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Donnerstag, 11. September 2008

Not gone surfing

Sagt der Name Peter Thommen jemandem etwas? Peter Thommen ist Shaper, das heisst, er formt aus einem Styrofoamklotz ein Surfboard. Von der Sorte gibt es viele, aber Thommen hat die Bretter für Bjørn Dunkerbeck gemacht, und der ist ziemlich oft damit Weltmeister geworden. Die - relativ zu meinem damaligen Vermögen - teuerste Anschaffung meines Lebens war ein Brett von Thommen, verbunden mit einem kompletten Wipeout meiner Ersparnisse, aber es ist ein feines Brett und hat viel Spass gemacht.



Es liegt jetzt seit ein paar Jahren im Keller, aber als ich an den See gezogen bin, dachte ich, dass es doch eine gute Gelegenheit wäre, es mal wieder auszupacken. Windsurfen ist wie Fahrradfahren, man verlernt es nicht, und dass es nicht das neueste Modell ist, ist mir egal. Man braucht nur etwas Wind, sagen wir 5 Beaufort, der Rest ist vorhanden.



Vielleicht nehme ich mir ein Vorbild an den amerikanischen Einrichtungstrends, oder degradiere ich das Brett nächstes Jahr zur Paddelhilfe, aber 2008 war bislang an exakt o Tagen ausreichend Wind zum surfen. Das ist wenig. Ganz möchte ich die Hoffnung nicht aufgeben, aber mir fehlt inzwischen doch jede Zuversicht. Das hier ist nicht der Gardasee. Hier sind keine Alpenwinde, nur Alpen, die Winde abhalten.



Bliebe als wassersportliche Alternative nur noch ein Segelboot, oder ein Kajak. Sage bitte keiner "Schwimmen", der Tegernsee ist kalt und ich hasse schwimmen. Ich stehe also an diesem grandiosen Gewässer, ich mag seinen frischen Geruch und die niemals gleiche Farbenpracht, ich bin gern hier, weil er mir Ruhe schenkt, aber ich es ist mir nicht vergönnt, ihn zu befahren. Non cuivis contingit adire Corinthum.

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Mittwoch, 10. September 2008

Was taten Sie am Tag, als der Kapitalismus stürzte?

Am 9.9.2008, als der Crash von Lehman Brothers und Washington Mutual offensichtlich wurde, und jedem klar war, dass dieses Doppelpack nicht "to big to fail" ist, sondern "to big to rescue"? Am Tag, als manche Schwachköpfe wegen der "Rettung" von Fannie Mae und Freddie Mae durch die Regierung noch das Ende der Krise ausriefen, so wie vor 21 manche Parteikader des Ostens die Fortführung des Sozialismus, ohne zu begreifen, dass der amerikanische Staat selbst so pleite ist, dass er gerettet werden müsste? Am 9.9. musste ich ein paar geschäftliche Dinge erledigen, Verwaltungskram, Rechnungen, Briefe, ein Kundengespräch, und dann habe ich meine Eltern überzeugt, mit mir an den Tegernsee zu fahren, weil: Schöner wird es nicht mehr. Dort standen dann zwei Berge auf dem Programm.



Im Vordergrund erst mal der Datschiberg, und danach der Berg im Hintergrund.



Es ist hier ja so, dass ich keine langen Wege gehen muss, oder mit dem Auto fahren, um zum Berg zu kommen. Der Berg fängt gleich hinter dem Seepanorama an, an dem entlang ich zu ihm gehe.



Es gibt viel Schönes am Berg, aber das Schönste war das küssende Paar oben auf der Alm, gleich hinter dem steilen Endaufstieg, als sich am Horizont die Berglandschaft weitete.



So sieht es da oben aus. Ein paar Bänke stehen in einem Steingarten, der jetzt schon verblüht ist, aber ich habe mit dieser Aussicht ohnehin kaum ein Auge für Blumen.



