öfen bewahrt wurde, nimm ihn und schlage dieser verdammten Brut die Schädel ein, denn das ist nicht Gottes Werk oder mein Beitrag, das ist eine Sünde gegen den Dualismus des ewigen Kampfes, nicht gut, nicht böse, sondern einfach nur dumm, stupide, banal und für keine Seite von Wert, ein schimmliger Rest in unserer ewigen, reinen Gleichung.

Wos hedns denn gearn, fragt dich die Bäckerin in dem immer freundlichen Tonfall, und der Teufel verschwindet im Heizlüfter, während das Businesspack, noch immer über die mangelnde Dienstleistungsmentalität schimpfend, den Raum in einer Wolke von Hilfigergestank verlässt. Du nimmst wie immer viel und denkst daran, wie sich wohl der Griff des alten Schürhakens anfühlen möchte, und ob nicht andere ebenso manchmal die Lust danach überkommt...

Ein paar dieser kranken Seelen gibt es ja, weit weg von hier, im Slum Berlin. Und du weisst, dass sie zusammenkommen werden und du ihre schwarzen Gedanken aufsammeln und konservieren wirst, in weniger als zwei Wochen, genauer, am 19. Oktober um 20 Uhr. Dann treffen im "Lass uns Freunde bleiben" in der Choriner Strasse 12, wo du so manche veflossenen Geliebte gesehen hast, die wahrhaft Bösen aufeinander, keiner von denen kommt aus Berlin, manche sind Flüchtlinge deiner Heimat, die es betrauern muss, dass so grandiose Blogger wie Modeste, das Wortschnittchen, Beyond und Burnston nicht geblieben sind. Du wirst im blendend weissen Geschoss über die Trümmerstrassen Ostdeutschlands zu ihnen fliegen, und für sie die Technik bedienen, auf dass Liebe, Tod und Teufel den Platz in einem besseren Literaturbetrieb erhalten, den sie dank dieser Autoren auch verdienen.

Und Ihr, liebe Leserschaft - Ihr solltet auch kommen. Für einen kurzen, lichten Moment im trüben Oktober. Sterben könnt ihr auch noch im Februar.

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Donnerstag, 6. Oktober 2005

Real Life 06.10.05 - Das Unfassbare

an der Munich Area ist, dass sie genauso zu sein scheint, wie man es sich vorstellt. Leicht, unernst, wenig aufgeregt, zufrieden. Wenn die Sonne scheint, sitzt alles und jeder unterschiedslos am Abend im Biergarten. Und wenn Mittagpause ist, sitzen sie am Brunnen am Rindermarkt, ganz gleich ob Anzugträger oder Doppelmutter, Assistentin oder Student, und stopfen ohne Rücksicht auf den Anstand und die Öffentlichkeit was in sich rein. Auch im Oktober hat die Sonne noch diese italienische Kraft, und deshalb leuchtet diese Stadt, ohne dass sie es verdient hätte. Sie nimmt es einfach so hin. Das war schon immer alles so.



Und fast bist du versucht, daran zu glauben; die Neumünchnerin, wegen der du da bist, wird mit ihren blonden Locken und dem pinkfarbenen Slip, der beim Aufstehen aus ihrer Jeans schaut, absolut perfekt reinpassen, Mama wird ab und zu mit dem grossen Auto kommen und schauen, ob alles passt. Die Stadt zieht einen Typus der leichten Gewinner an, wie Berlin die unfähigen Creativen und unveröffentlichten Schriftsteller aufsaugt, es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung, die sich in diesem Mikrokosmos zwischen 1er-Abitur, Young-Miss-Mode und Alcantara-Schlafsofa abspielen wird. Das Sofa ist riesig in Auftrag gegeben worden, für die vielen Freunde zum rumsitzen. Die sich schon finden werden, auf den Parties. Da hat sie sicher recht. Du rätst ihr zum Anfang mal zum Ksar-Club, und zum Morizz, du hast so die Ahnung, dass die Mama da auch ganz gut Spass haben wird, weil verluderte Weltstadt und so.

Sie sind ziemlich angetan von der Idee. Man will ja was vom Leben haben. München ist so. Und es wird sich nie ändern. Unschöne Geschichten haben hier eine kurze Lebenszeit, spätestens die nächste Grünwalder Prominentenscheidung wäscht auch die schlimmste Entlassungswelle aus dem öffentlichen Bewusstsein. Jeder hier weiss, dass es nirgenda besser ist, da kann man schon mal drüber wegsehen. Worüber? Na über alles, gell. So, hamas, die Tochter trinkt den Capuccino aus, und dann geht es zum shoppen.

