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Montag, 26. November 2012
Aus der Requisite
München tut mir inzwischen weh. Und was ich mir nie hätte vorstellen können: Die Bindung an diese Traumstadt meiner Jugend ist inzwischen so weit zerbrochen, dass ich Vorschläge, meine Wohnung dort zu verkaufen, gar nicht mehr aus grundsätzlichen Überlegungen ablehne. Sentimentalität, Erinnerung an gute Zeiten, das alles hat wenig Bedeutung mehr. Ich tue es nicht, weil ich das Geld sofort wieder irgendwo anlegen müsste. Aber München an sich belastet mich.
Ich war kurz wegen eines Rades dort. Eine Fahrt in der Nacht, drei Erlebnisse. An einer Ampel bleibt ein Fussgänger (POC) auf der Strasse stehen, wartet, bis es rot wird, legt sich hin und macht Liegestützen, während seine Begleiterin Geld fordernd zu den Autos geht. Und als wäre das schon nicht schräg genug - es ist der Altstadtring, und hinter mir staut es sich, der Druck ist enorm - dreht der Audifahrer, in dessen Weg der Mann seine Körperertüchtigung macht, durch, brüllt, dass ich es durch beide Glasscheiben hören kann, ignoriert das Mädchen und fährt hupend auf den Mann zu. BGE trifft Leistungsgesellschaft, hinter dem Audi rollt der Verkehr an, Frau und Mann fliehen von der Strasse.
Und dann war da noch an der Takstelle die alte Frau, die die Mülleimer nach Flaschen durchsuchte. Ich bin gern unverheiratet und ohne Kinder glücklich, und ich bin mir aus Erfahrung mit Alter und Tod - das ist bei uns nämlich sehr traditionell, ganz im Gegensatz zu anderen - auch recht sicher, dass all die heutigen Turbomütter im Prenzlauer Berg später nicht weniger einsam als ich sein werden. Aber das ist das Schicksal, das uns droht, in unseren Singelmetropolen, deren Anonymität wir so geschätzt haben. Ich bin dann mal der Alte, der verbotenermassen alte Räder reparieren wird, trotz des Gesetzes für den Totalkonsum, dem aber nicht jeder wird Folge leisten können. Und zu Advent werde ich vielleicht Kränze machen. Aber genau das, was ich da an der Tankstelle sah, ist nichts, was man Rentnern zugemutet sehen möchte. Es ist eben diese Singlestadt mit ihrer Raumverschwendung für Einzelmenschen: Da kann ein Rentner nicht mehr mithalten. Aber wohin sollte er in diesem Alter noch gehen? Oder woher einen Kredit bekommen? Also gehen sie Flaschen sammeln. Die Stadt wurde an ihnen vorbei reich, und das wird vielen auch heute so gehen: So lange es gut geht, sind sie noch dabei, aber wenn sich das ändert, wird es eng. Vielleicht sollte ich auch Höllenangst haben. Zumindest verstehe ich, warum es anderen so geht. Bei mir ist es nur das Gefühl, das München verberlinert. Andere werden für die Anonymität einen hohen, einsamen Preis zahlen. Bei der FAZ war ein Blog zur Biopolitik, das sich vor allem mit Sterbehilfe beschäftigte. Es ging um den guten Tod, aber nicht mehr um das gute Leben. Das sind so die Dinge, die mir, zusammen genommen, die Luft rauben.
Nach München musste ich für ein altes Rad. Nach Hausham konnte ich anstelle des Marktes in Pfaffenhofen, denn lieber habe ich ein mieses Angebot in der Sonne denn ein weniger mieses Angebot im Nebel. Hausham, das ist aufgrund der Vergangenheit als Kohlenrevier sowas wie der Ruhrpott der Region, die Preise sind noch nicht so irre, die normalen Menschen sind noch nicht ethnoökonomisch weggesäubert, wie das am Schliersee wohl gerade wieder einsetzt, weildie Hölle Rottach schon übervoll ist. Und dort sieht so ein Flohmarkt unter dem Förderturm auch noch normal aus, und nicht wie in Bad Wiessee oder Benediktbeuern. Da ist auch der Mann mit Zugriff auf die Requisite der reichen Münchner Filmgesellschaft, die sich nun bergeweise von den Trachten trennt, die sie früher einmal für eine Vorabendserie brauchte. Ich war in Innsbruck, Meran, München und Sterzing, ich habe mir vieles angeschaut, aber einen Mantel, wie ich ihn wollte, fand ich nicht. Sicher, Loden ist wieder im Kommen, aber die alten grossen Namen haben die letzten 5 Jahre nicht überlebt. Und deshalb Hausham, wo normale Menschen normale Kleidung verkaufen. So, wie ich bei der Mare Socken bestellen kann, kann ich auch meinem Mann sagen, was ich bräuchte, und er schaut dann mal, was noch da ist. Gut hat er diesmal geschaut. Passt genau zum Hut.
