: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 28. Dezember 2007

Real Life 27.12.2007 - Violinsolo

Weisst du, warum ich geheiratet habe?

Weil du nicht auf mich gehört hast, als ich dir gradraus sagte, dass du eine grossartige Frau bist, die statt so einem Waschlappen viele Liebhaber braucht, um glücklich zu werden.

Nein. Du hast etwas anderes gesagt, weshalb er mit dir auf die Strasse wollte, aber das war es nicht. Eigentlich habe ich geheiratet, damit ich meine Ruhe von all den Tanten und Verwandten an Weihnachten hatte, vor denen ich auch noch nach dem 30 Geburtstag die Violinvirtuosin markieren musste, die ich nie war. Und weisst du, warum ich mich habe scheiden lassen?

Weil du eingesehen hast, dass er ein Würstchen ist, und es bei mir bessere Gespräche, besseren Kuchen und auch keinen Sex gibt.

Nein. Weil ich Weihnachten sein repräsentables Püppchen war, das er mit Geschenken überhäufte, damit es jeder sieht, und dann die Bilder von mir und dem Christbaum ins Internet stellte und erzählte, was für eine wunderbare Beziehung wir haben. Weihnachten hat dem Projekt Ehe den Rest gegeben. Und was mache ich heute?

Noch ein Stück Tarte nehmen?

Es ist kurz nach Weihnachten, ich renne nach all den Jahren mit meinem alten Geigenkasten durch die Gegend bekomme noch ein Stück Silber, du machst Bilder von mir, und zwar so, damit ich wie eine Violinvirtuosin aussehe, und dann muss ich Deine Fidel einspielen. Fällt dir was auf?



Ich stelle wenigstens keine Bilder von Dir ins Netz, und wenn ich mit jemandem über dich rede, erzähle ich, dass ich an deinem demolierten Kotflügel schuld bin. Und ich rede dir auch nicht wie Tante Antonia ein, dass du endlich schwanger werden sollst. Die Bilder waren deine Idee und sind für deine Tante Ida, und nicht für seltsame koreanische Geschäftspartner eines Mittelstands-Würtchens. Es gibt Unterschiede. Noch ein Stück Tarte?

Ich kann nicht mehr. Nein, wirklich. Don, nein, Dohhon, schau mich an...

mit grösstem Vergnügen.

im Ernst, ich bin zu... ach ne... pfff. gut, danke, aber dann ist wirklich schluss, ich will ja nicht aussehen wie...

Bist du gehässig. Ausserdem mag dein Spiel begrenzt virtuos klingen, aber auf den Bildern sieht es ganz anders aus. Tante Ida wird es lieben, und allen unverheirateten Männern im mittleren Alter zeigen, wenn sie wieder am Tegernsee in Kur ist.

Kannst du mir mal erklären, was Männer an so blassblau getünchten Pseudomädchen finden? Ich mein, schau dir doch mal D. an, mit ihrem halbkriminellen Typen. Was findet so einer an so einer lädscherten Kuh?

Keine Ahnung. Ich bin dafür nur begrenzt empfänglich, seit der unvermeidlichen Apothekerstochter, die bei uns dazu gehört wie die noch schlimmere Medizinstudentin/Krankenschwester, bevor mit der Schauspielerin alles grossartig wird. Ist es nicht immer so? Man fällt bei den Blassblauen auf die Schnauze, will sich bei den Medizinerinnen kurieren, bekommt da einen Einlauf, bis man weise genug ist, nur noch nach Fassade und guten Vorstellungen zu gehen. Manche haben einfach einen Sprung und kehren immer wieder zu den geigenden Jungfrauen zurück, und auf die setzt Tante Ida, es sind die Verdammten, oder auch nur die verdammten Idioten, die brauchen und wollen den Schmerz, und du willst vielleicht noch ein Stück Tarte?

Nein, Don, wirklich, ich hab schon so viel, echt, danke, nein.

Gut. Dann kommen wir zu den Pralinen.

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Montag, 17. Dezember 2007

Real Life 16.12.2007 - In R***dorf kann man gut essen

Eana Frau is owa - setzt der Mann hinter dem Steuer an, den du um seinen verdienten Sonntag Mittag gebracht hast, und, wie sich herausstellen sollte, auch noch um das Festessen, das hier in der prosperierenden Holledau unvermeidlich ist, wenn der Pfarrer die neue Filiale des Autohauses einweiht.

Oh, unterbrichst du ihn, es ist nicht meine Frau. Eine gute Freundin.

Ah so, sagt er und schaut listig über seine rechte Schulter, wo das blutrote Haifischmaul eines Hochzeitsgeschenks für Iris durch die Rückscheibe geifert. Von schräg unten sieht der Wagen noch böser aus, als sonst, und es ist gut, dass er angekettet verharrt, während draussen die Hügel der Hopfenlandschaft ungewohnt langsam vorbei ziehen. Und es ist auch gut, dass Iris weiterhin drinnen sitzt. Wenn etwas schief geht, und niemand da ist, dem man die Schuld geben kann, weil man alle guten Ratschläge abgelehnt hat, führt das weniger zur Einsicht, als vielmehr zur fieberhaften Suche nach jemanden, der doch irgendwie schuld sein könnte. Es ist ja nicht so, dass du nicht alles versucht hättest. Da war zuerst der Gedanke, daheim zu bleiben und zu frühstücken. Ist ja nicht schlecht, hier.