Ich kann mir das stundenlang anschauen. Ich brauche nichts anderes, es wird auch nicht langweilig. Irgendwann macht die Hüttenwirtin die Sonnenschirme zu, dann wird es Zeit, aufzubrechen.



Denn die Sonne steht schon tief, es wird im Wald schnell finster, und beim Springen über Stock und Stein braucht man Licht; zumal ich von der lichten Höhe aus in den Sonnenuntergang hineinlaufe.



Zum grossen Spektakel der hereinbrechenden Nacht war ich dann unten am Fusse des Berges, sehr zufrieden und überhaupt nicht aufgeregt von dem, was auf einem anderen Kontinent geschah. Ich hatte es da oben nicht mitbekommen, und das einzige, was ich wirklich bedauert habe war, dass ich dort oben niemand küssen konnte. Komisch, oder? An der Krise hängt auch meine berufliche Existenz, nicht allzu nah, aber doch so, dass ich mir Sorgen machen sollte, und trotzdem: Sollen sie doch alle krepieren, solange ich irgendwann mit einer Frau da oben im Gras liegen kann.

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Montag, 8. September 2008

Verschlungene Wege

Nein. mag sein, dass es woanders so ist, aber bei uns nicht. Bei uns hat der Sommer einen sehr, sehr langen Atem, er ist nie ganz weg, und er muss aus seinem Winterquartier in Italien gar nicht viel pusten. Ein paar müde Schnaufer reichen, und der Kälteinbruch ist vergessen, die Strassen werden trocken, und vom Regen bleibt nur das saftige Grün auf dem Weg zurück in die Provinz.



Der Weg ist nicht einer, sondern viele, es gibt Abzweigungen und Kurven und ein stetes Hin und Her, es ist noch etwas Zeit bis zur Pflicht, und wenn auch die Region Warngau nicht so schroff-majestätisch wie die Berglandschaft ist, so hat sie doch auch ihre Reize unter dem italienisch blauen Himmel, die Luft ist silbrig bei Allerheiligen, und bei der alten Post sind die weissroten Tischdecken draussen.



Und wie jedes Jahr erst hier die Erkenntnis, es zu selten getan zu haben, zu oft verzichtet zu haben, die Tage oft, aber dennoch zu selten genutzt, die Reifen immer noch zu neu und deshalb taxiert, ob es nicht doch die Chance gibt, gleich wieder zurückzufahren. Es ist auch nicht schlecht in der Provinz.



Aber es sind die Tage, da man noch einmal am See sein sollte; es sind nicht mehr zu viele Tage, und der Winter wird noch lang und eisig genug; vielleicht, wenn es schlcht läuft, auch ohne die Möglichkeit, die Berge zu überqueren und irgendwo zu verweilen, an einem Ort, den es noch mitzunehmen gilt, der ein Versteck bietet vor dem Unausweichlichen, das so oder so kommt. Man muss der Realität ins Auge schauen: In 20 Jahren wird man nicht mehr einfach so über die Landstrassen knattern. Vor uns die Sintflut.

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Donnerstag, 4. September 2008

Vor dem Sturm

Fairerweise möchte ich hier anmerken, dass nur drei Stunden später auch am See, über Gmund Sturm und Regen nicht ausblieben, nachdem der von der Wolkenfront leicht vorverlegte Sonnenuntergang nochmal den Sommer feierte:



Having been very fair, kann ich natürlich auch anmerken, dass es da schon stockfinster war. Zuvor konnte man, wenn man in Tegernsee weiterradelte, das weitere Spektakel betrachten, während an der Strandpromenade Menschen in Tracht blasenderweise bayerische Märsche intonierten - ich weiss schon, warum ich kein Videomaterial bringe:



Es dauert zu dieser Jahreszeit gar nicht mehr so lang, bis es dann dunkel wird am See; oben auf der ersten Anhöhe bleibt es etwas länger hell, aber nach acht braucht man auf der Terrasse definitiv künstliches Licht, um hier nicht ganz zum roadsterfahrenden Skilehrerabklatsch zu verblöden.



