: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 15. Dezember 2005

Real Life 14.12.05 - 18 Karat

Die versteckten Läden und Suterrains in Kreuzberg und Neukölln, in die es kaum Touristen verschlägt, weil schon die Strassenauslage mit dem billigen Modeschmuck und die zertrümmerten Möbel nach Not und Elnd riechen; die finsteren Kellerschläuche voller Staub und abgetretener Teppiche, wo in Kisten alte Rahmen und geborstene Spiegel lagern, die Händler mit den kleinen Gläsern mit gesüsstem Tee, die inmitten von Nerzmänteln, Bronzestatuen und überfüllten Vitrinen auf dich warten und dir einen Cay anbieten - das alles ist dein Jagdrevier, im Bauch der Stadt, die hier nicht weniger schäbig zu sein scheint als überall, aber der Kundige erkennt in all der Enge und der Überfüllung den Luxus vergangener Zeiten, den Wert der Dinge und natürlich auch das harte Verhandeln, das die Clans vor den Verkauf setzen, wo mit Auktionskatalogen argumentiert und mit Schäden die Preise gedrückt werden, ganz so, als sei man ein japanischer Millionär, der sich tausend Euro für ein Lackschälchen leisten könnte - oder der chinesische Schrank sei gar nicht so alt, wie er tue, ein hartes Streiten allein um des Sports willen, und in dieser Jahreszeit oft unterbrochen durch andere Kunden, die ebenfalls zu den Wissenden gehören.



Die meisten sind abgerissen, mit abgetretenen Schuhen und billigen Mänteln, und nichts ausser vielleicht die goldenen Daytona verrät, dass sich der ältere Mann mit den Falten tatsächlich die Barockgemälde leisten kann, die hier gar nicht erst auftauchen, sondern per Telefon verkauft werden. Aber es geht auf das Jahresende zu, da muss etwas besonderes her, was man nicht einfach per Telefon kaufen kann, schliesslich soll es verschenkt werden. Und so gehen einige Schubladen auf, und aus Stofftaschen fällt Üppiges in Gold und Platin, es funkelt wie Strass, aber Strass, das weisst du, gibt es hier unten nicht, nur das Echte, und der Mann mit dem alten Mantel beginnt, den Haufen auf dem Tisch zu durchwühlen, hält Stück für Stück ins Licht, und fragt nebenbei auch nach einem Ozelot, der gekommen sein soll.

Es ist, so hörst du nebenbei, als du ein barockes Stilleben inspizierst, vor nicht langer Zeit eine Schauspielerin alt, vergessen und einsam gestorben inmitten des Prunkes ihrer frühen Jahre, und obwohl sie verfettet war, konnte erst der Tod sie trennen von den Pelzen, die allenfalls einer junge Frau gepasst haben und die in den 60er Jahren, der Blüte des Wirtschaftswunders in Berlin für Furore gesorgt haben dürften, nebst all den breiten Goldbändern, die jetzt hier im Keller verhandelt werden. 18 Karat, darunter ging früher und geht auch heute nichts. Das tragische, sagt der Käufer, sei diese Zeit an sich, man könne dergleichen nur noch in Zürich oder Genf tragen, aber keinesfalls hier in Berlin, da wäre es geradezu gefährlich mit all den Tierschützern, Neidern und sonstigem Pack, den Rolls lasse er auch immer stehen und komme mit dem Taxi.

Er greift wieder in das getüpfelte Fell, fragt deine kleine Schwester, ob es ihr als Frau gesprochen gefallen würden, findet nach ihren Zweifeln die 8.000 zu teuer und der Händler, eingekeilt zwischen den Argumenten deiner missratenen Verwandtschaft und den Hinweisen auf alte, gute Beziehungen, windet sich und gibt doch noch etwas Rabatt für den Ozelot. Dann werfen sie ein Armband auf eine Briefwaage, die sofort in die Knie geht, debattieren über die Feinjustierung und rechnen mit dem Goldpreis nach.

Du gehst wieder nach hinten, zu einem venezianischen Spiegel, und betrachtest den Typen da drin sehr genau, ob da keine Ähnlichkeiten sind, ob du tatsächlich so anders bist, wie du sein möchtest; nicht unbedingt in der Kaufkraft, aber einfach, was die Art angeht, das Wesen, denn auch du kommst nicht im schwarzen Anzug, auch du sagst Pelzträgerinnen nicht ins Gesicht, was du davon hältst, zumindest nicht in der ganzen Schärfe, so weit weg ist der nicht von deiner sozialen Klasse, es ist die Berliner Version dessen, was du von daheim kennst, und es wäre schön, wenn es irgendetwas geben würde, das dir garantiert, dass du nie so werden wirst.

Das ist ein Prunkstück, sagt der Händler, der deinen Blick falsch interpretiert, und fügt hinzu, dass er von einem Händler dafür 1.800 nehmen würde, aber er hängt jetzt schon so lange da, seit er dich kennt, und wenn du ihn willst, könntet ihr reden, schliesslich ist Weihnachten und er ist bereit, dir eine Freude zu machen - letztlich, das sei hier verraten, hat ihn deine kleine Schwester dann gekauft, und ob sie beim Blick hinein je zweifeln wird, ist eine andere Frage.

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Mittwoch, 7. Dezember 2005

Real Life 03.12.05 - Teacanned

Da war diese Sache mit dem Hirsch. Der Hirsch ist eine eigene Geschichte, die sicher noch so ihre Folgen und Irrungen haben wird; ein Spontankauf, der nur bedingt für sich in Anspruch nehmen kann, die Träume einer gewissen Schicht zum Jahresende zu erfüllen. Iris hat ihn gekauft, bekam ihre Zweifel, ob ein derartig degoutantes Geschenk nicht doch von der Ex-Schweigermama abgelehnt wird, wollte ihn dann aber auch nicht umtauschen, schliesslich kennt ihre Mutter doch die Ladenbesitzerin, und jetzt steht der silberne Hirsch bei ihr daheim, in der Hoffnung, dass zu Weihnachten irgendjemand eine Geschmacklosigkeit schenkt, der die Rache mit einem

o.6 Meter langen und mit Beleuchtungsmittel 0.7 Meter hohem silbernem Tischkerzenhalter in Form eines röhrenden Hirsches

rechtfertigt. Im Geschäft war der Hirsch mit Goldflitterkerzen ausgestellt und sah in dem ohnehin üppigen Ambiente nicht allzu brutal aus; als Präsent gerade mal so daneben, dass es nicht bösartiger sein würde als drei Tage Wellnessurlaub in Bad Gögging für Senioren. Daheim in ihrer neuen Wohnung, inmitten von relativ modernen Möbeln, entfaltete das Vieh dann seine ganze Hässlichkeit, und sofort war klar: Das unter den Weihnachtsbaum der Ex-Schwiegermutter, und zwei Clans der kleinen Provinzstadt hätten Anlass zu einer mittelpächtigen Vendetta. Und das, nachdem sich zumindest die Eltern des geschiedenen Bräutigams dazu durchgerungen haben, die Trennung zu akzeptieren - schlimmer wäre es ja gewesen, Iris wäre bei ihm geblieben und wäre dann trotzdem dauernd mit - kleines, scharfes Luftholgeräusch - "dem" unterwegs. Der da mit seinen Büchern und seinen frechen Bemerkungen im Konzertverein. Der da, der du bist.

