: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 2. Mai 2010

Tag der Arbeit

Wo ich gerade bin - in einem verschlafenen, Schweizer Provinznest mit Modelleisenbahnanschein - gibt es noch nicht mal den Tag der Arbeit. Es ist 1. Mai, und alles hat hier offen, der Wochenmarkt findet statt, und übersaturierte Wohlstandskinder schieben überteuerte Räder durch die Stadt, deren Reflektoren eine ganz andere Sprache sprechen, als ihre martialischen Formen und Reifen. Hier zündet niemand ein Auto an, hier prügelt niemand ritualisiert auf die Polizei ein. Und selbst, wenn ich hier einige Aspekte ziemlich abscheulich finde, weil zu viel und zu dumm zufrieden, ist es in gewisser Hinsicht besser als in Berlin, wenngleich auch schlechter als in Deutschland.



Denn in Deutschland ist "Tag der Arbeit". Ich finde diesen säkularen Feiertag als Machtdemonstration der Beschäftigten enorm wichtig, und als ich bei der grossen Autofabrik Werksstudent war, ging ich natürlich auch mit zum Paradeplatz. Wenn man mit Medien und ihrer Korruption zu tun hat, weiss man nur zu gut, wie leicht es die andere Seite hat, sich Einfluss und Stimmen zu kaufen; die meisten Wirtschaftsredaktionen sind gespickt mit Arschkriecherkohorten, die geradezu danach gieren, jeden journalistischen Standard für Billighäppchen zu verraten und zu verkaufen. Reise- und Autoressorts sind vielleicht auch widerlich in ihrer Selbstzuhaltung, aber die Wirtschaftsredaktion hat leider einen gewissen Einfluss, den sie anbietet. Und da ist es nur hilfreich, wenn einen Tag lang das Pack still ist und sich anhört, was man ihm zu sagen hat. Aktuell ist das ja eine ganze Menge, Stichworte Hartz IV, Förderung des Binnenkonsums, Bekämpfung der Raubbanken.

Aber das spielt heute alles keine Rolle mehr. Wichtiger als die Arbeiter sind ein paar versiffte Arschkrampen in Berlin, die Arbeit scheisse finden, Leute um Geld anhauen, bestenfalls mit Scheibenwaschdiensten belästigen und dann am 1. Mai die Sau rauslassen. Das will jeder sehen, das ist Event, Spektakel, Kamera drauf, ein brennendes Auto sagt mehr als eine Stunde Analyse der Spätfolgen der Bankenkrise. Die angeblichen Revolutionäre liefern genau das, was die Medien brauchen, um auch noch am 1. Mai von ernsten Themen abzulenken, sie stehen dann für den Sinn des Tages, wie er medial rüberkommt, sie diskreditieren genau die arbeitenden Menschen, die sie selbst nicht sind, und die sie verachten. Sage bitte keiner, dass die Autonomen eine Revolution wünschen, bei der sie dann an die Werkbänke dürfen - das wollen die ebensowenig wie ihre Neffen, die Berliner Blogunterschichtler, die nach Grundeinkommen ohne Bedingung plärren. Dazu gibt es dann noch lustige Gegenveranstaltungen, Naziaufmärsche, alles, was man braucht. Den perfekten Mix für die Medien.

Etwas Besseres kann jenen, die nicht über Umverteilung und Ungerechtigkeit nicht reden wollen, eigentlich gar nicht passieren, und die Kosten für die Ablenkung trägt auch noch der Staat. Noch ein paar Jahre Randale, und wir werden dann auch eine Debatte um die Abschaffung des 1. Mai erleben, zumal man dann sicher auch wieder irgendwie Arbeitgeber entlasten kann. Insofern ist mein Mitleid für die gezielt in Kauf genommenen Opfer des Konflikts mit der Polizei am 1. Mai, vorsichtig gesagt, eher begrenzt. Schliesslich weine ich ja auch nicht, wenn ein Bankster vor Gericht landet.

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