Zwei Pässe, zwei Seen, famoses Wetter bis in die Nacht und dann zum Buch ein fauchendes Gebirgsunwetter, während die Tarte im Ofen goldbraun wird. Kein Hotelier, der bezahlt werden muss, kein Zimmer, das ein anderer gebucht hat und geräumt werden muss, kein Problem bei der Verlängerung, keine Pflicht zu bleiben, wenn das Wetter schlecht wird. So habe ich mir das vorgestellt. Man sagt, selbst genutzte Immobilien hätten keine Rendite, aber es stimmt nicht, wenn man die Lebensqualität mit einrechnet. Morgen soll es im Norden noch schlecht sein, aber in Innsbruck hält das schöne Wetter.

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Dienstag, 2. September 2008

Alpenmästung

Ich mag meine Heimat. Trotz allem. Es gibt hier sehr viel Schönes, und das meiste, was schlecht, gemein und dumm ist, kann man bekämpfen. Bayern, nachgerade meine bayerische Provinz, ist liebenswert und zugleich eine Herausforderung. Aber es gibt etwas, das unabänderlich ist, was jeden Spätsommer ruiniert und die Tage in kaltes Blei giesst; eine Erscheinung, die der Lage am Fluss in der Tiefebene geschuldet ist und die sich unabänderlich ins Bewusstsein drängt, mit der Botschaft der langen, düsteren Zeit. Der Donaunebel. Gerade jetzt sieht es vor meinem Fenster - wo an sich eine pittoreske Sicht über die Dächer der Altstadt sein sollte - so aus:



Melancholiker fühlen sich pudelwohl, Selbstmörder schreiten jetzt wohlgemut zur Tat, und die neuen Elitessen, die gerade nach einer Wohnung suchen, bekommen einen bitterkalten Vorgeschmack auf die nächsten Jahre, da sie zwischen überzogenen Ansprüchen, schlechten Parties und einer Düsternis herumstochern, die der bekanntesten Romanfigur dieser Stadt alle Ehre macht: Frankensteins Monster wurde hier erschaffen, in einer Dachkammer hoch über der Stadt, und manche sagen, dass auch die Lage meiner Gästewohnung der Beschreibung von Shelley sehr gut entspräche. Es ist keine Lust, hier die nebligen Tage zu erdulden; früher überlegte ich, ob ich nicht vielleicht einen Urlaub herausschinden könnte. Heute jedoch nutze ich einfach das Exil in den Bergen.



Wo, wie man sagt, lange Schönwetterperioden mit Fön die grauen Tage in die Niederungen abdrängen, wo die Bäume in der Eng knallrot werden und die Farben in der Sonne gleissen, wo die Luft reinbeissblau, klar und schon italienisch ist und die Aussicht weit. Was habe ich den Nebel gehasst, als ich noch ein Kind war. Wie würde ich ihn hassen, müsste ich hier bleiben.

Edit:



Man denkt ja, dass man sowas vielleicht auch aufheben könnte und am nächsten Tag bringt, als Darstellung des Tagesprogramms, aber mei. So sah das heute beim Mittagessen aus.

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Freitag, 22. August 2008

Die Fortschreibung der Geschichte

Mal ganz ohne Zynismus: Gestern war ich bei Dallmayr.