Aber ausgerechnet diesmal, unter bleigrauem Himmel, wollte sie unbedingt den Antikmarkt beehren. Was selten genug vorkommt. Wegen so einer Schale. Deine Bemühungen waren grenzenlos, das zu verhindern, denn eigentlich hast du die Schale genu so platziert, dass Iris sie sehen musste, um dann Oh und Ah zu sagen, was es dir erlaubt hätte, generös auf kommende Geschenke zu verweisen. Es begann hoffnungsvoll mit einem "Ui, sowas will ich", um dann gleich von der Idee verfolgt zu werden, dass sie ja mit dir schnell zum Markt fahren könnte, vielleicht fände sich da dergleichen, und danach für ein paar Zweige in den Wald, spazierengehen, und so, also los, huschhusch, und nein, dein Auto wollte sich auch nicht nehmen. Schliesslich stand ihr Luxusgeschoss draussen vor der Tür, und Madame wollte nicht unterklassig auf dem Markt erscheinen. Da half auch kein Hinweis auf den Gepäckträger an deinem Wagen, es musste so sein.

Sieben Kilometer vor dem Ziel mischte sich dann ein rythmisches Geräusch unter C.P.E. Bachs Konzert. Das gehöre so, meinte Iris beharrlich, bis sie erkennbare Probleme hatte, den Wagen zu steuern. Wie sich dann schnell zeigte, hatte sich der Hinterreifen von der Felge gewurstelt und in den Kotflügel gefressen, während sich die Alufelge auf dem Asphalt so standhaft wie Parmesan in meiner Mouligratin präsentierte. Da standet ihr dann, mitten in der Wildnis, ohne Papiere, die sie irgendwo, aber nicht im Auto hatte, ohne Telefonnummer und ohne Hoffnung, den Markt noch zu erreichen. Denn es war Sonntag, und da findet sich keiner, der mal eben einen neuen Reifen auf eine neue Felge zieht. Normalerweise wäre in solchen Fällen ein Ersatzreifen nützlich, aber der war wohl im Widerspruch zu den Superleggera-Supersportiva-Wünschen des italienischen Karosserievirtuosen, und war deshalb einem sinnlosen Elektrokompressor und einem Flickset, das aber in einer wirklich eleganten Vertiefung unter dem kleinen Kofferraum, gewichen. Irgendwann hattest du eine sächsische Dame des ADAC am Handy, und nochmal später kam dann das grosse, gelbe Auto, um die Fuhre und den in Iris tobenden Hass zurück zu bringen. Iris überliess dir das Vergnügen, die Flunder auf die Ladefläche zu fahren, setzte sich dann hinter das Steuer und sagte nichts mehr. Den Rest ohne Papiere auszuverhandeln, blieb dir überlassen.

Der Mann war sehr nett, sehr freundlich, redseelig, und erklärte schnell, warum er unter der gelben Weste ein blaues Hemd und eine Krawatte trug. Jo mei, so geht´s zu, man macht eine Werkstatt auf, und hat noch nicht mal gegessen, schon ist die Arbeit da. Und so unterhaltet ihr euch über das Dorf, dessen Schlossherrn du kanntest und bei dessen Verwandte du in jungen Jahren, und über das Elend hinten drauf, zu dessem Namen dem Fahrer einiges einfällt. Und du bist sehr froh, dass Iris hinten ist und keine Gelegenheit hat, sich in dieser Situation noch über ihren Ex-Mann zu äussern. Nebenbei gibt er noch Ratschläge, wo man in Rohrdorf heute das beste Essen bekommt. Im Radio laufen Schlager, und nichts in diesem Frieden verrät, dass Iris hinten im Wagen im dunklen Grübeln doch noch einen Schuldigen gefunden hat, einen, der sie dazu gebracht hat, dorthin zu fahren, obwohl sie eigentlich gar nicht wollte, nur weil sie so nett war, hat sie sich breitschlagen lassen, und der Schuldige wird jetzt eine Weile leiden müssen.

Du solltest zum Fest besser noch eine Teekanne dazu packen. Mindestens.

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Sonntag, 25. November 2007

Real Life 24.11.2007 - Hilfreiche Technik

Iris (panisch): Kannst Du mir helfen? Mir ist der Ring mit dem Icecube in das Waschbecken gefallen und im Siphon verschwunden.

Hausdienst4free Porcamadonna: Klar, kein Problem. Heute Nachmittag kann ich kommen.

Iris: Aber ich bin nachher nicht da, du hast doch einen Schlüssel?

Hausdienst4free Porcamadonna: Ja. In welchem Waschbecken ist er denn?

Iris: Äh - im linken Becken im Bad. Oder im rechten? Du wirst es schon finden, ich habe den Stöpsel runtergetan und den Fön reingelegt.