Zumindest diese Woche sind sie von dir befreit, denn du bist in München. Und am Samstag Abend ist Iris in der Stadt, später geht es mit ihren Eltern ins Gärtnerplatztheater, Gräfin Mariza, und davor geht sie Suche weiter nach dem passenden Geschenk für die unpassende Gelegenheit. Durch die Kälte der späten Nachmittags geht ihr durch Schwabing, die Belgradstrasse hinauf Richtung Norden, vor den Schaufenstern verweilend und nachdenkend, was denn nun angemessen wäre. Eine silberne Teekanne zum Beispiel hätte den Vorteil der Wertbeständigkeit, denn die gewesenen Schwiegereltern trinken nur Kaffee, da würde der Kanne nie etwas zustossen, alles wäre, bliebe fein und ohne Dellen bis in alle Ewigkeit.



Oder ein Tablett mit der Gravur "Zum Abservieren - von Eurer Ex-Schwiegertochter Iris", schlägst du vor, und noch ein paar andere Gemeinheiten. Eine Zuckerdose voll mit Süssstoff etwa, als dezenter Hinweis und Gesundheitsvorsorge. Oder Austernngabeln, um dann später in der Konzertvereinspause zu hören, dass diese Leute damit den Kuchen in sich reinstopfen. Oder Krebsmesser. Und dann, wenn die Frage kommt, was das ist lächelnd sagen, dass es Toilettbesteck ist, mit den Zinken säubert man die Fingernägel und mit den Schäufelchen kratzt mn die Ohren aus.

So schlimm, meint Iris, bevor Du die Sach mit den Schneckenzangen als Mösenöffner bringen kannst, seien sie dann doch nicht. Im Prinzip sei ja alles glatt gelaufen, das Problem sei eher er und seine unerträgliche Schwester, die Anrufe, die ab und zu mal kommen und die Selbstverständlichkeit, mit der da weiterhin Ansprüche geltend gemacht werden. Sie werde schon noch sehen, wohin sie das bringt, aber er wäre bereit, ihr zu vergeben.

Das sind sie ja immer, der grosse Traum von der zurückkriechenden Frau, die draussen die Hölle mitgemacht hat, Maria Magdalena in der Kleinstadtversion, die dann Kinder kriegt und mit diesen konservativen Namen versieht, Antonia, Mechthild oder Gerlinde, und sie dann später bewusst in die Schulen mit den durchgeknallten Lehrern und dem üblen Ruf stecken, damit aus denen mal was wird, oder zumindest einen ordentliche Ehefrau und Reproduktionsmaschine. Unconditional Surrender hiess das unter anderen Bedingungen, und gerade der Winter, wenn es kalt und einsam ist, ist die grosse Zeit der Rückfälle. Vielleicht solltest du sie mit jemandem verkuppeln, der ältere Sohn der G.s zum Beispiel ist gerade wieder zu haben, der ist nett, ein bisschen dumm, sicher gut im Bett, hiess es zumindest früher, und jederzeit wieder absägbar.

Dann geht ihr zurück durch die Strassen des Viertels, vorbei am Vorstadtcafe und am La Boheme, und bei einem Kleiderladen, da bleibt sie stehen und will kurz rein, da, wegen dem blauen Kleid, ein mittellänges, halbdurchsichtiges Nichts mit meerjungfrauschillernden Pailetten. Sie probiert es an, und es bricht dir fast das Herz zu sagen, dass es eher was für Blondinen ist, es ist zu hell für ihren dunklen Typ, und als sie eingeschnappt zurück in die Kabine geht, da betrachtest du ihre Schultern, ihre Bewegungen, und beschliesst, ihr nachher, vielleicht, zu sagen

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Sonntag, 4. Dezember 2005

Real Life 03.12.05 - München dünkelt

Über das Glatteis, vorbei an den Resten eines umgekippten Lasters und ein paar anderen Trümmern hinein in die Stadt, die so gerne eine Weltstadt wäre und deren literarische Creme im Moment unisono flennt, auf dass das städtische Kulturvollzugsblatt auch weiterhin erhalten bleibt. Der Organisator des Aufstands der Anständigen Autoren ist ein alter Bekannter, der langsam das kulturelle, nun schon viele Dekaden alte Vakuum mit Umtriebigkeit auffüllt. Hättest du ihn darauf hingewiesen, dass du Berlin verlassen hast, wärst du vielleicht auch auf der Liste der angefragten Vorleser in einem Kampf, der sowas von fucking sinnlos ist, sollen die Herren Autoren doch mal den Arsch hochbekommen und bloggen, dann klappt das auch mit dem Lesungsmarketing. Aber nein, dann müssten sie ja was ohne Förederung tun, ohne Förderung rührt hier in der Stadt keiner einen Finger, und irgendjemand kennt man ja immer, der irgendein Projekt betreut. Wie eben dein Bekannter.

Jetzt, im Eis und Schnee, ist das Risiko eines Zufallstreffens mit anderen Buchschreibern nicht allzu gross, keiner sitzt im Moment draussen, wo dein natürlicher Weg zum Bäcker führt. Im Sommer ist das widerlich; wer denkt, die ganzen Berlinromanwixer in Berlin ohne Kohle seinen die Pest, hat noch nicht die Münchner schwarzen Pocken erlebt, die mit ihren rechteckigen Brillen Mädis des staatlichen Jugendhirnfickfunks Geschichten darüber erzählen, wie gemein die Welt doch zu junger Literatur ist. Weil kein Verlag will, weil Berlin cooler ist, weil München irgendwie nicht die richtigen Krisen hat und die Provinz im Moment sowieso rult, verdammt wieso sind sie keine dieser Leipziger Nadelschnallen, die haben es gut, aber in München reicht es gerade mal so mit Zeitschriften und den mies besuchten Lesungen, wo sowieso nur die drin sitzen, die auch so gern mal da vorn sitzen würden.