Diesmal hoffentlich bei Palmers einen etwas dezenteren Slip, damit dem Banker am Tisch dahinter nicht nochmal fast die Augen in die Latte purzeln.

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Samstag, 1. Oktober 2005

Real Life 01.10.05 - Eine Liebe Swanns

Was ist das, will die Elitesse wissen, und du schluckst gerade noch die Antwort "Das nennt man in gebildeten Kreisen ein Buch" runter. "Das, was Harry Potter vor der Verfilmung war" wäre auch gegangen. Auf dem Deckel steht es ganz deutlich, Proust, Eine Liebe Swanns. Man könnte sagen, dass die Stimmung schon mal besser war. Die Luft ist voller Zickigkeiten und einem Mangel an Gelegenheiten, das irgendwie rauszulassen. No Sex, please, just conversation. Auf neutralem Boden, im Café. Immerhin wurde es nicht die Havanna Bar.

Das ist das Wunder an solchen Abenden; irgendwann zerfällt die Spannung und das lange Grübeln, was man mit der überhaupt reden soll, löst sich in wirklich angenehmen Smalltalk auf. Die Leiden des Praktikums, die Streitereien mit den alten Säcken, die Arbeitsüberlastung nine 2 ten, all das wird zu einem munteren Plätschern durch Stunden, die so gar nicht vorgesehen waren; sie antwortet wochenlang nicht auf Mails, hält keine Zusage ein, und dann steht sie plötzlich vor der Tür in der Erwartung, dass man sie unterhält, ganz gleich wie rabenschwarz die Stimmung ist.

Sie saugt an einem roten Strohhalm, bedächtig, ganz langsam, du lächelst sie an, wie es nun mal so Sitte ist, sie konzentriert sich stillganz auf das Saugen, und deshalb kommt das Interview wieder hoch, in dem sich der alte Mann heute nachmittag verplappert hat, kein Wunder nach den Rechtstreitigkeiten mit seiner scheinbar übermächtigen Konkurrenz. Er ist zu tief in deren Strukturen eingestiegen, er kennt die Tricks und er weiss, was für diese Leute das Heer der chancenlosen jungen Mädchen aus dem Ostblock bedeutet, auf die sie dank ihrer Netzwerke durchgreifen können. Leute, die sich nicht nach unseren Vorstellungen verhalten, nennt das der oberste Sicherheitsmann in seinem Büro, 13 Stockwerke über der Spree.

Es ist nicht so, dass es unbekannt wäre, gemunkelt wird viel, und es ist nicht verboten, Clubs aufzumachen und eine Provision zu kassieren, wenn es klappt. Es ist legal, es ist sogar von der Arbeitsagentur für gut befunden. In Berlin kostet es angeblich zwei Drinks oder 20 Euro, sagen gut informierte Quellen; da, wo der Mann seine Geschäfte betreibt, ist weniger Angebot an solchen Abendgestaltungen, also könnte es teurer sein. Du kennst den Namen von früher, der Mann gilt als Wohltäter in seiner Welt, er gibt ihren Vätern kleine Jobs, die Mädchen, wie eine deiner Bekannten machen dann auch mal was, vielleicht eine Übersetzung, eine Tour nach Osten. Danach der Spass mit dem Arbeitgeber in den Discos, in denen sie sich sonst nicht mal ein Glas Wasser leisten könnten von der Sozialhilfe, und dann gleiten sie ab. Manche haben es wenigstens geschafft, sich bis zum Abi durchzuboxen. Du hörst diese Geschichte im Interview nochmal, du weisst, dass er dich nicht anlügt, und den Rest des Tages suchst du die verdammte Nummer von ihr, um zu hören, dass es ihr gut geht und sie nach den zwei Jahren Funkstille bitte bitte irgendwas studiert und nebenbei in einer Videothek jobt, aber bitte nicht das, nicht diese dreckige Seite der sogenannten Intergrationspolitik, die jeder Bildleser kennt und keine Ahnung hat, was da im Hintergrund den Bach runtergeht. Kein Drama für die Kriminalstatistik dieses Landes, alles legal, und selbst, wenn fragen könntest und es wäre so schlimm, wie es sich anfühlt - dann wäre es nur ein Stück Dreck im Kampf zweier alter Männer, ein Argument in einer Frage, die die Gerichte schon entschieden haben. Ohne dass es etwas mit der russischen Clubszene zu tun gehabt hätte.