Keine Sorge, ich verbayere nicht. Es ist nur so, dass es bald kalt werden wird, und Loden, das muss man zugeben, passt hier zum Wetter. In der Stadt kann man einen Mantel tragen, der die Brust frei lässt; in den Bergen versucht man am gleichen Kleidungsstück immer, es bis ganz oben geschlossen zu halten. So ein Lodenmantel mit Stehkragen hilft wirklich. Und die Knickerbocker brauche ich zum Bergsteigen. Ich beruhige mich im Laufe des Tages, Finden macht glücklich, in Hausham ist man nicht reich, aber man sucht auch keine Mülltonnen ab, es ist warm, und während ich bei Francesco neben dem Kamin sitze und die Trüffelravioli kommen, tritt alles andere zurück. Das Holz prasselt, ich bin sicher, ich habe ein Auskommen und noch ein anderes, ich muss nicht, ich kann. Ich muss mit meinem Wissen kein Profilschärfer und Markenkommunikator werden, ich muss mich keinen Kunden anbiedern und versuchen, das Letzte aus meiner kleinen Inselbegabung herauszuholen, um dem Druck der Erfolgreicheren zu widerstehen. Ich bin, wo ich sein möchte, der Mond scheint und der Föhn ist auch in der Nacht sehr mild. In der FAS steht ein Beitrag, den viele nicht mögen, und in den kommenden Tagen werde ich viel Zeug lesen, aus München und von anderswoher, in dem sich ereifert wird, als wäre alles bestens, und nur die Printschreiber müssten zittern. Aber da war die Frau an der Tankstelle und der Liegestützler auf dem Altstadtring. Ob der Mantel dann aus der TV-Requisite kommt, oder die Ravioli von Francescos Nichte, ist nicht bedeutsam. Das einzige, was wirklich wichtig ist, für alle und jeden ist, dass das Münchner Elendsverhältnisse in dieser Gesellschaft nicht der Normalfall werden - aber dahin treiben sie wahrscheinlich alle, die heute noch so internetverständigen Experten, die immer oben sein müssen. Nur weil der eine in den Medien krepiert, heisst nicht, dass die anderen überleben.
Ich war kurz wegen eines Rades dort. Eine Fahrt in der Nacht, drei Erlebnisse. An einer Ampel bleibt ein Fussgänger (POC) auf der Strasse stehen, wartet, bis es rot wird, legt sich hin und macht Liegestützen, während seine Begleiterin Geld fordernd zu den Autos geht. Und als wäre das schon nicht schräg genug - es ist der Altstadtring, und hinter mir staut es sich, der Druck ist enorm - dreht der Audifahrer, in dessen Weg der Mann seine Körperertüchtigung macht, durch, brüllt, dass ich es durch beide Glasscheiben hören kann, ignoriert das Mädchen und fährt hupend auf den Mann zu. BGE trifft Leistungsgesellschaft, hinter dem Audi rollt der Verkehr an, Frau und Mann fliehen von der Strasse.
Und dann war da noch an der Takstelle die alte Frau, die die Mülleimer nach Flaschen durchsuchte. Ich bin gern unverheiratet und ohne Kinder glücklich, und ich bin mir aus Erfahrung mit Alter und Tod - das ist bei uns nämlich sehr traditionell, ganz im Gegensatz zu anderen - auch recht sicher, dass all die heutigen Turbomütter im Prenzlauer Berg später nicht weniger einsam als ich sein werden. Aber das ist das Schicksal, das uns droht, in unseren Singelmetropolen, deren Anonymität wir so geschätzt haben. Ich bin dann mal der Alte, der verbotenermassen alte Räder reparieren wird, trotz des Gesetzes für den Totalkonsum, dem aber nicht jeder wird Folge leisten können. Und zu Advent werde ich vielleicht Kränze machen. Aber genau das, was ich da an der Tankstelle sah, ist nichts, was man Rentnern zugemutet sehen möchte. Es ist eben diese Singlestadt mit ihrer Raumverschwendung für Einzelmenschen: Da kann ein Rentner nicht mehr mithalten. Aber wohin sollte er in diesem Alter noch gehen? Oder woher einen Kredit bekommen? Also gehen sie Flaschen sammeln. Die Stadt wurde an ihnen vorbei reich, und das wird vielen auch heute so gehen: So lange es gut geht, sind sie noch dabei, aber wenn sich das ändert, wird es eng. Vielleicht sollte ich auch Höllenangst haben. Zumindest verstehe ich, warum es anderen so geht. Bei mir ist es nur das Gefühl, das München verberlinert. Andere werden für die Anonymität einen hohen, einsamen Preis zahlen. Bei der FAZ war ein Blog zur Biopolitik, das sich vor allem mit Sterbehilfe beschäftigte. Es ging um den guten Tod, aber nicht mehr um das gute Leben. Das sind so die Dinge, die mir, zusammen genommen, die Luft rauben.