Ja, der Biller, der ist auch nmach Berlin gegangen, Recht hat er, das SZ Magazin ist immer voll mit Zeug von anderen, noch nicht mal eine Kunstkulturzeitschrift gibt es hier, nur diese tollen Blondinen, die aber lieber Anwälte ficken und Berater, aber nicht so im Prinzip aufsteigende Stars wie sie. Aber vielleicht wird es besser, wenn sie sich auf so ein Stipendium bewerben, wobei, da muss man ja was haben, Magersucht zum Beispiel oder eine ausländische Herkunft oder zumindest einen gut gemixten Genpool, Juden gehn noch immer egal wie scheisse die Bücher sind und Asiatinnen sind verdammt schwer im kommen. Ach so, Klagenfurt, das wäre auch noch eine Sache, genau, aber da brauchen sie auch erst einen verlag, und sie kennen zwar jemanden, der jemand bei der Stadt kennt, der ihnen den Raum gibt und die Mittel, aber leider keinen, der einen Verleger kennt. Kann sein, dass aber der B. einen Verlag aufmacht, so einen ambitionierten Kleinpublisher mit Eventagentur und so, der kennt sicher ein paar Leute, die was über die tollen neuen Kleinverlage mit ihrem tollen Programm machen, dann wäre das eine Möglichkeit, aber klar doch.

Das alles hat die Kälte ins Puck und ins Maxim getrieben, wo sie Grappa saufen und öfters mal wichtige Gespräche mit ihren Agenten führen, die auch aus der hiesigen Scene sind und schon mal was mit der Stellvertretenden hatten, nur dummerweise ist das ein Kunstverlag, da geht nix, aber wenn die eine junge Literaturlinie aufmachen, dann geht das ganz sicher, und so lange verteilen sie ihre Visitenkarten und passen auf, dass sie nicht daneben greifen und eine nehmen, die sie auch noch als

- Galerist
- Journalist (frei)
- Eventmarketeer
- Werbefachmann

ausweisen, oder was sie sonst noch machen, um sich den schönen Schein und die Leasingrate leisten zu können. Manchmal hat ja irgendein Minister Lust auf Kultur bei seinen Events, dann kriegen sie manchmal einen kleinen Auftrag und geben 10% an die Studentinnen der Kunsthochschule weiter, die es umsetzen und auch gern die Chicks on Speed wären, aber halt nur die Barhendl in einem orange erleuchteten Schlauchcafe sind, neben den aussortierten Volontärinnen und anderem Treibgut am Isarstrand. Du bekommst es nur so am Rand mit, manchmal erzählt dir einer was, oder du bist mit einem Haifisch unterwegs und sie laufen dir dabei über die Quere.

Gestern warst du einkaufen im Baumarkt, da war eine, die war einer anderen wie aus dem Gesicht geschnitten, die gleichen hellblauen, schmalen Augen aus der Oberpfalz, der asiatisch angehauchte Typus, der da manchmal rumläuft und von dort nach München kommt, um sein Glück zu machen. Sie hatte einen Typen dabei und einen Kinderwagen, und du musstest mit deinen übernächtigten Augen ganz schön nah ran, um zu erkennen, dass es nicht die war, von der sie dir ab und zu was erzählen, weil sie wissen wollen, ob da noch was geblieben ist. Sie war es nicht, aber sie könnte es sein, warum auch nicht, irgendwann werden sie schon vernünftig und tun, was übrig bleibt, wenn alle Hoffnungen von den Büchern, den Features, den Redakteursposten und dem Kulturmanagement verflogen sind.

Du bist wieder in der Munich Area, du siehst Gespenster, du kennst ihr Vorleben und das Ende, und du bist verdammt mies drauf. Ohne Grund, einfach so. Oder doch, natürlich, weil es immer noch so ist wie früher. München dünkelt. Besonders da, wo du völlig übernächtigt lebst.

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Montag, 28. November 2005

Real Life 27.11.05 - Pflichtttermin

Meistens am 4. Sonntag im Monat ergiesst sich ein langer Strom der ortstypischen, schweren Automobile aus den Vorstädten in Richtung Süden, durchquert die Tiefebene, klettert über die erste Hügelkette hinunter in das nächste Tal, durchschneidet es nach Süden und fliesst dann über kurvige Strassen weiter in Richtung der Munich Area. Doch nicht die Staatsoper ist diesmal das Ziel oder eine der Pinakotheken, sondern der Volksfestplatz in einem mittelkleinen Kaff namens Pfaffenhofen, oder, wie es hier augesprochen wird, Pfohoafa. Pfaffenhofen ist einer der Orte, in dem man nicht begraben sein möchte, und alles, was jemals von hier kam und bekannt wurde, waren die EM-TV Gründer, die Haffa-Brüder. Hier bei uns weiss man, dass aus Pfohoafa noch nie etwas Gutes gekommen ist, nur de Grattla und as Gschleaf, weshalb hier auch kaum jemand EM-TV-Aktien erworben hatte.

Aber dennoch gibt es diesen einen Ausnahmetag: Denn dann ist der berühmte Pfaffenhofener Flohmarkt. Der ist richtig gut, was nicht verwundern darf, schliesslich kommen die Händler von überall her, nur eben nicht aus diesem Kaff. Dieses Kaff hatte früher nichts, was man heute irgendwie als "Antiquität" definieren könnte, und bis zu diesem Tag ist es rückständig, verschnarcht und zudem mit einem erbärmlichen Ring von Toskanapestsiedlungen umschlossen. Doch an 12 Sonntagen im Jahr verwandelt es sich in ein ergiebiges Jagdgebiet für die gesamte Region.



Entdeckt hast du den Markt vor Äonen dank R., dem langbeinigen Chirurgensohn aus der nächsten Vorstadt, der etwas jünger war und, damals noch ohne Führerschein, dich bat, ihn dorthin zu fahren. R. muste nicht gezwungen werden, in die Fusstapfen einer Eltern zu treten; schon früh entwickelte er ein ausgeprägtes Interesse für offenliegende Innereien und Knochen, mit Gemüse hingegen konnte er nichts anfangen. Er hatte eine gewisse Vorliebe für alles Fleisch, an dem noch Knochen waren, und Flohmärkte besuchte er vor allem, um sich mit altem medizinischen Gerät einzudecken. Hier ein Skalpell, dort ein Bohrer, ein paar Gewebezangen und Klistiere, und als er einmal bei einem Militariahändler eine original Wehrmachtknochensäge erstand und sie auf dem Heimweg liebevoll streichelte, hast du beschlossen, dass du lieber im Strassengraben verrecken wolltest, als als medizinisches Opfer an R. zu geraten. Seine Eltern hingegen hatten Verständnis für sein Faible, was denjenigen wenig überrascht, der sich dem Unglück einer Einladung zum Mittagessen nicht widersetzen konnte. Mutmasslich geht es bei den Tischgesprächen von Metzgern weitaus zartfühlender zu, als in dieser alten Villa im grossen Garten. Vermutlich ist das alles eine Frage der Gewöhnung, oder der Fähigkeit, den Geist abzuschotten gegen die anbrausende Erzählungen von in Jägerzäunen gespiesste Autofahrerschädel.