Ich halte hier kurz ein, denn nun werde ich etwas schreiben, was vielleicht härter klingt, als es gemeint ist, aber:

An der Schokoladentheke waren neben vielen Asiatinnen zwei Frauen, die gerade bedient wurden. Eine alte, schwerhörige Dame in rosabeigegrauem Kostüm, schlank und mit gewähltem Ausdruck, die genau wusste, was sie wollte, und der sie bedienenden Verkäuferin das Gefühl zu vermitteln wusste, dass ihr "Danke" ehrlich gemeint war. Und eine Frau Mitte 30, ungefähr doppelt so schwer, mausgraublond, grünes T-Shirt und mit einer Stimme wie die junge Angela Merkel, wenn sie gerade eine Abfuhr bekommen hat. Eine Frau, die die Verkäuferin quälend lang herumscheuchte und mit ihrem unhöflichen Benehmen hier nicht reinpasste. Ich weiss, es klingt nicht freundlich, jemandem aus Ostdeutschland ohne Manieren das anzuhängen, das "nicht reinpassen", es ist ein freies Land und jeder, der Geld hat, darf bei Dallmayr Pralinen kaufen, und ich schreibe es hier auch nur, weil sie mit ihrer selbst gestalteten "Ich zahle und schaffe an"-Attitüde nachdrücklich an den Tag legte, dass es ihr vollkommen egal war, was irgendjemand von ihr dachte.



Das hier ist der sogenannte Malerwinkel. In Rottach-Egern. Wer das hier länger liest, weiss, dass ich an Rottach nicht gerade mein Herz verloren habe; es ist so eine Art überteuertes und verunstaltetes St. Tropez des Tegernsees. Auch hier kann jeder kommen und bleiben, es ist keine Gated Community, auch wenn reduzierte Poldi-Habsburg-Janker (die heissen wirklich so) über 600 Euro kosten und ein banaler Zwetschgendatschi für 3 Euro das Stück verkauft (!) wird. Und obwohl ich Rottach nicht mag, ist es die Übersteigerung einer Sicherheit, die ich hier empfinde: Die Sicherheit, dass der alte Westen nicht tot ist und die Veränderungen durch den neuen Osten, das Ende des eisernen Vorhangs und der Entsozialstaatlichung der Globalisierung nicht überall durchgeschlagen haben. Rottach könnte Wirtschaftswunderdeutschland sein, oder auch das, was daraus 2008 geworden wäre, hätte es nicht die fundamentalen Änderungen der letzten zwei Jahrzehnte gegeben. In Rottach wirbt man im ersten Hotel noch mit dem Autogramm von Roberto Blanco, und Peter Alexander würde sicher noch die Sitzreihen vor dem Musikpavillon füllen. Rottach könnte als Freilichtzoo für eine Zukunft herhalten, die nie kam. Ich mag Rottach nicht, aber ich wohne nicht weit davon, ich kann hinfahren, mich darüber aufregen, und trotz allem wissen: Selbst dieser konsequent zu Ende gedachte und in unsere Zeit entwickelte Alte Westen mit all seinen Auswüchsen ist mit immer noch lieber als die Zukunft des Landes, die früher oder später die Provinz, München oder gar Holzkirchen erreichen wird.

Rottach ist fies, weil das Leben in einem konservierten Westen mit seinen türkisblauen Elektrobooten und E-Type-Aufläufen sich aus der Ungleichheit speist, die andernorts Arbeitslosigkeit und Hartz IV bedeuten. Die Gründerin von 9live wurde mehrfach gesehen, ohne dass jemand ordinär auf sie eingeschrien hätte, jetzt für eine Wanne voll Geld anzurufen. Der Zoo lebt von Renditen, die andere generieren, nur das erlaubt die Schlangenlederschuhe der Modegeschäftsbesitzer, ihre goldenen Reversos und die Cartiers für 8.990 im Kundenauftrag. Ich würde diese Form der Wohlstandsverwahllosung nicht wählen, aber das Kommende wird auch mir kaum eine Wahl lassen, und es erscheint mir besser, im Zweifelsfalle hier angespült zu werden als in der asozialen Zukunft, in der eine pdeudolinke Propaganda eine Mischung aus Staatsbescheissen und Auflösung von festen Arbeitsverhältnissen die wohlfeilen Strichjungen für neoliberale Abzocker bereitstellt, für die Zukunft der Bailouts und der ultrakurzen Inhalte ohne Hintergründe, die Zukunft, die man nicht mehr gestaltet, aber bechattet und verlinkt, ohne sie vorher genau gelesen zu haben.



