: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 6. Februar 2004

Rosa Haare

Er ist ein Restbestand. Ein Fragment einer zertrümmerten Kultur. Herabgeschlunzt wie die meisten in dieser Stadt, in diesem Viertel, das sie hier "Kiez" nennen, weil es so heimatlich klingen soll, wie es garantiert nicht ist, mit den Drogendealern an den Telefonzellen, den Gebrauchtmärkten, bei denen es keine Rechnungen gibt, und den strategisch verstreuten Thai-Bordellen.

Inmitten dieses unspektakulären Dauerniedergangs steht also der Typ an der Kasse, gebückt, in den frühen 60ern, vielleicht auch jünger und durch den Lebenswandel vorzeitig gealtert. Er dreht Zigaretten selbst, wie damals vor dem Springer-Hochhaus. Und die Haare sind rosa gefärbt. Bis heute.

Er hat es nicht rausgeschafft zu den noblen Vororten, wo seine Mitkämpfer von damals heute residieren. Er hat den Zeitpunkt verpasst, zu dem man sich am Besten eingliedert und von der Reaktion gut bezahlen vulgo kaufen lässt. Seine Haare sind so fettig wie die der meisten älteren Männer in Berlin a. d. Spree, wo Körperpflege wenig gilt, aber die Haare sind rosa, und das macht den Unterschied zu den Kotzfressen der Blockwartclone, die sonst in diesem Viertel den Ton angeben.

Hin und wieder schnieft er die Nase bewusst proletarisch und laut hoch. Die alte Schachtel vor ihm im falschen Lammfell schaut angedisst. Den Wodkaflaschen nach zu schliessen, hat er ein erhebliches Alkoholproblem. Vielleicht ist das dafür verantwortlich, dass er den Marsch durch die Institutionen nicht geschafft hat. Und weiter an die Revolte glauben muss, bis das Vergessen im Wodka einsetzt.

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