Während also diese Einladungen bald so höflich wie nur irgend möglich abgelehnt wurden, blieb jedoch die Vorliebe für diesen Markt, der im Übrigen noch ganz andere Preziosen als Folterwerkzeuge zu bieten hat. Genau genommen ist es der einzige Markt zwischen Wien und Berlin, der etwas taugt und bei dem die Preise auch ärmeren Millionären und Palastbesitzern eine Chance geben, sich standesgemäss mit grösseren Mengen Antiquitäten einzudecken, und du denkst bereits vor für die 10 Zimmer im Hinterhaus.

Zum Glück denkt die hier angereiste Oberschicht nicht besonders weit, sie sind eingeschossen auf helle Einrichtung, am besten schlichtes Biedermeier oder Bauernmöbel. Pompöses wie venezianische Spiegel oder Fremdartiges wie japanische Holzschnitte lassen sie liegen, und bei englischem Silber monieren sie das Fehlen der deutschen 800er-Stempel. Kurz, sie verschmähen alles, was du suchst, und als dir dann die Häupter des K.-Clans begegnen, können der Herr und seine Dame nicht ganz umhin, deinen ob der durch die Ankäufe zum Ausdruck kommenden Geschmack behutsam zu kritisieren. Aber, wie sie schon vom Pausenprosecco im Konzertverein wissen, gehst du ja auch mit geschiedenen Frauen aus und hast Freunde in Berlin, insofern verzeiht man dir auch diese preziöse Exzentrik. Denn noch sind sie keinesfalls ausgestorben, die toleranten Schrankabbeizer und Furnierabreisser, die sich so gerne mit bäuerlichen Möbeln umgeben und den Tee aus den groben Tassen trinken, die ihre Frau mit der Töpfergruppe nach sehr ursprünglichen Methoden aus im Vollmond von Frauenhänden nach dem Eisprung geschlämmten Ton formen und in Ofen brennen, für deren Stromkosten allein sie problemlos eine Kiste KPM in Berlin erwerben könnten.

Hier also prallen Welten aufeinander, aber du bleibst vordergündig höflich und stichelst, indem du dich verwundert zeigst, sie heute hier zu anzutreffen; sollten sie den Kirchgang geschwänzt haben, wo doch ihre Nachbarn, die Kathoblockwarte L., sonst so sehr darauf achten, von ihnen mit dem Auto mitgenommen zu werden, der Umwelt und der Kontrolle zuliebe? Frau K. weicht nicht unelegant aus und redet über was anderes, aber du weisst ohnehin schon - ebenfalls aus dem Konzertverein - dass es da wohl ein Zerwürfnis gegeben haben muss, weil die L.s im Laufe der Jahre wohl doch etwas zu extrem wurden in der Nutzung der nachbarlich-christlichen Nächstenliebe. Manche sagen gar, Frau L. sei eine ruachade Grattlerin, die alles und jeden ausnützt, nur um ihren vier katholischen, hässlichen Blagen und 10+x Enkeln noch mehr Geld geben zu können. Nicht dass sie arm wären, alles andere als das, aber wie es so schön heisst, von den reichen Leuten kann man das sparen lernen.

Du lädst dann die K.s noch zur Hausbesichtigung im Stadtpalast ein, sie revanchieren sich vorsorglich mit einer Einladung zum Essen mit Tochter, die so ab dem 20. Dezember in der Stadt ist, und als du dann weiterziehst, hoffst du, dass HNO-Ärzte wie Herr K. dann andere Gesprächsthemen kennen, als ihre Arbeit in der kalten Jahreszeit.

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Donnerstag, 24. November 2005

Real Life 24.11.05 - Reifenwechsel

In einem Vorort der Stadt, der früher ein Dorf war und jetzt eine heterogene Ansammlung von Neubauten im Toskanastil, Ärztehäusern und stahlglänzenden Gewerbebauten ist, befindet sich das Autohaus B.. Die paar Felder am Rend zur Stadt, in deren Furchen sich das letzte Weiss festklammert und auf baldigen Nachschub hofft, werden in zehn Jahren auch verschwunden sein, und nichts erinnert dann im Häusersumpf noch an die fruchtbare Ebene, über die deine Familie hier vor 150 Jahren in die Stadt zog. Damals war die B.s noch die Schmiede im Dorf und besorgten die Fuhrwerke und Kutschen deines Clans ein Kaff weiter, dann betreuten sie die ersten Dampfmaschinen, später auch frühe Automobile, und heute sind noch ein paar Metallplaketten und Stahlstiche Zeugen der früheren Epoche. Vom ersten Automobil der Famile Anfang der 20er Jahre abgesehen, kamen fast alle Autos von den B.s, man kennt sich schliesslich und hielt auch in der schlechten Zeit zusammen.

Heute braucht das weisse Geschoss die Winterreifen, und deshalb steht der übliche Besuch an. Nichts hat sich geändert, im Showroom steht immer noch der dunkelblaue Bolide, mit dem der nicht mehr ganz junge Junior ab und zu Rennen fährt, die Topklasse und ein paar Oldtimer, und davor die langen Reihen der heimischen High-End-Produktion. Du betrittst die Annahme mit ihren praktisch, trostlosen beigen Schrankwänden, den Aluminiumsesseln und den vergeblich gegen die Langeweile der frühen 80er Jahre anfärbenden Zeitschriften wie Elle Deco und House & Garden, die die Frauen unterhalten sollen, während sich die Männer über die Anzahl der Zylinder unterhalten, die beim Flug ins Nichts später mal vor ihnen in die hier mannigfaltig am Strassenrand vorhandenen Bäume knallen sollen. Es sind die sichersten Autos und die dümmsten Fahrer der Welt, hier im Westen der Stadt.