Du hast sie natürlich nicht erreicht, und jetzt sitzt du da und denkst daran, ob sie nicht vielleicht auch gerade an so an einem Stohhalm die Lippen spitzt, nur im völlig falschen Kontext. Dann setzt der Wortschwall wieder ein, die hinterhältige Vorstandsassistentin, im Hintergrund baut sich wieder das Stimmengewirr zufriedener Jungspiesser auf, jemand ruft zu laut nach dem Kellner. Vielleicht bist du nur paranoid, vielleicht sind es die Bilder im Kopf von der polnischen Grenze, die Erinnerung an das Essen mit dem Clubbesitzer vor 4 Jahren in einem völlig leeren Restaurant, nur er, du und seine vier Freunde, seine Tips, dass ich doch was nach seinem Willen schreiben könnte, und ob ich nicht bleiben wollte, am Abend könnten wir in seine neu eröffnete Disco, das alles hast du damals abgetan, es war ein Lacher in der Redaktion, diese Westentaschenmafiosi, aber jetzt ist es präsenter denn je, das alles wird zu einem klebrigen Cocktail, den du nicht runterkriegst, obwohl es deine verdammte Pflicht als Gatekeeper ist. Down in Gaza ist es schlimmer, das hier ist noch nicht mal Busbahnhof Tel Aviv, es ist noch nicht mal so übel wie in Frankfurt, wo man dir mal die Mädchen hinter den Mülltonnen mit dem Besteck gezeigt hat, aber da ist die nagende Angst, dass es irgendwo in einem seiner Clubs vielleicht kein anonymes Leben in einem billigen Kleid ist.

Die Elitesse trägt einen hellen, dicken Zopfpulli, als käme sie frisch vom Segeln oder Strandspaziergang, unendlich weit entfernt von all den Niederungen. Ihr Clan hat die andere Seite nur Sekunden beim Zappen in RTLII gesehen, ansonsten existiert das in ihrer netten, angenehmen Welt nicht. Der Abend wird nicht sehr lang, und das leichte Schwanken, die feine Unsicherheit beim Abschied bleibt gänzlich unbeachtet. Es ist eine Nacht für Proust, bestenfalls.

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Freitag, 30. September 2005

Real Life 30.09.05 - Bilderbuchland

Es wird Zeit für einen Frottee-Bademantel. Oder besser gleich zwei, ein weiterer für Besuch aus Berlin, irgendwann wird der wohl kommen. Die Sonne scheint immer noch, aber am Morgen ist es schon empfindlich kühl. Also zwei Bademäntel. Die Strasse runter, in einer Passage, ist der Laden für solche Bedürfnisse.

Nebenan ist der Teeladen, in dem sich jetzt Scharen von Steppjackenträgerinnen drängen. Hermestücher feiern fröhliche Urstände. Chinakitsch scheint gross in Mode zu sein, Strohhüte, Eisenkannen und grobe Teeschalen sind wohl die Renner der Frühherbstsaison. Und du wolltest ohnehin mal einen Text über Chinoiserien schreiben, und die Ursachen, warum sie bei uns - und bei dir - so beliebt sind.

Du betrittst die pastellfarbene Halle, die früher mal ein Sanitärgeschäft war und in der heute vor allem Badwände mit Carraramarmor und Bisazza geplant werden. Es gibt auch noch Waschbecken, aber sie sind heute aus apricotfarbenen Speckstein gedreht, kostet keine 700 Euro. Badewannen stehen nicht mehr rum, dafür gibt es Jakuzzi in diversen Ausführungen und Duschen wie Weltraumschleusen. Im hinteren Bereich wählt ein Paar gerade Säulen und nachgemachte Amphoren für ihr Bad im griechisch-römischen Stil aus. Wenn schon Toskana, dann richtig. Aber die Bademäntel sind hier so weich und flauschig, wie sie sein sollen, und kaum teurer als bei Billiganbietern draussen im Industriegebiet.