Hausdienst4free Porcamadonna: Und der Stecker?

Iris: Äh. Oh.

Hausdiensst4free Porcamadonna: ...

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Freitag, 26. Oktober 2007

Real Life 25.10.07 - Sie mag euch nicht

Sie mag eigentlich nichts und niemanden. Sie mag nicht, dass sie hierher kommen musste. Sie mag das Umfeld nicht, diese Öffentlichkeit, in die sie jetzt gezerrt wird, sie hat andere Vorstellungen vom Thema Vermögensverwaltung. Da sollte irgendwo einer sein, der das Geld vermehrt und dann überweist, so einfach, kein Aufwand, keine Belästigung, kein Streit, dann darf er auch etwas für sich behalten. Aber das, was sie jetzt erlebt, mag sie nicht.

Der Kampf fordert Opfer. Auf beiden Seiten. Letzte Woche klappte eine von euch in der Nacht zusammen, und keiner kann sagen, man hätte es nicht geahnt. Jetzt ist sie im Krankenhaus mit einem Haufen Blumen vom Versand, aber die einzige Frage war, ob sie ersetzbar ist. Sie ist es, also geht es weiter, und keiner hat sie bislang besucht. Morgen vielleicht. Aber heute morgen hat es dann auch die gegnerische Seite erwischt, möglicherweise Schlaganfall, Folge eines verlorenen Prozesses, da war der Jubel gross in der Mannschaft. Aber auch das kann sie, mit der du betraut bist, nicht gnädig stimmen, obwohl der Be- und Getroffene einer der wirklich Schuldigen für ihr Kommen ist.



Der und ihr Sohn, der ihr das eingeredet hat. Der Sohn ist nicht da, irgendwo im Ausland das Geld verprassen, hat keine Zeit, und deshalb muss sie selbst kommen. Sie hasst es, dem Taxifahrer das Geld geben zu müssen für die lange Fahrt vom See bis in diesen Zweckbauvorort der Munich Area, sie braucht lang, sehr lang, bis sie sich aus dem Taxi gequält hat, aber dein Angebot, ihr zu helfen, weist sie unwirsch ab. Sie hat trotz allem ihre feinen, weissen Fahrerhandschuhe an, wie immer, wenn sie im Wagen unterwegs ist, aber diese Hände werden nie wieder ein Lenkrad greifen, denn die Füsse sind kaputt, und die Handschuhe schützen ihre gichtigen Finger nur noch beim Bedienen der Krücken. Bald wird auch das nicht mehr gehen, dann braucht sie den Rollstuhl, sie weiss es, denn geistig ist sie noch voll da, und deshalb ist sie auch gekommen, weil sie das, was sie zu sagen hat, selbst sagen will. Sie traut keinem mehr, sie hat zu viel erlebt in den letzten zehn Jahren.

Du bist nicht so wichtig, du musst eigentlich nicht mit rein, also hast du die Zeit, dich um sie zu kümmern, und hältst ihr alle schweren Glastüren auf, die sie selbst nicht mehr öffnen könnte. Man denkt beim Bau solcher Komplexe nur an diese Zackzack-Consulter und Frauen über 1,80, nie aber daran, dass sich hier alte Frauen entlangschleppen, um Kämpfe zu führen, die sie nicht gewinnen können, weil alle möglichen juristischen Erfolge jenseits ihrer biologischen Grenze liegen. Sie sagt nicht danke, sie schleppt sich weiter, und du fragst dich, was du eigentlich machen sollst, wenn sie es doch nicht mehr packt und zusammenfällt. Auffangen, wenn es geht, und dann? Die Leute, die hier arbeiten, würden davon profitieren, eine rebellische Gesellschafterin weniger, sie würden vermutlich nicht mal den Notarzt rufen, sondern sie einfach krepieren lassen, auf dem Niveau seid ihr mittlerweile angekommen. Aber sie packt es. Daheim, am See, sitzt sie nur auf dem Sofa, und täuscht so über ihren Zerfall hinweg. Wenn sie Blasenprobleme hat, beendet sie das Gespräch schmeisst einfach die Haifische raus, damit keiner sieht, wie brüchig und inzwischen ihre Beine sind und wie sehr sie jeder Schritt schmerzt.

Halten sie mal, sagt sie an der Tür zum Sitzungssaal, reicht dir die Krücken und lehnt sich schnaufend an die Wand. Sie zieht ihre Handschuhe von den knotigen Fingern, steckt sie in die Handtasche und entnimmt ihr ein paar schwere Goldringe mit Steinen, deren Feuer so ewig ist, wie das ihrige unter all den Falten längst verloschen scheint, und dreht sie über die Knorpel und Adern der Finger. Drinnen fliegen bereits die Fetzen, man hört es durch die Tür, sie aber wartet noch einen Moment, schaut dich an, als wärst du Schuld an ihrer Krankheit, dem Zerfall, dem dummen Investment und der unvermietbaren Bauruine in Bremen, an ihrer erzwungenen Anwesenheit und daran, dass der Gegner nicht wenigstens gleich verreckt ist, wenn es ihn schon niederstreckt, sie atmet einmal schwer und sagt dann: Stellen sie diese Dinger hier ab, und geben sie mir ihren Arm.

