: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 3. November 2012

Der Wandel in den Bergen

Als ich noch ein Kind war, ging es im November zum Skifahren in die Berge. Das war ganz einfach, wir fuhren zu meinem Onkel in Pang bei Riedering nahe Rosenheim und dann auf einen der daneben liegenden Berge, denn dort waren Lifte und Schnee. Das war zu der Zeit, als am Wallberg noch Rennen organisiert wurden. Wäre es nicht so gewesen, hätte sich der Erwerb von Skiausrüstumg auch kaum gelohnt: Die Saison muss von November bis April dauern, für eine Woche wäre der ganze Aufwand viel zu kurz gewesen. Wir sind gern im November gefahren, da war noch lange Licht, und mit dem letzten Lift hinauf konnte man den Tag auf dem Gipfel weit ausdehnen.







Heute, über 30 Jahre später, wohne ich in den Bergen; weiter droben und näher dran, als mein Onkel. Das ist jetzt mein 5. Bergwinter, und jedes Jahr noch war es das gleiche: es gibt einen Wintereinbruch Ende Oktober, Anfang November. Und dann kommt ein mindestens ein Monat Vorfrühling, manchmal auch noch ein Dezember fast ohne Schnee. Skifahren am Wallberg ist so gut wie unmöglich. Es ist auch nicht wirklich kalt, bisweilen sogar warm. Momentan könnte man bei mir auch den ganzen Tag auf der Terrasse sitzen, und als einzige zusätzliche Bekleidung einen Sonnenhut tragen. Über 1200 Meter ist tatsächlich noch etwas Schnee, und es ist erheblich kühler. Aber das hat mit dem November, den ich auch meiner Kindheit kenne, nichts mehr zu tun. Der Bergnovember ist zur Radlsaison geworden, aus der Wetteranomalie wurde eine neue Klimanormalität. Aus Erfahrung halte ich mir die Zeit inzwischen weitgehend frei.







Es sieht - noch - so aus, als hätten wir hier das bessere Eckerl vom Klimawandel erwischt. Echte Kaltphasen wie letztes Jahr, als der Tegernsee im Februar nach einem warmen November und Dezember doch noch zugefroren ist, waren früher vollkommen üblich, dafür wird der Winter vom Herbst her aufgerollt. Die Bauern fragen sich, warum sie im Oktober Almabtrieb machen sollen, wenn man das Vieh auch im November draussen lassen kann. Und generell ist es für mich natürlich schön, mich jederzeit ohne besondere Vorkehrungen auf das Rad schwingen zu können. Nicht nur die Finanzkrise sorgt perverserweise dafür, dass hier alles besser läuft. Die Frage ist nur: Welche armen Schafe bekommen angeischts der Anomalien und ihrer Folgen dafür die Rechnung.







Vermutlich jene Betroffenen, die darauf nicht besonders eingestellt sind. Man überlegt sich natürlich schon, wie das hier so wäre, aber auf dem Dorf sorgt man automatisch vor: Das fliessende Wasser in bester Qualität kommt hier aus der Quelle, es gibt jede Menge Kerzen, und in der Kiste sind die dicken Winterdecken alter Generationen verstaut, und solange ich ein Buch habe, brauche ich auch kein elektrisches Gerät. Wir haben hier dicke Strickjacken und derben Loden, und im Haus gibt es auch welche mit Ofen und Holz: Da würde man dann sitzen, und das Wasser darüber zum Kochen bringen. Überhaupt, der Einbau von Öfen ist gerade das Thema am See. Man ist klug und sorgt vor. Die Hausverwaltung lässt wissen, dass es für ganz schlimme Fälle auch ein Notstromaggregat in der Anlage gibt, so dass die Heizung ausfallsicher ist. Kleines Dorf, kurze Wege, wenig Infrastruktur: Vermutlich wären hier die Probleme sehr viel kleiner, würden sie sich die üblen Folgen des Wandels wirklich entschliessen, nicht mehr andere heimzusuchen.







Daher sind die Gedanken hier auch so leicht und dekadent: "Warum bin ich nur nicht diesen Sommer am Lago di Como gewesen, nochmal drei Seidenshawls wären doch wirklich eine feine Sache für diesen See hier." Das ist schon etwas anderes als die Vorstellung, in Berlin könnte sich die Anomalie eines sibirischen Kaltgebietes ausdehnen, oder Inversionswetterlage über München könnte ein Dauerzustand sein. Der Zustand hier ist einer, an den man sich gewöhnen kann, und es trägt auch dazu bei, dass es weniger Erderwärmung gibt, wenn wir in den Bergen weniger Holz verbrennen. Vielleicht ist es den Amerikanern auch weitgehend egal, weil sie sowieso nicht an den Klimawandel glauben. Und wenn ein Achgut-Mitarbeiter mal ein paar erfrorene Finger hat, kann das der Welt nicht zum Nachteil gereichen. Aber da bleibt die Ahnung, dass derartige Eingriffe einfach nicht gut ausgehen können. Natürlich reguliert sich das System dann irgendwann selbst, aber ich würde gern darauf verzichten, selbst mitreguliert zu werden. Auch um den Preis, dass ich ein wenig an Sozialkontakten verlieren, wenn andere ohne mich auch weiterhin die wenigen verbleibenden Pisten frequentieren. Ich fahre nicht mehr Ski, weil es die Umwelt und die Berge ruiniert.







Über 30 Jahre hat der Wandel gedauert, den ich selbst kenne, und das ist so langsam, dass es für mich vielleicht noch gut reicht. Es könnte mir also egal sein, ich könnte auch die Freunden mitnehmen und sagen, dass es doch prima ist. Es gibt hier jede Menge Möglichkeiten, die in den Städten nicht existieren. Keiner ist hier allein, jeder kennt jeden, die Infrastruktur kann durch Beziehungen ersetzt werden. Zudem sind wir alle keine armen Bergbauern. Unser Hang hier kommt auch nicht ins Rutschen. Im allerschlimmsten Fall muss man halt Holz sammeln gehen, aber davon ist hier genug da.

Das Problem werden vor allem die grossen Städte und Stadtbewohner haben, denn die sind verwundbar. Der Klimawandel macht schöne Bilder am See. Und der einzelne kann vermutlich auch wenig machen, ausser vielleicht die ganz Irren abzuwählen. Aber das Elend ist global, und wenn das neue iPad wirklich wichtiger ist: Mei. Ich gehe im November gern radfahren.

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Diese Hitze!

Ganz ehrlich:



Ohne den starken Südwind würde man das vermutlich gar nicht aushalten.

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