Manchmal beschleicht auch mich trotz aller Erfahrung im Osten und den Niedergangsgebieten im Westen der Gedanke, dass es nur umkehrbar sein kann, wenn man persönlich den Ausgleich lebt, aber dann erinere ich mich an die von Nazis bespielte Fabrikruine in Neustadt/Orla, an die trostlosen Einkaufsmeilen in meiner Heimat und an die Inhalte der Glotze, die ich fast nur aus Erzählungen kenne, an Einrichtungskataloge mit Prozentbapperln, an die gelackten Neumünchner Jungsöders mit ihren Handyevents und die bildungsfernen Anjatanjas mit Osthintergrund und Karrierecoachkarriere, an diese Melange aus wirtschaftlicher Freiheit und geistigem Sklaventum. Die Prozesse, die uns dieses abgelöste Fleckchen Rottach und die abgelöste Bundesrepublik beschert haben, sind irreversibel, und die Keife bei Dallmayr ist da noch das allerkleinste Problem, zumal, wenn sie endlich, ohne einen schönen Tag zu wünschen, endlich still ihrer Wege geht, die die meinen nicht mehr kreuzen.

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Donnerstag, 21. August 2008

Mit dem Tod auf Du und Du.

Ich habe viele Tote gesehen. Das brachte mein Studium so mit sich, ich habe auf einem Gräberfeld gearbeitet, und in der Regel machte man ein Grab, eine Leiche, ein vergangenes Leben pro Tag. Eine exakte Zeichnung der Lage, Fundnumerierung, Bilder, Grabungstagebuch, Bloggen für Archäologen, und am Abend räumte ich die sterblichen Überreste in einen blauen, reissfesten Müllsack und trug ihn über das Gräberfeld zu einer Holzkiste, wo sie auf den Abtransport zum Medizinmann warteten. Es gehört dazu, ich hatte kein Problem damit, ich konnte gut schlafen, und als einmal der Kleinbagger beim Abziehen knirschend einen Schädel spaltete, der in der Verfüllung des Raubschachts verblieben wär, ging ich eben hin und sortierte die Bruchstücke für die Dokumentation. Zwischendrin gab es Essen, nachher ein wenig Schwimmen im nahen See, man lebt damit und an den Geruch, den so ein Grab verströmt, mit seiner feuchten Erde, dem verrottenden Metall und den austrocknenden Knochen gewöhnt man sich schnell, so schnell, dass man ihn vergisst, sobald das frische Brot aufgeschnitten ist.

Es ist nicht besonders respektvoll, was man da tut, es geht um Wissenschaft, und die hat nun mal keinen Respekt, man tut, was man tun muss, bevor die Bagger für ein neues Baugebiet kommen. Hat ein Adliger eine Spatha dabei und einen Schildbuckel, ist es mehr Arbeit, bei Kindergräbern sind nur selten viele Knochen erhalten, das macht den Unterschied, egal welche Gelegenheit deren Leben beendete. Die Auswertung ist die Sache eines armen Doktoranden, den es dereinst erwischen wird, und der dann hoffen muss, dass die Numerierung der blauen Säcke noch lesbar ist.



Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich so einen blauen Sack für mich bevorzugen würde, mit einer Nummer und den Grabbeigaben in einer anderen Obstkiste. Was ich eher unerfreulich finden würde, ist die Verbringung als noch nicht vergangenes Kadaver in eine wertvolle Kiste, die angebetet und verehrt wird für etwas, das mit mir nichts zu tun hat, angefleht wird um Blagen, Essen, den richtigen Hieb auf den Türkenschädel, und dann, nach dem Rückzug des Glaubens, irgendwo als Kostbarkeit japanische Mädchen erbleichen zu lassen, weil meine verdorrten Beine unter all den Perlen und Seidenstoffen heute nur noch von der Endlichkeit künden, dumm, banal und nur deshalb nicht überflüssig, weil es unerträglich wäre, all die Arschkrampen da draussen mehr als ein Jahrhundert das Antlitz der Erde verschmutzen lassen zu müssen. Natürlich ist es in einem Palast schöner, aber davon hat man später auch nichts. Sterben ist ok, vergehen ist in Ordnung, es gibt sicher nicht zu wenig Leben auf dieser Erde, das Davor ist alles, was zählt, und wenn dann einer kommt und das alles, was bleibt, sorgfältig aufnimmt, um darüber keine Dummheiten zu verbreiten, und danach auch noch gut schlafen kann, dann ist das schon sehr, sehr viel.

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Montag, 18. August 2008

Der Bergurlauber lässt wissen:

Zugegeben, es ist schon etwas fragwürdig, um 8 Uhr morgen vom Rattern einer Marmorpoliermschine im Hausgang geweckt zu werden. Aber immer noch besser so, als von den frühmorgendlichen Besoffenen in der Provinz, oder noch schrecklicheren Belästigungen andernorts.



Zum Glück jedoch rattert die Marmorpoliermaschine seltener als der Partyhool auf die Wege kotzt, und manchen Morgen sollte man auch nicht verschlafen, um zu geniessen, was ist, oder besser gesagt, was hier ist.

(Dontmentiontheberlin)

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Sonntag, 17. August 2008

Das ganze Land

Sommer am See.







Ich bin nicht fasziniert von Reichtum. Reichtum ist ein relativer Zustand und, wenn man sich am See mit dem nicht seltenen Thema Demenz beschäftigt, obendrein banal, wie auch Armut, der ich auch keine romantischen Seiten abgewinnen kann. Mir geht der Neid auf andere ab, wenn ich, was oft passiert, bei einer Auktion verliere, ich freue mich ganz unschuldig über jeden alten Roadster, der meinen Weg kreuzt, ich bin bis an die Grenze der Abergläubigkeit hilfsbereit und manchmal auch extrem naiv, was Menschen in unschönen sozialen Lagen angeht. Ich glaube gerne an einen Sozialismus, den dessen Begünstigte mit ihrem Verhalten ad absurdum führen, und auch damit kann ich umgehen, in der ruhigen Hoffnung, dass es sich lohnt, auf die zu warten, die anders sind und das Werk vollbringen werden.

Was mich aber immer wieder fassungslos zurücklässt, was ich eigentlich nicht sehen will und trotzdem gerne dargestellt sehen möchte, sind extreme soziale Unterschiede am selben Tag, im gleichen Land mit seinen angeblich identischen Voraussetzungen für alle, die darin leben.

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Dienstag, 12. August 2008

Das Haus und sein Hüter

Jeden Sonntag gehe ich nach dem Konzert in den Hof, öffne das Waschhäusl, das mit nur 12 Quadratmeter das kleinste eigenständige Gebäude des Komplexes darstellt, hole Wasser, räume die Erdhalbkreise um die Weinstöcke vom Müll der letzten Nacht frei, giesse und binde neu gewachsene Äste hinauf. Manchmal gehe ich auch zur Seite, wenn Touristen ein Photo ohne Hausbesitzer machen wollen, und es freut mich, wenn das Erhalten durch diese Anerkennung belohnt wird. Manchmal ist es aber auch anders; so wie vorgestern. Da kam die auch nicht gerade seltene Argumentation der Neubaufetischisten: So ein altes Haus, so viel Aufwand, das kann sich doch gar nicht lohnen, da hat man nur Arbeit damit, das soll man doch verkaufen, viele Reiche suchen das heute, um Steuern zu sparen, aber so hätte das alles keinen Sinn - grad so, als wären wir selbst auf der Brennsuppn dahergschwumma und wüssten nicht, wie man die Erhaltungskosten steuerlich geltend macht.