Und so betritt sie an deiner Seite den Saal, langsam, getrieben nur noch von der Wut, die grösser ist als der Schmerz, sie schafft es, auch wenn sich ihre linke Hand dabei in deinen Arm krallt und die ganze lange Geschichte von Reichtum, Einsamkeit, Angst, Gier, Hass und all den Ängsten erzählt, die ihr Leben jetzt noch ausmachen.



Aber solange es noch geht, wird sie weiter machen.

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Dienstag, 16. Oktober 2007

Real Life 15.10.07 - Das Dirndl

Es ist immer von Vorteil, freundlich zu Putzfrauen zu sein - selbst, wenn man keine benötigt. Putzfrauen bekommen jeden Tag die weniger schöne Seite des Lebens serviert, um damit gründlich aufzuräumen; sie sind profunde Kennerinnen dessen, was andere abgelegt, vergessen und verdrängt haben, und zu dessen erfolgreicher geistiger Entlastung sie gern den Ablass von ein paar Euro die Stunde zahlen, ohne zu bedenken, dass die Erinnerung nur weiterwandert an eine Dritte, deren Diskretion bestenfalls durch Desinteresse bewahrt wird, im schlimmsten Fall jedoch dazu führen kann, dass du etwas über das schäbige Verhalten einer illustren Münchner Persönlichkeit des allzu bekannten Wirtschaftslebens schreiben könntest - es ist nämlich so:

Drei Türen weiter, im Saal, ist gerade wenig Platz. Ganz erstaunlich, was alles so in diesen Raum hineinpasst; ein Brand dürfte da nicht ausbrechen, und das, wo doch die Luft da drinnen brennt, vom Phosphor der schlechten Neuigkeiten und dem Napalm, das verschütteet wurde mit einem vergeigten Prozess und erneutem Wechsel der Anwälte, die nun erst mal das Werk der anderen Anwälte mies machen. Wie es nun mal so ist, wenn der vermeintlich billigere Rechtsvertreter durch Unfähigkeit genz erheblich teurer wird und im Wissen um die verlorene Sache und die grenzenlose Wut der Mandanten, die keine Weiterbeschäftigung mehr zulassen wird, jetzt noch schnell Kasse in mittlerer sechstelliger Höhe machen will. Am besten den ScheisskerLLP auch noch verklagen, ist eine der Ideen, die sie da drin jetzt sicher haben werden, statt sich wie früher in den 90ern durch virtuell erworbene Vermögen glücklich zu preisen. Was genau sie da drin sagen, ist nicht dein Problem, du transportierst nur die Haifische, und jetzt kannst du auch nichts tun, wie die Putzfrau, die eigentlich schon durch ist und jetzt nur noch den Saal machen muss. Und weil hier kein Internet ist, und als Lesestof nur Akten und Anlageprospekte, die die Lüge von 8% Rendite garantieren, redest du mit der Putzfrau über dies und das, über den Chef und über das Putzen, das du auch kennst, schliesslich machst du es selbst.

Wia long moanasn´S dos des n dauat, fragt sie irgendwann, denn sie will heim, sie muss sich um die Enkel kümmern, denn ihre Tochter macht Abendschicht in einer Gastwirtschaft und der ihr Mann, mei, das kennt man heute ja, Scheidung nach fünf Jahren und zwei Kindern, Hundskrippe, de Menna, heute, jedenfalls muss sie um sieben daheim sein, und davor noch zur Post., die ja schon um sechs zu macht. Weil sie da nämlich für die B., Anwältin in diesem Hause und berüchtigt für ihre mangelnde soziale Intelligenz, ein Kleid zurückschicken muss. Noch heute.

Es is nämlich a so, fährt sie nach einer kurzen Kunstpause fort, die Du genutzt hast, um interessiert die Augenbrauen nach oben zu ziehen und damit dein Einverständnis zur Indiskretion signalisiert hast, die B. wurde vom berühnmten X., den man allenthalben im Müncher Lokalfernsehen sieht und der - ohne jede Form von Selbstbescheidung - so eine Art "Mörtel" Lugner der Oberbayern sein möchte - auf das Oktoberfest eingeladen. Keine gute Idee, wie du selber weisst, der du mit drei anderen hier den härtesten Kern der festfeindliche Opposition stellst; die B. ist auch so eine, die da keinesfalls hin will, aber sie will ja auch sonst nicht, nie, nirgends, es ist eine, die am liebesten 16 Stunden am Tag arbeitet, und dann daheim, geht das Gerücht, das viele schöne Geld zählt, das sie in dieser Knochenmühle verdient. Diese B. nun meinte X., der ansonsten bei der oben beschriebenen Sache nichts zu lachen und so viel verloren hat, dass er dafür einen ganzen Monat Dauerberichterstattung im Privatfernsehen kaufen hätte können, dieser X. also meinte das Erzwungene der Sitzungen mit dem Angenehmen verbinden und die B. auf seine private Oktoberfestparty einladen zu können.