Der Meister begrüsst dich, und als der Name erklingt, springt hinter einem gigantischen Flachbildschirm ein kleines, rotes Chanelkostum auf, in dem die alte Frau B. steckt; rote Haare, viel rote Schminke, mehr jedenfalls, als man bei Frauen über 85 erwarten würde. Sie weist den Meister an, die Reifen zu wechseln, und bitte dich, doch so lange auf einen Ratsch zu bleiben. Sie räumt das lokale Anzeigenblatt beiseite, lässt von der Azubine Tee und Kaffee holen, und holt aus dem Schreibtisch eine Packung Toffifee. Das letzte Vergnügen, das ihr bleibt, erzählt sie, die Zigarillos haben Egon, ihren kettenrauchenden Mann, vor zehn Jahren ins Grab gebracht, und sie hat vor fünf Jahren aufgehört, a Pfund Dreck braucht der Mensch im Jahr, wie man hier sagt, aber es reicht auch so heutzutage, und ihre knotigen Finger zerren die braunen Halbkugeln aus dem glänzenden Plastik.

Sie will wissen, wie lange du bleibst, was du im Moment so tust, und ob du immer noch die Freundin hast, und wann eigentlich mal die Hochzeit sein soll. Du sagst sehr schonend, wie es aussieht, dass dein Leben frei und ungebunden bleiben soll, und sie meint, so seien die jungen Menschen nun einmal, die S. von schräg gegenüber etwa, na du wüssest schon, die sei ja mit dir in die Schule gegangen, bei der habe die Ehe auch nicht geklappt. Du lächelst leise als Zeichen deiner Diskretion und als Aufforderung, noch mehr zu erzählen, und so sagt sie dir alles, alle unschönen Details...

über das weitere Leben einer Frau, die du nie bekommen hast, in deren Nähe du nie warst und die auch nie erreichbar war, obwohl du so ziemlich jede Dummheit begangen hast, die man so begeht, wenn man 15 ist und keine Ahnung hat, wie das mit den Mädchen eigentlich so geht. Vielleicht hätte sie noch mehr erzählt, aber dann kommt der Meister und sagt, dass die alten Reifen zu abgefahren sind und ausgetauscht werden müssen, morgen sind die Neuen da.

Frau B. sagt ihm, dass das Draufmachen auf´s Haus geht, nur die Reifen seien zu berechnen, und den Termin kannst du nach Belieben aussuchen. Du verabschiedest dich und betrachtest dabei all die grotesken Ringe der 50er, 60er, 70er und 80er Jahre an ihrer Hand. Draussen warten schon die anderen Boliden anderer Menschen auf neue Reifen, damit sie auch bei schneeglatten Fahrbahnen 190 fahren können. Es ist immer noch bitterkalt, obwohl die Sonne scheint, und als die Unzahl von Pferdestärken vor dir zum Leben erwachen, gibst du dir einen Ruck und fährst an ihrem Haus vorbei, in dem sie inzwischen wohl einen Stock für sich alleine haben dürfte. Still liegt das hohe Haus hinter der perfekt geschnittenen Hecke, kein Licht, kein Zeichen, nichts dringt in die Aussenwelt, und so fährst du weiter durch Häuserzeilen, in denen Generation auf Generation im Wohlstand das Leben gedankenlos zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen und persönlichem Scheitern verschwenden wird.

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Freitag, 18. November 2005

Real Life 18.11.05 - A room with a view

Der frische Multimediacontent rast gerade über die Hamburger Mac in die Beschleunigung für den Weg in den Süden, da klingelt das altmodische Telefon ohne Anzeige und AB. Hier hat man sowas oft nicht, wenn man da ist, geht man ran, wenn man nicht da ist, klingelt es halt. Sage keiner, dass die Zeiten der Wählscheibentelefone vorbei ist, hier zumindest nicht. Es klingelt drei Mal, dann bist dran, ohne dem Händel den Saft abdrehen, der hier die Luft erfüllt, hätte es noch nicht mal so lang gedauert.

Wie es morgen aussieht, will Iris wissen. Ganz schlecht, ist die ehrliche Antwort, und damit schon wieder ein ausgefallenes Konzert. Gut, meint sie, dann geht sie auch nicht, das ist ihr ohnehin zu früh und auch sonst passt das Programm nicht. Aber du solltest dir mal überlegen, warum du überhaupt hier bist, wenn du nicht am Leben teilnimmst. Draussen bricht die Sonne zum ersten Mal seit Tagen durch die Wolken, zumindest so, dass alles im herbstlichen Sepia erscheibt, und du fragst dich, ob es so eine gute Idee ist, sich zu sehr auf das alles hier einzulassen.



Schliesslich hast du erst gestern nein gesagt zu einem Antrag, ein paar Wochen ab Januar wieder Richtung Südwesten zu gehen, in ganz anderem Auftrag und mit einer Arbeit, der es nicht egal ist, ob du erst um 5 ins Bett gehst. Aber die nächsten Monate werden hier nicht ganz unhart, so klein ist diese Stadt und so übel werden die neujahrsempfänge zwischen Betonfrisuren und lebensgrossen Keramiktigern in der Vorstadt, bei den Ferrarisammlern und den Vätern unverheirateter Töchter. Alle werden fragen, ob man sich auch für das zweite Abo angemeldet hat, das 2006 Mozart im Überfluss bietet, und wenn du es vergisst, wird man dich kurz vor dem ersten Konzert anrufen und sagen, dass man extra für dich ein Abo zurücklegen hat lassen, du weisst ja, wie gut ihre Verbindungen sind, da kannst du gar nicht nein sagen.

Da draussen vor dem Fenster, in den Kirchen, den Collegien, den Bruderschaften und besseren Kreisen wird sich nie was ändern. Warum auch, es funktioniert, es ist unfassbar stabil und wahrscheinlich auch richtig so. Niemand ahnt etwas von dem Leben da draussen, die kurzen Tage vergehen schnell und lassen viel Raum für den Schlaf, der ihr Leben beherrscht bis zum Übergang in das Nichts, das sie von Geburt an in sich tragen. Die Litaneien, für die all das vor dem fenster aufgetürmt wurde aus dem Morast der Tiefebene, haben ihre wahre bedeutung nicht verloren, einer nach dem anderen wird alterm und hinscheiden, und das einzige bestreben kann sein, sie zu überleben mit ihren Chorälen der Entsagung und der Dummheit.

Du sagst noch ein paar Nettigkeiten, bietest ein Essen am Montag an und vielleicht auch einen Trip zum Einkaufen nach München, und legst auf. Von weiteren gedanken hält dich ein Haifisch ab, der grosses verkündet, den Fall eines Giganten, der gerade jetzt schon lautlos stürzt, keiner vermag es zu hören, doch er fällt, und wenn er in Trümmern explodiert, versichert der haifisch, wird auch Dein Dasein wieder spannend. Dann liest Du, dass die grosse Koalition in Berlin besiegelt ist, und empfindest Erleichterung ob des Umstands, jemand anderen an Deiner Stelle in Berlin auf den krummen Wegen der Bundespolitik zu wissen.