Gegenüber vom Ausgang der Passage ist eine Galerie, die einer der besseren Herren seiner Frau geschenkt hat. Normalerweise läuft darüber die Autoflotte und ein Teil der Steuern, bis sie nach 2 Jahren die Lust verliert, aber die Besitzerin hier hat den Geschmack ihrer Peergroup getroffen. Seit 20 Jahren gibt es dieses Ding nun, es sieht aus wie die Requisitenkammer von Architectural Digest (deutsch) vor drei Jahren, und davor parkt ein Z4 im absoluten Halteverbot. Eine Kundin trägt einen mediterranen Kunstdruck aus dem Laden, legt ihn auf den Beifahrersitz, gibt der Besitzerin Bussi Bussi und fährt gemächlich davon.



Im Cafe an der Ecke kommen die ersten Mittagspausierer und Wochenendgeher zusammen. Der Kellner säubert die Tische für das grosse Fressen; Krabbencocktails sind hier momentan sehr en Vogue. Es gibt keine griesgrämigen Gesichter und keine Angst. Die Leute hier sind in Sicherheit, sie treffen sich, sind auf ihre bayerische Art charmant, vielleicht wird aus dem kurzen Verhältnis am Wochenende doch was längeres, dann heiraten sie in der traumhaft schönen Asamkirche gegenüber und bekommen semmelblonde Kinder, die eine glückliche Jugend verbringen, um später mal Sparkassenleiter zu werden wie der Onkel oder Galeriebesitzerin. Oder Innenarchitektin für Bäder.

Vor dem Stadtpalast siehst du die ersten Arbeiter. Vom Bau. Sie ziehen in der Nachbarschaft noch ein Studentenwohnheim für Elitessen hoch, ein paar Quadratmeter für fast Münchner Preise. Aber so ist das hier, im Speckgürtel, wo inzwischen alle wieder in die Altstadt wollen, wo es Krabbencocktail gibt und 100 Gramm Tee für 9 Euro. Da müssen die Elitessen mit hohen Preisen rechnen. Dafür ist dann die Amüsiermeile direkt vor der Haustür. Mit einem Sausa, das genauso ist wie das Sausa in der Türkenstrasse in München. Früh übt sich. Alles bestens. Alle zufrieden. Keine Ahnung, warum manche denken, dass die Stimmung kampagnenbedarfsmässig schlecht ist. Hier ganz sicher nicht.

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Donnerstag, 29. September 2005

Real Life 28.09.05 - Bläser

Das ist seit Kremer das 4. Konzert in Folge, das du ausfallen lässt. Schön langsam geht es runter auf das Niveau eines Primaten, aber es gab jedes Mal eine gute Begründung. Frankreich. Vortrag. München. Und heute schlichte Unlust, weil Bläser so irgendwie gar nicht deiner aktuellen Stimmung entsprechen. Die bessere Gesellschaft, die sich um Karten prügelt, findet das sicher dekadent. Aber es geht einfach nicht. Trotzdem bist du jetzt da und wartest. Dass sie rauskommt, ihre Mutter verabschiedet, und dann mit dir noch auf ein, zwei Stunden ausgeht.



Unten wartet noch jemand. Sie geht auf und ab, ganz in Schwarz, gelangweilt abwartend. Ihre hohen Schuhe knallen auf dem leeren Platz vor der Betonwüste des Theaters, und so verinnen die Minuten in dieser kühlen, aber nicht kalten Nacht. Vielleicht kennst du sie, sehr wahrscheinlich sogar, aber wenn es die ist, an die du denkst, dann willst du sie nicht treffen. Da ist zu viel passiert, es hat von Anfang an nicht geklappt, die Ablehnung war auf beiden Seiten gleich stark.

Dann rauscht drinnen wie ferner Regen der Applaus, lange, durchdringend, es kommt eine Zugabe, Applaus, da capo, und dann tröpfeln die Herrschaften heraus, überraschend viele ältere Frauen immer noch mit goldenem, silbernem, blauen und grünem Lametta um die Oberkörper, unscheinbare graue Männer, dazu einige junge Leute im Landhausstil, weiss und braun, die nächste Generation, nur wenig Abendkleider, obwohl davon oft Dutzende in den Schränken schlummern, und alle schwatzen sie durcheinander. Unter ihnen ist auch dein Date; sie weiss, dass du oben an der Treppe wartest, also schüttelt sie Frau Mama ab, die mit einer Horde anderer Leute, unter denen auch deine Eltern sind, Richtung Kanonier verschwindet.