Die Putzfrau weiss zu berichten, dass der B.s Laune schlechter und schlechter wurde, sie war noch gereizter als sonst, als das Drängen und Werben kein Ende nehmen wollte. Nur ist der X. im Gesellschafterkreis eine grosse Nummer, vor dem andere, ebenfalls angeblich wichtige Leute zusammensinken, weil sie das ganze Trärä aus der Glotze glauben, dieses famous for being famous, und irgendwann musste die B. dem X. als letzte Rettung nach all dem Gedrängel auch über eingeschaltete Dritte gesagt haben, dass sie zu diesem Anlass nichts anzuziehen hat und sich auch kein Dirndl kaufen mag. Worauf der X. ihr eine Näherin vorbeischickte, die ihr ein Dirndl massschneiderte, und am fraglichen Abend wurde B. mit Limousine und Chauffeur abgeholt, zu einem Promilockendreher gefahren und so zugerichtet dann in ein Zelt voller besoffener Dreckschweine und anderer derangierter Stützen der Gesellschaft gekarrt.



Das alles weiss die Putzfrau, weil B. es ihr in nicht wirklich gelassener Stimmung erklärt hat. Man sollte annehmen, dass sich derartige Leute in solchen Zelten ins komplette Vergessen trinken, aber ob in X. so viel hineinpasst, dass es eine Chance gegen die sichtbare schlechte Laune der B. hat, würdest auch du zu bezweifeln wagen - wie gesagt, im sozialen Berich hat die Natur bei B. einen gerechten Ausglich für ihren phänomenalen juristischen Sachverstand geschaffen. Busseln und Herzen sind zwei Worte, die in ihrem Wortschatz keinen Platz haben, und so geschah, was wohl passieren musste, und B. nahm nicht die Limousine nach Hause.

Ein paar Tage später forderte X. - a so a Lackl, meint die Putzfrau - das Dirndl unmissverständlich und in sehr groben Worten zurück, auf die B. zuerst gar nicht reagierte. Daraufhin eröffnete X. handschriftlich und per Fax den Psychoterror und schickte, wenn ihm gerade langweilig oder kein gekauftes Filmteam bei ihm daheim war, Mahnungen, sie solle endlich das Kleid und das Kropfband und die Schuhe zurückschicken, und zwar bitteschön versichert auf den Wert von 5000 Euro, so viel habe das nämlich gekostet, 5000 Euro, des miassns eana amoi voaschtein, Herr Porcamadonna - und auf dein interessiertes Echt? sagt sie woatn´S, geht in den Gang und holt eine grosse Schachtel, sowie das Fax, das die Schande und die Wut des X. belegt, inclusive der 5000 Euro und seiner Firmenadresse, an die es gehen soll. Und das soll sie, die Putzfrau, jetzt auf die Post bringen, weil die B. damit nichts mehr zu tun haben will. So billig wie möglich soll sie es verschicken, und keinesfalls versichern.

Versichern.... Manchmal geht sowas ja auch auf der Post verloren, sagst du. Jo freile, antwortet sie und sagt, dass sie das ja schon verstehen kann, so wie die armen Postler heut behandelt werden, da muss es ja zu solchen Taten kommen. Und, insistierst du, der X., was will der mit dem Dirndl, selber tragen vielleicht? Jo, owa fesch is scho, sagt die Putzfrau und öffnet den Karton, eignlich a Schand, ned woah? Schwarzer Samt glänzt im tristen Neonlicht des Büros, feine, gestärkte Rüschen erheben sich wie von Zauberhand, und das Geschnür ist fraglos aus echtem Silber, da muss man nicht genauer hischauen. A so a schens Diandl, sagt die Putzfrau, so wos hob I mei Lebdog ned gseng. Und da X., wan´S den seng, dea is jo a so a vahuzlts Mandschgarl, dea gent hechstens sei Wampn ins Degoltäh oanequetschn.

Ja, schade drum. Das müsste eine junge Frau tragen.

Mei Dochda, de dad des meng, de dad do ah einebassn, sagt die Putzfrau und erklärt, wie sie es mit ihrer Nähmaschine um die Schultern herum etwas breiter machen würde, ruckzuck ginge das und pfeigrod würde die Tochter reinpassen.

...

Es geht ja viel verloren auf der Post. Wichtig ist für Sie aber, dass Sie eine Quittung vorweisen können, dass sie es abgeschickt haben, dann sind sie aus dem Schneider... Warten´S, ich war heute Mittag auf der Post und musste ein Fresspaketerl auf firmenkosten verschicken, schaun´S, da hab ich sogar die Quittung Nehmen´S die Quittung doch mit, dann wissen´S, wie sowas aussehen muss, dann können Sie es auch mit der Firma abrechnen.

Ah so, sagt die Putzfrau.