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Donnerstag, 10. November 2005

Real Life Sommer 1984 - Days of Splendour

Es ist kein Tag wie jeder andere. Der Weg in die Stadt, zuerst über den Feldweg, der das kleine Seeviertel mit dem grösseren Westviertel verbindet, entlang der geraden, breiten, wenig befahrenen Strasse vorbei an den Villen, in denen Bankdirektorentöchter tot und leer in Richtung Ehe vor sich hindämmern, gesäumt mit gelben 911er Targas und seegrünen S-Klassen, über die Ringstrasse durch den Park über den geborstenen Festungsanlagen, diesen Weg fährst du diesmal allein auf deinem stahlblau-gelben KTM-Rennrad. Es ist Sommer, es ist heiss, die Schule wird nur vier Stunden dauern, und dann bist du erlöst.

Heute wird es furchtbar. Es ist ohnehin kein Spass, als Aussenseiter in dieser eher technisch orientierten Schule. Nur langsam beginnen sie, ein wenig Respekt zu haben. Seit den Surfbrettern bist du plötzlich interessant für die Mädchen, die raus zu dir an den See kommen, auch die S. ist dabei und die B., was so ziemlich alle verwundert. Irgendwie ziehen ihre Enduros nicht mehr so richtig. Die langen Jagden auf dem Rennrad durch das Altmühltal sorgen dafür, dass die schlagenden Proleten und ihre Freunde das Konfliktmanagement aktiv aus der Reichweite deiner Beine verlagern. Du hast einen Tanzkurs gemacht und eine wirklich hübsche Partnerin bekommen, die den Ansprüchen deiner Eltern genügt. Sommer 1983 und 84, da schien sich alles zum Guten zu wenden.

Bis zu diesem Morgen. Da war deine kleine Schwester schon früher reingefahren, mit ihrer besten Freundin B., einem intriganten Stück aus einer Doppelhaushälfte, das dich nie leiden konnte. B. war schon am Nachmittag davor dabei, als sich die Katastrophe anbahnte. Nach langem, beständigen Nerven, Drängeln und Erpressungen über die Noten - wenn nicht wie sie will dann keine Einser mehr - fügte sich Frau Mama ins unvermeidliche und beauftragte Papa, von der Dienstreise dieses braune Ding mitzubringen, das an diesem Tag deinen gesellschaftlichen Untergang bereiten würde. Am späten Nachmittag packten Mama und Schwester im Beisein von B. das Ding aus, die kleine Schwester tanzte vor Glück durch das Wohnzimmer, die Mahnungen, es nicht in die Schule mitzunehmen in den Wind schlagend, und du wusstest, es würde die Hölle werden.

Du bist auf den letzten Drücker gekommen, hast dein Rennrad abgesperrt und bist in die erste Stunde gerannt. Chemie, bei diesem elenden rechten Stück Pädogoabschaum. Rein, hinsetzen, Rucksack auf - der Gong, gerettet, keine dummen Fragen. Aber schon in der ersten Pause kann U., der dich in diesem Jahr des Surfens und Tanzen und Lebens schulisch überflügelt, den Mund nicht halten und fragt dich graderaus, ob das stimmt, was sich wie ein Lauffeuer auf dem Schulhof verbreitet hat. Dass deine kleine Schwester wirklich das braune Ding hat, dass es echt ist, und dass ihr so reiche Leute seit.

Deine kleine Schwester macht sich an diesem Tag keine Freundinnen, was insofern ein Problem ist, als du gern mit der ein oder anderen neuen Feindin gerne rumgeknutscht hättest. Mit dem scheusslichen braunen Ding hat das definitive Distinktionsmerkmal Einzug in die Welt das provinziellen Teenager Einzug gehalten, und du bist als Bruder mitgefangen. Alle reden darüber. Schaut sie euch an, die Signorina Porcamadonna. Was sie da hat, in cognacfarben mit der dunklen Schrift und den Buchtstaben C und M. Es ist echt, es ist teuer, igitt wie kann sie nur, was sind das nur für Leute, dass sie ihr erlauben, mit dieser

M-C-M Tasche

in die Schule zu gehen.

Der Sommer bleibt heiss, der See ist zu schön und die Bretter sind so verlockend beim Bräunen, lange hält die Sippenhaft nicht vor. Zumal nach einer Woche die Tochter der Pelzhändler mit Mamas goldbesetzter Tasche mit dem LV-Schriftzug auftaucht. Zwei Buchstaben, die zwar niemandem so richtig was sagte, aber das protzige Gold macht was her. Bald darauf haben auch andere Töchter Taschen mit M-C-M, und so betrat das Böse diese Welt der bis dahin unschuldig-dummen Gemeinheit. 21 Jahre ist das jetzt her. M C M war inzwischen zurecht fast pleite.

Aber nun ersteht die aus einem Münchner Friseurladen hervorgegangene, durch geschmacklose deutsche Vorstadtkinder und halbseidene Damen, amerikanische Prinzessinnen und asiatische Luxusgeschöpfe gerade so überlebt habende Marke MCM neu. In München. Und irgendwo in Hokaido, in Berkeley oder in Singapur wird nächstes Jahr ein Junge widerwillig durch einen unschuldig verzauberten Park in die Schule gehen, wo alle wissen und jeder auf ihn mit dem Finger zeigen wird, wegen dem täschchengewordenen Bösen, das seine Schwester wieder in eine heile Welt hineinträgt.

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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 4. November 2005

Real Life 03.11.05 - Tegernseeing

Es ist Föhn in Südbayern, weit vor München reisst der Himmel auf, und auf der Überholspur gehen ein paar Wetterfühlige mit ihrem Todestrieb Gassi. Jetzt, wo das Benzin wieder unter 1,20 ist, kann man es wieder krachen lassen. Richtung Salzburg stehen die Rentnergeschwader in ihren dichten Mercedesrotten schon wieder, also fährst du nach München rein, besorgst noch eine Kleinigkeit, und über den mittleren Ring geht es rüber auf die Rennstrecke zum Tegernsee.



Zwischenzeitlich ruft dich Frau S. an und gibt durch, wo sie mit ihren Freundinnen und der Tochter ist: In einem Cafe am Südrand des Sees, in Rottach, das nicht so schnell in den Schatten der Berge getaucht wird. Ob du den Weg findest? Keine Frage, sie sind da, wo alle sind und wo deine Eltern auch immer anhalten, um das Zeug mitzunehmen, mit dem Besucher daheim gestopft werden. Die Welt ist nicht wirklich gross, was diese Lieferanten angeht.