Nach München musste ich für ein altes Rad. Nach Hausham konnte ich anstelle des Marktes in Pfaffenhofen, denn lieber habe ich ein mieses Angebot in der Sonne denn ein weniger mieses Angebot im Nebel. Hausham, das ist aufgrund der Vergangenheit als Kohlenrevier sowas wie der Ruhrpott der Region, die Preise sind noch nicht so irre, die normalen Menschen sind noch nicht ethnoökonomisch weggesäubert, wie das am Schliersee wohl gerade wieder einsetzt, weil
Keine Sorge, ich verbayere nicht. Es ist nur so, dass es bald kalt werden wird, und Loden, das muss man zugeben, passt hier zum Wetter. In der Stadt kann man einen Mantel tragen, der die Brust frei lässt; in den Bergen versucht man am gleichen Kleidungsstück immer, es bis ganz oben geschlossen zu halten. So ein Lodenmantel mit Stehkragen hilft wirklich. Und die Knickerbocker brauche ich zum Bergsteigen. Ich beruhige mich im Laufe des Tages, Finden macht glücklich, in Hausham ist man nicht reich, aber man sucht auch keine Mülltonnen ab, es ist warm, und während ich bei Francesco neben dem Kamin sitze und die Trüffelravioli kommen, tritt alles andere zurück. Das Holz prasselt, ich bin sicher, ich habe ein Auskommen und noch ein anderes, ich muss nicht, ich kann. Ich muss mit meinem Wissen kein Profilschärfer und Markenkommunikator werden, ich muss mich keinen Kunden anbiedern und versuchen, das Letzte aus meiner kleinen Inselbegabung herauszuholen, um dem Druck der Erfolgreicheren zu widerstehen. Ich bin, wo ich sein möchte, der Mond scheint und der Föhn ist auch in der Nacht sehr mild. In der FAS steht ein Beitrag, den viele nicht mögen, und in den kommenden Tagen werde ich viel Zeug lesen, aus München und von anderswoher, in dem sich ereifert wird, als wäre alles bestens, und nur die Printschreiber müssten zittern. Aber da war die Frau an der Tankstelle und der Liegestützler auf dem Altstadtring. Ob der Mantel dann aus der TV-Requisite kommt, oder die Ravioli von Francescos Nichte, ist nicht bedeutsam. Das einzige, was wirklich wichtig ist, für alle und jeden ist, dass das Münchner Elendsverhältnisse in dieser Gesellschaft nicht der Normalfall werden - aber dahin treiben sie wahrscheinlich alle, die heute noch so internetverständigen Experten, die immer oben sein müssen. Nur weil der eine in den Medien krepiert, heisst nicht, dass die anderen überleben.
donalphons, 00:27h
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Ich war nicht in Bochum
Ich bin zwar von einigen Piraten eingeladen worden, auch zu kommen, aber ihr müsste das verstehen: Föhn und 16 Grad, da kann man nicht Nein sagen.
Aber ich verstehe nicht ganz, was Piraten an "Nationalen Identitäten" so unetträglich finden, ober unerträglicher als die Tricks, mit denen andere die Abstimmungsprozesse, etwa beim Wirtschaftsprogramm, aushebeln wollen. Ein Blick auf diesen Parteitag zeigt doch, wie stark die nationalen Identitäten immer noch sind, die typisch deutsche Mischung aus Probleme kleinreden, der Wechsel zwischen der Grosskotzigkeit des Durchmarschs und dems Entsetzen, wenn es mit dem Bundestag nach dem Höhenflug doch nichts wird, das kleinliche Schrebergartengezänk, wie Berlin versucht, sich gegen die anderen mit allen Mitteln durchzusetzen, das Gewinsel um das Geld, alles nationale Identität. Kann man ruhig ins Programm schreiben. Ihr seid im Herzen schon immer deutsch gewesen.
Aber so oder so bin ich wirklich froh, dass ich da nicht dabei bin. Ätzende Leute ohne Substanz. Ich wünsche mir einen politischen Arm des CCC und keine Gruppierung für all jene, die mit ihrem Egozeug zwangsweise nur dort sind, weil alle anderen froh sind, solche Leute nicht zu haben.
Aber ich verstehe nicht ganz, was Piraten an "Nationalen Identitäten" so unetträglich finden, ober unerträglicher als die Tricks, mit denen andere die Abstimmungsprozesse, etwa beim Wirtschaftsprogramm, aushebeln wollen. Ein Blick auf diesen Parteitag zeigt doch, wie stark die nationalen Identitäten immer noch sind, die typisch deutsche Mischung aus Probleme kleinreden, der Wechsel zwischen der Grosskotzigkeit des Durchmarschs und dems Entsetzen, wenn es mit dem Bundestag nach dem Höhenflug doch nichts wird, das kleinliche Schrebergartengezänk, wie Berlin versucht, sich gegen die anderen mit allen Mitteln durchzusetzen, das Gewinsel um das Geld, alles nationale Identität. Kann man ruhig ins Programm schreiben. Ihr seid im Herzen schon immer deutsch gewesen.
Aber so oder so bin ich wirklich froh, dass ich da nicht dabei bin. Ätzende Leute ohne Substanz. Ich wünsche mir einen politischen Arm des CCC und keine Gruppierung für all jene, die mit ihrem Egozeug zwangsweise nur dort sind, weil alle anderen froh sind, solche Leute nicht zu haben.
donalphons, 20:43h
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