Jo dann, sagst du, und dass du nicht glaubst, dass sich das warten hier lohnt, die brauchen sicher noch bis nach Mitternacht, und morgen ist keiner von denen in der Lage, sich über eine Kleinigkeit wie einen ungeputzten Konferenzsaal zu echauffieren. Und auch der X. erfährt da drin gerade ein paar von Dir entdeckte Petitessen, die anderes in den Hintergrund verdrängen wird - obwohl...

Wenn das so weitergeht, könnte er das Dirndl doch noch brauchen. Man weiss ja nie, was das Finanzamt entscheidet, und im Worst Case könnte es schon sein, dass X. kellnern gehen muss. Und ein Dirndl könnte ihm dabei auch in Zukunft die Aufmerksamkeit garantieren, die zu finden doch neben dem Geld seine einzige echte Lebensfreude ist.

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Freitag, 21. September 2007

Real Life 21.09.07 - Zuschlag für die Dachterasse

Und, kommst du?
Nein, denn eigentlich will ich das Bild gar nicht clanmässig erwerben und ausserdem hat mir die unfassbar schöne Frau zugunsten eines anderen abgesagt, Abendprogramm in München habe ich also auch nicht Ich hänge hier noch über den Unterlagen fest.
Aber ich brauche unbedingt jemanden, der mich davon abhält, zu teuer zu kaufen.
Setz dir selbst ein Limit, ausserdem, Boucher Nachfolger Schule ist sowieso nicht toll, und dann noch ein Jesukind, ich bitt dich, ich hab hier seine echten Crayondrucke, und das sind nicht irgendwelche Rotzblagen, sondern voll entwickelte Frauen, und zwar nackt, drall, willig, das ist Boucher, wie er sein soll.
Du hast Boucher Crayons? Wieso weiss ich nichts davon? Wieso hast du sie mir nicht gezeigt?
-
- - ?
Äh.
-
War nur ein Witz.
Ach so.
Ja. Also pass auf, du kannst mich ja anrufen, und dann höre ich kurz mit der Arbeit auf, und rede dir gut zu. OK?
Find ich jetzt nicht wirklich gut.
Sorry, ich muss wirklich die Akten wegkriegen. Ehrlich.



Und das mit den Crayons, das war wirklich nur ein Witz?
Ja. Ehrlich.

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Montag, 6. August 2007

Real Life 05.08.07 - La Coquillarde

Es wird lange dauern, bis du Susi treffen kannst, ohne "Zieh den Kopf aus der Schlinge Bruder John" im Ohr zu haben. Denn den nächsten Satz, "nimm das nächste Pferd und reite schnell davon" hättest du besser beherzigen sollen. Einerseits standen nämlich auf der Wiese neben dem Hochzeitsgarten massenhaft besitzenswerte Fahruntersätze, und andererseits hätten sie dich vor "Da sprach der alte Häuptling der Indianer" gerettet. Vom "Hoch auf dem gelben Wagen" ganz zu schweigen, ganz erstaunlich, was Leute im Suff so singen können, die ansonsten auf das richtige Tempo historischer Aufführungspraxis bestehen. Es war ein verfickter, nein besser, noch nicht mal verfickter Fehler, diesmal mit Susi am Steuer dem Konvoi zu folgen. "Fiesta mexikana" wird auch auf längere Zeit mit ihr verbunden sein, so wie sie das in dein rechtes Ohr gebrüllt hat. Ausweichen hätte wenig gebracht, denn links...

Hat sie dir gefallen, ruft Susi heiser gegen den Fahrtwind und Avisons Variationen über Scarlatti an. Du schaust sie an, wie man als Abstinenzler eben verkaterte Töchter auf dem Weg zum Entzug anschaut. Mit Leuten, die auf Hochzeiten Spass haben, schlafe man nicht, ist dein neuer Wappenspruch. Nein, schreist du. Nein, und ich will sie auch nicht heiraten, wenn sie mal geschieden ist. Und drehst Avison noch etwas lauter, während sich der Wagen der Stadt der Verfluchten nähert.

Um der Exkursion zur sogenannten "Ottheinrich-Torte", einer historistischen Zuckersauerei der ersten Kategorie, einen kulturellen Anschein zu verpassen, schleifst du Susi dann durch den Palazzo und die darunter liegenden manieristischen Grotten. Auf dass sie erkennen mag, dass das Dasein auch noch andere Werte kennt als das Einrammen eines Pfahls vor dem Haus, um den Deppen des Tages Besuch in einem Jahr anzudrohen, falls bis dahin noch immer kein Nachwuchs da sein sollte. Früher machten das nur die Kaffbewohner, aber heute darf der Brauch als gestiegenes Unkulturgut gelten.



Du erklärst Susi den Kreislauf der Lust hier unten in den Grotten: Oben frass man Muscheln zur angeblichen Stärkung der Potenz, und die Essensreste wurden dann hier unten in dreisten Figuren und amourösen Szenen verbaut, damit man einen Ort hatte, wo man die erhofften überschüssigen Triebe an den Hofmann oder die Kammerfrau bringen konnte. Gewissermassen der nicht zählende Urlaub im eigenen Haus. Und sehr viel weiter entwickelt als die Abfallberge bei Hochzeiten nach dem Geseier von Treue in der Kirche.