Bis Rottach stauen sich die grossen, schweren Wägen der angeblich vom Kahlschlag betroffenen deutschen Rentner. Als du dann endlich dort bist, fährt gerade ein Opa mit seinem Cayenne aus der Parklücke direkt neben der S-Klasse von Frau S., und hinter dem Steuer liest Poldi, die Hausmischung aus Chauffeur, Diener und Sekretär ein blutrünstiges Boulevardblatt. Er begrüsst dich herzlich, geleitet dich auf die Sonnenterasse und weist darauf hin, dass der Kreis um Frau S. ein klein wenig verschnupft ist, weil du über ein Jahr nicht zu Besuch gekommen bist.

Du bist für die Gruppe sieben älterer Damen eine willkommene Gelegenheit, all die alten Geschichten des letzten Jahres nochmal zu erzählen; die beiden skandalösen Todesfälle etwa, bei denen weniger der Alkohol am Steuer als vielmehr der Ort und die Kombination zweier Menschen den - in diesem Fall durch die Windschutzscheibe - springenden Punkt bildeten, denn niemand hätte je geahnt, dass der mit jener, also nein, das muss aber schon länger gegangen sein, denn am Ende der kurvigen Strasse hatte er schon seit ein paar Jahren ein kleines Haus gemietet, wie seine Frau dann entdeckte, und da sollen ganz überraschende Dinge drin gewesen sein, die man so bei einem Herrn seines Alters nun wirklich nicht mehr erwartet hätte. Fräulein, Fräulein, bittschön noch zwei Sacher, eine Havanna, ein Powidldatschgerl, Marie, Luise und Carola haben noch, Alphonso, probiern´s die Tegernseetorte, Hannerl, magst a Tiramisu?

Das Hannerl sagt nein, sitzt stumm dabei, ignoriert die Blicke mittelalter, braungebrannter Churgäste und starrt hinaus auf den See, wo auch jetzt noch einzelne Segelboote langsam durchs Wasser kreuzen. Hin und wieder streift sie eine verwehte Strähne aus dem Gesicht, eine vorbildliche Tochter einer Mutter, die bis zum letzten Atemzug versuchen wird, ihr Leben zu bestimmen, was sie sie letzten 28 Jahre auch geschafft hat. Hannerl hat das Studium noch immer nicht fertig, wozu auch, Kunstgeschichte wird ihr bei der Verwaltung der Besitztümer nicht helfen, und Frau S. hat auch nicht vor, sich dabei helfen zu lassen. Die abgebrannte, halbe Strassenzeile in Haidhausen, die ihr Mann in den 50er Jahren zusammengekauft und schwarz hat restaurieren lassen, schmeisst sie mit Poldi allein.

Das Fräulein kommt und stellt vor dir die Tegernseetorte ab, ein rosa-champagnergelbes Meisterwerk mit vertikaler Schichtung, eine echte Bombe, sie könnte das nicht mehr, sagt Carola, aber wir jungen Leut, wir brauchen das, das Hannerl soll doch auch, aber sie schüttelt den Kopf und schweigt weiter. Frau S. wird es nach einer Weile und einem halben Dutzend weiterer Skandälchen vom Isarhochufer bis runter zum Landtag zu bunt, und fragt nachdrücklich, ob wir nicht schnell noch zu Criollo gehen wollen, ein paar Pralines für den Abend holen.

Du tauscht mit Hannerl ein paar Belanglosigkeiten aus, momentan ist sie wieder Single, weil der letzte Freund vor einem halben Jahr eingesehen hat, dass er der Mama nicht genügt. Die letzten Monate war sie hier oben, hat Tennis gespielt und war ab und zu golfen, aber das gibt ihr im Moment nicht so viel. Bei Criollo nehmt ihr ein Pfund Rottacher Busserl, ein paar Kalorien-Mininukes mit Mandellikör und Kaffeecreme in Zartbitter für die Damen und das Rommé-Spiel heute Abend, weisses Crocant, die sogenannten Wallbergspitzen und eregierte Himbeer-Trüffel, die dich fatal an gewisse, lang vermisste, ersehnte, erhoffte Brustnippel erinnern.

Poldi und die Damen sind schon vorgefahren, vor der kleinen Villa mit Blick auf den Wallberg steht auch ein älterer, roter SL wie aus der Serie Dallas und das grüne 6er-Coupé, also sind alle da. Vor dem Essen erledigst du mit Frau S. das eigentlich Geschäftliche. Später dann, als sich der klare Sternenhimmel mit seinen Milliarden Lichtern über den See spannt, kannst Du mit den 13 Karten, Klopfen, Ass als 1 und Joker stibitzen zeigen, was Du an Tricks von Tante Mammi und von den alten Schlernhexen in Südtirol als Kind gelernt hast.

Gegen zehn brechen die Damen in ihre Appartments und Häuser auf, und Poldi hat dein Zimmer schon bereitet. Aber das Hannerl sieht die Gelegenheit, jetzt schnell zu entkommen. Sie entdeckt, dass sie morgen schon um acht an der Uni sein muss, ob du Sie vielleicht nicht jetzt noch schnell reinbringen könntest? Frau S. protestiert, das könne man dir nicht zumuten, aber für dich ist es ok. Poldi bringt die Koffer und die restlichen Pralinen zum Auto, während du versicherst, nicht schneller als 120 zu fahren und auf der rechten Spur zu bleiben. Später bringst du dem Hannerl die Sachen zur Wohnung, und fährt zurück in die Provinz, nicht ganz unzufrieden, dass dir das Frühstück mit weiteren intimen Details aus der Haidhausener Grundbesitzer- und Chefarztszene erpart bleiben.

Und das Schicksal beschliesst, dich dafür zu belohnen, denn da ist bald eine Mail im Postfach von einer, die noch wach ist und nicht schlafen kann.

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Sonntag, 30. Oktober 2005

Real Life 30.10.05 - Vorbesichtigung

Es geht hintenrum rein, an den geparkten Schlitten derer vorbei, die als gute Kunden gelten. Und die das hier schon kannten, als es noch Auktion 3irgendwas war. Alte, ganz alte Kunden. Vor 15 Jahren hast du mal im Nachverkauf den Biedermeiersekretär nicht genommen. Das war ein Fehler. Und so, wie da immer der Weg an gewissen Fenstern vorbei ist, wo die wohnen, bei denen es nicht wunschgemäss verlief und immer noch die Erinnerung an eine Berührung, einen Blick oder die allgemeine Verzweiflung wach ist, führt der Weg auch zurück in diese überfüllten Räume.