Noch bevor du ihr entgegeneilen kannst, kommt die Frau in Schwarz die Treppe hoch, zusammen mit einer typischen, rundlichen Matrone. Sie ist nicht die, an die du gedacht hast. Und erst Stunden später, als Iris dann gegangen ist, ihr Parfum noch den Raum erfüllt und der Schlaf nicht kommen will, fallen dir all die offenen Enden, unerledigten Beziehungen und ausstehenden Telefonanrufe wieder ein, die eigentlich abgearbeitet werden müssten, wenn du hier endgültig wieder ankommen und ein Teil der Gesellschft werden willst.

Willst du aber nicht. Eigentlich.

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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 23. September 2005

Real Life 22.09.2005 - Die Reise nach G.

Im Boden eingelassen ist ein Trampolin, und alle Kinder wollen hoch hinaus. Weil sie nicht im Einklang springen, nimmt das Gummituch keine richtig Schwingung an. Sie kommen nicht weit nach oben, und am Rand stehen besorgte Mütter, immer bereit, den Bewegungsdrang zu stoppen, falls mal doch eines zu hoch kommen sollte, man kann ja nie wissen. Es ist angenehm weit weg von hier, nicht allzu laut, eine kaum störende Kulisse für einen geruhsamen Nachmittagstee in der Frühherbstsonne. Bevor das Reisen wieder beginnt, und die lange Phase der Ruhe beendet. Vier Städte in zwei Wochen, Karlsruhe, München, Strassburg, Berlin, und vielleicht auch noch Basel. Du rührst missmutig in deinem Tee und überlegst, wie du zumindest den Trip in die Schweiz ausfallen lassen kannst.

Und was du Iris mitbringen kannst, die auf der anderen Seite des Tisches wenig gut gelaunt ist. Das war so nicht vereinbart, da hat sie recht. Eigentlich solltest du am Samstag abend im Festsaal mit ihr in einem Konzert sein. Und mit ein paar Bekannten. Schlisslich gibt es sowas nur zweimal im Jahr. Sie hätte auch noch eine Karte für die Elitesse, die aber eingedenk des letzten katastrophalen Treffens lieber eine Zwischenprüfung machen würde, als nochmal mit Iris zusammenzutreffen. Was machst Du eigentlich mit der, fragen beide Seiten, und du bist irgendwie ganz froh, dass sie sich nicht gegenseitig darüber aufklären. Du redest im Autopilotenmodus irgendwelche Belanglosigkeiten in dem Wissen, dass der Abend mit ihr, wenn er denn vorgesehen gewesen wäre, wenig angenehm verlaufen wäre. Hoch oben zieht ein Flugzeug eine Kondenslinie in den unfassbar blauen Himmel.



Ich verstehe dich nicht, mault Iris. Kannst du nicht wann anders dort hin fahren? Dort ist G., ein kleiner Ort im südlichen Elsass zwischen Colmar und Mühlhausen, mit einer berühmten romanischen Abtei, aber die ist nicht dein Ziel. Du warst zehn Jahre nicht mehr dort, in dieser kleinen Stadt, wo sich die Menschen langsam hocharbeiteten, eineinhalb Jahrhunderte, bevor sie dann weiterzogen nach Franken, und deren letzter Spross du bist.

Drüben plärren die Kinder, die ohne Geschichte und Erinnerung aufwachsen werden, ihre Eltern werden alles platzsparend digital speichern, und später einmal wird das alles weggelöscht. In Zukunft wird sich die Geschichte aus 0 und 1 nicht mehr sträuben, wie in G., wo sie in allen Steinen steckt. Du könntest jetzt mit Iris einen Dialog darüber führen, wieso gerade eure beiden Clans mit euch aussterben werden, und ob das nicht auch ein Stück Luxus ist, das Antlitz der Welt von diesen alten, stumpfen und nicht weiter entwickelbaren Geschlechter zu befreien, in den Steinen sind ja noch genug Erinnerungen, und warum sollten nicht mal andere die Chance bekommen, die Stadtpaläste und Vorstadtvillen, so die nächste Flut sie nicht wegschwemmt, zu beziehen.

Aber das ist vielleicht nicht das richtige Thema für diesen Tag, und so versprichst du ihr, dass es nicht lang dauern wird, zu den Gräbern darf man sowieso nicht an diesem Tag, und mit dem Audi dauert es keine drei Stunden... das ist gelogen, du weisst, dass du es nicht schaffen wirst, aber es wahrt den eitlen Schein unter diesem einzigartigen blauen Himmel.

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