Dann wäre sie ja doch was für dich, meint Susi und verweist auf die langen Jahre von geradezu CSU-haftem Überdiesträngeschlagen deiner Nachbarin von Gestern, die beim Kommen "von den blauen Bergen" ihren ebenso blauen Zustand nur noch mit gekreischtem Lalala zum Ausdruck bringen konnte. Hemungslos durchaus. Leider die falsche Art der Hemmungslosigkeit. Der langen blonden Gattenwurst daneben war es fast so peinlich wie dir.

Susi? unterbrichst du sie, als sie im Sumpf des Tennisvereins angekommen ist.

Ja?

Du schluckst das Angebot runter, ihre Hochzeitstorte an diesem hoffentlich nie kommenden Dies Ater mit Strychnin zu zuckern, und sagst: Ach, nichts.

Und beneidest die Nereiden und Tritone um ihre ungebundenen, unschuldigen Muschelspiele.

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Montag, 30. Juli 2007

Real Life 27.07.07 - Die Diebin

Du öffnest die Haustür, und die Diebin geht über die Strasse, direkt auf dich zu. Sie hat diesen gierigen Blick, der dich im ersten Moment irritiert, denn sie will etwas haben, und ausser dir und dem Haus ist hier nichts. Aber es ist schön, dass sie kommt, denn sie ist sehr hübsch, dunkler Typ, und in hellen Brauntönen bekleidet und mit einer Perlenkette geschmückt, die ihre Haut, von der sie einigs zeigt, gut zur Geltung bringt. Von so jemandem lässt man sich gerne mit Gier anschauen -

bis sie dich erst bemerkt. Denn jetzt erst sieht sie dich direkt an, sie hatte etwas anderes im Blick, was knapp neben dir ist und das all ihre Aufmerksamkeit fesselte. Sie sieht dich, und hält kurz inne. Auf der anderen Strassenseite stehen zwei ältere Herrschaften, vielleicht ihre Eltern, und schauen peinlich berührt dem Spiel zu, das sich da auf der Strasse entwickelt. Mit ihren flachen, aber sehr hübschen Schuhen geht sie nun eher bedächtig weiter, kommt auf dich zu, lächelt wie eine Ehefrau, deren Mann sie mit dem 361. Liebhaber erwischt hat, und fragt:

Äh- darf man hier die Trauben probieren?

Natürlich, sagst du, nehmen Sie, und lässt dir das Wissen nicht anmerken, dass sie einfach geklaut hätte, wärest du nicht durch die Tür gekommen. Und dass sie deshalb keinesfalls dich gierig angeschaut hat, sondern die Früchte der Weistöcke am Stadtpalast.

Wirklich?

Natürlich, bitte, wenn ich es sage -- es ist schliesslich mein Weinstöck.

Danke!, sagt sie strahlend, dreht sich um, und du empfiehlst ihr, sich lang zu machen und eine Traube zu greifen, die weit oben im Sonnenschein hängt, die bereits all die Süse des fast italienischen Lichts in sich aufgesogen hat. Da oben.



Und während sie also deine Trauben raubt, betrachtest du mit Vergnügen ihr wohlgeformtes Profil, ihre straffen und dennoch sehr angenehm gerundeten Erhebungen, die sich dergestalt nach oben gestreckt überdeutlich unter dem leichten Stoff abzeichnen, und kommst zum Schluss, dass sie wirklich eine sehr schöne Diebin ist. Sie klaut eine Traube, steckt sie in den Mund - und ist sehr angetan.

Du verabschiedest dich mit einem Lächeln, nickst den in Scham erstickenden Eltern höflich zu, gehst deiner Wege, und an der Ecke siehst du noch, wie sie mit ein paar Trauben in der hand grazil über die Strasse tänzelt, und die Perlenkette schwingt über ihr Dekolleté.

An der Uni testen sie gerade Nachwuchselitessen, Sachbearbeiter in spe, bessere Mütter, die ihren Familienwunsch noch nicht erkannt haben, und andere Möchtegernheuschrecken, stelltest du dann gestern fest.

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Freitag, 27. Juli 2007

Real Life 26.07.07 - Waffenruhe

Rechts, über dem Bildrand hinaus, ist das Gymnasium. Das heute das Schulfest veranstaltet. Mit seltsamer Beharrlichkeit zwingen diejenigen, die damals diese Knochenmühle gehasst haben, heute wieder die eigenen Kinder zum Erlernen seitdem nicht lebendiger gewordener Sprachen, auch wenn sie selbst das Wissen um die Antike zwischen Managerjob, Haushalt und Brut längst vergessen haben. Und es war keine gute Idee, mit Iris daran vorbeizugehen. Es war - ein unglücklicher Zufall.