Das Schicksal ist gnädig. Vom in Berlin erworbenen Mahagonitisch ist ein sehr viel kleineres Pendant da, stark beschädigt, weitaus weniger schön gearbeitet und das Limit dennoch schon fünf mal so hoch wie der Betrag, auf den du dich in der Bergmannstrasse eingelassen hast. Allerdings war vor sechs Wochen noch woanders ein englischer Schreibtisch, den du nicht genommen hast, und dessen kleiner Cousin hier will einen Preis, bei dem du leise zu japsen beginnst.



Weiter geht es in Richtung der Asiatika, wo in den Vitrinen, weit voneinander getrennt, Netsuke und Okimono lagern, umdrängt von den jüngeren Leuten. Viele sind es nicht, die Zeiten der Jungschönreichen sind definitiv vorbei, und am Ende wird doch ein Bieter den Zuschlag erhalten, der per Telefon aus Singapur, Tokio oder Schanghai das zurückkauft, was vor hundert Jahren als Schund für die Langnasen die Reise nach Westen antrat. Vor ein paar Monaten warst du mal dabei, als ein Anonymus per Telefon eine Gruppe deutscher Händler gnadenlos überboten hat, einmal, zweimal, dreimal, irgendwann hatten die Deutschen begriffen, dass da nichts zu machen ist. Der Seidenkimono, die Lackschränkchen, der Bergkristallbuddah, die Thaibronzen, die Fayencekacheln mit den obszönen darstellungen, selbst die späteren Kopien alter Holzschnitte werden den Weg zurück antreten in Länder, die von ihrer Kultur so gut wie nichts bewahrt haben und es sich nach einem Jahrhundert der kulturellen Vernichtung leisten können, Trümmer ihrer Geschichte im Ausland zurückzukaufen.

Du liest nur interessehalber die Preise, aber ganz gleich, was es ist, es ist jenseits von gut und böse. Eine nicht mehr ganz junge Frau in Burberry verliebt sich in einen kleinen, geschnitzten Töpfer aus Elfenbein, fragt nach dem Limit und gibt sich gegenüber ihrem Freund der Hoffnung hin, vielleicht, wenn alles klappt mit dem Weihnachtsgeld, eventuell im Nachverkauf... so hat jeder hier seine Ziele, Wünsche und Hoffnungen, alles hat seine Limits und Preise und Zuschläge und Steuern, nach unten führt hier kein Weg, ganz im Gegensatz zum Leben derjenigen, die hier noch arbeiten müssen. Doch die meisten sind alt genug, um sich den Errungenschaften der privaten Altersvorsorge hinzugeben. Da blättern sie in Katalogen, begaffen mit faltengerahmten Augen das matte Glas der geschwungenen Spiegel und überlegen, ob das gebrochen funkelnde Pärchen noch über die Kommoden passt, gleich neben das Kruzifix.

Und wenn es dann ausgemessen und das Los mit müden Bewegungen morscher Knochen ersteigert ist, so wird in den venezianischen Barockspiegeln mit ihrem Gold und Kristall noch lange Dekaden kein Liebhaber eine nackte Frau bewundern und sein Glück nicht begreifen, sie so sehen zu dürfen, aufrecht, rein, bar jeder Scham und dummen Moral, vielleicht wird der ein oder andere aus Unachtsamkeit fallen und nie mehr etwas anderes in die Welt zurückwerfen als welke Haut und missmutige Blicke; und die jahrhundertealte Reise wird enden auf dem Parkett einer Rentnerwohnung, in der die Gier nie etwas anderem galt als dem kläglich Wenigen, wenn alle Lust vergangen ist.

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Samstag, 29. Oktober 2005

Real Life 28.10.05 - Es gäbe Alternativen.

Das Monaco in der Reichenbachstrasse ist nicht umsonst immer so voll. Weiter unten ist dann das 7fish und das Interview mit Ausblick auf das Gärtnerplatztheater. Um die Ecke wäre auch die Grüne Gans. Wäre es allein um orientalisches Essen und ein gehobenes Umfeld gegangen, hätte man auch das Shida schräg gegenüber besuchen können. Und dann gäbe es noch, neben der Ruine von Harry´s Bar, das Fratelli. Das Morizz hat auch schon auf, gerade jetzt wäre es noch schön leer, die roten Ledersessel würden Ruhe atmen, und die, mit denen du auf den Abschluss hin Essen gehst, hätten eine Münchner Institution erlebt.



Statt dessen hat die Ursache des Deals eine Vorliebe für Sushi, und auch schon einen Lieferanten für diesen japanischen Pattex auf Spülmittel- und Reisbasis. In der neuen Schrannenhalle, die angeblich ein neues Herz der Stadt sein soll und ein gnadenlos überfülltes Verbrechen aus Glas, Resopal, Dekomaterial und Spuren bayerischer Illusionsverarsche ist. So eine Art gehobenes Käferzelt von der Wiesn in der Downtown-Edition mit multicultural Food Enhancement.

Wohl dem, der oder die ein durchdringendes Organ hat.Kreischer durch die gefilterte Luft, alles so dezent und intim wie die Multi-User-Sexualpraktiken in einem japanischen Bordellviertel. Du stocherst missmutig in den Gemüsebrocken, die angeblich eine mediterrane Vorspeisenplatte sein sollen und doch nur wie das ein verklebtes Federvieh im Ölschlick einer Tankerkatastrophe schmecken. Überall um dich herum ist Junkfood für Besserverdiende und Geschmacklose, Shrimps aus der Dose, Austern fraglicher Herkunft, Thai-Crossover mit Viel und Teuer auf grossen Tellern und in kleinen Dosen, und alles eng zusammengerückt. Den anderen gefällt der Trubel, teilweise, der Boss ist doch etwas erkennbar angewidert, aber die Untergebenen finden es grossartig.

Am Nebentisch kippt eine Flasche Wein um, das Gekreische wird gross, und erst nach etwas Gedrängel schafft es das Rettungspersonal zum Ort der Katastrophe, wo längst alles rot und schmierig ist. Alles gafft hin, ein paar höhnische Lacher gibt es auch. Zum Glück hast du schon vorher betont, dass auch jetzt noch ein weiterer Termin ansteht, und nutzt die Chance, dich hinter dem Kellner und den Resten der japanisch-französisch-cajun-whatsoever-Tischbefüllung der Nebenleute aus dem Pandämonium herauszudrängeln, vorbei an den Andenkenständen der globalen Heimatlosigkeit, in die immer noch nicht kalte Münchner Abendluft.

Gegenüber, bei Fratelli, steht der Patron an der Tür und unterhält sich mit einer Frau, die dann mit dem Fahrrad wegfährt. Auch das gibt es noch in Cayenne City, BY.

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