: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 3. Oktober 2006

Potschamperl

Als chronischem Nachtarbeiter und ebensolcher Spätaufsteher kann ich mit Lärm zu später Stunde eher leben als mit, sagen wir mal, wohlgelaunten Gerüstabbauern, die schon um 7 Uhr, nach Ende der offiziellen Nachtruhe der Provinz, Stahlstangen schmeissen. Ohnehin ist der Trend zum Spätaufstehen an dieser kleinen Stadt spurlos vorüber gegangen. In München-Schwabing bekam man so gegen 9 Uhr problemlos die später begehrten Parkplätze, hier hingegen sollte man sich so um 6 Uhr auf den Weg machen, wenn man dem Parkverbot und dem Strafzettel entgehen will. Dafür kann man auf dem Heimweg gleich Semmeln und Käse einkaufen. Und sich anhören, dass man schlecht ausschaut, was um die Tageszeit ohne Schlaf jetzt nicht so sehr verwundert, und an die Sozialkontrolle hier gewöhnt man sich besser, wenn man überleben will. Man versuche hier mal, die Hautür offen zu lassen - sofort eilt ein Nachbar herbei, wittert Ungemach und Gefahr, schliesst die Tür und weist einen beim nächsten Treffen auf die Problematik solchen Tuns hin, selbst wenn man nur schnell etwas im Kartoffelkammerl abgestellt hat.

Die Sozialkontrolle aber greift nicht mehr in der Nacht und schon gar nicht zu Zeiten des Volksfestes, mit dem der Pöbel aus dem Umland beweist, dass es sich auch ohne japanische und australische Gäste gnadenlos daneben benehmen kann. Wer nicht im Sanka abtransportiert wird, oder beim Ausparken erst den Vordermann und dann den Hintermann rammt und der Polizei dann mit den Worten "Des woa scho so, Ia kennz ma nixn, I bin da Büagamoaschta vo Grossdingshausen" (Name des Ortes geändert, Geschichte durch die damals mein Bett zierende Tochter aber verifiziert, die dann ein halbes Jahr lang Papis Mercedes fahren konnte) - wenn man also nicht durch die kleinlichen Racheversuche des Schicksals aufgehalten wurde, zieht man zu später Stunde weiter in Kneipen, die an diesem Abend das Fehlen einer anständigen Türkontrolle bitter bereuen. Um halb drei dann, zu meiner Hauptarbeitszeit findet sich das Pack dann unter meinem Fenster ein, und während ich eine Wahlanalyse über das braune Pack in Österreich auf Englisch schreibe, sucht man mir mit lauten, nicht immer gesetzeskonformen Gesängen zu beweisen, dass die Probleme des Nachbarlandes auch bei uns zu finden sind. Mitunter suchen sie an der Haustür auch ein Urinal, und dann mache ich sicherheitshalber Festbeleuchtung im Gang und drehe Torelli LAUT auf.

In früheren Tagen gab es noch eine Art Waffengleichheit auf zwei Ebenen. Zum einem, wenn es ganz hart kommen sollte, gab es in diesem Haus mit seinen passionierten Viecherabknallern eine grosse Menge an Schiessprügeln, Schrotflinten und auch Gerätschaften, die heute gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstossen würden. Dessen Einsatz hätte fraglos gewirkt, aber es gab noch eine niedrigere Eskalationsstufe: Das Potschamperl, ein mit Rokokodekor verziertes Porzellangefäss, das seinen Namen der liebevoll-bayerischen Verballhornung des französischen Wortes "Pot de Chambre" verdankt - die eigentliche Übersetzung in unseren Dialekt wäre dagegen Brunzkachel. Das sagt man aber in den besseren Häusern nicht. Nur zu Menschen, da kann man das sagen. Etwa, wenn man den aus warmen Wasser und etwas Essig bestehenden Inhalt des gut sichtbaren Potschamperls auf die Schreihälsen platschen lässt.

Gestern Abend habe ich so ein Potschamperl dringend vermisst. In irgendeinem der vielen Wandschränke müsste es aber noch sein und auf neue Abenteuer warten. Vielleicht liegt ja auch noch irgendwo eine Flinte herum. Gehackte Sauborsten und Salz, das soll wirken. Und ich will eigentlich gar nicht wissen, woher ich das alles weiss, eigentlich wäre es schon in Ordnung, wenn die da unten einfach ihr Maul halten würden und mit ihren gepimpten Kleinwägen den Versuch starteten, die Strecke nach Neuburg mit neuen Marterln zu versehen.

P.S.: Etwas nördlich, bei den Beutebayern Franken ist es auch nicht besser.

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