Andererseits stimmt es natürlich. Es macht Arbeit. Als ich die Provinz verlassen habe und fast 2 Jahrzehnte nur sporadisch hier war, gab es nie einen Zweifel daran, dass ich mich irgendwann darum würde kümmern müssen. Ein paar Aspekte konnte ich mir gut vorstellen - auf der Dachterasse den Sonnenuntergang anschauen, eine grosse Wohnung beziehen, am Sonntag für die Mieter Zwetschgendatschi backen, Weintrauben pflücken. Es gab auch Aspekte, die ich mir weniger vorstellen konnte - noch vor 7 Uhr Schneeräumen, die Hinterlassenschaften der nachts durchziehenden Prolls wegräumen und ab und an auch Anzeige zu erstatten, wenn mal wieder jemand meinte, aus Frust etwas beschädigen zu müssen. Folglich auch reparieren. Man glaubt gar nicht, was alles so kaputt gehen kann in so einem grossen Haus, und wie komisch es ist, wenn man nicht mehr die Hausverwaltung anrufen kann, die man selber ist. Man ist nicht so schlimm wie an ein Kind angehängt, aber man ist eben auch niemals ganz frei, und die Vorstellung, dass das Haus wirklich einmal Besitz ergreifen könnte, war früher weniger angenehm.

Aber seit drei Jahren mache ich das neben all den anderen Verpflichtungen, und ich muss gestehen, dass es von allen, insgesamt betrachtet, die leichteste und angenehmste ist. Es ist zwar faktisch falsch oder gar gelogen, aber hier gebe ich diese Verwaltungsarbeit lieber als meine Beschäftigung an, als das Wühlen in den unerfreulichen Seiten gewisser Geldanlageformen. Es ist ein simples Geschäft mit überschaubaren Risiken und vielen Freuden, man hat so gut wie nie mit Kriminellen zu tun und hat auch bei den Partnern nie den Eindruck, dass sie besser im Gefängnis aufgehoben wären. Die Rendite ist lächerlich, der - theoretische - Stundenlohn vernachlässigbar. Aber man gewöhnt sich dran, es ist sicher, es kann einen keiner feuern und man tut, was richtig ist. "Herr bin imma no I", pflegte meine Grossmutterimmer zu sagen, und sie hatte natürlich wie immer recht.



"Mia woas no grod gnua", sagen statt dessen die Konzertbesucher, die das nicht verstehen und finden, dass ich so nie eine Weltreise werde machen können, und damit natürlich auch recht haben. Ich könnte jetzt auch nicht mehr nach Berlin gehen. Und anderes tun, was ich gar nicht so entsetzlich erstrebenswert finde. In gewisser Weise sind solche Aufgaben wie das älter werden: Nicht unbedingt das, was man in der Jugend gerne erleben will, aber später ist man doch irgendwie froh, dass gewisse Dinge nun erledigt sind. Genauso, wie man bald nach dem Abitur aufhört, unreife Schulmädchen trotz Kaugummi und Bravo-Abo sexy zu finden, gewöhnt man sich später auch an Verantwortung. Netterweise so schnell, dass es wirklich das Geraunze auf der Strasse braucht, das einem die Veränderungen im Leben erst wieder bewusst macht. Es ist nicht schlimm, es ist nichts besonderes, es passiert und ist besser als ein Bandscheibenvorfall, ein Kind oder die schwarzen Blattern. Sage ich, und habe damit natürlich wie immer recht, auch wenn das bei den traditionell eher gebährfreundlichen Konzertbesuchern leicht brüskierend ankommt. Aber dafür fahre ich auch nicht in die Vorstädte und strecke ihnen die Zunge in ihre Vorgärten.

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