Da trefft ihr nämlich die Mütter. Die es euch dann spüren lassen, dass sie zumindest das aus ihrem Leben gemacht haben. Nicht alle sind so. Aber doch einige. Man muss nicht mal reingehen, die stehen auf der Strasse davor und tauschen sich über die Zukuft der Blagen aus. Kein Wort mehr darüber, dass sie selbst in Studiengängen verfrachtet wurden, die sie genauso wenig mochten wie die aufgeblasenen Lehrkräfte, die sich auf ein Bild der Antike etwas einbildeten, das nicht mal bis zu Beasleys Vasenkunde vorgedrungen war. Aber immerhin, hier, in diesem Kontext ist das immer noch im Rahmen. Und wer rausfällt, nun.

Letztlich ist so ein Balg doch auch nur die Eintrittskarte in die Rundumgesellshaft, giftet Iris und nimmt, ohne zu fragen, das letzte Stück Zwetschgendatschi. Mit einem Balg kann man wieder auf der Empore des Tennisclubs sitzen. Auf Schulfeste gehen. Dauernd Chichi kaufen, und mit anderen Müttern über den richtigen Chichi sprechen. Es ist eine Lebensaufgabe.

Svegliatevi nel core
furie d'un alma offesa
a far d'un traditor
aspra vendetta!


schmettert Marianne Rørholm als Sesto in den Abendhimmel und übertönt mühelos den Krach aus dem Schulhof. Du schaust die feinen Rippen der Wolken an und überlegst, woran sie dich erinnern. Vielleicht an den nackten Rücken von A., die schon damals dünn war und seitdem nochmal abgenommen hat. Oder an die Falten um die Augen der H., die jeden Glanz verloren haben. Und blauer als die J. vorhin kann der Himmel auch nicht sein. Vermutlich wirst du dann am Sonntag nach dem Konzert erfahren, an wen sie sich rangeschmissen hat. Sie hat schon damals nichts vertragen. Das Silbergrau der Wolken wächst, breitet sich aus und legt sich wie ein Bleideckel über das Firmament.

Du möchtest jetzt auch irgendetwas Gehässiges sagen, aber irgendwie bist du gerade sehr glücklich, dass du nicht da unten bist, und eine Frau wie Iris auf der Dachterasse sitzt und meint, dass ein klein wenig Zucker zu viel drauf war.

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: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 29. Juni 2007

Real Life 28.06.07 - Calatrava

Er war ein netter Mann. Sehr höflich, fast bescheiden, was man nicht zwingend erwartet, wenn man mit Leuten seines Kalibers zu tun hat. Vermutlich war das ein Teil seines Erfolgs bei den Kunden. Ein begnadeter Vertriebler, der einem das Gefühl geben konnte, dass er genau zuhört und versteht. Um dann nach einem gewissen Nachdenken die richtige Antwort zu geben. Das Nachdenken, das langsame Zurückfallen in den Sessel, dabei der Griff zur Goldrandbrille mit der linken Hand, und am Handgelenk erschien über der weissen Manschette ein simples Goldrund, das sich wohltuend und stilvoll abhebt von den in dieser Branche sonst so beliebten robusten Uhren, die eine letzte Beziehung zum Bau darstellen sollen.

Um dich herum brennt die Luft, die Stimmen hallen von den nackten Wänden zurück und vermischen sich zum Gebrumm, der an ein wütendes Hornissennest erinnert. Dabei war es absehbar. Er wusste, dass ihr kommen würdet. Er hat sich monatelang überlegen können, was er tut. Vermutlich hat er wirklich sehr genau nachgedacht, nicht so wie früher, wo er das Nachdenken nur simulierte, und dann Angebote machte, deren angebliche Rendite für den Kunden er doppelt und dreifach bekam. Er hatte sicher auch Pech, dass es in Berlin nicht so locker ging, wie vorhergesagt. Wäre es anders gelaufen, kein Hahn hätte nach den Details beim Vertrieb gekräht. Warum auch. Es wäre ja die richtige Entscheidung gewesen, und man hätte ihm gedankt.

Es war der Stil der letzten Forderung nach einem klärenden Gespräch. Das war zu deutlich, da wusste er, dass ihr diesmal nicht nur Erklärungen fordern würdet, sondern auch den Inhalt der Schränke. Schliesslich hat sich die Mehrheit längst auf eure Seite geschlagen, der Trick mit der Calatrava am Handgelenk hatte angesichts von drohenden Nachzahlungen im Bereich von - teilweise existenzbedrohend viel - seine Wirkung verloren. Und daraus hat er die richtigen Konsequenzen gezogen.



Vor drei Tagen. So lange ist der Anrufbeantworter nicht mehr abgehört worden. Das Büro ist fristgerecht gekündigt, alles hat seine Ordnung, so wie immer alles seine Ordnung hatte. In einem Nebenraum stehen die Möbel, die auf Kosten der Gesellschafter gekauft wurden. Vermutlich wird er sagen, dass es seine persönlichen Akten waren, die er mitgenommen hat. Und es doch absehbar war, dass er demnächst entbunden sein würde. Und noch einiges anderes, das sehr verständnisvoll und höflich klingt.

Wenn du ihm denn jemals wieder gegenüber sitzen wirst, und er dir beim Nachdenken die Calatrava zeigt.

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